The Misadventures of P.B. Winterbottom11.03.2010, Jan Wöbbeking
The Misadventures of P.B. Winterbottom

Im Test:

Braid bekommt Konkurrenz: Der mit Preisen überhäufte Titel von Jonathan Blow hat zwei kalifornische Studenten offenbar derart inspiriert, dass sie sich an ihre eigenen Zeitpuzzles gewagt haben. Im Xbox Live Arcade-Knobler mit dem sperrigen Namen "The Misadventures of Mr. P.B. Winterbottom" dreht sich alles um einen schrulligen Kuchenliebhaber und seine Klone aus der Vergangenheit. Die aufgenommenen Helfer lassen sich mit dem Schirm durch die Gegend prügeln oder als Sprungbrett umfunktionieren.

Vom Festival auf den Marktplatz

Wie bei Braid diente auch diesmal das Independent Games Festival als Sprungbrett für die Vermarktung. Die Absolventen eines Studiengangs für interaktive Medien Matt Korba and Paul Bellezza stellten ihren

Gestatten: Mr. P.B. Winterbottom, Gentleman und weltweit gesuchter Kuchendieb.
Knobler vor zwei Jahren auf dem Festival vor . Mittlerweile haben die beiden den Entwickler "The Odd Gentlemen" gegründet und bringen zusammen mit 2K Play eine aufpolierte Fassung auf den Marktplatz der Xbox 360.

Schon die Levelauswahl wirkt wie eine Hommage an Braid: Während ich mit meinem Helden durch die Filmtheater-Oberwelt hüpfe, klappen zwar keine Bücher auf, doch die Anordnung der Level-Eingänge erinnert sofort an an des Vorbild. Auch stilistisch erweisen sich die »Odd Gentlemen« als ähnlich experimentierfreudig wie Blow: Statt an plattformtypischer Knuddel-Ästhetik orientiert sich das Design an alten Stummfilmen. Während im Hintergrund stilecht das Piano klimpert, hüpft der mit Schnauzbart und Zylinder ausgestattete Protagonist vor riesigen Zahnrädern, Fließbändern und Schaltermechnismen umher - fast wie in Charly Chaplins Industriekritik Moderne Zeiten.

Wer hat Angst vorm Zeitparadoxon?

Wer Braid , Blinx oder echoshift kennt, dürfte am schnellsten ins Spiel finden. Auch in Mr. Winterbottoms Abenteuer dreht sich alles um Zeitmanipulationen. Der berüchtigte Kuchendieb hat nur ein Ziel: Jedes einzelne Stück Backwerk zu verputzen, das seinen Weg kreuzt.

Praktisch: Aus still stehenden oder hopsenden Klonen lässt sich eine vorzügliche Leiter basteln. 
Da diese sich mit Vorliebe in der Luft aufhalten, muss mein Protagonist seinen Kugelbauch mit kleinen Hopsern von Plattform zu Plattform wuchten. Oder er schwebt an seinem Schirmchen hängend noch ein Stückchen weiter. Das Accessoire lässt sich auch als Schlagstock missbrauchen, um z.B. Schalter umzulegen, welche Aufzüge aktivieren oder tödiche Feuerfallen mit einem Wasserstrahl außer Gefecht setzen.

Die meisten Kuchen erreicht der nimmersatte Held aber nur, wenn er auf seine Spezialfähigkeit zurückgreift. Seit einer obskuren Begegnung mit einem schwebenden Riesentorte aus einer anderen Dimension kann der Gentleman die Zeit manipulieren. In Braid ließ sich das Geschehen zurückspulen, was immer dann praktisch wurde, wenn man sich in eine ausweglose Falle manövriert hatte. Diese Technik beherrscht Mr Winterbottom zwar nicht. Ich kann aber die R-Taste gedrückt halten und dadurch einige Sekunden lang alles aufnehmen, was ich mit ihm anstelle. Danach spiele ich die Sequenz ab, springe meinem Klon aus der Vergangenheit auf den Kopf und erreiche so eine höhere Plattform. Dort hopse ich auf einen großen Schalter, dank dem eine Sperre in die Höhe schnellt. Da ich auch die zweite Sequenz aufgezeichnet habe, flitzen jetzt schon zwei Klone durch den Level. Während der letzte den Schalter umlegt und das Tor aufklappt, schlüpfe ich mit meinem Original durch die geöffnete Sperre und schnappe mir den dahinter liegenden Kuchen - na also!

Nichts für Warmduscher

Schon die ersten Levels fallen unverschämt knackig aus: Ich muss meine Klone in genau der von den Entwicklern ausgedachten Reihenfolge auf die Wippe schicken, damit sie sich dort gegenseitig zu einer Reihe von Torten hinauf katapultieren. Nur dann bleibt genügend Zeit übrig, um zum letzten Kuchen zu hetzen und diesen gerade noch einzuheimsen -

Manche Kuchen können nur von bösen Klonen in einer vorgegebenen Reihenfolge eingesammelt werden.
eine Zehntelsekunde, bevor das knappe Zeitlimit das Naschwerk wieder verschwinden lässt. Oder es gibt eine ganze Kaskade von Schaltern, welche natürlich mit einem exakt vorgegebenen Timing umgelegt werden müssen. In einer anderen der fünf Welten wird das Unterfangen dadurch erschwert, dass ich meine Aufnahmen nur von einem Portal aus starten kann.

Auch andere Schikanen erschweren das Spiel: Manche Klone verwandeln sich in gefährliche rote Exemplare, welche den Original-Winterbottom bei Kontakt sofort ins Jenseits befödern. Nur auf den Kopf dieser bösen Zwillinge kann ich bedenkenlos springen. Unterhaltsamer ist es, einen »Normalo-Klon« nach dem andern in einem großen Wasserbecken landen zu lassen, wo sie zu rechteckigen Plattformen gefrieren. Wenn ein dutzend Exemplare nebeneinander mit den Ärmchen rudern und winkend mit ihren Schirmchen durch die Luft schweben, wirkt das Gewusel auf dem Bildschirm herrlich surreal.

Weltweite Kuchenjagd

Wenn trotz Zen-Meditation und obskurer Experimente wieder einmal der Groschen nicht fallen wollte, habe ich mich erst einmal in eine der vier anderen Welten geflüchtet. Noch entspannender fallen die Bonus-Herausforderungen aus: Hier geht es lediglich darum, eine große Menge Backwerk möglichst schnell sowie mit möglichst wenigen Klonen aufzuklauben - und mit dem Endergebnis seine Freunde in den Weltranglisten zu überbieten.      

Fazit

Mr. Winterbottom ist das Megaman unter den Denkspielen: Das originelle Retro-Design der Zeitpuzzles ist zwar nicht an pixelige Spielahnen, sondern an alte Stummfilmschinken angelehnt, doch auch hier wird es schon zu Beginn bockschwer. All zu viel Geschick am Pad muss man nicht mitbringen - aber die Gehirnwindungen werden gehörig gequält. Die Rätsel gestalten sich meist erfreulich kreativ und abwechslungsreich, doch mitunter führen nur minutenlange Trial&Error-Exzesse ans Ziel. Wenn man beim Aufnehmen des zehnten Klons merkt, dass der zweite den Schalter einen Deut zu früh umlegt, muss man eben alle Exemplare dazwischen wieder löschen und von vorne beginnen. Man kann sich leider nicht so komfortabel aus einer Sackgasse manövrieren wie in Braid. Auch das Schwarz/Weiß-Design wirkt erfrischend, hat mich aber nicht so beeindruckt wie seinerzeit Jonathan Blows lebendige Pastellfarbenkulisse. Hat man ein Puzzle nach zahllosen Versuchen endlich geschafft, sorgt das zur Belohnung für ein größeres Glücksgefühl als anderswo - trotzdem haben die Entwickler den Bogen überspannt. Ein sanfterer Einstieg oder ein dezentes Hinweis-System hätten dem Spielfluss gut getan. Immerhin konnte ich zwischendurch in die Bonus-Levels flüchten, um dort an meinen Bestzeiten zu feilen. Wenn ihr einen langen Geduldsfaden besitzt, sorgt der schrullige Kuchendieb aber für eine Menge Knobel-Spaß.

Pro

<P>
kreative Zeitklon-Puzzles...
einige Aufgaben motivieren stark...
origineller Stummfilm-Stil
verschrobener Winterbottom
Abwechslung durch diverse Klon-Varianten
zusätzliche Leaderboard-Herausforderungen</P>

Kontra

<P>
...aber auch viel Trial &amp; Error ohne Hinweise
...andere treiben zur Verzweiflung
einige übertrieben knackige Levels</P>

Wertung

360

Kreativ, charmant und bockschwer: Die Zeitpuzzles im schrulligen Stummfilm-Design treiben auch Rätselprofis an den Rand des Wahnsinns.

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