Anarchy Reigns11.01.2013, Mathias Oertel
Anarchy Reigns

Im Test:

Es wurde so lange verschoben, dass man beinahe schon Angst haben musste, es würde gar nicht mehr erscheinen. Die Rede ist von Anarchy Reigns (ab 8,36€ bei kaufen), einem der wohl letzten Projekte von Platinum Games für PS3 und 360, bevor sich die Japaner der WiiU verschreiben. Kann der Mehrspielermodus im Vergleich zum Importtest des letzten Jahres entscheidende Punkte einheimsen?

Story? Nebensache!

Die Hauptfigur Jack Cayman kennen Wii-Spieler evtl. aus dem mittlerweile indizierten Wii-Brawler Madworld. Doch es ist für Anarchy Reigns unerheblich, ob man den in Schwarz/Weiß gehaltenen Remote-Prügler gespielt hat, der übrigens auch vom hier verantwortlichen Produzenten Atsushi Inaba stammt. Man muss nur wenig wissen: Jack ist Kopfgeldjäger in einer postapokalyptischen Zukunft, hat eine Doppelkettensäge am Arm und jagt einen gewissen Maximilian Caxton im Auftrag von dessen Tochter. Erschwert wird diese Jagd durch zwei Kleinigkeiten: A) Eine Spezialeinheit der Regierung, zu der Max gehörte, ist ebenfalls hinter ihm her. B) Max hat Jacks Tochter getötet.  

Das klingt alles etwas konfus, durchgeknallt und schwer nachvollziehbar? Schuldig im Sinne der Anklage. Denn egal, ob man die stylischen und größtenteils klasse inszenierten, allerdings nicht hochklassigen Rendersequenzen betrachtet oder sich den typisch japanischen animierten Profilen der Protagonisten im Dialog widmet: Die Gespräche sind mitunter sehr wirr, stehen teils in keinem Zusammenhang zu dem, was vorher passiert ist bzw. nachher passieren wird oder überschreiten gelegentlich die feine Linie von skurrilem Humor zur Lächerlichkeit. Dennoch habe ich einen Narren an den Videos gefressen und habe mich über jedes gefreut, das ich als Belohnung für den Erfolg in den Kampagnen-Missionen bekam. Warum?

Einer der Höhepunkte der Kampagne: Der Kampf gegen die Krake.
Einer der Höhepunkte der Kampagne: Der Kampf gegen die Krake.
Sie erscheinen zwar zusammenhanglos, doch durch die straffe Inszenierung mit rasanten Schnitten und vor allem dank der abgefahrenen Antagonisten, denen man begegnet, wird mit jeder kleinen Episode ein weiterer Mosaikstein dieser verrückten Endzeit-Welt à la Platinum Games aufgedeckt. Zu schade, dass diese Steine zu selten ein harmonisches Ganzes ergeben.   

Action? Knallt!

So konfus sich Anarchy Reigns erzählerisch präsentiert, so klar strukturiert ist die Mechanik. Diese baut ähnlich Jacks erstem Spielausflug Madworld auf klassischen Arcade-Prüglern wie Final Fight oder Streets of Rage auf und verlegt das Geschehen in die dritte Dimension. Eine weitere Parallele zu den Klassikern ist übrigens die mangelnde Gegnervariation. Viel zu häufig trifft man auf die immergleichen Typen, die im Bestfall durch frische Texturen den Hinweis geben, dass sie evtl. zu einer etwas stärkeren Fraktion gehören. Zwar gibt es Abwechslung in Form von Mutanten oder Soldaten, doch auch innerhalb dieser Standard-Gruppen wäre noch mehr Unterscheidung und damit auch mehr Anspruch möglich gewesen.

Die Zwischensequenzen werden gut inszeniert, helfen aber nur wenig, um die konfuse Story zu entwirren.
Die Zwischensequenzen werden gut inszeniert, helfen aber nur wenig, um die konfuse Story zu entwirren.
Dank der eingängigen Steuerung, die nur auf wenige Knöpfe setzt und damit brachiale Kombos ermöglicht sowie der akkuraten Kollisionsabfrage, verzeihe ich den Variationsmangel aber bald. Dazu macht es einfach zu viel primitiven Spaß, sich mit Fäusten und dem Einsatz der Kettensäge (muss erst aufgeladen werden) durch die Gegner zu pflügen oder sie mit Straßenschildern oder sonstigen herumstehenden bzw. -liegenden Gegenständen zu malträtieren. Der Ablauf ist allerdings über alle Kapitel hinweg gleich: Man erledigt Standardgegner, erhält Punkte dafür und bekommt an bestimmten Meilensteinen Story-Aufgaben oder freie Missionen, die man betreten kann, um weitere Punkte zu generieren und sich Medaillen für die Endabrechnung zu verdienen. Immerhin bemüht sich Platinum, den brachialen Prügelalltag mit abwechslungsreichen Nebenaufgaben zu versüßen: Mal muss man mit einem mobilen Flammenwerfer ein Rennen bestreiten, dann wiederum innerhalb eines Zeitlimits eine bestimmte Zahl an immer schwerer werdenden Gegnern besiegen oder einer Parasitenplage in Form von Riesen-Polypen (wie in Nesseltier, nicht wie in Polizist) Einhalt geboten werden. Und natürlich muss man auch häufig gegen mehrstufige Bosse kämpfen. Der Höhepunkt war die Auseinandersetzung mit einem Riesenkraken, der in dieser Form auch aus dem zweiten Fluch der Karibik stammen könnte und der mich mit seinem Heißhunger auf Flugzeugträger und dem Spucken von Raketen mitunter an den Rand der Frustration gebracht hat. Dementsprechend habe ich es regelrecht genossen, als er von einem maritimen Schaufelradbagger herrlich flatschend zerteilt wurde.

Schwarz? Weiß!

Man ist jedoch nicht nur mit Jack unterwegs. In bestimmten Missionen kann man sich aus bis zu drei Recken, die für den jeweiligen Kampf Seite an Seite ihre Fäuste sprechen lassen, einen aussuchen. Und obendrauf lernt man den vollen Umfang der Geschichte erst kennen, wenn man nicht nur die "schwarze" Seite der Medaille mit Jack, sondern auch die "weiße" auf Seiten der Regierungstruppen und dem zweifelnden Helden Leo (Leonhardt Victorion) erlebt hat.

Wo Jack und seine Doppelkettensäge hinlagen, wächst kein Gras mehr.
Wo Jack und seine Doppelkettensäge hinlagen, wächst kein Gras mehr.
Dadurch gewinnt die Geschichte zwar an Tiefe, aber leider nicht an Qualität, denn auch hier dominieren zusammenhanglose Dialoge und mitunter abstruse Situationen - aber die Videosequenzen sind weiterhin cool!

Das Problem der Figuren- und Storywechsel: Auch wenn sich die Charaktere hinsichtlich Schlagfrequenz oder Stärke sowie bei ihren Spezialattacken unterschieden, spielen sich alle recht ähnlich. Zumindest nicht differenziert genug, als dass man mit einer anderen Figur eine grundsätzlich andere Herangehensweise wählen müsste. Das deutet sich bereits früh an und bestätigt sich spätestens, nachdem der Abspann durchgerollt ist und man die Kapitel (bzw. die Aufgaben darin) mit jeder der freigespielten Figuren angehen kann, um die einzelnen Punktzahlen zu verbessern.

Technisches Desaster? Nein!

Visuell hinterlässt Anarchy Reigns einen spröden bis durchschnittlichen Eindruck. Ihm fehlen Glanz und Politur eines Vanquish oder die überzeichnete Comicstruktur eines Madworld und von dem skurril-abgefahrenen Artdesign Bayonettas ist man ebenfalls weit entfernt. Es ist ein weitgehend "normaler" Brawler in einer herkömmlichen stereotypen Endzeitwelt. Sprich: Mir fehlt das Besondere, das Platinum bislang ausgezeichnet hat. In Ansätzen ist dies beim Charakterdesign zwar erkennbar, doch die nicht gerade ausufernden, aber dennoch zum Erforschen einladenden Umgebungen hätten interessanter gestaltet sein können.

Überraschende Ereignisse wie Flugzeugabstürze beeinflussen die Gefechte - auch online!
Überraschende Ereignisse wie Flugzeugabstürze beeinflussen die Gefechte - auch online!
Auch bei den "spontanen" Ereignissen in den Arealen wie z.B. ein Wirbelsturm, der einen aufsaugt und anderer Stelle fallen lässt, ein Amok fahrender Transporter oder Jets, die einen Bombenteppich legen, dem man ausweichen sollte, deutet sich die Kreativität immer wieder an. Nur: Sie wird nicht ansprechend genug umgesetzt. Immerhin leistet man sich bei den Animationen und den Effekten keine groben Schnitzer - unter dem Strich also graue Durchschnittsware.

Mehrspieler-Gerangel

Ein Punkt, der in der Importversion letztes Jahr mangels Teilnehmern offen bleiben musste, war das Potenzial des Mehrspielermodus. Zwar sind die Server immer noch nicht so zahlreich belegt, dass man problemlos ein Spiel finden kann, doch mit ein wenig Geduld hat man schließlich eine Runde Gleichgesinnter gefunden und das Online-Prügeln kann losgehen. Dabei stehen insgesamt über ein Dutzend Spielmodi zur Verfügung, bei denen es von Kämpfen Jeder-gegen-Jeden auch Teamwettbewerbe (u.a. auch Capture-The-Flag-Variatione) oder Koop-Modi wie z.B. eine Horde-Variation gibt. Mit insgesamt gut 20 Karten, die sich auf alle Spielarten verteilen (nicht jede Karte steht überall zur Verfügung) gibt es genug Auswahl, um sich austoben zu können. Zumal es wie in der Kampagne immer wieder zu Zufallsereignissen kommt, die das Geschehen beeinflussen. So kann es z.B. vorkommen, das ein CPU-gesteuerter Megaboss in ein Team-Deathmatch eingreift, ein Flugzeugabsturz die Gegner ins Verderben zieht oder flächendeckend auf das Schlachtfeld fallende Autowracks den sicher geglaubten Sieg noch ins Wanken bringen.

Die Mehrspieler-Gefechte sind anfänglich chaotisch bis frustrierend.
Die Mehrspieler-Gefechte sind anfänglich chaotisch bis frustrierend.
Allerdings gibt es trotz des motivierenden Aufstiegssystems mit erweiterter Personalisierung (z.B. passive Fähigkeiten wie automatische Block bei Würfen) beim Erreichen einer neuen Stufe einige Bereiche, die Optimierungsbedarf haben. So kann man zwar komfortabel nach einem freien Platz in einem bestimmten Modus suchen. Doch benutzerfreundlicher wäre es, wen man für die Suche mehrere Modi aus- oder abwählen dürfte. Doch man kann entweder nur gezielt nach einem suchen oder muss hoffen, dass man bei der offenen Suche in einem Modus landet, der einem liegt. Für die Horde-Variation Survival z.B. muss man lange suchen - oder selber ein Spiel öffnen und dann entsprechend auf Partner warten. Hat man schließlich die Lobby hinter sich gelassen und ist mit Gegnern bzw. Team-Kameraden auf dem Schlachtfeld, braucht man angesichts der Hektik und des ausbrechenden Chaos eine gewisse Frustresistenz: Die ersten Matches halten eine steile Lernkurve bereit. Timing, Ausweichen sowie akkurates Blocken sind hier noch wichtiger als in der Kampagne. Zudem wird einem der Einstieg auch dadurch erschwert, dass man als blutiger Anfänger häufiger als einem lieb ist mit hochstufigen Charakteren in einen Topf geschmissen wird. Doch irgendwann hat man den Kniff raus (auch dank der lagfreien Anbindung) und entdeckt Finessen, mit denen man erste Erfolgserlebnisse feiert. Und spätestens ab diesem Moment wird für Fans von Retro-Prügeleien die Motivationsschraube angezogen, so dass man trotz aller Mankos immer wieder in die kurzweiligen Gefechte abtaucht.

Fazit

Ich gebe es zu: Seit dem Debüttitel Madworld bin ich ein Fan von Platinum Games. Und so sehr ich mich mit den unkomplizierten Prügeleien à la Streets of Rage auch anfreunden kann, bedauere ich, dass in keinem Punkt die Qualität eines Vanquish oder gar der Edelhexe Bayonetta erreicht wird. Angefangen bei der in ihren besten Momenten nur rudimentär zusammen gehaltenen, aber meist konfus zusammen gezimmerten Rachestory bis hin zur durchschnittlichen Kulisse wird Anarchy Reigns nur selten dem Ruf von Platinum Games gerecht. Als Hommage an den klassischen Brawler ist der Titel zwar gelungen. Doch das Konzept bleibt trotz guter Ansätze wie dem Charakterwechsel oder den abwechslungsreichen Nebenmissionen zu oberflächlich und wird nur von den schick inszenierten Zwischensequenzen aufgewertet. Schade, hier war viel mehr möglich als ein schmackhafter, aber nicht sättigender Actionhappen für zwischendurch. Überrascht hat mich jedoch der Mehrspielermodus mit seinem motivierenden Aufstiegs- und Perksystem: Die hektische Prügelei wirkt zwar mitunter chaotisch und unübersichtlich, doch nach ein paar Partien zur Eingewöhnung und den ersten Erfolgserlebnissen kann man in den 13 Modi eine Menge Spaß haben - auch wenn die Suche nach einem Spiel seiner Wahl komfortabler ablaufen könnte.

Pro

coole Zwischensequenzen...
eingängige Steuerung
brachiale Prügelaction à la Streets of Rage
unterhaltsamer Mehrspielermodus...
knallharte Finisher
gute Bosskämpfe
abwechslungreiches Missionsdesign
Bayonetta als spielbare Figur

Kontra

... leider bleibt die Story zu fragmenthaft
redundante Mechanik
wenig Gegnervariation
... der aber sehr hektisch und chaotisch werden kann
durchschnittliche Technik
unhandliche Menüführung im Mehrspielermodus

Wertung

360

Kurzweilige Prügelaction alter Schule mit hoffnungslos konfuser Story. Der chaotisch-hektische Mehrspielermodus entfaltet nach frustrierender Anfangsphase zusätzlichen Reiz.

PlayStation3

Kurzweilige Prügelaction alter Schule mit hoffnungslos konfuser Story. Der chaotisch-hektische Mehrspielermodus entfaltet nach frustrierender Anfangsphase zusätzlichen Reiz.

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