Dark Souls05.10.2011, Jörg Luibl
Dark Souls

Im Test:

Wann bin ich das letzte Mal für ein Spiel nachts aufgestanden? Das muss irgendwann für Bard’s Tale auf dem Amiga gewesen sein – ich hatte tatsächlich im Traum eine (unheimlich blöde) Idee, wie ich aus einer Sackgasse kommen könnte. Dieses Rollenspiel der 80er vermittelte einem das Gefühl, in eine unbekannte Welt vorzudringen. Das war rätselhafte und gefährliche Fantasy. Über zwanzig Jahre später hallt Dark Souls (ab 16,43€ bei kaufen) wie ein mächtiges Echo längst vergessener Spielezeiten. Und es macht genau so schlaflos.

Das Tor im Keller

Irgendwann spät nachts in einem Keller. Es brennt noch Licht und jemand sitzt wie ein Gargoyle auf der Couch: Der Blick starr geradeaus, der Kopf nach vorne gereckt, die Haltung leicht verkrampft. Er murmelt Sätze wie „Nur nicht ungeduldig werden!“ oder „Immer schön langsam, immer schön den Schild hoch…“ in seinen Bart. Manchmal klackert und knarzt es zwischen seinen Händen, während es gleichzeitig aus den Boxen scheppert, weil Axt, Schwert oder Speer auf einen Schild treffen. Ab und zu folgt ein schmatzendes Geräusch mit gurgelnden Lauten, wenn sich eine Klinge durch Leder frisst. Danach geht eine dieser verunstalteten Fratzen zu Boden, haucht dabei ihre blauen Seelen aus. Der Held saugt sie gierig in sich auf. Er braucht sie so dringend. Er kann nicht ohne sie.

In diesen Momenten entkrampft sich die Gestalt mit dem gekrümmten Rücken etwas vor dem Bildschirm, gönnt sich ein stolzes „Okay, geschafft, weiter geht’s…“, gefolgt von einem unsicher geraunten „Was wohl hinter der nächsten Ecke wartet?“ – da sitzt ein genügsamer, fast schon demütig ergriffener Spieler, der sich wie ein Kind freut, als er eine Kristallechse durch die Dunkelheit huschen sieht; wer sie erlegt, kann eine magische Waffen veredeln! Die vielen Tode und bösen Überraschungen haben ihn im Zeitalter der beheizten Level-up-Fahrstühle und Free-to-buy-Skills allerdings  geerdet. Für Jubelkombos und Haudraufhurra ist hier genau so wenig Platz wie für Auto-Mapping oder einen goldenen Pfad, der kleine Fabelprinzen sicher zum nächsten Schatz führt. Hier sorgt die schmerzhafte Erfahrung für leitende Wirkung. Nur wer sich ins Unbekannte wagt, kann es ergründen.

Die lauernde Gefahr

Neu sind die Lagerfeuer zum Speichern und Aufrüsten: Man kann sie weiter entfachen, um mehr heitränke zu bekommen.
Neu sind die Lagerfeuer zum Speichern und Aufrüsten: Man kann sie auch weiter entfachen, um mehr Heitränke zu bekommen.
Als er sich weiter voran wagt in dieser herrlich verwinkelten Burg, als er an einem der offenen Turmfenster erst das Rauschen des Windes und nach weiteren Schritten auf diesen schmalen Sims hinaus ein tiefkehliges Fauchen hört, dreht er sich allerdings wie ein Feigling um und zischt ein wenig Episches „Ach du Scheiße!“ in den Keller. Er dreht die Lautstärke auf und lauscht nochmal aus der sicheren Distanz. Schnauft da etwas? Dann geht er peinlich vorsichtig hinaus, indem er den Analogstick sanft nach vorne drückt, erkennt den zuckenden Schatten auf der Brücke und riskiert endlich einen Blick hinauf. Da hockt ein Drache. Ein verdammt großer Drache. Und auf der Couch sitzt ein Nervenbündel namens Held. Die Angst hat sich dazu gesellt und grinst ihn an. Auch das Adrenalin ist schon da und pumpt ihn auf.

Abseits der uralten Frage „Mann oder Memme?“ bieten sich im Angesicht der schuppenbewehrten Sagengestalt mit den Langschwertzähnen auch andere, weniger gefährliche Alternativen an: Er könnte sich den Drachen (natürlich aus strategischer Sicht) aufsparen und später wieder kehren, denn in der offenen Welt von Dark Souls gibt es immer so viel Interessantes zu tun. Man arbeitet kein Quest-Tagebuch ab wie ein Fantasy-Beamter in gewöhnlichen Rollenspielen, sondern entscheidet sich frei zwischen Routen in einer Terra incognita, die sich in ihrer Gefährlichkeit unterscheiden – man kann den sofortigen oder den verzögerten Tod wählen. Wer in Dark Souls lange lebt und viel sieht, darf stolz auf sich sein.

Untote Idylle im Abendrot

Die Auswahl des Unentdeckten ist enorm: Mal abgesehen von diesem minotaurischen Dämon auf der anderen Brücke (das zweite strategische gesicherte Ziel) könnte er z.B. den Grabhügel sowie die dahinter liegende Höhle weiter erforschen oder in diese überflutete Geisterstadt vordringen – obwohl die Erinnerungen an den Hinterhalt auf dem schmalen Steg zwischen tiefschwarzem Wasser nicht einladend wirken. Er könnte auch dieses andere Drachental erkunden oder etwas Licht in den Finsterwurzwald mit diesen kristallenen Riesen bringen. War da nicht auch irgendwo eine eingestürzte Ruine mit einem Skorpionwesen? Und ein riesiger Schmetterling im Mondschein? Es gibt über zwanzig Gebiete, darunter labyrinthische Katakomben und dunkle Höhlen, große Festungsanlagen in mehreren Etagen und düstere Ruinen, verwunschene Wälder und gefährliche Friedhöfe. Und wer sich auf die Erkundung einlässt, wer um die Ecken schaut oder Sprünge wagt, die auf den ersten Blick lebensmüde erscheinen, wird (manchmal) mit Schätzen belohnt.

Selbst wenn das Spiel nicht in einer Liga mit Uncharted & Co antreten kann, was Texturen und Details angeht, selbst wenn es ab und zu mal Ruckler gibt: Schon die erste Burg mit ihren moosigen Steinen und geduckten Kaschemmen, die sich hunderte Meter lang in ein Hochgebirge schmiegt, ist eine Augenweide – einfach mal in einer ruhigen Minute von einem verwitterten Turm aus die Kamera in die weite Landschaft schwenken; herrlich! Je mehr man von ihm sieht, desto schöner und verwunschener wirkt dieses an sich bedrohliche Spiel. Es gibt natürlich viele modrige, finstere und angenehm unheimliche Passagen, manchmal zwischen Pech und Schwefel geifernd, fast nach Terror und Horror riechend.  Aber es gibt auch überraschend idyllische Szenen, in denen die Abendsonne über fahle Zinnen streicht und andeutet, dass diese tote Welt einst eine prächtige war.

Offene Spielwelt mit Lagerfeuern

Man trifft auf urige Gestalten wie diesen Schmied.
Man trifft auf urige Gestalten wie diesen Schmied. Und wenn man ihnen zuhört, geben sie wertvolle Tipps.

Dark Souls ist größer, offener, ansehnlicher und vor allem vernetzter als der Vorgänger, der alles um den Nexus herum trennte – man betrat jeweils eigene Abschnitte ohne territorialen Bezug zu den anderen. Schön ist, dass hier viele Regionen im Laufe des Abenteuers clever miteinander verbunden werden. Man entdeckt irgendwo eine eingestürzte Treppe, kann nicht weiter hinauf und kehrt Stunden später aus einer ganz anderen Richtung wieder, um den Kreis von oben zu schließen. Die Entwickler bleiben beim gnadenlosen Spielprinzip, aber gönnen Wanderern dabei einen neuen Komfort, der das Erlebnis gegenüber Demon Soul's etwas erleichtert: Die Lagerfeuer. Sie sind als entspannende Speicher-, Aufrüst- und Aufstiegsorte sehr fair verteilt (und manchmal versteckt). Außerdem kann man sie entfachen, indem man dort die neue Währung der Menschlichkeit opfert – dann bekommt man statt fünf automatisch zehn Heilflakons. Das hört sich viel an, aber gerade gegen die größeren Ritter oder Dämonen und Drachen verrinnen sie in Sekunden.

Jedenfalls kann der Held auf der Couch nicht entspannt zu Bett gehen. Es gibt immer so viel zu tun – auch abseits von riesigen Kreaturen, die wie blutrote Raubvögel auf Türmen lauern. Vielleicht sollte man erstmal einen Händler besuchen, um sehr viele Pfeile zu kaufen? Lieber die leichten oder die schweren, die brennenden oder vergifteten? Oder doch die Armbrust?  Dazu Brandbomben oder einen Schild, der besonders gut gegen Feuer standhält. Auch ein Zauber wie der schwere, aber verdammt teure Seelenpfeil oder ein Wunder wie die große Heilung könnte nicht schaden – kostet natürlich alles tausende Seelen. Erstere bietet der einkasernierte Schmied im Geistersumpf an, Letztere der feiste Kleriker am sicheren Schrein.

Vielfältige Charaktererschaffung

Das Intro deutet an, auf welche Götter und Dämonen man sich vorbereiten sollte.
Das Intro deutet an, auf welche Götter und Dämonen man sich vorbereiten sollte. Nur wer seine acht Attribute Vitalität, Zauberei, Konstitution, Stärke, Beweglichkeit, Resistenz, Intelligenz und Wille geduldig ausbaut, hat eine Chance.

Aber brauchte man da nicht mehr Punkte für Intelligenz und Wille? Ja, es gibt Waffen und Magie, die spezielle Fähigkeiten voraussetzen. Wenn man die steigern will, braucht man ebenfalls sehr viele Seelen. Je weiter man kommt, desto teurer wird es: Kostet das Aufwerten einer Fähigkeit wie Stärke zu Beginn noch unter tausend Seelen, werden es bald über zweitausend. Das Schöne ist jedoch, dass es keine Beschränkungen gibt, denn man kombiniert all das, was einem gefällt. Die Grundwerte von Stärke, Beweglichkeit & Co der zehn Klassen von Bettler bis Pyromant sind nur ein erstes Gerüst, das man später frei weiter entwickeln kann. Trotzdem hat man die Qual der Wahl in der Charaktererschaffung, denn jeder startet mit einer anderen Ausrüstung sowie anderem Anfangslevel und Fähigkeiten.

Der leicht gerüstete Jäger ist in der vierten Stufe, besitzt bereits einen wertvollen Bogen mit 30 Pfeilen und ein Kurzschwert. Der langsame, aber ordentlich zuschlagende Kleriker startet auf Stufe 2, kann mit einem Streitkolben und Schild loslegen sowie Heilung wirken. Der auf Stufe 5 beginnende Dieb ist unheimlich wendig, hat bloß einen Dolch, aber auch einen Zielschild für Konter sowie einen Generalschlüssel, der viele Türen öffnet. Nach der Entscheidung für Mann oder Frau (hat keine Auswirkungen auf die Werte oder spätere Begegnungen), Frisur und Körperbau, darf man sich auch noch eine von acht Gaben aussuchen: Vom scheinbar schnöden Fernglas über den göttlichen Heilzauber bis hin zum seltsamen Winzwesenring oder dem Generalschlüssel ist einiges dabei – Letzteren kann ich nur wärmstens empfehlen.

Spürbare Charakterentwicklung

Das sieht aus wie eine...Falle! Davon gibt es genug.
Soll es ein Ritter sein? Zehn Charaktere stehen in männlicher oder weiblicher Variante zur Auswahl, darunter klassische wie Krieger, Bandit oder Jäger, aber auch skurrile wie Pyromant oder Bettler, der nackt mit Keule und Schild beginnt.
Es gibt Fragen über Fragen, die eine offene Charakterentwicklung begleiten, der man jeden erhöhten Punkt anmerkt. Man wird langsam, aber spürbar besser. Und gab es da nicht auch diesen Talisman, der die Feinde daran hindert, sich zu heilen? Oder soll man gar ein Kettenhemd kaufen? Sehr motivierend sind auch die Zufallsfunde: Man findet nicht immer etwas, aber meist etwas anderes, das mit dem Feind zu tun hat – Helme, Rüstungen, Waffen, Munition. Wozu braucht man wohl diese Schädel, die als Seelenköder wirken? Warum sollte man sich mit Leichenteilen selbst verfluchen? Recht zügig füllt sich der Rucksack mit allen möglichen gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Utensilien. Und man hat zunächst keine Basis mit einer Kiste. Man kann alles anlegen, selbst den Lendenschurz eines Zombies, alles wird am Charakter dargestellt.

Das Gewicht spielt zwar eine Rolle, das Inventar ist jedoch unrealistisch geteilt. Nur jene Dinge, die man in seinen Händen und am Körper trägt, werden auf die Traglast angerechnet – also nur alle aktiven und passiven Waffen sowie die Rüstung; der Rest ist quasi gratis dabei. Überschreitet dieses Gewicht allerdings eine bestimmte Grenze, wird man deutlich langsamer. Dann kann man sich über eine Anhebung der Stärke oder Ausdauer helfen. Oder durch Ringe: Dark Souls ist ein Traum für all jene, die die Macht an der Hand tragen wollen; jedenfalls an zwei Fingern. Es gibt nicht nur welche, die die Trefferpunkte oder Traglast erhöhen, sondern auch jene, die nach einmaligen Gebrauch vernichtet werden – dafür retten sie einem in einem Kampf alle Seelen und Menschlichkeit. Wofür man sich den wohl aufspart? Für den roten Drachen? Den Stierkopfdämon? Den Ziegenkopfdämon? Oder dieses Mondscheinwesen? Alles strategische Ziele.

Auf dem Weg zu den kleineren Zielen gibt es ebenfalls viel zu spekulieren und man muss ebenfalls kämpfen; immer wieder, denn jede Rast an einem Lagerfeuer und jedes Betreten einer anderen Region lässt die Untoten wieder aufstehen; nicht die einmal besiegten Bosse, aber ihre zahllosen Schergen. Das Gefecht gegen sie macht jedoch immer wieder einen Heidenspaß.

Das spannende Kampfsystem

Die Kämpfe sind das Highlight: Spannend, unberechenbar und tödlich!
Die Kämpfe sind das Highlight: Spannend, unberechenbar und tödlich!

Was ist so motivierend am Kampfsystem? Dass man sich an seine Gegner und die Umgebung anpassen muss, um erfolgreich zu sein. Dass jeder Feind ein anderes Verhalten zeigt. Dass alles eine Auswirkung hat – schwere Hiebe kosten Ausdauer, manche Waffen treffen mehrere Feinde, mit einem Plattenpanzer kann man nicht elegant wegrollen, Angriffe von hinten sorgen für fatalen Schaden und selbst große Kreaturen haben irgendwo eine Achillesferse.

Da kommt ein schwer gerüsteter Ritter mit Turmschild? Dann sollte man eine Panzer brechende Klinge oder einen Hammer einsetzen. Da kommen fünf, sechs Feinde auf einmal? Dann sollte man auf eine Waffe mit großem Schwung wie das Breitschwert setzen – vielleicht sogar zweihändig geführt, was auf Knopfdruck mit fast allen Klingen möglich ist.  Man ist in einem engen Gang unterwegs? Hier empfiehlt sich ein Speer, der ohne Kollision mit der Wand nach vorne schnellen kann. Man kann jede Waffe sowohl leicht als auch schwer einsetzen, wobei Letzteres zwar mehr Schaden anrichtet, aber aufgrund der Ausholbewegung verwundbar macht.

Beobachten und zuschlagen

Es geht auch immer darum, wie man eine Deckung durchbrechen kann – manchmal reicht es aus, genau diese schweren Hiebe abzuwarten, wegzurollen und zuzuschlagen. Manchmal hilft ein direkter Tritt in den Schild führenden Mann, um ihn für eine Sekunde zu öffnen. Und die beste Variante ist der Konter mit anschließendem kritischen Treffer: Wenn man im Moment des gegnerischen Angriffs die Schildparade einsetzt, kann man blank ziehen und sofort töten – mit einem kleinen Buckler ist das allerdings wahrscheinlicher als mit einem großen Keilschild. Sehr schön ist, dass man Gegner auf Knopfdruck fixieren und umrunden kann, dass neue Angriffe von oben und aus dem Sprung heraus verheerend sind; das gab es im Vorgänger noch nicht.

Trotz aller Gefahr: Es gibt einige idyllische Ausblicke.
Trotz aller Gefahr: Es gibt einige idyllische Ausblicke.
Das mittelalterliche Waffenarsenal ist riesig und reicht vom einfachen Messer über das Lang-, Breit- und Bastardschwert bis hin zu Axt oder Hellebarde. Theoretisch kann zwar jeder Charakter jede Klinge führen, aber es gibt empfindliche Abzüge, wenn man als schwacher Dieb einen Zweihänder schwingt – zumal das in Aktion unheimlich peinlich aussieht, denn der Schwung reißt den Mann komplett nach vorne. Nur wer in die richtigen Fähigkeiten investiert, kann das Optimum aus einer Waffe heraus holen. Die Animationen bilden deren Wesen und die Auswirkungen in Bewegung wunderbar ab, von den schnellen Hieben mit dem Krummschwert bis hin zu den weit nach vorne gerichteten Stößen mit dem Speer, von der aus der Hüfte geschossenen leichten Armbrust ohne Zielmarkierung bis hin zum voll ausgezogenen Bogen, mit dem man Feinde anvisieren kann.

Es gibt Schilde, die eher Feuer, Elektrizität oder Magie abwehren, die eher das Kontern oder das Blocken unterstützen. Und auch sie sind kein Dauerschutz: Schon normale Hiebe können sie aus der schützenden Haltung reißen. Hinzu kommt, dass auch untote Feinde das Ausweichen, das Heilen und die tödliche Riposte beherrschen. Wer einem Ritter mit Faustschild und Rapier begegnet, sollte sich auf einen heißen Tanz gefasst machen, denn die KI nutzt selbst alle Finten. Sie kommen so trügerisch langsam angeschlichen, den fauligen Körper hinter einem eisernen Schild verborgen, während sie den Helden taxieren, um irgendwann plötzlich hervor zu schnellen und zuzustoßen. Jeder Kampf lebt von seiner Unberechenbarkeit, von seinem Risiko. Wenn man den Zeitpunkt für die Schildparade verpasst, ist man selbst gefährlich offen und verblutet in null Komma nichts. Also freut man sich in jedem erfolgreichen Augenblick.

Kleine Nadelstiche

Über zwanzig clever verzahnte Gebiete warten in einer offenen Fantasy-Welt.
Über zwanzig clever verzahnte Gebiete warten in einer offenen, überaus stimmungsvollen Fantasy-Welt.
Zwar kann man sich eine Routine antrainieren und ähnlich wie in Demon Soul's viele Probleme über die Distanz lösen, entweder mit den Seelenpfeilen oder den physischen Projektilen, indem man Feinde gezielt weglockt und aus der Ferne attackiert – selbst manche Dämonen lassen sich so fällen. Diese Taktik der kleinen Nadelstiche mag wenig heldenhaft sein, sie adelt auch nicht gerade die KI, aber in einem dermaßen gnadenlosen Spiel freut man sich über die wenigen Möglichkeiten, die man zu seinem Vorteil ausnutzen kann.

Denn selbst dann reicht ein Moment der Unaufmerksamkeit aus, eine falsch eingeschätzte Rolle rückwärts, um nicht nur von einem Dämon zermalmt, sondern auch von gewöhnlichen Messerzombies aufgeschlitzt zu werden. Manchmal lauern sie in Nischen oder hinter Schränken.  Manche hängen sogar wie überlange Schinken hinter den Zinnen und erklimmen sie plötzlich, wenn man sich nähert. Die Feinde sind teilweise überraschend agil, weichen aus oder rennen auf einmal los. Sie nutzen nicht nur Schild, Bögen und Brandbomben, sondern heilen sich sogar, wenn man sie zu lange nur passiv beobachtet.

Man lernt in diesem Spiel, dass Gier und Ungeduld ganz schlechte Begleiter sind. Dabei hat man so viel Zeit für demütige Langsamkeit, denn man spielt einen Untoten, der in einem verfluchten Land mit vielen anderen Gestrandeten um sein Seelenheil streitet – wie ein Einherjer in Walhalla kehrt man immer wieder, um ewig zu kämpfen. Ob man sich sogar retten und ins Land der Lebenden zurückkehren kann? Kichernde Händler und fleißige Schmiede profitieren jedenfalls von seinem Aufenthalt. Andere sitzen als desillusionierte Gestrandete an Lagerfeuern, heuern missionarisch  Abenteurer an oder sitzen wie Verrückte stammelnd vor verschlossenen Toren, es gibt berühmte Verschollene und  zu befreiende Gefangene – über dem ganzen Spiel liegt auch dank dieser Gestalten eine melancholische Rätselhaftigkeit. Und im Gegensatz zu anderen Abenteuern scheint man hier nicht der Mittelpunkt zu sein, denn sie alle haben ihre eigene aktive Quest vor oder eine Tragödie hinter sich.

Das andere Questsystem

Erstmals kann man in den Bosskämpfen auch NPCs zur Unterstützung rufen - wenn man sie denn getroffen hat.
Erstmals kann man in den Bosskämpfen auch NPCs zur Unterstützung rufen - wenn man sie denn getroffen hat.
Gibt es keine Geschichte? Doch, aber nicht im Stile eines roten Fadens mit Cutscene-Knoten. Sie wird hier anders erzählt, eher über das Bild und die eigene Tat als das Wort oder den Filmschnipsel. Dark Souls erinnert manchmal an eine uralte Sage, in der das Symbolische und nicht Ausgesprochene für Stimmung und Neugier sorgt. Die zurückhaltende Regie lässt sich eher mit jener altmodischen epischen Fantasy der 80er vergleichen, die einen Conan hervor brachte, als mit den fast schon modern wirkenden Beziehungskonflikten eines Dragon Age. Es gibt zwar keine ausufernden Dialoge, aber man sollte die wenigen rätselhaften Figuren mehrmals ansprechen, um wichtige Informationen oder mehr über die Hintergründe zu erhalten – die werden übrigens nicht in einem Tagebuch festgehalten.

Man wird zum genauen Zuhören und zum Notieren des Gesagten animiert; manchmal muss man sein Gegenüber auch zum Sprechen bringen, indem man ihn mit Seelen besticht. Wer das nicht macht, wird sich irgendwann vielleicht fragen, was zur Hölle der „Eid des Weißen Pfades“ nochmal beinhaltete? Hier wirkt das Spiel vielleicht etwas zu spröde, wenn man später nachhaken will, denn selbst der Kleriker, dem man selbigen leistet, geht darauf nicht mehr ein. Selbst Göttern kann man sich übrigens anschließen, wenn man denn einem Totenfürsten trauen will.

Geheimnisvolle Charaktere

Vorsicht: Wer online spielt, kann auch von schwarzen Phantomen überrascht werden.
Vorsicht: Wer online spielt, kann auch von schwarzen Phantomen überrascht werden.
Dieses andere, dieses geheimnisvolle System von Story fasziniert: Man kann nicht in einem Tagebuch eine Liste an Aufgaben erledigen, damit irgendwann eine Hauptquest abgeschlossen wird – die meist schon vorher über den Titel verraten wird. Man muss in Dark Souls bestimmte Bedingungen erfüllen, damit Ereignisse ausgelöst werden oder Charaktere die Bühne betreten. Was genau, wird immer nur angedeutet. Manchmal stößt man plötzlich auf eine folgenreiche Situation: Es kann sein, dass man einen Ritter oder Zauberer aus seiner Gefängniszelle befreien muss, der eine Belohnung verspricht, die er nicht sofort, sondern erst viel später überreicht – wenn man zusätzlich etwas erfüllt hat. Meist ist es so, dass das Befreien von Gebieten inklusive den mächtigen Dämonen nicht nur den Plot voran treibt, sondern auch interessante Figuren an bekannten Orten erscheinen lässt.

Aber manchmal muss man mit bestimmten Leuten gesprochen haben. Und es geht auch um kleine Rätsel. Die erste Quest besteht z.B. darin, die zwei mysteriösen Glocken zu läuten. Aber warum? Und wo sind sie? Sehr stimmungsvoll sind die Begegnungen mit mächtigen Charakteren, die ihre ganz eigenen Ziele in der Welt verfolgen und sich je nach eigener Route oder Antwort zu ihnen anders verhalten. Ab und zu muss man auch Entscheidungen treffen, ob man hilft oder ignoriert oder gar tötet. Und erstmals gibt es Nebencharaktere, die man über den Einsatz von Menschlichkeit gezielt zur Unterstützung in einem Bosskampf rufen kann – eine tolle Idee für Leute, die ohne Online-Unterstützung kooperativ gegen die Dämonen antreten wollen! Das Schöne ist, dass es sich lohnt, den kooperativen Kampf mit ihnen zu gewinnen. Verzichten muss man hingegen auf die mögliche Änderung der Welt: In Demon's Souls konnte man über sein gutes oder böses Verhalten quasi die moralische Ausrichtung hin zu Schwarz oder Weiß beeinflussen und darüber bestimmte Charaktere anlocken bzw. Ereignisse auslösen.

Eine Online-Schicksalsgemeinschaft

Die Festungsanlage begeistert: Herrlich verwinkelt, unheimlich stimmungsvoll!
Die Festungsanlage begeistert: Herrlich verwinkelt, unheimlich stimmungsvoll!
Man begegnet auch anderen Spielern, die einem im Ernstfall unterstützen, allerdings kann man seine Freunde nicht direkt einladen. Begegnet man sich im Spiel, kann man auf ein Repertoire an Gesten zurückgreifen, von denen man weitere freischaltet – man kann sich verbeugen, mit der Schulter zucken, auf bestimmte Stellen deuten oder zeigen. Wer online loslegt, kann an den vielen Blutflecken manchmal ihre geisterhaften Schemen sehen, die die letzten Momente ihres Kampfes abbilden, oder ihre Nachrichten in glühenden Runen lesen – sie warnen, fluchen, lügen, flachsen, helfen. Allerdings spoilern sie auch viel von der kommenden Gefahr. Und man sollte man sich nicht immer auf das Gekritzel verlassen. Wer offline loslegt hat es schwerer, erlebt das Abenteuer vielleicht intensiver.

Trotzdem entsteht so etwas wie ein kollektives Bewusstsein der Gefahr, der Gemeinsamkeit, aber auch des latenten Misstrauens: Ah, da ist also jemand gestorben! Dort ist tatsächlich ein Schatz? Da soll ich wirklich runter springen? Man ist ja manchmal so naiv. Ich soll diesen goldenen Ritter angreifen, weil er lügt? Und Vorsicht: Es gibt wie im Vorgänger Spieler, die in das eigene Abenteuer eindringen und einen töten können, um als Belohnung Menschlichkeit zu gewinnen. Voraussetzung dafür ist, dass sie die Augäpfel finden und mit dem Eindringen riskieren, selbst auf eine Kopfgeldliste zu kommen. Auch wer Verbrechen in seinem Abenteuer begeht, also Unschuldige tötet und Eide bricht, wird quasi online gesucht.

Schlafloser Seelenjäger

Aber noch einmal zurück zum schlaflosen Offline-Helden des Einstiegs: Ich habe ihn in diesem ausufernden Test leider perspektivisch verlassen und in der Zwischenzeit hat er ein anderes Ziel gewählt. Der Drache ist passé, etwas anderes treibt ihn an, eine Mischung aus Neugier und Habgier: Er will unbedingt in diese Ruine hinter dem verfluchten Garten

Dark Souls steckt voller Geheimnisse und Überraschungen.
Dark Souls steckt voller Geheimnisse und Überraschungen.
kommen, denn dort ist er vorhin in einem verzweifelten Kampf gestorben. Und dort leuchten nicht nur über 5000 Seelen und einiges an Menschlichkeit – die kann man ja zur Heilung einsetzen, um Wachfeuer zu schüren oder Unterstützung von Nebencharakteren zu rufen.

Dort wabert aber auch dieses Nebeltor zwischen einem verwitterten Torbogen, hoch oben in einem uralten Turm. Was sich wohl dahinter verbirgt? Ein weiterer Bereich, ein Schatz oder gar ein Dämon? Genau das wollte er heraus finden, als er vorhin in eine tödliche Falle tappte: Von hinten hielten ihn Lianen, von vorne stampfte ein Riese von Ritter heran – danach folgte ein mächtiger Hieb, ein „Nein, nein, neeeeein!“ und das laut verfluchte Ende eines intensiven Spielabends.

Jetzt weiß er, welche Stelle er tunlichst meiden sollte. Jetzt weiß er, dass man den metallischen Hünen langsam weglocken und aus der Distanz zermürben kann. Und wenn er sich dabei konzentriert, müsste es klappen. Es gibt nur ein Problem: Wenn er auf dem Weg dorthin ein zweites Mal stirbt, sind alle Seelen für immer weg. Und so ist es zu erklären, dass Angst und Adrenalin nicht nur bei großen Drachen mit auf der Couch sitzen, sondern bei jedem kleinen Schritt in dieser herrlichen Welt.

Fazit

Unberechenbar, spannend, rätselhaft. Dieses Spiel beschäftigt mich tatsächlich bis in den Traum hinein. Das hat bisher nur Bard’s Tale geschafft, als ein kleiner Junge spät nachts eine gefährliche Fantasy-Welt auf dem Amiga erkundete – er starb dabei so oft, aber der Nervenkitzel und diese Rätselhaftigkeit blieben bis heute unvergessen. Dark Souls bringt mir beides zurück. Es führt die Tradition der alten Rollenspielriesen fort, der Wizardrys und Dungeon Masters, indem es ein gefährliches Abenteuer in einer Terra incognita inszeniert. Ich habe viel an Kampfintensität und monumentaler Pracht erwartet, aber nicht diese qualitative Steigerung gegenüber dem ausgezeichneten Vorgänger.  Schon die erste Burg, die sich in das Hochgebirge schmiegt, ist eine urig verwinkelte Augenweide. Dieses Spiel ist aber nicht nur größer, offener und schöner. Es belohnt das Erkunden noch mehr und führt die gnadenlose Tradition mit einem sinnvollen Lagerfeuer-Komfort fort, ohne sich dem Massenmarkt anzubiedern. Es bleibt sich und seinem urigen Erzählstil treu. Es entführt in ein einzigartiges, herrlich offenes und mysteriöses Abenteuer, das einen schlaflos über die nächsten Schritte spekulieren lässt -  bis man mit blitzenden Augen aufsteht und weiterkämpft.

Pro

epische, rätselhafte Fantasy für Erwachsene
unberechenbare Spannungsmomente
sehr starke Erkundungsreize, versteckte Gebiete
herrlich offene und große Spielwelt
hilfreiches und gefährliches Online-Erlebnis
Speicherkomfort durch Lagerfeuer
hervorragendes Kampfsystem mit agilen Feinden
optionale Ereignisse je nach Verhalten
herrlich verschachteltes Leveldesign
klasse Architektur & Burgdesign
spürbare Charakterentwicklung
neues Eidsystem mit Konsequenzen
eigenen Helden erschaffen
mysteriöse Nebencharaktere & Artefakte
idyllische Panoramablicke
gut übersetzte deutsche Texte
Waffen & Traglast wirken sich spürbar aus
riesiges Waffen- & Itemarsenal
ansehnliche Bosskreaturen
NPCs helfen in Bosskämpfen

Kontra

Fehler in der Kollisionsabfrage & Clipping
nur ein Spielstand pro Charakter
ab und zu Ruckler
keine Tagebuchfunktion
nerviges Ragdollkörper-Geschubse
ach ja: Feuer hat keine Auswirkungen auf Holz

Wertung

360

Demon's Souls war der PS3 vorbehalten, jetzt darf man auch auf der 360 in einer düsteren Fantasy-Welt um seine Seele kämpfen!

PlayStation3

Unberechenbar, spannend, rätselhaft: Dark Souls führt die geniale Tradition des Vorgängers fort!

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Kommentare

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Xris

Skyrim habe ich etwa 30 Stunden damit verbracht Mods zu installieren, weitere 50 Stunden um mit den Mods rumzualbern und letzendlich 10 Stunden eigentliches Gameplay.
Du beschreibst da Dinge die mir tatsächlich in jedem Spiel passieren für das es zu viele Mods gibt die oberflächlich bis sehr tief eingreifen. Weshalb ich dazu übergegangen bin Mods generell erst nach dem ersten durchspielen zu installieren. Einmal abgesehen von Mods die Fehler beheben oder konsolige Menüs PC freundlich (war in Skyrim der Fall) patchen.

Zuletzt bearbeitet vor 3 Jahren

vor 3 Jahren
casanoffi

Also, Dark Souls mag ja ein schönes Spiel sein, aber für 90% gibt es einfach zuuuu viele Probleme und darüber hinaus ist das Game nach wie vor zu unablanciert.

An manchen Stellen (z.B. Hydra) hackelt die Spielmechanik enorm, Trigger werden nicht ausgelöst, das anvisieren der Gegner funktioniert nicht richtig usw. Für so ein schweres Spiel ein enormes Problem.

Zudem nervt es auf Dauer massiv, wenn man bei jedem Bossgegner alle 30 Min. erneut hängen bleibt ohne Chance auf Steigerung oder Verbesserung, dann muss ich wieder 2-3 Std. farmen um Seelen zu kassieren um 1 Levelpunkt zu bekommen. Künstlich in die Länge gezogen nenne ich das.

Wenn ich bei 30000 Seelen bei nem Bossgegner hänge und durch die hackelige Steuerung die Klippe herunterrutsche und alles beim Teufel ist, kann ich da nicht mehr von "knackig" oder "schwer" sprechen, sondern einfach nur unausgereift. Ich will spiele auch durchspielen. Dark Souls macht es einen bei vielen dieser Probleme echt nicht einfach und an der ein oder anderen Stelle legt man das Spiel dann doch lieber weg.

Ich bin zwiegespalten.
Richtig fies wird es, wenn man die Spiele nicht chronologisch angeht, sondern jüngere Titel zuerst spielt.

Nicht nur, dass z. B. Dark Souls 3, Bloodborne oder Sekiro technisch tadellos sind, sind über die Jahre auch gewisse Komfort-Funktionen hinzugekommen.

Dagegen wirkt dann selbst ein Remaster des ersten Dark Souls wie ein grob geschnitztes Stück Kantholz.

Das macht die jüngeren Spiele nicht zwangsweise leichter, aber ich denke, dass mir jeder zustimmen würde, dass in der Gesamtheit ein Demons oder Dark Souls einfach bitter sein können, da man hier nicht ausschließlich wegen fehlenden Skills stirbt ^^

vor 3 Jahren
johndoe945852

...

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 12 Jahren
johndoe945852

...

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 12 Jahren
johndoe945852

...

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 13 Jahren
johndoe945852

...

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 13 Jahren