Gears of War: Judgment21.03.2013, Michael Krosta
Gears of War: Judgment

Im Test:

Sehr geehrte Damen und Herren, wir sind heute in diesem Gericht zusammengekommen, um uns die Anklagepunkte anzuhören, sie zu entkräftigen oder zu belegen und schließlich genug Erkenntnisse zu gewinnen, um ein endgültiges Urteil über Gears of War: Judgment (ab 11,99€ bei kaufen) zu fällen. Den zahlreichen Geschworenen wird zwar das Recht eingeräumt, dieses Urteil im offiziellen Forum schriftlich anzufechten, doch ist eine Neuverhandlung des Ergebnisses nur in absoluten Ausnahmefällen denkbar und gilt in der Regel als ausgeschlossen.

Anklagepunkt 1: Epic hat die hauseigene Entwicklungsabteilung durch das polnische Studio „People Can Fly“ ersetzt, was zu einer Verschlechterung der Spielmechanik geführt hat.

Urteilsbegründung: Es ist korrekt, dass Epic nicht mehr federführend in die Entwicklung von Judgment involviert war. Dennoch wird schon nach wenigen Minuten Spielzeit deutlich, dass das Studio People Can Fly offensichtlich viel Code von Epic übernehmen und verwenden durfte. Judgment fühlt sich genauso gut an wie jedes andere Gears of War: Das Deckungssystem auf Knopfdruck ist intuitiv, die Action gewohnt intensiv und das damals innovative Nachladesystem mit Reaktionstest gehört immer noch mit zum Besten, was man in Actionspielen finden kann. Egal ob die Aufnahme von Boomer-Schilden, die Bedienung von Geschütztürmen, brutale Hinrichtungen oder ein Ausflug im Silverback: Der Entwicklerwechsel hat sich hinsichtlich der Spielmechanik in keiner Weise negativ ausgewirkt und Fans der Reihe werden das vertraute Wechselspiel zwischen Deckung und Ballern genauso lieben wie früher.

Urteil: FREISPRUCH

Anklagepunkt 2: Die KI ist nur rudimentär und hat mit einigen Problemen zu kämpfen.

Urteilsbegründung:

Die KI ist leider nicht sonderlich helle. Das gilt sowohl für Mitstreiter als auch die Locust.
Die KI ist leider nicht sonderlich helle. Das gilt sowohl für Mitstreiter als auch die Locust.
Es scheint tatsächlich der Fall zu sein, dass sowohl Gegner als auch die drei Mitstreiter nicht immer bei der Sache sind. Oft rennen die Locust wie Blindfische am Spieler vorbei und / oder reagieren gar nicht auf ihn, obwohl er sich direkt in ihrem Sichtfeld befindet. Strategisches Denken zählt ebenfalls nicht zu ihren Stärken: Anstatt geschickt zu flankieren und verschiedene Taktiken anzuwenden, stürmen sie meist einfach im Rudel auf das Kilo-Squad zu. KI-Mitstreiter im Kampf zu beobachten, hat oft schon Comedy-Charakter, wenn die Figuren unbeholfen aneinander vorbeilaufen oder sich im Kreis drehen. Meist eilen die Kameraden schnell herbei, falls man verletzt am Boden liegt und helfen sich auch gegenseitig wieder auf die Beine. Allerdings kommen sie nur selten auf die Idee, Geschütze selbst zu bedienen oder verweigern, Munition für automatische Verteidigungstürme aufzustocken. Die Wegfindung gibt ebenfalls Anlass zur Kritik, so dass man hin und wieder beobachten kann, wie einer der Kameraden immerzu gegen eine verschlossene Tür rennt oder auch mal an einer Deckung festhängt.

Urteil: SCHULDIG

Anklagepunkt 3: Die Hintergrundgeschichte ist kaum der Rede wert.

Urteilsbegründung: Die Story zählte nie zu den großen Stärken von Gears of War. Mit Judgment erreicht sie allerdings tatsächlich ihren Tiefpunkt: Sowohl die Handlung der Judgment- als auch der Nachspiel-Kampagne lässt sich in einem kurzen Satz zusammenfassen, auf den wir aber aufgrund möglicher Spoiler an dieser Stelle verzichten. Fest steht, dass zusätzlich zur Rahmenhandlung sowohl die Charaktere des Kilo-Trupps als auch der Locust-Antagonist sehr blass wirken. Zugutehalten muss man dagegen die gelungene Inszenierung in Form von zahlreichen Zwischensequenzen, die darüber hinaus dank professioneller Sprecher hervorragend lokalisiert wurden. Der Erzählstil, bei dem die vier Protagonisten manche Spielszenen rückblickend kommentieren, ist genauso positiv zu bewerten wie der Wechsel zwischen den Charakteren innerhalb der Judgment-Kampagne, auch wenn sie sich hinsichtlich ihrer Fähigkeiten leider nicht voneinander unterscheiden.

Urteil: SCHULDIG

Anklagepunkt 4: Das neue Belohnungssystem ist verantwortlich für Störungen im Spielfluss, ist zu sehr auf Arcade ausgelegt und lässt die Areale schrumpfen.

Urteilsbegründung:

Technik
Die Kulissen vermitteln zwar Größe, doch fallen die einzelnen Abschnitte sehr klein und damit kurz aus.
Mit dem Belohnungssystem bringen die Entwickler ohne Zweifel frischen Wind in die Reihe, obwohl man bereits im Vorgänger die Kampagne optional unter Arcade-Bedingungen spielen konnte. Hier werden jetzt für jeden Abschnitt Kills, Hinrichtungen sowie coole Aktionen und herausragende Leistungen addiert, so dass man am Ende mit bis zu drei Sternen belohnt wird. Wer zu oft zu Boden geht, muss dagegen mit Abzügen rechnen. In der Praxis erweist sich das neue System als sehr motivierend, was vor allem den „Deklassifizierten Varianten“ zu verdanken ist: Dabei handelt es sich um optionale Modifikatoren wie Beschränkungen auf bestimmte Waffentypen, Zeitdruck, eingeschränkte Sichtverhältnisse  oder starken Wind, um nur einige zu nennen. Mit ihnen wird der Abschnitt zwar härter, doch lassen sich im Gegenzug die Sterne schneller gewinnen. Nicht zu vergessen, dass durch diesen Kniff auch der Wiederspielwert steigt. Die Kehrseite der Medaille: Tatsächlich sind die Areale relativ klein und so kommt es häufig zu Unterbrechungen für Statistiken sowie die Punktevergabe für die Sterne, die man durchaus als störend empfinden kann. Zudem bekommt der Spielablauf durch diese Designentscheidung generell einen stärkeren Arcade-Touch, der nicht jedem schmecken dürfte. Wer es klassischer mag, wird mit der deutlich kürzeren Nachspiel-Kampagne entschädigt, die sich ab 40 Sternen freischalten lässt und parallel zur Handlung von Gears of War 3 wieder traditionelles Geballer und Leveldesign bietet. In diesem Anklagepunkt ein endgültiges Urteil zu fällen, ist nicht leicht: Die Kritikpunkte hinsichtlich kleiner Areale und den vielen Unterbrechungen sind berechtigt und nachvollziehbar, doch geht auf der anderen Seite eine faszinierende Motivation von dem neuen System und den meist erfrischenden, wenn auch mit der Zeit redundanten Modifikationen aus. Deshalb „in dubio pro reo“...

Urteil: FREISPRUCH

Anklagepunkt 5: Den Kampagnen mangelt es an Höhepunkten und Abwechslung.

Urteilsbegründung:

Zwar keine Bizeps wie Oberschenkel, doch auch die zierliche Dame Sofia teilt ordentlich aus.
Zwar keine Bizeps wie Oberschenkel, doch auch die zierliche Dame Sofia teilt ordentlich aus.
Einen Hauch von Horde-Flair in die Kampagnen zu bringen, indem man automatische Geschütze platzieren und mehrere Gegnerwellen abwehren muss, erweist sich als Bereicherung - aber auch nur deshalb, weil in den sieben bis neun Stunden sonst nicht viel geboten wird, was von der gewöhnlichen Locust-Säuberung abweicht. Vorbei sind die Zeiten, in denen coole Schienenabschnitte das Geschehen auflockerten oder man angesichts gigantischer und fordernder Bossgegner vor Ehrfurcht erstarrte. Abgesehen von den gelungenen Deklassifiziert-Optionen läuft bei Judgment zu viel nach Schema F ab - zwar auf einem durchweg guten Niveau, aber ohne große Überraschungen, Höhepunkte oder gar Wow-Momente, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Das Finale der Nachspiel-Kampagne ist gar eine herbe Enttäuschung, genau wie die zwischenzeitlichen Stumpfsinn-Ballereien gegen die „Erleuchteten“ im Stil von Serious Sam. Die Schauplätze tragen ebenfalls zur Ernüchterung bei: Zwar fallen die Besuche am Strand, kleinen Wohnvierteln, einer Militärakademie sowie weiteren Orten abwechslungsreich aus und auch technisch beeindruckt die Unreal-Engine wieder mit flüssiger Darstellung, detailreichen Kulissen und überragenden Licht-/Partikeleffekten. Als störend erweisen sich nur das vereinzelt starke Kantenflimmern und die mangelhafte Kollisionsabfrage, wenn das Team durch Leichen hindurch wandert oder mal ein Kamerad im Boden versinkt und deshalb nicht gerettet werden kann. Aber es fehlt das Besondere, vergleichbar mit dem Metzeln durch die Innereien eines gigantischen Wurms, ein Abstecher in die mysteriösen Höhlen der Locust oder eine Schienensequenz, die aus den Socken haut. Das Gericht sieht es daher als erwiesen an, dass das Kampagnen-Doppelpack aufgrund der genannten Schwächen qualitativ nicht an seine Vorgänger heranreichen kann und der Spielverlauf mangels Abwechslung von einer gewisse Monotonie geprägt ist, bei der Abnutzungserscheinungen ebenfalls eine Rolle spielen dürften.  

Urteil: SCHULDIG

Anklagepunkt 6: Ohne Horde und Beast ist der Mehrspielermodus unbrauchbar geworden.

Urteilsbegründung: Es ist ohne Zweifel bedauerlich und grenzt schon an Dummheit, dass die neuen Entwickler den populären Horde 2.0-Modus und Beast als unterhaltsames Gegenstück kurzerhand gestrichen haben. Doch deshalb den Mehrspielermodus als unbrauchbar abzustempeln, sieht das Gericht als maßlose Übertreibung an. Warum? Weil zum einen mit dem neuen Overrun-Modus eine gute Alternative geboten wird, die einige Elemente der Streichkandidaten vereint: Hier schlüpft man abwechselnd in die Rollen von Locust oder KOR-Soldaten und muss ein versiegeltes Loch der Locust oder andere Objekte wie einen Generator in der befestigten Anlage entweder erobern bzw. zerstören oder aber beschützen. Während man auf der Locust-Seite diverse Rollen wie Ticker oder Grenadiere übernehmen und gewonnene Punkte sogar in mächtigere Biester wie Boomer investieren kann, hat man als Kämpfer der KOR die Wahl zwischen den vier Klassen Pionier, Soldat, Späher und Sanitäter. Es herrscht also eine stärkere Aufgabenverteilung, so dass manche Spieler mit dem Errichten von Verteidigungs- oder Radaranlagen beschäftigt sind, währende andere Munitionskanister bereitstellen oder medizinischen Versorgung leisten. Jedes Match erstreckt sich maximal über drei Ausschnitte auf der Karte, bevor die Seiten gewechselt werden. Welches Team sein Ziel am schnellsten (oder überhaupt) erreicht hat, wird als Sieger gekürt. Ein sehr unterhaltsamer neuer Modus, der eine gute Aufteilung und Zusammenarbeit erfordert!

Neu
Der Overrun-Modus ist klasse und verbindet Elemente von Horde 2.0 und dem Biest-Modus.
Klassiker wie das neu hinzugekommene „Jeder gegen jeden“, Herrschaft oder das „Team Deathmatch“ sorgen ebenfalls für jeder Menge Spaß auf meist großen und gut designten Karten, auf denen sich bis zu zehn Teilnehmer austoben können - und das sowohl in Ranglistenspielen als auch schnellen Partien oder in privaten Lobbys. Wer offline "trainieren" möchte, kann außerdem gegen Bots antreten. Das Highlight der Versus-Auswahl ist und bleibt aber der neue Overrun-Modus! Ähnlich gestrickt ist Survival - mit dem Unterschied, dass man sich hier nur kooperativ als KOR-Team den zehn Locust-Wellen stellt, die selbstverständlich immer stärker werden. Daneben lässt sich auch die Kampagne wieder gemeinsam mit vier Spielern meistern - selbst am geteilten Bildschirm darf ein Duo loslegen. Darüber hinaus wird auch System Link als Option zu den Onlinematches angeboten - bravo. Anstatt die Mehrspielerkomponente  also aufgrund manch unglücklicher Designentscheidungen generell abzustrafen, sollte man lieber Overrun eine Chance geben und sich an den spannenden Schlachten erfreuen, auch wenn in einigen Modi nur magere vier Karten angeboten werden. Tatsächlich hat sich die Mehrspielerkomponente sehr positiv auf das Gesamturteil ausgewirkt!        

Urteil: FREISPRUCH

Anklagepunkt 7: Microsoft versucht, den Kunden durch verstärkten Einsatz von Mikro-Transaktionen das Geld aus der Tasche zu ziehen und sie zu bevorteilen.

Urteilsbegründung: Das globale Rangsystem, das Erfahrungspunkte der Kampagne und Mehrspieler-Modi addiert, schaltet u.a. neue Uniformen und Waffen-Skins frei. Für den Großteil der Inhalte bittet Microsoft aber wie im Vorgänger zusätzlich zur Kasse. Hier setzt man allerdings noch einen drauf und bietet zeitlich begrenzte XP-Boosterpakete an, mit denen man gegen Bezahlung die doppelte Anzahl der erspielten Erfahrungspunkte erhält und entsprechend schneller im Rang aufsteigt. Was Microsoft vor der Verurteilung rettet: Mit dieser Investition verschafft man sich keinerlei spielerische Vorteile, da für Rangaufstiege lediglich weitere Skins als Belohnung warten.

Urteil: FREISPRUCH auf Bewährung

Fazit

Erheben Sie sich für die Verkündung des Urteils: Obwohl einige Anklagepunkte bei genauer Betrachtung entkräftet werden konnten, ist es dem 4P-Gericht nicht möglich, den Angeklagten Gears of War: Judgment vorbehaltlos freizusprechen und ihm eine Verdienstmedaille zu verleihen. Trotz frischer Ansätze - allen voran die optionalen Deklassifizierungs-Modifikatoren - und der bewährten Mechanik schafft es People Can Fly nicht, die beiden Kampagnen durch spielerische Höhepunkte, Abwechslung oder eine packende Geschichte aufzuwerten. Als Folge dessen ist Judgment in dieser Hinsicht als Rückschritt innerhalb der Reihe zu betrachten, obwohl die blutigen Gefechte gegen die Locust auch dank manch neuer Wummen immer noch ein gewisses Spaßpotenzial beinhalten. Letzteres kann sich allerdings erst in den Mehrspielermodi richtig entfalten: Nicht nur die durchschnittlichen Kampagnen gewinnen durch den Koop-Aspekt an Reiz, auch die Versus-Gefechte sind ein Freudenfest und der Hauptgrund, weshalb das Gericht mildernde Umstände walten lässt. Vor allem der neue Overrun-Modus überzeugt, obwohl er keine Entschuldigung für das Streichen von Horde- und Beast-Partien sein kann, die schmerzlich vermisst werden. So bleibt es bei einem Freispruch unter Auflagen. Unter anderem wird erwartet, dass sich die Marke bei ihren nächsten Auftritt unbedingt wieder steigern muss – ansonsten droht bei der nächsten Verhandlung eine wesentlich härteres Urteil.

Pro

zwei Kampagnen (auch im Koop spielbar!)
interessante Erzählstruktur
bewährte Gears-Action
wechselnde Spielfiguren...
mitunter coole Modifikatoren (Deklassifiziert)
motivierendes Belohnungssystem (Sterne, Bänder etc.)
ordentlicher Umfang
starke Zwischensequenzen
sehr gute Lokalisierung
beeindruckende Kulissen und Grafikeffekte
abwechslungsreiche Schauplätze
einige neue Waffen & Gegnertypen
erstklassige Mehrspieler-Gefechte
geteilter Bildschirm für zwei Spieler
sehr guter Netzcode
Bots zuschaltbar
System Link wird unterstützt

Kontra

fehlende Höhepunkte innerhalb der Kampagnen
Spieldesign oft zu eingeschränkt und eintönig
kleine Areale und viele Unterbrechungen (Judgment)
...die sich aber spielerisch nicht voneinander unterscheiden
einige dumme KI-Aussetzer (Wegfindung, Aufmerksamkeit)
Hintergrundgeschichte nicht der Rede wert
kein Horde 2.0 und Biest-Modus mehr
noch stärkerer Einbindung von Mikrotransaktionen (XP-Pakete)
fehlerhafte Kollisionsabfrage
wenige Karten (insgesamt acht, je nach Modus nur vier)
zu viel dämliches "Serious-Sam-Geballer" (Nachspiel-Kampagne)
extrem schwaches Finale (Nachspiel-Kampagne)

Wertung

360

Die Kampagnen sind solide, fallen aber hinter den Vorgängern zurück. In den Mehrspielergefechten ist Gears top wie eh und je!

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