Grand Theft Auto 4: The Lost and Damned18.02.2009, Paul Kautz
Grand Theft Auto 4: The Lost and Damned

Im Test:

Grand Theft Auto 4 ist kaum zwei Minuten alt, aber bereits ein Klassiker:  Niko Bellics Erlebnisse in Liberty City gehören schon jetzt in die Annalen der Spielgeschichte. Folgt man der Rockstar-Tradition, vergehen locker wieder sieben Jahre, bis ein »echtes« GTA 5 an die Haustür klopft. Diese Wartezeit kann man problemlos mit Spin-Offs und Add-Ons überbrücken - wie gut ist das erste Download-Abenteuer?

Die Rückkehr des alten Mannes

Johnny Klebitz ist der neue Held im GTAversum - und der Serientradition entsprechend ein absoluter Schwiegermuttertraum.
Schwere Gitarren schrammeln, schwere Maschinen blubbern, Niko Bellic schlurft durchs Bild und verschwindet genauso schnell wieder, wie er gekommen ist - The Lost and Damned hat nichts mit ihm zu tun. Okay, fast nichts, aber der eigentliche Held heißt Johnny Klebitz, ist »Vizepräsident« des »The Lost Motorcycle Club« - und sauer. Klar ist es gut, dass sein »Chef« und Mentor Billy Grey nach Jahren des Entzugs endlich wieder aus dem Knast kommt, man mag sich ja irgendwie. Aber in der Zwischenzeit hat Johnny mit den Erzfeinden »Angels of Death«  einen Waffenstillstand geschlossen, dafür Sorge getragen, dass die Gang gut versorgt ist und dass man mit dem Gesetz nur noch beim morgendlichen Besuch des Donut-Schuppens in Kontakt kommt. Und jetzt ist da wieder dieser Zottelbart, der auf den Frieden scheißt, der zuerst schießt und hinterher nicht fragt, sondern sich zufrieden am Hintern kratzt, der all die Ruhe ruiniert, der den Handel mit von den Triaden geklautem Heroin für eine super Sache hält. Aber okay, Boss ist Boss, also muss auch Johnny wieder das tun, was ihn eigentlich ankotzt.

Bevor man aber in Klebitz' Lederjacke schlüpft und von da aus mehrere Lagerhallen Munition unter die Gegner bringt, gilt es erstmal ein paar Voraussetzungen zu erfüllen. Nein, ihr müsst keine nVidia-Grafikkarte, aber GTA 4 besitzen. Und eine Festplatte, auf der noch knapp zwei Gigabyte Platz sind. Außerdem sollten sich 1.600 MS-Points (knapp 20 Euro) auf eurem Konto tummeln, denn so viel kostet die Erweiterung. Klingt erstmal nach viel, aber es gibt ja auch viel zurück: 24 frische Missionen in der Hauptstory, die etwa zehn Stunden dauern - zusätzlich warten noch optionale Bonusaufträge, mit denen man auch nochmal locker drei bis vier Stunden rumkriegt. Außerdem wurde der bereits in

Mehr Mehrspieler, bitte! Rockstar hat die Spielvarianten-Vielfalt erheblich aufgestockt.
GTA 4 sehr umfangreiche Mehrspielermodus nochmal um einige Spielvarianten aufgestockt. Wie gewohnt braucht man nur das Handy zu zücken und »Mehrspieler« zu wählen, dann steht man schon vor der Wahlqual: »Own The City«  ist ein Team-Modus, in dem zwei verfeindete Gangs um strategische Punkte in der Stadt kämpfen - andere Spiele sagen »Domination« dazu. »Witness Protection« hat was von »The Hunted« beim guten alten Team Fortress Classic, denn das eine Team muss eine Personengruppe um jeden Preis schützen, das andere sie natürlich ausschalten. Sehr erfrischend ist »Chopper vs. Chopper«, in dem ein Spieler auf dem Bike möglichst viele Checkpunkte passieren muss, während ein anderer vom Helikopter aus drauflosballert. Und das ist immer noch nicht alles, denn es gibt noch mehrere Rennen sowie aufgabenbasierte Multiplayer-Varianten. Kurz gesagt: Wem die ausufernde Auswahl bereits in GTA 4  zu viel war, der wird hier einen Options-Overkill erleiden.

Wiedersehen macht Freude

The Lost And Damned (TLAD) fügt sich harmonisch in GTA 4 ein. So harmonisch sogar, dass es parallel zu den Geschehnissen im Hauptprogramm spielt. Das bedeutet nicht nur dieselbe Stadt (natürlich inkl. einiger neuer Lokalitäten wie dem The Lost-Clubhaus), sondern auch vertraute Gesichter. Mit einigen wie Ray Boccino oder Playboy X hat man nur beiläufig zu tun, mit anderen wie Elizabeta arbeitet man kurzzeitig zusammen - das Highlight ist eine Mission, in der man Seite an Seite mit Niko Bellic kämpft. Dieser Auftrag wird sogar von derselben Zwischensequenz wie im Hauptprogramm eingeleitet. Faulheit der Entwickler? Möglich. Trotzdem sehr cool, das bekannte Geschehen aus einer anderen Perspektive zu erleben.       

Die meisten Nasen sind allerdings neu: Billy, Brian, Jim, Terry, Clay, Ashley undwiesienichtalleheißen sind Teil der Gang, mit denen man die meiste Zeit verbringt. Der eine ist Freund, der andere Feind, der nächste ändert seine Meinung zu Johnny im Laufe des Spiels - innerhalb der Story hat man darauf keinen Einfluss. Dafür ist es möglich, sich sein

Obwohl es gelegentliche Parallelen zu GTA 4 gibt, ist The Lost And Damned ein eigenständiges Spiel - inkl. neuer Charaktere und neuer Story.
ganz persönliches A-Team zu erschaffen: Da man fast nie allein, sondern meistens in der Gruppe unterwegs ist und die teilnehmenden Ballerkumpels mit jedem gemeisterten Fight an Erfahrung, Zielsicherheit und Zähigkeit dazugewinnen, hat man schnell eine schlagkräftige Truppe zusammen. Sofern die einzelnen Mitglieder nicht draufgehen, denn dann werden sie automatisch durch Frischfleisch ersetzt.

Man selbst hat in diesem Prozess allerdings kein Mitspracherecht, die Mannen kämpfen völlig autonom. Falls man selbst derjenige ist, der eine Kugel zu viel abbekommt, wird man dankbar für Komfortfunktionen sein: Zum einen kann man die gerade verlorene Mission gegen den Verlust von etwas Geld sowie der bereits verballerten Munition einfach nochmal starten, zum anderen verfügen gerade lange Aufträge endlich über Zwischendurch-Speicherpunkte, so dass man nicht immer bei Kraut und Rüben beginnen muss. Allzu oft muss dieser Luxus allerdings nicht in Kauf genommen werden: Obwohl TLAD deutlich ballerlastiger als das Hauptprogramm ist, empfand ich das Add-On als leichter. Liegt vielleicht auch daran, dass man im Notfall immer ein paar extra-treffsichere Kumpels als Verstärkung herbeifunken kann. Die neuen Waffen tragen vermutlich auch ihren Teil dazu bei: Der Granatwerfer macht unfassbar mächtig Rabatz, noch nie sah ich so viele Gegner gleichzeitig

Johnny ist nur selten allein unterwegs: Die Gang folgt ihm treu wie ein Dackel, im Notfall kann er noch Verstärkung herbei rufen.
durch die Luft wirbeln wie nach einem Treffer dieses Babys. Automatik-Pistole und -Schrotgewehr sind ebenso nützlich wie die besonders vom Bike aus unheilvolle Wirkung entfaltende abgesägte Schrotflinte. Mit den frischen Rohrbomben bin ich allerdings nicht glücklich: Das Zündverhalten wirkt unberechenbar, das Nach-hinten-Kullern vom Bike aus ist unpräzise.

Zickige Biester

Von der ersten Ankündigung an war klar, dass sich TLAD um Biker dreht - klar, dass man die meiste Zeit auf einem mächtigen Hobel Marke »Beinhart wie'n Rockä!« verbringt. Und was eine richtige Biker-Gang ist, fährt immer im Konvoi: Bleibt man einigermaßen diszipliniert in Formation, entspinnen sich wunderbar unterhaltsame Dialoge, außerdem wird so das Bike automatisch repariert - hin und wieder spornt man sich gegenseitig sogar zu kleinen Wettrennen zum Ziel an. Klar kann man auch absteigen, Wagen knacken und auf vier Rädern von dannen düsen - aber das wirkt hier irgendwie würdelos. Das Fahrmodell der Hobel wurde im Vergleich zum Hauptprogramm etwas verändert und arcadiger gemacht, so dass man kaum noch runterfällt. Allerdings reagieren gerade die Chopper neuerdings extrem sensibel auf Höhenunterschiede - ein einfacher Bordstein kann dadurch unerwarteterweise schon mal Grund für einen Frontside 360 Flip mit anschließendem Schädel-Manual sein.

           

So voll Rockstar die Hauptstory gepackt hat, so leer wirkt das Nebenher:  Personalisierungsmöglichkeiten gibt es gar keine mehr, Johnnys Klamotten bleiben vorgeschrieben. Davon abgesehen kann man sich unterhaltsame Rennen liefern, die aufgrund der Verwendung von Baseballschlägern als höfliches Stop-Zeichen an den Klassiker »Road Rash«

Bitte lächeln: In den Bike-Rennen können Baseballschläger zum Ausbremsen der konkurrenz verwendet werden.
erinnern. Geht es einem zu friedlich zu, lassen sich auch Gang-Kriege vom Zaun brechen. Dazu kommen die obligatorischen GTA-Zeitvertreibe wie Auftrags-Klaus von Bikes oder Späße wie Armdrücken oder Kartenspielen im Clubhaus. Die soziale Komponente von GTA 4 kann diesmal aber völlig vernachlässigt werden; wem das ständige Hinterhertelefonieren und Stripclub-Besuchen auf die Nerven ging, wird hier erleichtert aufatmen: Zwar ist Johnnys Handy auch ständig am Brummen, aber fast immer geht's dabei um Aufträge, nicht um Dates. Nicht falsch verstehen: Nach wie vor kann man Frauen im internen Internet kennen lernen oder mit Kumpels einen saufen gehen. Man muss aber nicht mehr. Ist doch viel entspannender, mal eine gemütliche Runde QUB3D zu spielen oder das abendliche Fernsehprogramm zu genießen. Übrigens braucht man dieses mal auch nicht darauf zu warten, dass eine Brücke fertig gestellt wird - Liberty City ist von Anfang an in seiner vollen Größe verfügbar.

Interessante neue Ansichten

GTA 4 sah brillant aus, The Lost And Damned sieht brillant aus. Punkt. Ob generelle Spielwelt oder die fantastisch inszenierten Zwischensequenzen, es gibt zur Zeit kein prachtvolleres Open World-Spiel. Ganz besonders nicht mit dem neuen »Noise-Filter«, der ein dezentes Rauschen über das Bild legt, das gleich zwei Vorteile hat: Erstens sieht das Spiel dadurch düsterer, männlicher, fieser aus. Zum anderen kaschiert der Filter geschickt die bekannten Grafikmakel wie die krümeligen Schatten

Adel verpflichtet: Auch TLAD sieht fantastisch aus. Ein neuer (auch abschaltbarer) Rausch-Filter verleiht Liberty City ein neues, düsteres, bedrohliches Äußeres.
oder die in der Entfernung flackernden Texturen. Allerdings kann auch er nix daran ändern, dass das Spiel immer wieder mal spürbar langsamer wird. Außerdem ist es sehr schade, dass es der fabelhafte Video-Editor der PC-Version von GTA 4 nicht auf die 360 geschafft hat. Dafür darf man immer wieder mal in interessante Zusatzperspektiven schalten: In einer Mission gilt es, Verfolger in eine Falle zu locken. Also muss man vor ihnen flüchten, aber nicht zu schnell, damit sie den Anschluss nicht verlieren. Die Methode der Wahl: Man schaltet einfach in die Cockpitperspektive der Cops, sieht sich in der Entfernung selbst beim Fahren zu und lauscht ihren amüsanten Dialogen.

Apropos: Auch die Sprachausgabe ist wieder einmal über alle Zweifel erhaben. Natürlich wieder nur Englisch (mit optionalen Untertiteln in mehreren Sprachen), aber eine Übersetzung könnte hier wie auch im Hauptprogramm nicht gut enden - auch wenn es dieses Mal keine »Was zum Geier hat er gesagt??«-Kaliber wie Little Jacob mehr gibt. Der Soundtrack ist zum allergrößten Teil bekannt, hauptsächlich hat die Gitarrenfraktion Zuwachs bekommen - wem Death Metal-Geschrammel und -Gebrüll zu viel des Guten sind, kann allerdings auch zu einer der zahllosen anderen Radiostationen greifen. Zwischen den Songs ertönen einmal mehr die legendären Werbespots und Nachrichten, von denen Letztere wieder einmal fantastisch sind: Gerade die aktuelle Finanzkrise wird mächtig durch den Kakao gezogen, die prüden Sittenwächter dieser Welt bekommen ebenfalls ihre Schlammpackung ab. Und sie erhalten auch neue Munition - unseres Wissens nach enthält The Lost And Damned den ersten überdeutlich im Bild baumelnden Polygonpenis eines Videospiels.      

Fazit

The Lost And Damned ist wie GTA 4 im Zeitraffer: Hier geht’s von der ersten Sekunde an hart zur Sache, das Add-On ist deutlich straffer und actionlastiger als das Hauptprogramm. Das mag für den einen gut auf den Punkt getroffen sein, für den anderen geht dadurch zu viel von der serientypischen Freiheit verloren. Stimmt beides, denn obwohl man prinzipiell fast dieselben Nebenbeschäftigungen wie in GTA 4 hat (plus Rennen und Gangkriege), führt das Spiel eine kurze und straffe Leine. Und dennoch ist der Umfang bemerkenswert: Alleine die Story unterhält locker zehn Stunden, danach wartet noch der alle Rahmen sprengende Mehrspielermodus. Das neue, einfachere Bike-Fahrgefühl ist zwar prinzipiell prima, allerdings bin ich kein Freund der Zickigkeit der Chopper. Und die Grafik mag nach wie vor über alle Zweifel erhaben sein, immer wieder ruckelig ist sie aber trotzdem noch. Ändert nichts daran, dass hier ein Add-On wartet, das nicht nur diesen Namen, sondern auch das Geld mehr als wert ist. Genau wie GTA 4 ist The Lost And Damned ein brillant designter, stylischer, beeindruckend ideenreicher und wunderbar spielbarer Kracher, den sich kein Action-Freund ruhigen Gewissens entgehen lassen kann. Und Biker sowieso nicht.

Pro

exzellente Grafik
hervorragende Animationen
cleveres Missionsdesign
dichte, glaubwürdige Welt
interessante Story
toll inszenierte Zwischensequenzen
fantastische (englische) Sprachausgabe
intuitive Steuerung
hervorragender Soundtrack
fetzige Rennen
bemerkenswerter Umfang

Kontra

gelegentliche Physik-Spinnereien
hin und wieder ruckelige Grafik
gewöhnungsbedürftige Fahrzeugsteuerung
spürbare künstliche Grenzen
kaum hilfreiche Kameraden-KI

Wertung

360

Brillant designter, stylischer, beeindruckend ideenreicher und wunderbar spielbarer Kracher, der GTA 4 würdevoll weiterführt.

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