Red Faction: Armageddon03.06.2011, Benjamin Schmädig
Red Faction: Armageddon

Im Test:

Der große Stützpfeiler direkt vor mir? Ich verbinde ihn einfach wie durch ein Gummiband mit dem Turm im Hintergrund und schon fliegt er übers gesamte Spielfeld direkt drauf zu. Es klappt: Der Turm neigt sich zur Seite und begräbt ein Wachhäuschen unter sich, die Fassade vor mir sackt in die Leere des fehlenden Pfeilers. Herrlich, dieses Magnetgewehr gehört zu den aufregendsten Waffen dieser Spieleära!

Alles muss ab!

Der "Zerstörungsmodus" ist ein Fest für notorische Kaputtmacher! Entweder lässt man in fünf kleinen Levels den Freigeist walten und nimmt Schornsteine, Brücken und Balustraden in aller Ruhe auseinander oder man macht vernichtet unter Zeitdruck so effizient, dass man den nächsten Abschnitt freischaltet. Battlefield und Co. machen einem Red Faction-Spieler nichts vor: Wenn anderswo eine Wand im bröselnden Staub verschwindet, hat das mit Physik kaum was zu tun. Die ganze Pracht physikalischen Auseinanderbauens findet man nur hier. Die diebische Freude an "Weil ich es kann!" gibt es nur in Armageddon - und natürlich seinem Vorgänger Guerilla. Dabei liegt zwischen Guerilla und Armageddon ein weiter Weg…

Ungewollter Nachwuchs

Das vierte Red Faction besteht natürlich nicht nur aus destruktiven Physikrätseln; die sind lediglich ein Punkt im Hauptmenü. Das eigentliche Armageddon ist die Geschichte von Darius Mason, Enkel des Guerilla-Helden, Unglücksrabe und Held zugleich. "Unglücksrabe" nicht nur, weil die Oberfläche des Mars' durch sein Versagen unbewohnbar wird, sondern weil er später auch das Tor zu den Höhlen einer uralten Alien-Rasse aufstößt. "Held" natürlich, weil er beides wieder in den Griff bekommt. Keine Sorge: In Anbetracht der einfallslosen Handlung ist kein einziges Stück des roten Fadens überraschend. Ein kahlgeschorener Amerikaner trifft auf ein fremdes Volk und triumphiert am Ende über die Ureinwohner seiner Wahlheimat. Dem Plot fehlt jegliche zündende Idee, dem Helden das Profil, der weiblichen Nebenrolle eine brauchbare Bekleidung und dem Spiel ein Entwickler, der irgendwann mal laut gesagt hat: "Sorry, Leute, aber unser Leveldesign ist der letzte Dreck!"

Freiheit war gestern

Höhlen? Der Vorgänger Guerilla kannte enge Gassen doch nur vom Hörensagen - der Kampf um den Mars fand auf einer frei begehbaren Oberfläche statt. Man erforschte eine offene Welt, in der man sich nach Lust und Laune Nebenmissionen, Bonuszielen oder dem roten Faden annehmen durfte. Doch eben davon hält Armageddon nichts: Die Fortsetzung führt durch enge Gassen direkt zum Ziel. Gelegentliche Gefechte in großen Arenen sind hier schon Highlights. Die Oberfläche sieht man nur selten, und wenn, läuft man durch ähnlich gleichförmige Einbahnstraßen wie untertage.

Und anfangs ist das überhaupt nicht schlecht! Da stolpert Darius Mason durch einen Prolog, an dessen Ende er mehr Schlamassel angerichtet hat als ohne sein Zutun vielleicht geschehen wäre. Weil sich das mögliche Ausmaß der Zerstörung erst noch in Grenzen hält, erlebt er dabei vielversprechende Feuerwechsel, in denen sich das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Deckung immer auf den Kampf auswirkt. Mit einer Druckwelle zerstört man von Menschen erbaute Strukturen, mit dem Maschinengewehr kümmert man sich um Gegner. Weil Gerüste und Kisten einbrechen können, muss man sich ständig neu orientieren, man kann sie allerdings auch reparieren - die beinahe magische Nanoschmiede macht's möglich. Das Taktieren ist in dieser Form abwechslungsreich und frisch. In der zielgerichteten Enge ist es sogar spannender als die offenen Gefechte des Vorgängers.

Sehr bald gelangt Mason in die Höhlen, in denen bislang ungesehene Aliens hausen. Und meine Herren, was hatte ich dort für einen Spaß mit dem Magnetgewehr! Das Werkzeug verbindet nämlich nicht nur Metall oder Kristalle miteinander und lässt das zuerst anvisierte Objekt auf das danach markierte Objekt zu fliegen: Auch Lebewesen darf man so durch die Gegend "schießen" oder unter Gebäuden begraben. Schön, dass Armageddon zu Beginn nur beobachtet, aber nicht fordert. Denn weil die Marsbewohner dem Helden kaum Schaden zufügen, darf er nach Lust und Laune mit der exzellenten Physik hantieren.

Der lange Fall

Doch dann kommt der Absturz. Es ist kein plötzlicher Fall; es ist ein behäbiges, stetes Rutschen. Denn so spaßig sich der Experiment-Shooter anfangs gibt, so bestimmt sacken die Mundwinkel Minute für Minute herunter. Auch nach zwei, drei Stunden ist die Action nämlich kaum fordernd. Und auch nach zwei, drei Stunden ist spielerisch absolut nichts passiert, vier bis fünf Stunden später ebenso wenig. Tatsächlich fehlt bis zum bitteren Ende auch nur der Funke einer interessanten Idee!

Zumindest die Schwierigkeit darf man jederzeit in vier Stufen anpassen. Die Herausforderung ist aber nicht das Problem, zumal der Anspruch irgendwann steigt. Das Problem ist die fehlende Abwechslung. Natürlich findet Mason neue Waffen - Granatwerfer, Schrotflinte sowie exotisches Gerät, mit dem er organisches Material auflöst, Materialien aber unberührt lässt.

Es kracht, es bruzelt - das ganze Spiel auf die gleiche Weise.
Es kracht, es bruzelt - das ganze Spiel auf die gleiche Weise.
Auch die Nanoschmiede lässt sich ausbauen, so dass man sie später als Schild, Schockwelle und Nahkampfverstärker nutzen kann. Aber nicht einmal das schwarze Loch, das die Objekte und Lebewesen seiner Umgebung anzieht, bevor es explodiert, ist so aufregend wie das Magnetgewehr. Warum? Weil das Experimentieren per Hand der Trumpf des Spiels ist. Am banalen Kaputtschießen hat man sich hingegen längst satt gesehen, wenn Mason die schweren Waffen findet.

Zerstörung und Wahn

Armageddon ignoriert die Experimente einfach irgendwann. Klar: Man kann immer Gegenstände durch die Gegend katapultieren. Aber wie lange soll das zum Selbstzweck funktionieren? Es fehlen kleine Rätsel, clevere Bonusziele oder knackige Aufgaben - irgendetwas, bei dem die tolle Physik im Vordergrund steht. Warum werde ich z.B. nie gezwungen, nur mit bestimmten Waffen zu hantieren, damit einige Strukturen nicht zu Bruch gehen. Die Nanoschmiede repariert ohnehin nicht jedes einst von Menschenhand erschaffene Objekt - den unschönen Logikbruch hätte man erklären oder wenigstens spielerisch nutzen müssen. Und wieso verwirft Armageddon das anfangs interessante Umschalten zwischen der Zerstörung und dem Kampf Mann gegen Feind so achtlos? Viel zu schnell richtet Mason im Stakkato einen so großen Schaden an, dass Deckung kaum noch eine Rolle spielt.

Nein, ich war nicht nur satt - mir stand es sogar bis hier. Wenn dem Spiel über mehrere Stunden nichts, aber auch gar nichts anderes einfällt, als mir einen Batzen strunzdummer Glibberviecher und zerstörbare Balken in den Weg zu werfen, dann ist das einfach armselig. Es tut überhaupt nichts zur Sache, dass sich Darius hin und wieder hinter das Steuer eines haushohen Mechs klemmt. Dann lässt er es eben im Großen krachen. Beim ersten Mal ist das noch richtig cool...

Oft kopiert...

Es geht gar nicht um geradlinige Ideenlosigkeit; die muss man auch anderswo verkraften. Es geht um eine aus dem Ruder gelaufene Streckung der Spielzeit. Es geht darum, dass die Entwickler nur eine Hand voll Ideen für vielleicht drei Levels hatten und sich viel zu früh in dreisten Wiederholungen verlieren. Spätere Levels hat man deshalb längst gesehen - offenbar gibt es auf dem Mars ohnehin nur einen Architekten und neben seltenen Ausflügen an die Oberfläche genau zwei Grafiksets: rotbraune Höhlen und blaue Gebäudemauern. Belebte Siedlungen sieht man ausschließlich in Filmszenen.

Und ständig lockt das Alien: Man schießt, repariert, schießt, repariert - der trübe Flus versiegt leider nie.
Viel zu selten geht es an die Oberfläche. Und wenn, macht es keinen Unterschied: Man schießt, repariert, schießt, repariert - der trübe Fluss versiegt leider nie.
Stellenweise kriecht man buchstäblich im Kreis nach oben oder unten, während man wieder und wieder von den gleichen Gegnern überrannt wird. Red Faction: Armageddon (ab 8,19€ bei kaufen) hat nicht den Esprit eines Duke, der ein solches Übermaß wettmachen könnte. Ihm fehlt der Testosterongehalt eines Bulletstorm, das den exzessiven Wutausbruch wenigstens zielgerichtet feiert. Von der überbordenden Albernheit eines Serious Sam ist dieses Red Faction gar so weit entfernt, dass es sich das einförmige Übermaß einfach nicht leisten kann.

Ja, man kann mit bis zu drei Freunden im LAN oder Internet immer stärker werdende Gegnerwellen bekämpfen. Das ist nett - das ist belanglos. Das ist vor allem kein Vergleich zu den ausgewachsenen Mehrspieler-Gefechten des Vorgängers. Eine Hand voll Levels machen aus einem Punkt im Hauptmenü keine ausgewachsene Spielvariante. Es fällt nicht schwer zu mutmaßen, dass über diesem Modus das gleiche Fragezeichen wie über dem restlichen Spiel gehangen hat: Wie profitiert man am schnellsten von der langen Entwicklungszeit einer aufwändigen Technologie? Volition und THQ haben eine Antwort gefunden: Man erklärt die Technologie zum einzig relevanten Spielelement und vervielfältigt es, bis die Kopiermaschine physikalisch korrekt auseinander bricht. Doch wer schaut beim tausendsten Auseinanderfallen noch hin?

Fazit

Es ist bezeichnend, dass man abseits der Kampagne mehr Spaß mit der explosiven Physik haben kann als im eigentlichen Spiel: Wenn man überlegen muss, wie man die Schwachstellen riesiger Türme einreißt, damit sie beim Zusammenfallen umliegende Häuser begraben, ist das unglaublich spannend. Physikalisch macht Red Faction niemand etwas vor und für experimentierfreudige Pyrotechniker gibt es nichts Besseres! Doch die Entwickler scheinen hoffnungslos überfordert mit ihrem technologischen Schwergewicht: Erschufen sie im Vorgänger noch eine offene Welt, in der man destruktiver Lust und Entdeckerdrang freien Lauf lassen durfte, quetschen sie diesmal endlose zerstörbare Objekte in endlose gleich aussehende Höhlen - zum Kaputtmachen, zum Selbstzweck. Schon nach zwei Stunden hat man alles gesehen und verrennt sich nur immer tiefer in der einfallslosen Endlosschleife. Man sieht ansehnliche Filmszenen, vermisst aber eine brauchbare Geschichte. Man schießt auf alles, repariert es wieder, schießt auf alles usw. Dass man mitunter im riesigen Roboter auf alles schießt - geschenkt. Die kreative Armut ist erschreckend. Im Grunde ist Red Faction: Armageddon ein herausragendes Statement zur Ideenlosigkeit der Spielebranche. Bedauerlich nur, dass die Einfältigkeit kein Stilmittel, sondern bitterer Ernst ist. So darf kein moderner Shooter aussehen!

Die Fakten in Bild und Ton: Zum Video-Fazit

Pro

exzellente Zerstörungs-Physik
unterhaltsamer Zerstörungsmodus
Schwierigkeit jederzeit einstellbar

Kontra

katastrophal einfallsloses Leveldesign
enorme Anhäufung der immer gleichen Gegner
praktisch keine spielerische oder visuelle Abwechslung
Physik verkommt zum banalen Selbstzweck
kraftlose, sich wiederholende Musik
keine Mehrspieler-Möglichkeit wie im Vorgänger
hanebüchene Geschichte

Wertung

360

Die Entwickler versenken eine großartige Zerstörungsphysik in endlosen Wiederholungen einfallsloser Daueraction. So darf kein moderner Shooter aussehen!

PC

Die Entwickler versenken eine großartige Zerstörungsphysik in endlosen Wiederholungen einfallsloser Daueraction. So darf kein moderner Shooter aussehen!

PlayStation3

Die Entwickler versenken eine großartige Zerstörungsphysik in endlosen Wiederholungen einfallsloser Daueraction. So darf kein moderner Shooter aussehen!

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