Zeit²14.01.2011, Paul Kautz
Zeit²

Im Test:

Der Horizontalscroller per se gehört zu den Dinosauriern der Spielebranche - was nicht nur bedeutet, dass das Genre verdammt alt, sondern auch bereits ausgestorben ist. Okay, Ausnahmen bestätigen die Regel, aber im Großen und Ganzen lebt das Vermächtnis von R-Type und Co. nur noch im Bereich der Indie-Spiele weiter. Oder als Studentenprojekt - hier nahm auch Zeit² seinen Anfang.

Ich bin mehrere

Zeit² ist kein Shooter wie jeder andere: Zum minimalistischen Grafikstil gesellt sich ein ungewöhnliches, interessantes Spielprinzip.
Zeit kann man ja nie genug haben, das ist bekannt. Wie praktisch wäre es, wenn man zu jedem beliebigen Zeitpunkt ein paar Sekunden in die Vergangenheit spulen und sich selbst beim Fortschreiten in die Zukunft unterstützen könnte? Genau das ist die große Besonderheit von Zeit², denn im Grunde seines Herzens ist das Spiel ein stinknormaler Horizontalscroller: Eigenes Raumschiff (in Form eines Lichtkreises) links, diverse Gegnerformationen rechts, der Daumen ruht schwer auf dem Feuerknopf. Oder auch nicht, denn es gibt hier einiges zu beachten: Es geht damit los, dass nur wenige Feinde zurückballern. Warum sollten sie auch, denn sie ziehen einem ja schon durch bloßes Vorüberfliegen Lebensenergie ab (solange sie selbst blau leuchten). Wer nun der Meinung ist, dass wild um sich ballern die Lösung ist, hat sich geschnitten: Jeder unnötig abgefeuerte Schuss kostet wertvolle Energie. Hinzu kommt, dass jegliche Energie über 100% (maximal 200) automatisch nach unten zählt. Kurz gesagt: In kaum einem Spiel ist es so einfach, Lebensenergie zu verlieren.

Das Ziel ist es also, und hier marschiert Zeit² im Gleichschritt mit R-Type , Thunder Force 4 und Co., so viele Feinde wie möglich zu erledigen. Allein ist das unmöglich - der Bildschirm ist schnell voller Feinde, das eigene Schiff recht träge unterwegs. Also betätigt der Held von Welt einfach die linke Schultertaste und sieht zu, wie das Spielgeschehen, ganz wie beim persischen Prinzen, rasant zurückgespult wird - maximal geht's 4,2 Sekunden in die Vergangenheit. Hier dient das aber nicht dazu, einen kapitalen Fehler gerade zu biegen, sondern erzeugt ein zweites Ich - den Zeitreise-Schatten. Der verfolgt ab dem Moment seiner Erschaffung exakt den Weg, den der Spieler vor ein paar Sekunden hinter sich gebracht hat, Ballern und Aufsammeln

Spult man die Zeit zurück, erzeugt man damit einen Schatten seines Ichs - mit dem sich sehr interessante Dinge anstellen lassen.
von Extras inklusive. Der Spieler kann jetzt prinzipiell machen, was er möchte - spazieren gehen, mit Mutti telefonieren, Krebs heilen. Da dafür ein paar Sekunden normalerweise nicht ausreichen, könnte er sich aber auch einfach um den Rest der Gegnerschar kümmern, die auf einmal weitaus kontrollierbarer wird. Das Ganze erinnert vom Konzept her stark an Spiele wie Braid oder The Misadventures of P.B. Winterbottom , passt aber auch super zu einem Shooter.

Punkte, Punkte, Punkte!

Zeit² bietet sechs Spielmodi: In »Arcade« kämpft man sich ganz klassisch durch vier Sektoren, deren Ende von einem dicken Bossgegner bewacht wird - kennt man, mag man, reißt aber keine Bäume aus. Interessanter sind da schon die »Wellen«: Hier muss man dafür sorgen, dass kein Gegner den linken Rand erreicht - je eher man die Feinde rechts erledigt, desto mehr Punkte gibt's. »Zeitlimit« und »Überleben« sind recht uninteressant, spannender ist da schon »Taktik«: Hier warten sehr kurze Levels, in denen nur wenige Feinde vorbeischwirren. Zack, Bumm, weg die Seuche - äh, so wenige Punkte? Wie der Name schon sagt, muss man hier taktieren, denn das Trickreiche ist, dass ein links vorbeiziehender Gegner zwar Lebensenergie mopst, aber dafür rechts in stärkerer Form wieder auftaucht - und entsprechend mehr Punkte beim Abschuss bringt. Das ständige Abwägen zwischen »Uuuuh, nur noch 20%!!« und »Aaaah, jetzt bist du endlich fällig, Drecksack!« ist wunderbar motivierend. Bleibt noch die »Herausforderung«, die aus dem eigenen Spielfortschritt sowie dem von Freunden zufällig generierte Aufgaben serviert. Der größte Teil dieser Modi muss erst freigespielt werden.

Man merkt schon: Zeit² ist ein reiner Highscore-Shooter - neben der Jagd nach der möglichst hohen Punktezahl sowie dem damit verbundenen Ruhm auf der Freundesliste gibt es keine weitere Motivation. Kein Wunder also, dass es sehr viele Möglichkeiten gibt, den eigenen Score beeindruckend hochzukurbeln: Es gibt Bonuspunkte, wenn man eine Zeitreise an genau der gleichen Stelle beendet wie der Schatten. Wenn man den

Mächtige Bossgegner sorgen für Hektik am Gamepad.
Schatten acht Mal beschießt, wird eine Druckwelle erzeugt - reißt die möglichst viele Gegner mit sich, gibt's Extrazähler. Benutzt man den »schnellen Vorlauf«, rauschen die Gegner schneller heran - aber geben auch mehr Punkte. Kombiniert man spezielle Aktionen (wie eine perfekte Zeitreise und eine Schockwelle) - nun, ihr ahnt es. Das normale Dauerfeuer wird nach kurzer Zeit automatisch aufgerüstet, dann gibt es schnellere Schüsse, Laser oder einen Kettenblitz - auch diese lassen sich in Zusammenarbeit mit dem Schatten für höhere Punktzahlen einsetzen.

Die Technik ist die schwache Seite von Zeit², denn sie beschränkt sich auf den aus der Demoszene oder Indie-Spielen bekannten Minimalismus: Das eigene Schiff ein Lichtschein, der Hintergrund ein Hauch von blauer Struktur, der um das Schiff herum wabert - der Vergleich mit flOw bietet sich an, aber man vermisst ein markanteres Artdesign. Mit diesem teilt sich Zeit² auch das fischknochige Gegnerdesign, das allerdings mehr Abwechslung vertragen könnte - einen großen Teil der zukünftigen Widersacher bekommt man schon im ersten Level zu sehen.   

Fazit

In der ersten halben Stunde kann man das Gefühl, dass Zeit² der innovativste Shooter der letzten Jahre ist, kaum bekämpfen: Die Mischung aus R-Type, Ikaruga und Braid ist spielerisch sehr verführerisch! Die Idee mit der Zeitreise ist zwar mittlerweile ein alter Hut, fühlt sich hier aber unverbraucht an; auch und gerade, weil man mit seinem Zeitschatten so interessante Dinge anstellen kann. Zum ersten Enthusiasmus gesellt sich ein zweiter dazu, wenn man die zusätzlichen Spielmodi freischaltet, wobei gerade »Taktik« eine sehr clevere Ergänzung des Angebots ist. Danach lässt die so hoch brandende Welle der Motivation aber spürbar nach: Hat man das Spielprinzip verinnerlicht, bleibt von Zeit² eigentlich nur noch eine reine Highscorejagd übrig - mehr hat das ehemalige Studentenprojekt nicht zu bieten. Das macht Zeit² zum Spiel für Profis, die Spaß daran haben, Angriffsmuster auswendig zu lernen und Angriffe millisekundengenau zu timen. Für Ottonormal-Shooterfan bietet es aber zu wenig. Das kann man auch vom für manche reizvollen, für viele fragwürdigen, in jedem Fall aber minimalistischen Design sagen - das übrigens mal so gar nicht zum offiziellen Cover passt.

Pro

<P>
stylische Präsentation
coole Zeitreisen-Idee
erstaunlich taktisches Spielprinzip
interessante Spielmodi</P>

Kontra

<P>
auf Dauer fehlt die Abwechslung
uninteressantes Gegnerdesign</P>

Wertung

360

Spielerisch und optisch höchst ungewöhnlicher Shooter, dem es auf Dauer an Abwechslung mangelt.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.