Retro City Rampage24.01.2013, Paul Kautz
Retro City Rampage

Im Test:

Wenn ihr älter als 30 Jahre alt seid: Kauft dieses Spiel! Wer wie ich einen brauchbar großen Teil seiner Videospieljugend in 8-Bit-Welten verbracht hat, der wird hier aus dem Referenzgackern nicht rauskommen. Wer jünger ist: Ihr werdet Retro City Rampage vermutlich hassen.

Grand Theft Pixel

Im Grunde seines Herzens ist RCR ein Simpel-GTA: Einen beachtlichen Teil seiner Zeit verbringt man damit, in Fahrzeugen herumzurasen oder zu Fuß um sich zu ballern.
Im Grunde seines Herzens ist RCR ein Simpel-GTA: Einen beachtlichen Teil seiner Zeit verbringt man damit, in Fahrzeugen herumzurasen oder zu Fuß um sich zu ballern.
Retro City Rampage (RCR) ist das, was normalerweise in dem „Früher war alles besser“-Seufzer enthalten ist. Nur komprimiert und angereichert. Mein erster „Wat? Ernsthaft?“-Lacher überkam mich, als ich sah, dass das ganze Spiel gerade mal 43 MB groß ist. Ja, „Megabyte“, geschätzte Käufer von Terabyte-Platten! Instinktiv wollte ich zu meiner Diskettenbox greifen, habe dann aber doch einfach den Download der Arcade-Version angeschmissen. Man wird ja nicht jünger, und damit fauler.

Die Mutter aller Referenzen

Was ist Retro City Rampage? In seinem Herzen ein pixeliges Grand Theft Auto. Wie das erste GTA, nur lange nicht so hübsch. Und nicht so interessant oder abwechslungsreich. Eigentlich ist RCR kein besonders gutes Spiel. Man jagt mit seinen Karren durch die große Stadt und überfährt dabei alles, was im Weg steht, liefert sich träge Ballereien mit Polizei, anderen Gangstern oder schlagkräftigen Zivilisten und klaut gelegentlich den einen oder anderen Fernseher. Super-simpel.

Aber in erster Linie ist das Spiel eine ausufernde Sammlung von Videospiel- und Popkultur-Referenzen. Allein in diesem Bild...
Aber in erster Linie ist das Spiel eine ausufernde Sammlung von Videospiel- und Popkultur-Referenzen. Allein in diesem Bild...

Aber jedem, der auch nur einen Blick auf das Spiel werfen konnte, dürfte klar sein, dass man sich das nicht für die tiefschürfende Handlung oder den überwältigenden Augenzucker zulegt. Sondern für denselben Grund, aus dem man auf dem Flohmarkt nach alten NES- und Master-System-Modulen sucht: Retro-Spaß Reloaded! Sowie natürlich Referenzen und Insiderwitze. Tonnen davon. Es ist im Grunde völlig unmöglich, eine auch nur ansatzweise vollständige Liste all das mehr oder weniger subtilen Anspielungen abzuliefern, die sich in RCR verstecken. GTA, Mario, Rambo, Frogger, Sonic, Bionic Commando, Metal Geaer Solid, Punch-Out, TMNT, Paperboy, MegaMan - selbst John Romero kommt in Form eines Cheat-Lieferanten vor! Nicht zu vergessen die Massen an Filmverweisen, von Zurück in die Zukunft über Bill & Ted und Ghostbusters bis zu Batman und A-Team. Wirklich alles, was in den 80ern/Anfang 90ern irgendwie Teil der Populärkultur war, findet sich mit Sicherheit in RCR. Und das ist eine verdammt beeindruckende Leistung!

Mehr Filter! Mehr Filter! Wir lieben Filter!

Mehr Spaß als eine Hose voller Wiesel: Das Herumexperimentieren mit den vielen, vielen Grafikfiltern!
Mehr Spaß als eine Hose voller Wiesel: Das Herumexperimentieren mit den vielen, vielen Grafikfiltern!

Nach dem leicht chaotischen Einstieg, der mit seinen langen und übertrieben gehäuft auftretenden Cutscenes Erinnerungen an die MGS-Reihe weckt, öffnet sich Retro City Rampage und wird zum kleinen GTA: Man kann frei durch die Stadt brausen und für Schrecken sorgen, oder sich um Neben- und Hauptmissionen kümmern. Oder einen Blick in „Nolan’s Arcade“ werfen, in dem absurde Minispiele erschreckend viel Zeit fressen können (Highlight: „Virtual Meat Boy“, entweder in Augenkrebs-Rot oder im Blau/Rot-3D-Modus). Oder man verbringt Zeit mit den heisigen Alternativen der GTA-„Rampages“: In „Toast of the Town“ muss man in so viele Leute wie möglich in  Brand versetzen und sich selbst noch Löschen, bevor das Zeitlimit den Exitus beschwört. In „Ill Mariachi“ möglichst viele Leute mit einer Klampfe kaputthauen. Bescheuert. Aber sehr unterhaltsam. Genau wie die putzigen Kleinigkeiten: Der Spieler heißt einfach nur „Player“, Entfernungen werden in Pixeln gemessen…

Zusätzlich zu den Missionen kann man sich die Zeit auch mit kleinen "Rampages" sowie putzigen Minigames vertreiben.
Zusätzlich zu den Missionen kann man sich die Zeit auch mit kleinen "Rampages" sowie putzigen Minigames vertreiben.

…aber das beste Feature für den Retro-Wahnsinnigen ist der schiere Overkill an Grafik-Optionen. Nein, keine Detailstufen oder Anti-Aliasing. Hier ist alles pixelig, klobig, farbarm und simpel. Vielmehr kann man nicht nur diverse Hintergründe wählen (Fernseher, Arcade-Kabinetts oder Game-Boy-Verschnitt), sondern vor allem auch mit verschiedenen Farbfiltern experimentieren. Und hier geht der Wahnsinn richtig los, denn an dieser Stelle dürften wirklich alle alten Säcke Pipi in den Augen haben: Der eine Filter lässt das Bild wie auf dem C-64 aussehen, der andere entspringt den rosa CGA-Zeiten, der nächste dem Virtual Boy, ein weiterer dem NES. Fantastisch!

Nicht ganz so fantastisch dagegen der Soundtrack: Ich finde es zwar putzig, dass man unter diversen Radiostationen wählen kann, aber aus allen der kleine SID-Spaß quillt. Aber irgendwie blieb mir während der vielen Stunden in Theftropolis keine einzige Melodie wirklich im Ohr. Handwerklich ist das Gedüdel absolut in Ordnung, aber die Melodien sind austauschbar.

Fazit

Retro City Rampage ist kein gutes Spiel. Es ist nett und unterhaltsam, aber gleichzeitig auch simpel, flach und hohl. Was es aber ist, ist eine verdammt gute Sammlung an Erinnerungen daran, was in den 80ern und 90ern irgendwie cool oder angesagt war, eine Liebeserklärung an die Ära der dicken Pixel und des Plastikpops. Die Unmengen an Anspielungen und Insiderwitzen sind kaum in Worte zu fassen, wer mit all dem Wahnsinn aufgewachsen ist, der hier an allen Ecken und Enden liebevoll durch den Kakao gezogen wird, kommt aus dem Gackern kaum heraus. Wer keinen Sinn für diese Ära hat, der kann und sollte die Finger von RCR lassen - das hier ist von einem Wahnsinnigen für viele Wahnsinnige gemacht, die sich die Passion Pixel teilen. Alleine mit den ganzen Grafikoptionen hier hatte ich mehr Spaß als mit der Gesamtheit von Far Cry 3.

Pro

absurd-großartige Retro-Präsentation
präzise Gamepad-Steuerung
beachtlicher Umfang
tonnenweise Anspielungen und Insiderwitze
viele Grafikoptionen
putzige Minigames
abwechslungsreiches Design
witzige Dialoge und Einzeiler

Kontra

belangloser Soundtrack
fummelige, nicht verstellbare Tastatur-Steuerung
erfordert viel Retro-Wissen für vollen Genuss

Wertung

360

Eine wahnwitzige Liebeserklärung an die Ära der großen Pixel - von Retro-Fanatikern für Retro-Fanatiker!

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