MegaMan 922.09.2008, Paul Kautz
MegaMan 9

Im Test:

Das Konzept des beinharten Spiels ist im Laufe der Jahre immer mehr abhanden gekommen, die hehre Kunst des präzisen Controllerwurfs an die Wand nahezu ausgestorben - heutzutage gilt ein Spiel ja schon als schwer, wenn es kein Quicksave hat. Das war nicht immer so: Noch vor 15 bis 20 Jahren, als man die den Bildschirm bevölkernden Pixel noch ebenso zählen konnte wie die Anzahl der Tonspuren, bedeutete ein »Game Over« auch tatsächlich, dass das Spiel vorbei ist - und das hatte es möglichst oft zu sein, denn ein Spiel hatte gefälligst gemeistert zu werden; ein Spiel zu schaffen bedeutete, sich wie der weiße Hai durchzubeißen! Tja, so was gibt's heute eigentlich nicht mehr. Oder doch?

Himmelhochjauchzendzutodebetrübt!

Geht in einen Raum mit möglichst vielen Leuten, schmeißt MegaMan 9 (MM9) in die Konsole, dreht den Lautstärkeregler auf und verfolgt interessiert, wie schnell Menschen im Notfall rennen können. Wenn ihr Glück habt, bleibt eine Hand voll zurück - zu denen könnt ihr euch dann gesellen, den Geheime-Bruderschaft-Handschlag austauschen und von MegaMan 2-Zeiten schwärmen. Das gilt nicht umsonst bis heute als der beste Teil der altehrwürdigen Serie, die, alle Spin-Offs eingerechnet, mittlerweile mehr als 100 Games umfasst! Wenn man also ein Revival der Serie als Download-Titel plant, ist es natürlich logisch, sich an diesem Vorbild zu orientieren. Nur die Art und Weise, wie sich Entwickler Inti Creates und Capcom daran orientiert haben, könnte so manchen HD-Fan... äh... irritieren.

Kurz gesagt sieht MegaMan 9 auf allen Plattformen wie ein NES-Spiel aus: Fast quadratische Bildschirmauflösung (4:3.5, obwohl es der Übersicht willen auf 4:3 gestreckt ist), ein paar Dutzend Farben, blockige Pixel, kein Wallpaper - ganz alte Hasen können sogar den köstlich betitelten »Altlast-Modus« aktivieren, der die Sprites ganz oldschoolig flackern lässt. Die Figuren haben im Schnitt drei Animationsphasen, die Bossgegner stellen sich bei der Levelauswahl im gemeingefährlicher Drohpose dar, Parallaxscrolling gibt es ebenso wenig wie Effekte - wenn man mal von den Explosionsringen absieht, welche die Reste von MegaMan versinnbildlichen, der gerade mal wieder auf tödlichen Spitzen gelandet ist. Dieser Effekt ist insofern wichtig, als dass man ihn wahnsinnig oft zu sehen bekommt, denn MegaMan 9 ist schwer. Oooohja, schwer! Richtig, richtig, richtig schwer! Contra 4 plus Ikaruga plus Bionic Commando Rearmed plus Castlevania -schwer! Leveldesign, Gegnerplatzierung, Rücksetzpunkte, Sprungeinlagen, nachwachsende Feinde, Bossfights - wirklich, wirklich fies. Definitiv Material, das Otto-Normal-Sealife Safari-Spieler problemlos in den Wahnsinn treiben dürfte. Es ist absolut verständlich, wenn man beim Anblick von MM9 mit dem Kopf schüttelt, sich fragt, was der Mist soll, wie einem so ein Dreck gefallen kann und von dannen zieht - so auch die Reaktion von 96% meiner Kollegen. Doch die werden nie verstehen, dass es nichts Schlimmes ist, wenn man gerade an derselben Stelle zum zehnten Mal draufgegangen ist. Bei den meisten anderen Spielen würde es mir spätestens an dieser Stelle ebenfalls tierisch auf die Nerven gehen. Nicht so bei MegaMan 9. Denn hier will ich es nicht anders haben - wäre es anders, wäre es kein MegaMan.

Weibsvolk ist anwesend!

Das Leveldesign ist gewohnt wahnsinnig: Ohne Auswendiglernen und Jedi-Reflexe gewinnt man hier keinen Blumentopf.
Das Leveldesign ist gewohnt wahnsinnig: Ohne Auswendiglernen und Jedi-Reflexe gewinnt man hier keinen Blumentopf.
So, nachdem ihr jetzt wisst, was euch erwartet, kann ich mich endlich mit den Warnungen zurückhalten und dem Spiel widmen, das von einem putzigen Intro eingeleitet wird: Im Jahre 20xx gelobt der umtriebige Dr. Wily Reue und schwört allem Böstum ab, nachdem MegaMan zum wiederholten Male die Welt gerettet hat. Aber was ist das? Wieso drehen an allen Ecken und Enden schon wieder Roboter durch? Der übliche Verdächtige: Wily!!! Aber nö, der weist alle Schuld von sich, und zwar in Richtung des guten Dr. Light - ein Video unterstützt seinen anklagenden Finger. Nanu, verkehrte Welt? Nein, das kann nicht sein! MegaMan setzt seinen blauen Helm auf und spurtet los, die Unschuld seines Freundes zu beweisen. Das Ganze wird in putzigen Bildern und knarzenden Texttafeln präsentiert; wahlweise auf Englisch, wobei die deutsche Übersetzung sehr gut und vor allem witzig geraten ist.

Zwischen Intro und Abspann liegen je nach Geschick zwischen 60 Minuten und vier Jahre der Beschäftigung. Wie von der Serie gewohnt habt ihr von Anfang an Zugriff auf alle acht Standard-Levels, die sich thematisch immer am jeweiligen Endboss orientieren: Wind im Tornado Man-Level, viel heißer Stein bei Magma Man, glitzernde Sterne und UFOs bei Galaxy Man und Unterwasserausflüge inkl. mit Tinte um sich spritzender Topf-Kraken bei Splash Woman. Erst wenn ihr dieses Oktett geschafft habt, steht euch der Weg zum eigentlichen Obermotz frei - der für Serienkenner wenig überraschend sein dürfte.

Standardmäßig ballert ihr mit eurem treuen Mega Blaster um euch, interessanter wird's aber natürlich mit den Wummen, die euch die erledigten Bosse unfreiwillig überlassen: Dreier-Schuss, mobiles schwarzes Loch, Zielsuch-Wespe, alles vom Bildschirm wehender Tornado, durchschlagskräftiger Dreizack oder temporärer Betonklotz, mit dem man an sonst unerreichbare Extras rankommt oder sich zu knifflige Sprungeinlagen vereinfachen kann,

Die Bossfights sind gewohnt haarsträubend schwer - jedenfalls so lange, bis man die richtige Wumme im Repertoire hat.

füllen nach und nach euer Inventar. Ihr könnt aber nicht blind mit dem Teufelszeug um euch schießen, denn die Energie für die Mega-Knarren ist begrenzt. Viel sinnvoller ist es, sich diese Waffen für die Endgegner aufzuheben, denn jeder einzelne davon reagiert auf eine Wumme besonders allergisch. Alte Hasen nicken wissend: Das Herausfinden der optimalen Level-Reihenfolge, um zum richtigen Zeitpunkt die richtige Waffe verfügbar zu haben, ist einer der Grundpfeiler jedes guten MegaMan-Spiels. Hier ist es nicht anders.

Fieps mit mir!

Es sollte mittlerweile deutlich geworden sein: MM9 ist in bester Serientradition ein wundervoll altes neues Spiel für Retro-Geeks. Kein Wunder also, dass sich die Entwickler auch beim Leveldesign kräftig aus dem alten Fundus bedient haben: Herrlich kreative Ideen wie die Umdreh-Batterien bei Jewel Man, die Warp-Spulen bei Galaxy Man, die Hüpfblasen bei Splash Woman oder die Levelteile bei Hornet Man, die man indirekt selbst zum Einsturz bringen muss, lassen MegaFans mit der Zunge schnalzen. Überall liegen große und kleine Schrauben herum, die man aufsammeln und zwischen den Levels im Shop in mehr oder weniger nützliche Items investieren kann: Extraleben, zusätzliche Energiecontainer, ein Retter in der Not, falls man mal im Abgrund landet, eine Schutzpanzerung, die die Hälfte des Schadens absorbiert oder solide Sohlen, die vor tödlichen Stacheln schützen, gehören zu den sinnvollen Ausbeulungen in den MegaTaschen. Ein Roll-Kostüm (Roll ist MegaMans Freundin) oder ein Frisurenbuch, das dem blauen Bomber seinen Helm nimmt und sein strubbeliges Haar entblößt, gehören eher in die Kategorie »Och, warum nicht? Hab genug Kohle!«

Mit dem richtigen Werkzeug ist alles kein Problem: Im Shop könnt ihr euch mit zusätzlichen Items eindecken, die sonst unerreichbare Boni plötzlich in greifbare Nähe rücken.

Wir tummeln uns ja im Jahre 2008, also kamen die Designer nicht umhin, ein paar Segnungen der Neuzeit einzubauen. Die wichtigste davon ist die Speicherfunktion: Halthalt Retro-Fans, nicht erzürnen - selbstverständlich gibt es kein Quicksave, innerhalb der Levels warten außerdem nur sehr wenige Checkpunkte. Vielmehr dürft ihr nach Levelende den Spielstand sichern, um nicht jedes Mal bei Kraut und Rüben anfangen zu müssen. Ein Passwort-System wäre im Rahmen der Oldschool-Freude wohl konsequent, aber vermutlich zuviel des Guten gewesen. Weiterhin gibt es Time Trials, inkl. Online-Ranglisten. Und nicht zu vergessen die 50 Herausforderungen, die euch ziemlich genau nichts bringen (außer 360-Spielern einige Achievements), mit Ausnahme der Gewissheit, sie geschafft zu haben. Denn die Ansprüche der Herausforderungen sind teilweise okay (»Einen Boss nur mit dem Mega Buster besiegen«), teilweise bizarr (»Weniger als 50 Mal in einem Level hüpfen« oder »Das Spiel 30 Mal durchspielen«), teilweise jenseits von Gut und Böse - »Jeden Boss mit genau einem Pixel Lebensenergie erledigen«, »Mit dem Buster in einem Level nicht ein Mal daneben schießen«, »Das Game schaffen, ohne ein Mal getroffen zu werden« oder »Jeden Boss in weniger als zehn Sekunden erledigen« sind Erfolge für Wahnsinnige. Alles andere als wahnsinnig ist der Soundtrack, jedenfalls wenn man ein Faible für FM-Gedudel hat: Die herrlich fiepsenden Melodien, die den Capcom-Kenner sofort an die guten alten Tage von Duck Tales und Gargoyle's Quest erinnern, sind toll komponiert und gehen sofort ins Ohr.

Eine Warnung an die 360-Spieler: Auch wenn mich die Erinnerung trüben mag, das NES-Digikreuz kam mir nie so schwammig wie das Xbox-Pad vor - hier empfiehlt es sich tatsächlich, das alte Game mit dem ach so modernen Analogstick zu spielen; PS3-User haben aufgrund des hervorragenden Pads ohnehin kein Problem. Wie sich MM9 mit der Wiimote (der seitlich gehalten wird) oder dem Classic Controller spielt, werden wir in Kürze an dieser Stelle ergänzen.

Fazit

Ich hatte schon seit langem den Verdacht, dass die Jungs und Mädels bei Capcom auf gute Weise nicht ganz dicht sind, jetzt habe ich endlich den Beweis! Obwohl es nicht so aussieht, so klingt oder sich so spielt, ist MegaMan 9 ein komplett neues Spiel, das konsequent und mit voller Absicht auf Alt getrimmt wurde - kein Remake, kein Fangame, obwohl es nachweislich von Fans für Fans mit Pixeln im Blut gemacht wurde. Das Leveldesign ist wunderbar ideenreich und frustrierend, ein Bosskampf herausfordernder als der andere, die Präsentation sprüht vor Charme und der Soundtrack sorgt ganz automatisch für zuckende Beine - entweder, weil man im Rhythmus der Frequenzmodulation mittappt oder weil man aufgrund des Getutes Krämpfe kriegt. Dieses Spiel polarisiert wie kein anderes: Wer einfach mal klassisches Spieldesign in moderner Darreichung erleben will, dem sei Bionic Commando Rearmed ans Herz gelegt. Die beinhärtesten MegaManiacs hingegen bekommen hier das beste MegaMan seit Jahren - das sich selbst und der Serientradition treu ist.

Pro

wundervoll veraltetes Spieldesign
mächtig anspruchsvoll
perfekte Steuerung
beinharte Herausforderungen
Online-Ranglisten

Kontra

kommt etwa 20 Jahre zu spät

Wertung

360

Wundervoll veralteter Jump-n-Run-Ausflug ins goldene MegaMan-Zeitalter.

Wii

Wundervoll veralteter Jump-n-Run-Ausflug ins goldene MegaMan-Zeitalter.

PlayStation3

Wundervoll veralteter Jump-n-Run-Ausflug ins goldene MegaMan-Zeitalter.

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