Bastion20.07.2011, Mathias Oertel
Bastion

Im Test:

Ein namenloser Held, eine handgezeichnete idyllische Welt am Abgrund und ein Erzähler, der beinahe jede Aktion kommentiert: Das sind die Zutaten von Bastion (ab 13,99€ bei kaufen), dem Erstlingswerk von Supergiant Games. Das clevere Action-Rollenspiel beweist, dass große Ambitionen und kleine Entwicklungsteams keinen Widerspruch darstellen.

Nervfaktor?

Ihr kennt sie wahrscheinlich: Die Kinobesucher, die jede Situation, die sich auf der Leinwand abspielt, kommentieren müssen. Im Bestfall geben sie nur vollkommen störende Kommentare ab, im schlimmsten Fall spoilern sie die Szene, weil sie den Film schon kennen. Mir jedenfalls geht diese Zuschauer-Gruppe gewaltig auf den Geist.

Dass in Bastion nahezu alles, was ich mit meinem Helden anstelle, von einem Erzähler begleitet und kommentiert wird, stört mich jedoch gar nicht. Ganz im Gegenteil. Es beginnt bei den ersten Schritten, in denen er mir von einer Katastrophe berichtet, dank der die Fantasy-Welt, in der ich mich bewege, in mehrere schwebende Plattformen zerbrochen ist. Es geht weiter bei der Aufnahme meiner ersten Waffe, einem Hammer, der nach seiner Aussage zu einem guten Freund werden könnte. Und es endet erst bei Anmerkungen, wenn ich mal nichts tue ("Kid needs a break") oder wie wild alles Mögliche mit dem Hammer zerkleinere ("Kid has too much energy"). Gleichermaßen erklärt mir die Stimme, was es mit den Feinden oder der Hand voll freundlich gesinnter Charaktere auf sich hat, sagt mir, was sie von meiner Waffenauswahl hält usw.

Dieser Kniff ist erzähltechnisch wunderbar gelungen und erinnert an den klassischen Film Noir. Allerdings geht man hier noch weiter: Während im Film Noir meistens der Hauptdarsteller vergangene Ereignisse Revue passieren lässt, bleibt der Märchenonkel hier in der Gegenwart und vermittelt dadurch einen beinahe allwissenden Eindruck, der außerdem eine gewisse (vollkommen wertfreie) Ausweglosigkeit beinhaltet. Der Pfad, den der namenlose Held beschreitet, scheint von einer höheren Macht (oder dem Erzähler?) festgelegt. Selbst den Entscheidungen, die man schließlich fällen muss, liegt kein moralisches "Gut-Böse-Prinzip" zugrunde, obwohl sie zum Nachdenken anregen.

Zudem bleibt er kein Unbekannter: Hinter der Stimme verbirgt sich ein alter Mann, der die Namen gebende Bastion gebaut hat, die allerdings auch von der Katastrophe in Mitleidenschaft gezogen wurde und die der Held erst wieder renovieren muss, bevor sie ihren Zweck erfüllen kann, der sich natürlich auch erst im Laufe der Geschichte erschließt.

Der einzige Wermutstropfen bei dieser Erzählstruktur ist, dass es nur englische Sprachausgabe gibt. Die wird von dem mir unbekannten Logan Cunningham zwar emotional voll auf den Punkt gebracht, während sie auch kleinste Nuancen von z.B. Melancholie, Euphorie oder Sarkasmus wunderbar widerspiegelt. Die größtenteils guten deutschen Texte tun ihr Möglichstes, um Spielern mit weniger ausgefeilten Fremdsprachen-Kenntnissen die erstaunlich ausgefeilte Geschichte zu vermitteln, deren Tragweite sich tatsächlich erst im Laufe der gut zwölf bis 15 Stunden Spielzeit erschließt.

Doch wenn ich jetzt überlege, dass auch markante deutsche Sprecher wie Sky Dumont oder Martin Keßler in der Lage wären, diese Emotionen glaubhaft zu vermitteln, ist es schade, dass Warner Bros. keine Komplettlokalisierung in Auftrag gegeben hat.

Kriegsnebel mal anders

Das Artdesign trotzt mit seinen farbenfrohen Iso-Kulissen der melancholischen Grundstimmung.
Das Artdesign trotzt mit seinen farbenfrohen Iso-Kulissen der melancholischen Grundstimmung.
Die Erzählstruktur ist aber nicht die einzige Überraschung, die einen erwartet. Auch das Artdesign ist sehenswert. Dabei ist es nicht der isometrische Comic-Look mit seinen handgezeichneten Abschnitten, sondern vor allem die Art und Weise, wie die abwechslungsreichen, meist farbenfrohen Gebiete um einen herum aufgebaut werden.  Mit jedem Schritt in unbekanntes Terrain schießen Landschaftsteile und andere Versatzstücke von unten nach oben und bauen sich unter den Füßen  zusammen.

Auch hier gilt: Die Idee ist einfach, die Umsetzung außerordentlich gut gelungen. Zusammen mit dem Kommentar hat man das Gefühl, das man aktiv an der Geschichte und dem (Wieder-)Aufbau der Welt teilnimmt.

Da aber Strukturen sowohl in der Erzählung als auch innerhalb der linearen Abschnitte unabänderlich sind, sprießt irgendwann die Erkenntnis, dass man die Erzählung nicht aktiv beeinflusst, sondern der Held nur seinem Schicksal folgt, das fremdbestimmt scheint. Man schreibt das Buch nicht selber, sondern wird lesend in einen Strudel der Ereignisse gesogen. Steckt hinter dem alten Mann vielleicht doch mehr, als man anfänglich vermuten möchte?  

Zentraler Zufluchtsort

Die Bastion hat dem Spiel nicht nur den Namen spendiert und ist ein Ankerpunkt in der Geschichte, sondern dient auch als Basis. Von dort bricht man per "Skyway" (einem Teleportsystem) zu den Ausflügen in die anderen Abschnitte auf. Dort versammeln sich zahlreiche Figuren, die man auf seinen Abenteuern aufliest und die dort nicht nur dumm in der Gegend herumstehen, sondern einen auch mit Informationen oder neuen Abschnitten versorgen.

Und man kann dort sechs Gebäude errichten, die mitunter entscheidenden Einfluss auf die Spielwelt haben. Das gilt vor

Die Bastion ist der Namen gebende Dreh- und Angelpunkt des Action-Rollenspiels.
Die ausbaubare Bastion ist der Namen gebende Dreh- und Angelpunkt des Action-Rollenspiels.
allem für den Schrein, in dem man über zu findende oder im ebenfalls erst zu bauenden Kaufladen erstandene Götzenbilder Modikatoren hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades setzen kann. Als Belohnung winken erhöhte Erfahrungspunkte sowie eine deutlich gesteigerte Ausbeute an Kristallen, die man wiederum als Währung benötigt.

Halbwegs erfahrene Spieler sollten zweifellos vom Schrein Gebrauch machen, da der Anforderungsgrad in Bastion mit wenigen Boss-Ausnahmen eher am unteren Ende des Spektrums angesiedelt ist und man über die Götzenbilder schließlich genau den Schwierigkeitsgrad findet, der für einen angenehm ist.

Das Waffenrepertoire, das man im Laufe des Spieles ansammelt, kann in der Schmiede in jeweils fünf Stufen aufgerüstet werden, wobei auch hier wieder eine (allerdings jederzeit änderbare) Wahl stattfindet: Soll die Schrotflinte z.B. einen höheren Gegnerrückstoß oder eine breitere Streuung haben?

Ein besonderes Augenmerk dürfte auch dem Saloon zukommen: Hier kann man pro Charakterstufe eine Alkoholsorte ins Regal stellen, die fortan als passive Verstärkung zum Einsatz kommt. Zur Auswahl stehen z.B. erhöhte Lebensenergie, die Möglichkeit, Kristalle wie ein Magnet anzuziehen oder  eine zweite Chance, falls einem doch irgendwann die Lebensenergie ausgeht und man auch keine Heiltränke mehr zur Verfügung hat.

Und im Arsenal schließlich kann man seine Bewaffnung festlegen, wobei man vollkommen frei ein Duo aus den bereits gefundenen Nah- und Fernkampfwaffen wählen und dies mit einer so genannten "Geheimen Technik" ergänzen kann, die mitunter auch von der geführten Waffe abhängig ist und die nur mit Hilfe eines besonderen Trankes aktiviert werden kann, von denen man nur ein paar mitnehmen kann.

Vorzügliches Kampfsystem

Mit all diesen Möglichkeiten wird ein einfaches, aber ungemein effektives System angeboten, seinen Helden der eigenen Spielweise anzupassen - oder einfach nur herumzuexperimentieren. Was auch dadurch gefördert wird, da der Erzähler es sich nicht nehmen lässt, die Waffenauswahl zu kommentieren…

Hat man schließlich seine Entscheidung getroffen und trifft in den recht großräumigen Gebieten auf Widersacher, kommt das ausgefeilte Kampfsystem voll zur Geltung. Dessen Wurzeln liegen deutlich im Action-Rollenspiel, bieten jedoch weit mehr als ein "einfaches" Klick&Blöd-Knopfgehämmer.

Die Kämpfe sind dank ausgefeilter Kontrollen sehr dynamisch, aber in der Grundeinstellung zu leicht.
Die Kämpfe sind dank ausgefeilter Kontrollen sehr dynamisch, aber in der Grundeinstellung zu leicht.
Es gibt einen Knopf pro mitgeführter Waffe, wobei bestimmte Projektilwaffen mit Klick auf den rechten Stick nachgeladen werden können. Andere Schusswaffen kann man hingegen aufladen oder muss mit richtigem Timing den besten Abschusswinkel finden.

Zusätzlich kann man noch eine Ausweichrolle hinlegen. Und wenn es hart auf hart kommt, kann man mit dem Schild nicht nur blocken, sondern (wieder entsprechendes Timing vorausgesetzt) einen Konter initiieren, der vor allem bei Geschütztürmen verheerende Wirkung hinterlässt.

Von der Dynamik, die sich trotz oder gerade wegen der einfachen Kontrollmechanik in den Kämpfen entwickelt, können sich manch andere actionorientierte Rollenspielvertreter eine gehörige Scheibe abschneiden. Vor allem auch, da sich das Geschehen abhängig von der Waffenwahl anders darstellen kann, ohne jedoch Qualität einzubüßen oder gar die Balance aufs Spiel zu setzen. Einzig das manuelle Schalten durch Ziele ist bei größeren Gegnergruppen ein Ärgernis. Und den für mein Empfinden zu weit unten liegenden Grund-Schwierigkeitsgrad kann man ja über die Götzenbilder manipulieren - schon weit vor dem Start eines "New Game Plus"...

Fazit

Es ist anfangs merkwürdig, nahezu jede Aktion des Helden vom Erzähler kommentiert zu bekommen. Und man braucht auch ein paar Minuten, um sich an das Artdesign zu gewöhnen, das leicht an den Mega Drive-Klassiker Landstalker erinnert. Ganz zu schweigen von den unten nach oben steigenden Bauteilen, die sich zur Landschaft zusammenfügen. Doch aus all diesen Elementen entsteht schnell eine Faszination, der ich mich nicht entziehen konnte. Alles passt wunderbar zusammen: die melancholische Grundstimmung, das dynamische Kampfsystem, die abwechslungsreichen Kompositionen, die Möglichkeit, nicht nur seiner Waffen, sondern auch seines eigenen Glückes Schmied zu sein und den Schwierigkeitsgrad am Schrein über Modifikatoren anzupassen. Und das ist auch bitter nötig, da das Abenteuer in der Standard-Einstellung viel zu leicht ist - obwohl die manuelle Zielumschaltung sich redlich, aber letztlich vergeblich Mühe gibt, einem Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Bastion ist sperrig, vor allem auch, weil der hervorragende Erzähler  einen mehr oder weniger zum Zuhören zwingt - man kann ihm nicht entkommen und ja: Manchmal kann er ebenso nerven wie süffisant unterhalten. Doch ohne ihn wäre dieses Action-Rollenspiel trotz der interessanten Kampfmechanik und des Artdesigns nur wenig mehr als Durchschnittskost von der Stange. Erst mit den Kommentaren und Erklärungen öffnet sich das isometrische Abenteuer in eine emotionale Dimension und wird so zu einem spielbaren Buch, in dem man die Hauptrolle übernimmt.  Bastion ist das Paradebeispiel, wie man den Spagat zwischen gewöhnlichen Mechanismen und ungewöhnlichen Ansätzen bewältigt und dabei ein ganz besonderes Erlebnis schafft.

Pro

gelungenes Artdesign
stimmungsvoller Erzähler, der beinahe jede Aktion kommentiert
eingängige Steuerung
Schwierigkeitsgrad wird vom Spieler über Götzenbilder festgelegt
wunderschön melancholische Stimmung
aufrüstbare Waffen, die beliebig kombiniert werden können
dynamische Kämpfe mit aktivem Block, Konter und Ausweichrollen
zielsicher eingesetzte Musik

Kontra

Zielumschaltung im Kampfgetümmel mitunter hakelig
Standardeinstellung unter dem Strich zu leicht
keine deutsche Sprachausgabe

Wertung

360

Bastion ist ein Action-Rollenspiel abseits der Norm, das nicht nur mit dem omnipräsenten Erzähler und der geheimnisvollen Story punktet. Artdesign und Kampfsystem können ebenfalls überzeugen.

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