Im Test:
Wie in der Champions League
Ja, das war natürlich ein Seitenhieb auf FIFA 13. Aber den muss der aktuelle Platzhirsch aushalten. Denn das herausragende Merkmal von PES, diese situative Präzision, die gezielte Ballannahmen und Ballverwertungen auf engstem Raum möglich macht, ist gleichzeitig das Defizit der Konkurrenz, die wir gerade testen.
Was? Klar hat PES auch große Schwächen – aber eben nicht nur technisch, sondern auch auf dem Platz! Wie? Klar hat FIFA auch markante Stärken – aber nicht nur in der Präsentation, sondern auch auf dem Platz! Und damit sind wir mittendrin im aktuellen Fußballzweikampf, der weitaus differenzierter zu betrachten ist als mit den alten Klischees von der japanischen Seele da und dem EA-Kommerz dort. Es geht nicht um Schwarz und Weiß, sondern um die Graustufen, die für Spielspaß sorgen.
Das wollt ihr doch, oder? Dass wir so richtig hart gegen den Testball arbeiten? Genau das bekommt ihr auch, in Form eines vierteiligen Vergleichs aller relevanten Punkte sowie knallharter Analysen. Aber bei aller Liebe zu Zahlen und Statistiken geht es letztlich um die Faszination auf dem Rasen, die sowohl durch den Zauber am Ball als auch über das Mitfiebern eines ganzen Stadions entsteht. Diese Mischung aus Spielmechanik und Atmosphäre wirkt sich auf alle Modi aus, egal ob Turnier oder Pokal, Meisterliga oder Karriere. Dieser Test soll klar machen, warum sich Konami auf dem Platz steigern kann, woran es noch hapert, was sogar richtig nervt und warum wir richtig Spaß im und um den Strafraum herum haben.
Das elegante Dribbeln
Allerdings sind diese Manöver teilweise schwierig umzusetzen; selbst im lobenswerten situativen Training braucht man mehrere Anläufe. Auch, weil es leider peinlich penibel auf Abweichungen reagiert und teilweise verwirrend informiert – da widersprechen sich manchmal Anleitungstext und Anschauungsfilm. Und wer diese Dribblings in einer der ultraschnellen Online-Begegnungen meistert, darf sich wirklich auf die Schulter klopfen. Aber selbst wenn einem das Gefummel zu komplex ist, kann man mit der einfachen engen Ballführung über R2 genau jenen Raum in Bedrängnis gewinnen, den Lewandowski am Dienstag gegen Ajax ausgenutzt hat. Man hat also eine unheimlich präzise und effiziente Kontrolle. Und Konami bereichert auch das Spiel ohne Ball: Noch bevor man ihn annimmt, kann man sich entscheiden, was man als nächstes damit anstellt – es gibt also ein Antizipieren des Balles mit anschließender Aktion.
Das clevere Antizipieren
Zurück zur Antizipation: Wenn man hoch angespielt wird und die entsprechende Taste gedrückt hält, kann man sich die Pille zum anderen direkt für den Schuss zurechtlegen; sowohl als Brustablage als auch mit dem Fuß – sehr elegant. Wenn Benzema einen scharf geflankten halb hohen Ball mit links butterweich volley annimmt und mit rechts noch vor dem Bodenkontakt abschließt, hat das etwas Galaktisches. Einige Top-Stars sind wirklich sehr stark in diesen Manövern, aber wir können Entwarnung geben: Ja, sie sind auf dem Platz sehr wirkungsvoll, sie können richtige Solotänze durch die Abwehr hinlegen, die in FIFA 13 undenkbar sind, aber sie sind nicht übermächtig – man kann sie stoppen. Unterm Strich kann man festhalten, dass PES im 1-gegen-1 an Qualität und Spannung gewonnen hat.
Dynamischer Spielrhythmus
Konami strukturiert intern bereits für die Saison PlayStation 4 & Co um: PES soll moderner, europäischer und erfolgreicher werden. Dafür wechselt man Kompetenzen, verlegt Studios und bereitet hoffentlich etwas ganz Wichtiges vor: den längst überfälligen Engine-Wechsel. Vor allem die markanten Tempowechsel kennzeichneten den Kick im letzten Jahr. Allerdings wirkte das Geschehen oftmals zu überdreht und die Pille selbst etwas zu sprunghaft – wir nannten das Flippercharakter. Dieser Unruhe hat Konami ein entgegen gewirkt, denn der Spielaufbau ist etwas langsamer und die physikalischen Reaktionen bei Pressschlägen, Abprallern & Co wirken harmonischer. Aber das Feintuning hat nicht ausgereicht, denn es gibt immer noch unrealistisch explosive Zuspiele und Schüsse aus dem Stand, wenn der Ball raketenhaft über 50, 60 Meter jagt.
Auffällig ist, dass die Ausdauer keine allzu große Rolle spielt: Man kann quasi über 90 Minuten Vollgas geben, ohne dass Spieler spürbar an Geschwindigkeit verlieren. Gerade Online-Spiele fühlen sich manchmal an wie Eishockey, wenn es extrem schnell hin und her geht, rauf und runter, ohne Pause. Das mag sich extrem anhören, denn man kann ja auch Tempo rausnehmen, aber man hat das Gefühl, dass manche Spiele nur aus rasantem Konterfußball bestehen, weil die Pässe einfach so schnell Distanzen überbrücken. Das mag zwar über 90 Minuten wenig authentisch aussehen, sorgt aber für Spannung und Unberechenbarkeit.
Temporeiches Umschaltspiel
Man kann nach der Balleroberung hervorragend von Abwehr auf Angriff umschalten, indem man weite hohe Pässe oder scharfe diagonale Pässe in den Raum spielt. Wenn das klappt, ist dieser Kick ganz nah dran am modernen Angriffsfußball, zumal sich die Stürmer clever von alleine freilaufen. Wie gehabt kann man auch selbst eingreifen, um seine Außen nach vorne zu schicken oder gar selbst zu steuern; diese „Teammate Control“ bietet mehr Freiheit als FIFA 13, bleibt aber weiterhin etwas fummelig zu bedienen.
Das Schöne ist: Der schnelle Zug zum Tor ist kein Freifahrtschein für zweistellige Ergebnisse, denn auch die defensiven Automatismen haben sich spürbar verbessert. Die KI stellt Räume von alleine zu und fängt Pässe besser ab - dieses PES inszeniert wesentlich hartnäckigere Duelle im den Ball und die Schiedsrichter lassen viel Körperkontakt laufen, so dass es im Mittelfeld zu aggressiven Zweikämpfen kommt. Außerdem kann man sehr gut beobachten, wie sich die Abwehrreihe neu formiert oder mit nach vorne aufschließt, um die Abstände zu verringern. Die Verteidigung bildet also ein taktisches Gegengewicht zu all den offensiven Möglichkeiten. Sie verlangt allerdings mehr manuelle Aufmerksamkeit und Antizipation als in FIFA, weil man nicht so leicht in die Zweikämpfe kommt, weil vor allem das Abschirmen nicht so effizient ist und die Balleroberung mehr manuelles Timing verlangt – hier wurschtelt sich der Stürmer also eher durch als in den EA-Arenen.
Dieses Jahr kann man auf Wunsch jederzeit manuell passen: Dann zeigt ein Pfeil an, in welche Richtung der Ball gespielt wird, flach oder hoch. So kann man z.B. gezielt und druckvoll in die Lücken der Viererkette passen oder eben à la Barcelona zum schnellen Kurzpass-Tiki-Taka übergehen. Auch das braucht Übung, aber weil man immer die Option dazu hat, nutzt man diese Möglichkeit auch öfter. Auf diese Art kann man übrigens auch abschließen, also manuell aufs Tor zielen. Neu sind zudem die Flatterbälle: Wer aus der Distanz schießt, kann über erneuten Druck der Schusstaste für eine unangenehme Flugkurve sorgen. All das sind Kleinigkeiten, die vielleicht nicht immer auf Anhieb klappen, aber die PES aufwerten.
Schwachpunkt: Torhüter
Hinzu kommt, dass die Torhüter bei einfachen hohen Schüssen manchmal überreagieren: Sie setzen zu Flugeinlagen an, obwohl die komplett unnötig wären, weil sie die Pille einfach so aus der Luft pflücken oder bei Schüssen am Tor vorbei auch ganz wegbleiben könnten – das sieht manchmal lächerlich aus. Richtig ärgerlich ist das wilde automatische Rausrennen der Torhüter, die auch mal an die Seite des Strafraum spurten und den Kasten komplett offen lassen. Nicht falsch verstehen, sie sind kein Totalausfall: In vielen anderen Situationen agieren die Hintermänner sowohl abwehrsicher als auch elegant. Außerdem sind sie viel stärker beim Abwehren von Lupfern. Doch diese Szenen nagen an der Authentizität.
Schwachpunkt: Präsentation
Aber diese lobenswerte Quantität steht nicht immer für Qualität. Wie kann es z.B. sein, dass es beim Training so ein Tearing und so eine Kantenbildung auf den leeren Rängen gibt? Auch die sterile Präsentation von Meisterliga und Karriere ernüchtert – zu wenig Dramaturgie, zu unpersönlich, zu wenig Interaktion, dieselben öden Zwischensequenzen, zu lange Ladezeiten. Bei aller Liebe zur Langlebigkeit der Meisterliga sowie ihrem Online-Pendant: Gerade der Einstieg als Trainer ist statische Langeweile pur. Anstatt das Erlebnis mit einem internen Shop und Items von Hanteln bis Schuhen aufzuwerten, die man seinen Kickern quasi als Werteboost anlegen kann, sollte man da endlich die Regie grundlegend überarbeiten.
Auch das Spiel selbst wirkt im Vergleich zu FIFA immer noch etwas steril und hölzern, bei den Kollisionen nach Grätschen gibt es manchmal seltsame Stürze; hinzu kommen die altbekannten Clippings beim Jubel, wenn Hände durch Körper greifen oder Spieler durch Schiris marschieren. Es gibt aber auch lobenswerte Details: Schießt man z.B. einen Spieler mit voller Wucht an, sackt er kurz in sich zusammen – sehr schön.
Bayern und Schalke
Apropos: Schalker werden zum Start weder in der Veltins-Arena kicken noch originale Schlachtrufe wie „Attacke!“ hören. Und ganz schwach: Die Kader von Bayern und S04 sind nicht mal aktuell – Martinez fehlt z.B. bei den Roten, Jurado kickt noch bei den Blauen. Erst Mitte Oktober werden die Sommertransfers in einem Update berücksichtigt – ganz schwach, Konami. Wenn man doch nur zwei deutsche Clubs lizenziert hat, wieso kann man da nicht wenigstens alles rausholen? Bei den Spielergesichtern gibt man sich zumindest bei der Prominenz von Robben bis Huntelaar keine Blöße, während Holtby oder Dante (bei dem es so einfach wäre!) überhaupt nicht erkennbar sind und Ribéry bleich wie ein Zombie in die Kamera stiert. Trotzdem sehen die Profis im Kabinengang und beim Weg zum Anpfiff teilweise besser aus als in FIFA. Konami hat die Stadien übrigens um fünfzehn bis achtzehn auf 45 bzw. 48 aufgestockt und in der südamerikanischen Copa kommt nachts bei Flutlicht und bengalischem Feuer immerhin etwas Atmosphäre auf.
Online-Erfahrungen
Allerdings können sich das allgemeine Rangsystem (man wird in PES nach fünf Spielen parallel zu den Schwierigkeitsgraden z.B. als "Top-Spieler" eingeordnet ), die ganze Online-Struktur sowie die rudimentären Community-Features nicht mit der faszinierenden Club-Anbindung eines FIFA 13 messen, die für wesentlich mehr Identifikation sorgt. Sehr ärgerlich ist zudem, dass Konami die eigentliche Benutzeroberfläche mit ihren Widgets und Funktionen, die in der Anleitung beschrieben werden und die man über R3 erreicht, erst Mitte Oktober per Download freischaltet - parallel zum Start des Spiels in Japan. Dazu die Pressemitteilung:
"Mittels Tastendruck ist es nun einfacher denn je, Freunde für Online-Partien zu finden, und die Ergebnisse anschließend im ebenfalls neuen Ranking-System zu veröffentlichen. PES 2013 ermöglicht Matches für bis zu acht Spieler gleichzeitig, zudem fügt der Download dem Spiel neue Community Modi hinzu. So können Freunde nun automatisch aus einer vorab erstellten Liste ausgewählt werden; Communities haben zukünftig die Möglichkeit, sich und ihre Ergebnisse gegenseitig zu beobachten.
Das frei erhältliche Update schaltet auch die Herausforderungen der myPES Facebook App frei. Erzielte Erfolge werden damit direkt über das soziale Netzwerk präsentiert. Weitere Neuerungen umfassen die Möglichkeit, ein Spiel bereits nach Ablauf der ersten Halbzeit abzugeben. Auch treten Spieler der Meister Liga Online nun gegen ähnlich gerankte Teilnehmer eines neuen Rival Ranking Systems an."
Fazit
Ach, PES, du hässliche Ente. Komm endlich aus‘m Quark, leg die alten Federn ab und putz dich mal raus! Was könnte aus dir werden, wenn du mit neuer Engine durchstarten, authentische Fußballkultur in deinen Stadien sowie mehr Leben in deinen stocksteifen Spielmodi abbilden würdest? Du bist noch so weit weg von einer ausgezeichneten Fußballsimulation. Jetzt jammer nicht von teuren Lizenzen, denn die wenigen nutzt du nicht mal voll aus - selbst als Dortmunder vermisse ich authentische Fangesänge aus Herne-West. Und überhaupt: Wie soll ich nach diesem kritischen Einstieg die Kurve zur Begeisterung kriegen, hm? Deine inneren Werte sind ja dieses Jahr eindeutig stärker. Auf dem Platz begeistert mich der herrliche Offensiv-Fußball mit knackscharfen Diagonalpässen, rasanten Tempowechseln und dieser bittersüßen Unberechenbarkeit. Der Spielaufbau ist allerdings immer noch flipperanfällig, vor allem online geht es manchmal wie beim Eishockey hin und her. Dafür ist der Netzcode stabil und die KI wesentlich aufmerksamer. Deine größte Stärke: Tolle Antizipationen in der Ballannahme sowie individuelle Manöver, die für einzigartige Situationen sorgen – leider werden diese manchmal von den Torhütern zunichte gemacht. Aber hier kann ich den Gegner gezielt tunneln, mir den Ball für den Schuss elegant ablegen und jederzeit manuell passen. Das Spiel fließt nicht zäh, es läuft angenehm frei bei voller Kontrolle über den Ball. All das schreit nach Training, verlangt Skills, blitzschnelle Reaktionen und wenn der eine Pass dann durch die Viererkette jagt, wird man mit magischen Momenten belohnt. Kurzum: Sehr guter Fußball.
Pro
Kontra
Wertung
360
Trotz Stagnation in vielen Bereichen: Das ist besserer Fußball als letztes Jahr!
PC
Schwache Präsentation, aber tolle Antizipationen sowie individuellere Dribblings bereichern das Spielgefühl.
PlayStation3
Trotz ärgerlicher Altlasten und kleiner Schönheitsfehler: Das ist klasse Fußball mit vielen situativen Freiheiten!
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