Im Test:
Story? Nebensache!
Die Hauptfigur Jack Cayman kennen Wii-Spieler evtl. aus dem mittlerweile indizierten Wii-Brawler Madworld. Doch es ist für Anarchy Reigns unerheblich, ob man den in Schwarz/Weiß gehaltenen Remote-Prügler gespielt hat, der übrigens auch vom hier verantwortlichen Produzenten Atsushi Inaba stammt. Man muss nur wenig wissen: Jack ist Kopfgeldjäger in einer postapokalyptischen Zukunft, hat eine Doppelkettensäge am Arm und jagt einen gewissen Maximilian Caxton im Auftrag von dessen Tochter. Erschwert wird diese Jagd durch zwei Kleinigkeiten: A) Eine Spezialeinheit der Regierung, zu der Max gehörte, ist ebenfalls hinter ihm her. B) Max hat Jacks Tochter getötet.
Das klingt alles etwas konfus, durchgeknallt und schwer nachvollziehbar? Schuldig im Sinne der Anklage. Denn egal, ob man die stylischen und größtenteils klasse inszenierten, allerdings nicht hochklassigen Rendersequenzen betrachtet oder sich den typisch japanischen animierten Profilen der Protagonisten im Dialog widmet: Die Gespräche sind mitunter sehr wirr, stehen teils in keinem Zusammenhang zu dem, was vorher passiert ist bzw. nachher passieren wird oder überschreiten gelegentlich die feine Linie von skurrilem Humor zur Lächerlichkeit. Dennoch habe ich einen Narren an den Videos gefressen und habe mich über jedes gefreut, das ich als Belohnung für den Erfolg in den Kampagnen-Missionen bekam. Warum?
Action? Knallt!
So konfus sich Anarchy Reigns erzählerisch präsentiert, so klar strukturiert ist die Mechanik. Diese baut ähnlich Jacks erstem Spielausflug Madworld auf klassischen Arcade-Prüglern wie Final Fight oder Streets of Rage auf und verlegt das Geschehen in die dritte Dimension. Eine weitere Parallele zu den Klassikern ist übrigens die mangelnde Gegnervariation. Viel zu häufig trifft man auf die immergleichen Typen, die im Bestfall durch frische Texturen den Hinweis geben, dass sie evtl. zu einer etwas stärkeren Fraktion gehören. Zwar gibt es Abwechslung in Form von Mutanten oder Soldaten, doch auch innerhalb dieser Standard-Gruppen wäre noch mehr Unterscheidung und damit auch mehr Anspruch möglich gewesen.
Schwarz? Weiß!
Man ist jedoch nicht nur mit Jack unterwegs. In bestimmten Missionen kann man sich aus bis zu drei Recken, die für den jeweiligen Kampf Seite an Seite ihre Fäuste sprechen lassen, einen aussuchen. Und obendrauf lernt man den vollen Umfang der Geschichte erst kennen, wenn man nicht nur die "schwarze" Seite der Medaille mit Jack, sondern auch die "weiße" auf Seiten der Regierungstruppen und dem zweifelnden Helden Leo (Leonhardt Victorion) erlebt hat.
Das Problem der Figuren- und Storywechsel: Auch wenn sich die Charaktere hinsichtlich Schlagfrequenz oder Stärke sowie bei ihren Spezialattacken unterschieden, spielen sich alle recht ähnlich. Zumindest nicht differenziert genug, als dass man mit einer anderen Figur eine grundsätzlich andere Herangehensweise wählen müsste. Das deutet sich bereits früh an und bestätigt sich spätestens, nachdem der Abspann durchgerollt ist und man die Kapitel (bzw. die Aufgaben darin) mit jeder der freigespielten Figuren angehen kann, um die einzelnen Punktzahlen zu verbessern.
Technisches Desaster? Nein!
Visuell hinterlässt Anarchy Reigns einen spröden bis durchschnittlichen Eindruck. Ihm fehlen Glanz und Politur eines Vanquish oder die überzeichnete Comicstruktur eines Madworld und von dem skurril-abgefahrenen Artdesign Bayonettas ist man ebenfalls weit entfernt. Es ist ein weitgehend "normaler" Brawler in einer herkömmlichen stereotypen Endzeitwelt. Sprich: Mir fehlt das Besondere, das Platinum bislang ausgezeichnet hat. In Ansätzen ist dies beim Charakterdesign zwar erkennbar, doch die nicht gerade ausufernden, aber dennoch zum Erforschen einladenden Umgebungen hätten interessanter gestaltet sein können.
Mehrspieler-Gerangel
Ein Punkt, der in der Importversion letztes Jahr mangels Teilnehmern offen bleiben musste, war das Potenzial des Mehrspielermodus. Zwar sind die Server immer noch nicht so zahlreich belegt, dass man problemlos ein Spiel finden kann, doch mit ein wenig Geduld hat man schließlich eine Runde Gleichgesinnter gefunden und das Online-Prügeln kann losgehen. Dabei stehen insgesamt über ein Dutzend Spielmodi zur Verfügung, bei denen es von Kämpfen Jeder-gegen-Jeden auch Teamwettbewerbe (u.a. auch Capture-The-Flag-Variatione) oder Koop-Modi wie z.B. eine Horde-Variation gibt. Mit insgesamt gut 20 Karten, die sich auf alle Spielarten verteilen (nicht jede Karte steht überall zur Verfügung) gibt es genug Auswahl, um sich austoben zu können. Zumal es wie in der Kampagne immer wieder zu Zufallsereignissen kommt, die das Geschehen beeinflussen. So kann es z.B. vorkommen, das ein CPU-gesteuerter Megaboss in ein Team-Deathmatch eingreift, ein Flugzeugabsturz die Gegner ins Verderben zieht oder flächendeckend auf das Schlachtfeld fallende Autowracks den sicher geglaubten Sieg noch ins Wanken bringen.
Fazit
Ich gebe es zu: Seit dem Debüttitel Madworld bin ich ein Fan von Platinum Games. Und so sehr ich mich mit den unkomplizierten Prügeleien à la Streets of Rage auch anfreunden kann, bedauere ich, dass in keinem Punkt die Qualität eines Vanquish oder gar der Edelhexe Bayonetta erreicht wird. Angefangen bei der in ihren besten Momenten nur rudimentär zusammen gehaltenen, aber meist konfus zusammen gezimmerten Rachestory bis hin zur durchschnittlichen Kulisse wird Anarchy Reigns nur selten dem Ruf von Platinum Games gerecht. Als Hommage an den klassischen Brawler ist der Titel zwar gelungen. Doch das Konzept bleibt trotz guter Ansätze wie dem Charakterwechsel oder den abwechslungsreichen Nebenmissionen zu oberflächlich und wird nur von den schick inszenierten Zwischensequenzen aufgewertet. Schade, hier war viel mehr möglich als ein schmackhafter, aber nicht sättigender Actionhappen für zwischendurch. Überrascht hat mich jedoch der Mehrspielermodus mit seinem motivierenden Aufstiegs- und Perksystem: Die hektische Prügelei wirkt zwar mitunter chaotisch und unübersichtlich, doch nach ein paar Partien zur Eingewöhnung und den ersten Erfolgserlebnissen kann man in den 13 Modi eine Menge Spaß haben - auch wenn die Suche nach einem Spiel seiner Wahl komfortabler ablaufen könnte.
Pro
Kontra
Wertung
360
Kurzweilige Prügelaction alter Schule mit hoffnungslos konfuser Story. Der chaotisch-hektische Mehrspielermodus entfaltet nach frustrierender Anfangsphase zusätzlichen Reiz.
PlayStation3
Kurzweilige Prügelaction alter Schule mit hoffnungslos konfuser Story. Der chaotisch-hektische Mehrspielermodus entfaltet nach frustrierender Anfangsphase zusätzlichen Reiz.
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