Ride to Hell: Retribution28.06.2013, Mathias Oertel
Ride to Hell: Retribution

Im Test:

Biker-Gangs, ein Rachemotiv und viel trashige Action: Diesen Eindruck vermitteln die letzten Videos, die zu Ride to Hell Retribution veröffentlicht wurden. Konzeptionell scheint Entwickler Eutechnyx die Hausaufgaben gemacht zu haben. Leider war das Team jedoch mit der Umsetzung in allen Belangen überfordert…

Fünf Jahre verschenkt?

Ein Blick ins Archiv verrät, dass Ride to Hell im Jahr 2008 angekündigt wurde, seinerzeit noch ohne den Untertitel Retribution. Das dazugehörige Video suggerierte Biker-Action in einer offenen Welt. Dann wurde es ruhig um den von Eutechnyx (ACR, Street Racing Syndicate) entwickelten Titel, bis er Anfang des Jahres unerwartet aus der Versenkung auftauchte. Allerdings stelle ich mir mittlerweile die Frage, wieso Deep Silver, die in den letzten Wochen und Monaten die Expertise mit vielen Einkäufen wie z.B. Saint's Row 4 samt Volition oder Killer is Dead gezeigt haben, darauf bestanden haben, dass dieser Titel auf Teufel kommt raus veröffentlicht werden muss?

Denn offensichtlich war Eutechnyx mit der Entwicklung vollkommen überfordert, selbst wenn der vermutlich ursprünglich geplante Aspekt der offenen Welt mittlerweile einem linearen Action-Mix gewichen ist. Keiner der wesentlichen Bestandteile wie Überlandfahrten mit dem Bike, Baller-Action oder Prügeln funktioniert für sich alleine. Die Verbindung aller Einzelteile unter dem Dach einer vollkommen planlos erzählten sowie ohne jegliches Gespür für Dramaturgie inszenierten Rachestory kann ebenfalls nur selten Punkte sammeln.

Trashbeginn macht Hoffnung auf mehr

Der Ex-Soldat Jake Conway befindet sich auf einem Rachefeldzug.
Der Ex-Soldat Jake Conway befindet sich auf einem Rachefeldzug.
Dabei geht es nach Trash-Maßstäben sogar noch einigermaßen interessant los: Vietnam-Heimkehrer Jack (offensichtlich spielt Ride to Hell in den Spätsechzigern/Anfang der Siebziger) sitzt auf seinem Chopper und wird in Rückblenden durch ein paar nichtssagende, aber dennoch neugierig machende Action-Sequenzen gejagt. Zusammen mit den im Vorfeld veröffentlichten Videos hatte ich in den ersten fünf Minuten noch auf eine Mischung aus dem Flair eines  Sons of Anarchy und der überbordenden Action im Stil von Wet gehofft (das von A2M, nicht die schlüpfrige Wirtschaftssimulation aus dem Jahr 1997). Doch sobald die Rachestory einmal die Handbremse löst und loszurollen beginnt, während gleichzeitig die verschiedenen Mechaniken aneinandergereiht werden, wird mir klar, dass das hier kein Trash, sondern tatsächlich nur Müll ist.

Nehmen wir z.B. die Kulisse, die angeblich mit Unreal-Technologie gebaut wurde. Wie alt ist die PS3- und Xbox 360-Generation? Ungefähr acht Jahre. Dennoch schafft es Ride to Hell mit seinen schwachen Texturen, noch schwächeren Effekten sowie allenfalls rudimentärer Mimik wie ein nur leicht aufgebohrter Titel der PS2-Ära auszusehen. Am PC sind die Texturen zwar schärfer, der Rest der Kulisse ist aber genauso marode wie auf den Konsolen. Angefangen von den Klongegnern -selbst wenn Jake sich nur drei Feinden gegenübersieht, kann es sein, dass zwei bis ins letzte Tattoo-Detail identisch aussehen- bis hin zu Clipping, unglaubwürdigen Schatten und Bugs reiht sich ein Schwachpunkt an den nächsten. Von einem Titel, der an der Schwelle zur nächsten Konsolengeneration veröffentlicht wird, erwarte ich mehr - viel mehr.

Schwache Inszenierung

Das gilt übrigens auch für die Inszenierung. Es muss nicht immer Metal Gear Solid sein. Doch zumindest einen Ansatz von Regie, einen Hauch von Dramaturgie, einen Ansatz erzählerischer Spannung muss erkennbar sein. Doch auch hier passt nahezu nichts zusammen. Man sieht eine in der Spielgrafik erstellten Zwischensequenz.

Ein Teil der Action besteht aus konzeptionell interessanten Prügeleien - die Umsetzung ist weit weniger interessant.
Ein Teil der Action besteht aus konzeptionell interessanten Prügeleien - die Umsetzung ist weit weniger interessant.
Noch bevor diese Szene einen dramaturgischen Höhepunkt erreicht, folgt ein Ladebildschirm und man findet sich in einer der drei Spielmechaniken wieder. Wie kommt man dahin? Unwichtig. Wieso muss man das tun, was man zu erledigen hat? Auch unwichtig, im Zweifelsfall, um es allen heimzuzahlen. Und dann hat man ohne irgendeinen Hinweis sein Ziel erreicht und man bekommt, im besten (schlimmsten?) Fall wieder eine Zwischensequenz, die abermals Verbindungen zu der vorherigen Action vermissen lässt - von einem globalen Erzählzusammenhang ganz zu schweigen.

Exemplarisch dafür stehen auch die immer wieder zum Selbstzweck eingebundenen und höchst peinlichen Sexszenen. Wo Spiele wie Mass Effect, Heavy Rain oder der zweite Witcher-Teil versuchen, das Thema Sexualität mit gehörigem Respekt in der Spielewelt zu verankern, wirkt Ride to Hell wie ein billiger Porno. Man stelle sich folgende Situation vor: Jake wandert durch ein vollkommen leeres Gebiet. Auf einem Parkplatz sieht er, wie jemand ein Mädchen bedroht. Nach einer kurzen Prügelei ist der Angreifer erledigt. Schnitt: Jake treibt es mit dem geretteten Opfer zu unsäglichem Stöhngedudel. Aber: Wie eigentlich? Beide haben noch ihre Klamotten an, was im Fall des Overalls der Mechanikerin höchst lächerlich aussieht und auch bei seinen anderen Gespielinnen (nicht vergessen: Es sind die wilden 60er/70er Jahre) nicht besser umgesetzt wird. Mit dem nächsten Schnitt ist die Szene urplötzlich vorbei und Jake steht wieder an der Stelle, wo er gerade noch auf jemanden eingeprügelt hat. Hmm…

Action ohne Sinn und Verstand

Doch es ist nicht nur die Inszenierung, bei der nichts zusammenzupassen scheint. Auch die in der Theorie gute Mischung der Elemente Fahren, Ballern und Prügeln lässt zu wünschen übrig. Die Schießereien und Prügeleien hinterlassen dabei sogar noch in Ansätzen den Eindruck, dass man sich was dabei gedacht hatte und dem Spieler so etwas wie Spaß und Unterhaltung bieten wollte. Beim Ballern gibt es ein Deckungssystem (teilweise sogar zerstörbar), man ist auf zwei Waffen beschränkt oder kann Schießprügel der Gegner aufnehmen. Beim Prügeln kann man mit zwei Tasten Kombos zusammenschrauben, Kontern bzw. Blocken und mit scheinbar zufällig ausgelösten Reaktionstests den Gegner KO schlagen.

Die große Freiheit? Öhm, nein. Die Fahrsequenzen sind angesichts der Rennspielkompetenz der Entwickler eine Enttäuschung - und nicht die einzige.
Die große Freiheit? Öhm, nein. Die Fahrsequenzen sind angesichts der Rennspielkompetenz der Entwickler eine Enttäuschung - und nicht die einzige.
Das Problem dabei: Nach der ersten Mission hat man eigentlich alle wesentlichen Elemente kennengelernt – inklusive der Schwachmaten-KI, die bei den Ballereien nur von der Moorhühnern übertroffen wird und die sich auch bei den Schlägereien nicht clever anstellt. Erinnert sich noch jemand an The Untouchables von Brian dePalma? An die Stelle, an der die Figur von Sean Connery sinngemäß sagt "Typisch. Kommt mit nem Messer zur Schießerei!" Ich wurde zumindest daran erinnert, als ich die von den Leveldesignern sorgsam platzierten Prügel-Gegner einfach mit Blei umgepustet habe - wieder und wieder.

Und wenn man glaubt, dass Eutechnyx mit ihrer gewissen Rennspiel-Erfahrung zumindest die Fahrsequenzen ordentlich abliefert, bekommt man die nächste Enttäuschung: Die Verfolgungsjagden oder Rennen brillieren nicht mit Spaß oder Spannung. Stattdessen gibt es auch hier Langeweile, eine selbst nach Arcade-Maßstäben vollkommen unsägliche Fahrphysik sowie öde Reaktionstests, wenn Biker versuchen, einen anzugreifen. Der Klassiker Road Rash hat bereits im letzten Jahrtausend gezeigt, wie man brachiale Motorrad-Rennen inszenieren kann. Davon ist man hier meilenweit entfernt. Wie auch von einem stimmigen Sounddesign: Während die englischen Sprecher zumeist noch passabel versuchen, das Beste aus dem schwachen Skript herauszuholen und der generische Southern-Blues-Rock ansatzweise für Atmosphäre sorgt, ist die Abmischung unter aller Kanone.

Fazit

Ich hatte nach den letzten Videos nicht allzu viel erwartet. Im Bestfall vielleicht eine trashige Mischung aus A2M's WET und Sons of Anarchy mit Grindhouse-Look. Also unkomplizierte Action mit Biker-Thematik. Doch was letztlich auf dem Bildschirm versuchte, meine Aufmerksamkeit zu bekommen, ist nur selten mehr als ein schlechter Witz. Eine hoffnungslos veraltete Kulisse, gegen die viele in der PS2- oder Xbox-Spätphase veröffentlichte Titel (z.B. Rockstars The Warriors) wie HD-Highlights wirken, macht den Anfang. Es geht weiter bei einer unausgegorenen Soundabmischung, bei der nur die englischen Sprecher ein paar Punkte sammeln können. Die Inszenierung ist bar jeglicher Spannung, reiht Szenen mitunter unglaublich zusammenhanglos aneinander und erreicht mit der vollkommen peinlich-lächerlichen Darstellung von Sex einen neuen Tiefpunkt. Doch was noch schlimmer ist: Gegen diese Unzulänglichkeiten im technischen und stilistischen Umfeld wirken die mechanischen Mängel wie eine Kinderkrankheit, die man aussitzen kann. Weder das generische Ballern gegen grandios schlechte KI noch die zumindest im Ansatz interessanten Prügel-Sequenzen, bei denen immerhin eine gewisse Kompromisslosigkeit in Erscheinung tritt, können die Anschaffung des Spiels im Geringsten rechtfertigen. Und wer wie ich glaubt bzw. hofft, dass Eutechnyx mit der Kernkompetenz "Rennspiele" (aus dem Hause kommt z.B. Auto Club Revolution) wenigstens bei den Fahrsequenzen eine Grundmotivation legt, sieht sich abermals getäuscht. Hier passt gar nichts zusammen. Macht einen weiten Bogen um dieses Spiel. Oder besser noch: Holt euch für den Anschaffungspreis die ersten zwei Staffeln Sons of Anarchy.

Pro

grundsätzlich interessante Rachestory
stilistisch interessanter Einstieg
passable englische Sprachausgabe
in der Theorie interessanter Mix aus Fahren, Prügeln und Ballern

Kontra

langweilige Fahrsequenzen
öde generische Ballereien
eintöniges Prügeln
fehlerhaftes Sounddesign
grauenhafte Inszenierung
Logikabgründe
hoffnungslos veraltete Kulisse
vollkommen planlose KI
lächerliche Sex-Szenen

Wertung

360

Dramaturgisch, technisch, spielerisch: Ride to Hell ist in jeder Hinsicht eine Enttäuschung.

PlayStation3

Egal ob man sich die Mechanik, die Technik oder die Dramaturgie anschaut: Es passt wenig zusammen.

PC

Auch wenn die Texturen am PC am "schönsten" aussehen: Finger weg von dieser krude zusammengeschusterten Action.

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