Im Test:
Mittendrin statt nur dabei...
Die beigefarbenen Soldaten der gegnerischen Armee stürmen auf mein Maschinengewehr-Nest zu. Ich schwinge mich in den Sitz, eröffne das Feuer und lasse mich mit dem kompletten Geschütz drehen, damit kein Feind meinem Sperrfeuer entkommen kann. Verdammt! Einer ist mir durch die Lappen gegangen. Kein Problem. Ich übernehme einfach das Kommando über den Mörser, der einige Meter südöstlich meiner Position steht. Ha! Mit diesen Granaten haben sie wohl nicht gerechnet. Doch da stürmt schon die nächste Welle auf mich ein. Und dieses Mal wird die Infanterie von einem Trupp schwer
bewaffneter Doppeldecker unterstützt. Dem kann ich die überlegene Feuerkraft meines Flugzeuges entgegen halten. Schnell in den Pilotensitz und schon kann es losgehen. Eins, zwei, drei Gegner gehen in einem verhaltenen Feuerball auf, bevor mir der fliegende Untersatz unter dem Hintern weggeschossen wird. Der Ansturm des Feindes ist beinahe aufgehalten. Und die letzte auf meinen Stützpunkt zustürmende Welle werde ich auch bewältigen. Aber was ist das? Verdammt: Ein Tsar-Panzer, der ständig Infanterie absetzt, hat sich auf den Weg gemacht! Das Letzte, was ich sehe, bevor die Schlacht verloren ist, ist der Aufziehschlüssel, der aus der Seite des Blechspielzeugs ragt und sich als Zeichen meines nahenden Untergangs unaufhörlich dreht. Im Gegensatz zur üblichen Tower Defense-Mechanik kann man bei Toy Soldiers in jeden aufgebauten Turm einsteigen und aktiv feuern, was das Zeug hält.
Action Defense
Dass hinter Toy Soldiers (TS) letztlich "nur" eine aufgepeppte Variante des spätestens seit iPhone wieder erstarkten Tower Defense-Prinzips steckt, möchte man nach diesem Frontbericht kaum für möglich halten. Und dennoch sind alle Elemente da: Lebenspunkte, die mit jedem Gegner abnehmen, der die Verteidigungslinien durchbricht und es zur Basis schafft. Vorgegebene Positionen, an denen man "Türme" in Form von MG-Nestern, Haubitzen, Mörsern, Flugabwehrgeschützen oder Chemiekeulen aufbauen und in späteren Abschnitten in mehreren Stufen aufrüsten kann, so lange das Geld reicht. Und natürlich gibt es für jede abgeschossene gegnerische Einheit eine Geldspritze, die man auch bitter nötig hat, wenn man unbeschadet die Kampagne überstehen will.
Tower Defense wie gehabt, möchte man meinen. Wenn da nicht der kleine Kniff wäre, jederzeit in die aufgebauten Türme steigen zu können und wie im seit 1985 indizierten Beach Head oder bekannten Third-Person-Shooter aktiv die Gegner aufs Korn nehmen zu können.
Diese aktive Teilnahme sorgt aber nicht nur dafür, dass man mitten aufs Schlachtfeld gebeamt wird und die Intensität der Gefechte fast hautnah erleben kann, sondern hat auch Auswirkungen. Denn obwohl die KI passabel ihre Verteidigungsdienste verrichtet, ist der menschliche Faktor weitaus zuverlässiger und kann durch Kombo-Abschüsse sogar für Punkt-, sprich: Geldboni sorgen.
Und im Falle der von Zeit zu Zeit zur Verfügung stehenden Fahrzeuge wie Panzer oder Flugzeugen kann ohnehin nur der Pad-General eingreifen, da sie von der KI mit Missachtung gestraft werden.
Zu einer gelungenen Tower Defense gehören auch knackige Bosse wie dieser Zeppelin. |
Denn spätestens wenn einer der Bildschirm füllenden Bosse seinen Weg über das Schlachtfeld sucht, ist man froh, wenn man seine Flak gegen eine voll aufgerüstete Haubitze ausgetauscht hat.
Spielzeug-Defense
Doch es ist nicht nur der ständige Wechsel zwischen klassischer Tower Defense und reinrassiger Action, der das Spiel so interessant macht. Auch das Szenario hilft, dem Titel viel Charme zu verleihen: Denn als ob der Erste Weltkrieg nicht außergewöhnlich genug ist, hat man sich dazu entschieden, die explosiven Auseinandersetzungen mit aufeinander zustürmenden Spielzeugen zum Leben zu erwecken. Wie früher im Sandkasten gibt es hier ausufernde Gefechte von gut animierten Kunststoff-Soldaten oder Blechfahrzeugen, die stilecht mit aufgezogenem Motor und rotierendem Schlüssel über das Schlachtfeld tuckern.
Das ist übrigens gar nicht so weit von der klassischen Sandkiste entfernt, wie man glauben mag. Denn die Schlachten finden quasi in einer Tabletop-Box statt, in der Balsaholz-Gebäude als Stützpunkte dienen, die Wald- oder Berghintergründe aus bemalten Leinwänden bestehen und um die herum man beim Herauszoomen einen ganz normalen Hobbyraum erkennt - eine klasse Idee, die überzeugend umgesetzt wurde.
Leider spielt die Kamera bei den Flugsequenzen nicht immer mit und hat vor allem beim Erreichen der häufig unsichtbaren Levelgrenzen einige Probleme, das Flugzeug wieder auf Kurs zu bringen und die Ansicht dahinter zu positionieren. Doch
wenn man dieser ungünstigen Perspektive ein, zwei Mal begegnete, ist man entsprechend gewappnet und kann voraussschauend versuchen, diese Positionen zu vermeiden. Ärgerlich ist es jedoch allemal. Ganz im Gegensatz zur gelungenen Akustik mit stilechtem Jazz und Grammofonsound auf der einen und knackigen Explosionen bzw. Schussgeräuschen auf der anderen Seite. Toy Soldiers überzeugt nicht nur mit seinem Plastiklook der Einheiten, sondern auch mit dem Szenarior einer in einem ganz normelen Zimmer aufgestellten "Spielzeugbox".
Mehrspieler-Defense
Und als ob das alles nicht reichen würde, gibt es als Sahnehäubchen noch einen gelungenen Zwei-Spieler-Modus, der sowohl am Splitscreen als auch im lagfreien Online-Modus verfügbar ist. Die Empfehlung geht allerdings deutlich Richtung "Online". Denn auch wenn sich die hauseigene Sig-Engine keine gravierenden Schnitzer leistet, leidet die Übersicht am geteilten Bildschirm.
Ganz im Gegensatz zum gesamten zur Verfügung stehenden Sichtbereich beim Online-Spiel, der den Fokus auf die Taktik und die Strategie richtet. Denn hier muss man nicht nur entscheiden, welche Türme man auf die zur Verfügung stehenden Positionen setzt, sondern auch abwägen, ob man das Geld nicht vielleicht lieber in einen oder mehrere Trupps investieren sollte, um sie auf den Gegner zu hetzen. So kann man schnell in ein Dilemma geraten, an dessen Ende meist nur eines steht: Die Niederlage. Und die sicherlich nachfolgende Revanche! Leider wird das Mehrspieler-Potenzial nur ansatzweise ausgenutzt, da mit gerade mal einer Hand voll Karten zu wenig Auswahl angeboten wird.
Fazit
Selten habe ich die Ausgabe von Microsoft-Punkten so wenig bereut wie hier. Sicher: 1200 Punkte sind kein Pappenstiel für "nur" eine weitere, wenngleich gelungene Tower Defense-Variante. Doch Toy Soldiers ist so viel mehr als das: Die Idee, bei den Angriffen der Plastiksoldaten eine aktive Rolle in jeder Verteidigungsplattform übernehmen zu können, ist ebenso einfach wie genial und ich frage mich, wie TD-Varianten bislang ohne diese Mechanik unterhalten konnten? Dazu gesellt sich eine hohe technische Qualität: Der Erste Weltkrieg als lebendig gewordenes Tabletop-Spiel mit gemalten Hintergrund-Tapeten wurde mit sehr viel Liebe zum Detail entwickelt und zieht einen mitten aufs Schlachtfeld. Der Schwierigkeitsgrad ist für Solisten fordernd, aber fair, die Steuerung größtenteils gut gelöst und nach der Kampagne bekommt man mit dem Mehrspieler-Modus weitere Unterhaltung, bei der nur die geringe Anzahl an Karten sauer aufstößt. Dass das Balancing in diesem Bereich so überzeugend ist, kann man übrigens dem einzigen großen Manko, der zu kleinen und für alle Parteien gleich bleibenden "Turm"-Auswahl zuschreiben. Dennoch: Toy Soldiers ist nicht nur ein Paradebeispiel dafür, wie Qualität auf XBL auszusehen hat - es zeigt zudem, dass aus der scheinbar abgestandenen Tower Defense noch einiges herauszuholen ist.
Pro
Kontra
Wertung
360
Motivierende Mischung aus Tower Defense und Action mit Spielzeugflair, die trotz geringer Kartenauswahl nicht nur solo, sondern auch zu zweit einen Heidenspaß macht.
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