Beyond Good & Evil02.03.2011, Jörg Luibl
Beyond Good & Evil

Im Test:

Seit heute ist Beyond Good & Evil (ab 4,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) HD für Xbox 360 erhältlich (die PS3-Variante wurde kurzfristig verschoben) - natürlich inklusive Achievements sowie höherer Auflösung. Aber viel wichtiger als dieser Schnickschnack ist der zeitlos spannende Inhalt. Dieser Klassiker wurde bereits 2004 mit Platin bei uns gefeiert. Rayman-Vater Michel Ancel präsentierte sich als Geschichtenerzähler ersten Ranges, der auch heute keinen Vergleich scheuen muss!

Story für Genießer

Die Schrecken des Krieges dominieren den Alltag auf dem erdähnlichen Planeten Hyllis: Sirenen heulen bei Luftangriffen, groteske Aliens sorgen für Angst und Schrecken, Kinder werden entführt und Gebäude brennen. Doch dank des tapferen Einsatzes der schwer gepanzerten Alpha-Abteilung werden die Kreaturen aus dem All immer wieder zurückgeschlagen. Jeden Tag werden ihre Heldentaten in den Nachrichten gepriesen, um die Stimmung zu heben und neue Freiwillige für den Krieg zu gewinnen. In jedem stinknormalen Spiel würdet ihr jetzt in die Rolle des tapferen Retters schlüpfen, der nach einem Tutorial mit Waffeneinweisung gegen die Bedrohung kämpft und Schritt für Schritt zum Elitekrieger mutiert. Aber in der Welt von Beyond Good and Evil (BG&E) ticken die Uhren erfrischend anders: Dramaturgie und Regie sind einfach famos.

Erstens startet das Spiel mit einem fulminanten Bosskampf, der die Heldin Jade sofort mit ihrem mysteriösen Schicksal konfrontiert und den Spieler mit einem choreografierten Lichtspektakel begeistert - wow! Auch im weiteren Verlauf bleibt er Spannungsbogen dank klarer Schnitte, knackiger Zwischensequenzen und geschickt platzierter Höhepunkte straff. Zweitens verlässt Spieldesigner Michel Ancel ausgelatschte Storypfade, überrascht mit interessanten Wendungen und stellt schon zu Beginn das Offensichtliche in Frage: Ist die Alpha-Abteilung tatsächlich die letzte Rettung? Oder ist das alles nur Propaganda? Wer abseits von plump inszenierten 08/15-Erzählungen nach einer reifen Story mit echtem Plot lechzt, wird hier fündig.

Investigative Rebellion

Das Spieldesign wurde komplett übernommen: Auch im Jahr 2011 beginnt das Action-Adventure mit einem Bosskampf.
Begleitet von ihrem Onkel Pey'J, einem sprechenden Prachtexemplar von einem Schwein, begibt sich Reporterin Jade auf eine abwechslungsreiche Odyssee - eine dramatische Suche nach Freiheit, politischen Antworten und der eigenen Vergangenheit beginnt. Mit viel Neugier, einer gehörigen Portion Mut und akrobatischem Talent ausgestattet, kann die Recherche losgehen.

Als Jade kurz darauf der Rebellenorganisation IRIS beitritt, soll sie hochbrisante Beweisfotos sammeln, die die düsteren Machenschaften der Alpha-Abteilung entlarven - investigativer Journalimsus der actionreichen Sorte. Spätestens hier hat der Spielspaßsog eine Kraft entfaltet, die einen so schnell nicht mehr loslässt. Und BG&E feuert auch spielerisch aus allen Rohren: logische Rätsel, packende Action, Schleicheinlagen, taktische Kämpfe, Wettrennen, Secrets - alles inklusive.

Lebendige Charaktere

Ebenso witzig wie schlagfertig: Jade kann sich auch auf 360 und PS3 (erscheint später) auf ihren schweinischen Freund verlassen. Es bleibt allerdings bei vielen Text- statt Sprachpassagen.
Viele Figuren der Spielewelt sind nicht mehr als Typen - schicke Polygonfiguren, die mit Texturen und Klischees zugekleistert werden. In BG&E trefft ihr auf wenige, aber dafür echte Charaktere, die dank klasse Mimik, natürlicher Dialoge und überraschender Kommentare verblüffend lebendig wirken. Jade, Pey'J & Co wachsen einem im Laufe des Spiels regelrecht ans Herz, weil man jeder Dialogzeile anmerkt, dass das Drehbuch eine große Rolle gespielt hat.

Und auch wenn man eine komplette Sprachausgabe für alle Bewohner vermisst, und bei einfachen Passanten mit Texten vorlieb nehmen muss, wirken die verwinkelten Straßen von Hyllis wesentlich stimmungsvoller als die anonyme Metropole von Jak II . Denn hier ist jeder ansprechbar, hat Hinweise oder eine Bemerkung parat.

Akrobatik ohne Panik

BG&E ist kein Jump'n'Run. Zwar wird an einigen Stellen auch gehüpft, geklettert und gehangelt, aber die meisten Situationen werden automatisiert gemeistert und verlangen kein punktgenaues Reagieren wie bei Rayman & Co: Einfach zum Abgrund rennen, und schon setzt Jade zum Sprung an - lästiges Abstürzen gibt es nicht. Allerdings ist später auch Fingerspitzengefühl nötig, denn in schwer gesicherten Fabriken muss die akrobatische Heldin schon mal mit gut getimeten Hechtsprüngen Alarm-Laser überwinden oder sich schnell bücken. Wer aufgrund der Automatismen ein kinderleichtes Niveau erwartet, wird hier sein forderndes Wunder erleben.

Die Gegner-KI kann sich in den ausgiebigen Schleich-Abschnitten dank ihrer Suchlaser, Geräuschsensoren, Dronenjäger und kluger Schildnutzung schon fast mit der aus Metal Gear Solid messen. Hier kommt es zudem darauf an, die Schwächen der Gegner auszunutzen: Wer einfach 

Heutzutage sieht alles etwas schicker aus: Die Spiegelungen sind feiner, die Auflösungen höher, es gibt neue Effekte und bessere Schatten - aber insgesamt keine all zu großen Unterschiede.
wild um sich schlägt, wird schnell das Zeitliche segnen. Ihr müsst geschickt ausweichen, von hinten angreifen oder aus der Entfernung mit einer Disc bestimmte Punkte der Rüstung zerstören. Nur die Kameraführung irritiert gelegentlich mit abrupten Wechseln. Außerdem ist an einigen Stellen das freie Umschauen nur im Fotomodus möglich. Trotzdem erreicht das Ganze nie die Frustzone, denn die meisten Situationen erlebt man durch den erzwungenen Perspektivwechsel intensiver. Die strenge Regie ist dramaturgisch wichtig, raubt aber das Gefühl der totalen Freiheit.

Kampfballett mit Stil

Adrenalin in Echtzeit versprühen jedoch die klasse inszenierten Kämpfe. Wenn Jade ihren Aikido-Stab zückt, kann sie selbst dem Prince of Persia das Wasser reichen: Elegante Hiebe, Salti und Drehungen sorgen zusammen mit den Funken sprühenden Treffern und immer wieder eingestreuten Zeitlupen für eine erstklassige Choreografie. Zwar werden die akrobatischen Kombinationen einfach durch mehrfaches Drücken ausgelöst, aber durch die wichtigen Spezialangriffe und das Teamplay kommt eine taktische Note hinzu.

Jade kann z.B. kurz ihre Kräfte aufladen und dann in einer sprühenden Wirbelattacke alle umstehenden Gegner treffen - das sieht nicht nur klasse aus, das ist auch enorm effektiv. Später kann dieser Angriff weiter ausgebaut werden, so dass es noch sengende Feuerbälle regnet. Während des Kampfes könnt ihr auch Schweinefreund Pey'J zu einer Stampfattacke animieren, um z.B. große Monster erst mit Schmackes zu schwächen und dann gezielt zu attackieren.

Kleine Knobeleien

Sympathische Charaktere sorgen immer wieder für ein Schmunzeln.
Aha: "Schwachpunkt am Lufttank" - also Laserdisc raus, Lufttank anvisieren und den Wächter ausschalten! In manchen Abschnitten ist kluges Teamplay nicht nur wichtig um zu überleben, sondern auch um überhaupt weiter zu kommen. Wenn Drahtgitter Wege versperren, Türen geschlossen sind oder Brücken herunter gelasssen werden müssen, sind entweder passende Schlüssel oder eure Helfer gefragt. Ab und zu gilt es zudem, Kisten zu verschieben, Stromversorgungen zu unterbrechen oder Codewörter zu knacken. Und das Schöne ist: Alle Rätsel und Knobeleien sind logisch aufgebaut.

Manchmal müsst ihr auch gezielt Kettenreaktionen auslösen: Erst das Dynamit vor die Brücke schieben, dann die Feuerqualle mit einer Stampfattacke in die Luft schleudern, diese dann mit einem beherzten Schlag Richtung Dynamit jagen, auf die Explosion warten und zufrieden die mittlerweile runtergekrachte Brücke überqueren.

Wettrennen & Minispiele

Mit eurem anfänglich armselig ausgerüsteten Hovercraft könnt ihr im Laufe des Spiels die Bucht von Hyllis erkunden sowie an mehreren offiziellen Wettrennen teilnehmen, um Geld und Perlen zu gewinnen. Aber in manchen Höhlen warten auch inoffizielle Hetzjagden gegen Schmuggler, die es in sich haben: Laserschranken, Speedteppiche, Fallgitter, Schussgefechte.

Selbst wenn man den Mix aus Rätseln, Kämpfen, Schleichen, Wettrennen und Aufrüsten auch woanders findet, werden die Teile nirgends zu einem derart lebendigen Ganzen verschweißt.
Und gegen Ende des Spiels dürft ihr sogar explosive Weltraumschlachten in einem Raumschiff austragen - mehr sei nicht verraten. Solltet ihr übrigens mal knapp bei Kasse sein, empfiehlt sich ein Abstecher in die Bar: Klassische Hütchenspiele und ein witziges Puck-Brett mit Suchtgarantie warten auf euren Einsatz.

Paparazzo & Großwildjäger

Eines der schönsten Spielelemente ist die Kamera. Sie spielt nicht nur eine politische Rolle, weil ihr damit wichtige Beweise sichern müsst, sondern auch eine zoologische und finanzielle. Jade ist ständig mit dem Forschungszentrum in Verbindung. Für jedes Foto gibt`s eine fette Belohnung in Form von Credits. In der Welt von BG&E lauern hunderte von Kreaturen, die ihr mit einem Schnappschuss verewigen könnt.

Darunter einfache Glühwürmchen, putzige Nagetiere, fliegende Mantas oder schreckliche Seelenfresser - die exotische Fauna ist beeindruckend. Man muss allerdings sehr geschickt sein und den Zoom richtig einsetzen, um ein Bild von den selteneren Tieren zu ergattern. Um so größer ist die Freude, wenn das Foto gelingt und im Gegenzug die Kasse klingelt.

Das Leveldesign ist stimmig, die Speicherpunkte passen und unnötiger Frust ist Fehlanzeige. Die Welt von Hyllis ist so faszinierend vielfältig.
Und ähnlich wie der Visor in Metroid Prime dient sie auch als High-Tech-Tool, das z.B. Auskunft über die Schwächen von Gegnern oder den Zustand von Materialien gibt. Fotografierte Wandkarten werden übrigens in 3D umgewandelt, und tauchen sofort in der interaktiven Karte auf - klasse! Vorbildlich werden hier eure Position, Speicherpunkte und der nächste Auftragsort angezeigt, damit Orientierungsfrust erst gar nicht aufkommt. Die Terminals zum Speichern sind übrigens so reichhaltig verteilt, dass man nie in nervige Wiederholungszwänge kommt.

Aufrüsten ohne Ende

In Mammagos Werkstatt gibt's nicht nur coolen Raggae und lässige Nashörner, sondern jede Menge Ausrüstung für das Hovercraft. Ein Garant für die stetig hohe Motivation sind auch die vielen Möglichkeiten, sich finanziell, motorisch und kämpferisch zu verbessern: Ihr findet Herzen, die wie in Legend of Zelda eure Lebenspunkteanzeige erhöhen, könnt als Paparazzo euer Konto aufbessern oder in Höhlen und Gewässern nach Schätzen suchen. Und wenn ihr die kostbaren Perlen findet, lässt sich euer Hovercraft in einer Werkstatt vom armseligen Wellengleiter zur schnittigen Rennsemmel tunen - es gibt Sprung-Kits, Stabilisatoren oder Sternenantriebe. Und da immer wieder Angriffe von Aliens für Unruhe sorgen, sollte man sich auch schnell eine dicke Kanone mit mehrfacher Raketensuchfunktion zulegen.

Oder ihr investiert lieber in einen Detektor, um alle Perlen auf der Karte zu sehen. Oder in einen Sensor für versteckte Tiere? Oder einen Verstärker für Angriffe? Selbst Pey'J greift irgendwann zu Jet-Boots und packt den Turbo in die Sohle. Zwar erreicht das Arsenal an Gegenständen und Waffen nicht die explosive Vielfalt von Ratchet & Clank , aber die Upgrades reizen immer wieder dazu, alles zu erkunden.   

Fazit

Alte Liebe rostet nicht: Was habe ich dieses Spiel von Michel Ancel gemocht!. Endlich gab es mal eine weibliche Heldin mit Hirn und Charme, endlich erlebte man mal eine durchdachte Regie anstatt 08/15-Gekloppe. Wenn die ersten Szenen von Beyond Good & Evil auf der Xbox 360 laufen, merkt dieser nur leicht aufgepeppten HD-Version natürlich ihr Alter an. Auch der neu abgemischte Soundtrack kann darüber nicht hinweg täuschen. Ist ja auch schon sieben Jahre her, dass man mit der Reporterin unterwegs war. Selbst die höhere Auflösung sowie die leicht verbesserten Charaktere können natürlich nicht gegen aktuelle Textur- und Polygonhelden bestehen oder die Lücken in der Sprachausgabe schließen. Aber schon nach einer knappen Viertelstunde beginnt es wieder zu kribbeln. Spätestens nach einer halben Stunde kann man sich dem Charme der sympathischen Heldin und der ebenso witzigen wie gesellschaftskritisch hinterfragten Welt nicht mehr entziehen. Rayman-Erfinder Michel Ancel konnte damit endgültig bewiesen, dass er zu den ganz Großen der Branche gehört. Das Spiel hat eine unglaublich gute Story, bleibt ständig spannend, steckt voller kreativer Ideen und fesselt bis zum großen Finale. Selbst wenn man den Mix aus Rätseln, Kämpfen, Schleichen, Wettrennen und Aufrüsten auch woanders findet, werden die Teile nirgends zu einem derart lebendigen Ganzen verschweißt.  Beyond Good and Evil bezaubert auch heute noch mit einer Eigenschaft, die man in der Spieleflut selten findet: Seele. Und diese zeitlose Qualität sollte mehr als ein Grund für Ubisoft sein, nicht nur diesen Klassiker für 800 Microsoft Points frisch aufzulegen, sondern den Nachfolger mit aller Kraft weiter zu entwickeln.

Wertung

360

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