Bound by Flame09.05.2014, Mathias Oertel
Bound by Flame

Im Test: Die Köche, der Brei und das Chamäleon

In der Zeit nach Dark Souls 2 lassen die ganz großen Rollenspiele noch auf sich warten: Der Witcher taucht erst nächstes Jahr wieder auf. Und bis die Inquisition des Drachen-Zeitalters ihre Arbeit aufnimmt, muss man sich noch bis September gedulden. Kann Bound by Flame (ab 1,33€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) von Spiders Studio (Mars War Logs) die Lücke schließen?

Das dämonische Rollenspiel-Chamäleon

Wer von euch kennt das Buch "Chamäleon Kunterbunt" von Eric Carle? Darin geht es um ein Chamäleon, das von den Eigenschaften anderer Tiere in einem Zoo so begeistert ist, dass es diese nachahmt. Und zum Schluss ist es von allem etwas, hat aber auch seinen Charakter verloren. Bound By Flame (BBF) ist genauso. Es bedient sich weitgehend schamlos bei allem, was in den letzten Jahren für Freude bei Rollenspielern gesorgt hat und versucht, es für sich zu vereinnahmen. Das beginnt bereits bei der stereotypen Geschichte: Ein Fantasy-Reich wird von einer dunklen Armee bedroht. Dabei handelt es sich zwar nicht um Halb-Orks, die von einem gewissen Saruman geführt werden. Doch tauscht man die Orks mit Untoten und Saruman mit Schwarzfrost, kommt man den Verhältnissen sehr nahe. In der Rolle des Söldners Vulcan in Diensten der Freien Klingen, der übrigens unabhängig vom gewählten Namen und Geschlecht von allen Figuren nur mit "Vulcan" angesprochen wird, muss man versuchen, dem nekromantischen Eisfürsten ein Ende zu setzen. Klingt bekannt? Ist es auch - zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem man durch ein missglücktes Magie-Experiment von einem Dämon besessen wird. Dieser schenkt einem nicht nur die Kraft der Feuermagie, die man neben einem Zweihandschwert und zwei schnellen Dolchen nutzen kann, sondern beglückt einen auch immer wieder mit philosophischen Diskursen. Und wie es sich für einen Dämon gehört, übernimmt er auch hin und wieder die Herrschaft über den Gastkörper, um seine Stimme nicht nur im inneren Dialog, sondern auch für die Umstehenden zu Gehör zu bringen.

Der 6000 Jahre alte Mathras ist in einer Horde austauschbarer Mitstreiter eine interessante Ausnahme und belebt die Gespräche immer wieder mit süffisanten Kommentaren.
Aber offensichtlich hat Spiders nicht auf dieses Element vertraut. Der Dämon und der Konflikt, in den er die Hauptfigur stürzt, werden nur punktuell beleuchtet. Die geheimnisvollen Beweggründe der hermaphroditischen Gestalt, der man leider zu selten in einer Art Zwischenwelt begegnet, verlieren sich irgendwann. Sie werden ersetzt durch Story-Versatzstücke, die man aus anderen Spielen oder Büchern kennt: Die unerfahrene Magierin, die böse (?) Hexe, der Hauptmann, der nach Samurai-Manier in Ehre besiegt werden muss, damit man den Trupp übernehmen kann. Alles wird solide, aber vorhersehbar eingesetzt. Dabei hat der Dämon nicht nur eine erzählerische Funktion, die leider verschenkt bzw. unter Wert verkauft wird. Er soll sich auch auf die Hauptfigur auswirken - quasi eine Variante eines Moralsystems, wobei ein Wachsen der Macht des Dämons sich spielerisch niederschlagen soll. Generell ist diese Idee gut. Nur wieso findet dies nicht graduierlich statt, z.B. wenn man die vom Dämon spendierte Feuermagie nutzt? Man hätte damit im Kampf einen großen Vorteil, muss aber dafür seine Menschlichkeit aufs Spiel setzen - und gewisse Annehmlichkeiten wie die Option, Helme zu tragen, was natürlich nicht geht, wenn einem Hörner wachsen, die aber verbesserte Mana-Regeneration erlauben. Stattdessen finden diese Veränderungen in erster Linie als Ergebnis bestimmter Ereignisse oder Dialoge statt. Da wäre viel mehr drin gewesen. Vor allem auch, da dieses Dämonenelement das einzige Eigenständige in diesem Titel ist - obwohl gewisse Ähnlichkeiten zum ersten Fable-Spiel nicht von der Hand zu weisen sind.

Reichhaltiges Rollenspiel-Buffet

Keine Angst vor großen Tieren: Das Kampfsystem setzt den Fokus nicht auf Massenkämpfe, sondern auf konzentrierte Scharmützel gegen kleine Gruppen.
Denn mit den restlichen Inhalten sind wir wieder beim Chamäleon - oder bei einem All-you-can-eat-Buffet, dessen Basis-Rezepte von Bioware, From Software, Lionhead und CD Projekt Red geschrieben wurden. Das Kennenlernen von Figuren, den Aufbau sozialer Bindungen zu ihnen bis hin zu Romanzen und ihre aktive Teilnahme im Kampf kennt man aus Dragon Age. Das geht sogar so weit, dass die Hexe Edwen, die man aus einer misslichen Lage befreit, die weißhaarige Schwester Morrigans sein könnte. Und damit ist Spiders für mich zu dicht an der Inspiration. Denn auch, wenn hier einige Entwickler mit von der Partie sind, die u.a. schon an dem Hack&Slay Silverfall beteiligt waren, sind diese Schuhe mindestens eine Nummer zu groß.

Das zeigt sich auch am Dialog-System, mit dem man Bioware nacheifert. An der Oberfläche gibt es sehr viele gesprochene Textzeilen, die bis auf wenige Ausnahmen keine akustischen Totalausfälle in den Gehörgang spülen und nur selten Schreibfehler in den Untertiteln haben. Doch Dialogbäume mit sich verzweigenden Ästen und ggf. Einbahnstraßen, die kein Zurück mehr erlauben, sind die Seltenheit. Zudem sind die Gespräche sehr langatmig inszeniert, so dass die durchaus interessanten Inhalte bei den meisten leider auf taube Ohren stoßen dürften. Immerhin: Kommt man doch mal an eine Abzweigung im Laufe des Gespräches, hat diese meist Auswirkungen auf den Ausgang der Mission oder sogar des Kapitels. Hier verscherzt man es sich mit der Sympathie einzelner, die einen fortan weitgehend ignorieren - es sei denn, sie müssen für eine Quest mit einem sprechen. Dort schafft man es nicht, innerhalb des Dialogs den Verräter zu ermitteln, der ungesehen entkommt. Figuren sterben oder gehen verloren. Und nicht zuletzt kann man über die Gespräche den dämonischen Zugriff festlegen. Aber das hatten wir ja schon.

Woanders schmeckt's besser...

Auch die prinzipielle Erzählstruktur mit Prolog und den darauf folgenden, jeweils an anderen Orten stattfindenden Akten kennt man – und zwar aus The Witcher 2. Eine weitere Parallele zu CD Projekts Kampfmagier ist der Schauplatz Valvenor aus Akt 1. Wie in Flotsam wartet hier die Hauptanzahl der Nebenmissionen - interessanter als in den nachfolgenden Akten, die insgesamt ca. 15 bis 20 Stunden eurer Zeit in Anspruch nehmen, sind die Aufgaben auch. Die größtenteils schlauchigen, ab und an etwas mehr Erkundungsspielraum gewährenden Abschnitte hingegen erinnern an Mass Effect - unsichtbare Mauern, durch die man abgeblockt wird, inklusive. Zwar bekommt Bound By Flame nur in seltenen Momenten einen ganz eigenen Charakter und schafft es nur ebenso selten, an die Qualität der Vorbilder heranzukommen. Doch gleichzeitig hat man stetig ein Gefühl der Vertrautheit, das einem wenigstens vermittelt, die Zeit mit diesem Spiel ordentlich angelegt zu haben.

Das beschleicht einen übrigens auch bei der Kulisse: Mit ihren leichten schwarzen Comic-Umrandungen, den grellen Lichteffekten und den klaren Farbstrukturen in der Umgebung erinnert sie mich an was? Klar: Silverfall. Und da seinerzeit bereits das fantasievolle Grafikdesign eines der definierenden Elemente des ansonsten herkömmlichen Hack&Slays war, kann ich Bound By Flame diesen Stil nicht übel nehmen - auch wenn man durchaus extremer Richtung Comic hätte gehen können. Was ich Spiders allerdings übel nehme: Die PC- und PS4-Versionen sind der 360-Version (PS3 lag zum Test

Die Bosse haben es in sich. Gut, dass die Gefährten auch als Ablenkung funktionieren.
leider nicht vor) nicht so weit voraus, wie ich es mir wünschen würde. Ja: Die Bilder sind schärfer als auf der niedriger aufgelösten Microsoft-Konsole der letzten Generation. Und die Entfernung, in der auf Rechenknecht und Sony-System die Elemente deutlich sichtbar in die Umgebung "gepflanzt" hätten, ist größer. Doch im Wesentlichen liegen die verschiedenen Versionen gleichauf - auch was die ausdrucksarme Mimik angeht können die Highend-Fassungen sich nicht so weit absetzen, als dass sie eine bessere Wertung einheimsen.

Zwischen Dark Souls und Splinter Cell

Immerhin: Das Kampfsystem hinterlässt einen durchdachten und beinahe eigenständigen Eindruck. Allerdings hat sich Spiders gut angeschaut, was Titel wie Dark Souls oder der Witcher gemacht haben und versucht, einen Kompromiss zu schaffen. In der Praxis sieht das so aus: Man kann per Tastendruck zwischen zweihändigen Waffen wie Großschwertern, Hämmern oder Äxten sowie schnellen dual geführten Dolchen wählen, die auch jeweils ihren eigenen Fähigkeitenbaum in der Charakterentwicklung besitzen. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Mit Zweihand-Prügeln kann man z.B. Schilde der Gegner brechen und mit gutem Timing aus einem Block heraus einen Konter starten - Parallelen zu From Softwares düsteren Ausnahmerollenspielen der Souls-Serie drängen sich auf, auch weil man hier ebenfalls auf Scharmützel gegen wenige, aber normalerweise gefährliche Gegner setzt. Mit Dolchen ist man schneller und hat zudem die Option, feindlichen Angriffen aus dem Weg zu springen (abermals Timing nötig) und kann danach eine Schlagkanonade landen. Kombos, bei denen man von Zweihand ohne Unterbrechung auf Dual wechselt, gibt es nicht. Dafür allerdings die vom Dämon gewährte Feuermagie, die man als Ball aktiv auf die Gegner hetzen, aber auch nutzen kann, um seine Waffen temporär zu Feuerklingen zu machen. Durch Gegner, die anfälliger auf das eine oder andere reagieren, wird man zum Wechsel gezwungen - schön!

Die Fantasy wird routiniert und stereotyp inszeniert.
Weniger schön ist allerdings, dass die Zusammenstellungen der Feinde und ihrer Angriffsschemata häufig zu wenig Zeit für Reaktionen lässt. Vor allem, wenn man alleine unterwegs ist oder die passabel kämpfenden Mitstreiter für den Kampf das Zeitliche gesegnet haben (nach dem Ende der Auseinandersetzung werden sie wiederbelebt), können Angriffe von der Seite oder Kombinationen bestimmter gegnerischer Aktionen schnell dafür sorgen, dass man wieder am letzten Kontrollpunkt einsteigen muss. Insbesondere wenn die in den Gefechten träge und immer wieder manuell zu justierende Kamera mal wieder nicht mitspielt und man die Angriffe nicht kommen sieht, so dass man keine Gelegenheit hat, zu kontern oder zu blocken, wächst der Frust. Der wird jedoch minimiert, während die Spannung gleichzeitig gesteigert wird, wenn man sich die Schleichmechanik zu Nutze macht, die mit den beiden Dolchen geliefert wird. Denn schafft man es z.B., sich an die schwächeren Gegner wie z.B. Bogenschützen heranzuschleichen, kann man ihnen mit einem Angriff den Garaus machen - im Idealfall unbeobachtet von den anderen Feinden. Selbst härtere Kontrahenten lassen sich durch einen Hinterrücks-Angriff massiv schwächen, so dass man das Ungleichgewicht zu seinen Gunsten verändern kann.

Gekauft oder selbstgemacht?

Zusätzlich kann man sich noch Vorteile verschaffen, wenn man mit besserer Ausrüstung unterwegs ist. Die kann man zum einen beim Händler gegen schwer verdientes Gold kaufen. Idealerweise sucht man jedoch in den Landschaften nach Truhen oder erfüllt Nebenquests, die häufig mit neuen Waffen oder Rüstungsteilen aufwarten. Und nachdem sich das Team ohnehin bei vielem frei bedient hat, verwundert es auch nicht, dass sie im eigenen Hause wildern. Das vor einem Jahr erschienene Mars: War Logs (PC-Wertung: 61%) hatte einige Schwächen, doch das Handwerkssystem, das hier in abgewandelter Form ein Wiedersehen feiert, war gelungen. Die meisten Gegner hinterlassen Beute in Form von Leder oder Metallen, aber auch Blut und andere Rohstoffe. Diese kann man nun nicht nur "intern" aufwerten und so aus Rohmetall irgendwann Verderbten Stahl herstellen. Oder man fertigt sich einfach selbst einen Heiltrank oder Armbrustbolzen, wenn man sein Gold sparen möchte.

Je nachdem, was man im Gepäck hat, kann man bei den meisten Ausrüstungsgegenständen die freien Einschübe füllen. Diese wiederum verändern nicht nur das Aussehen des jeweiligen Objektes, was sich lobenswert auch am Charakterzeigt, sondern auch dessen Eigenschaften bzw. dessen Auswirkungen auf die Figur. So kann man z.B. den Magiewiderstand

Gruppenbild mit Halbdämon.
erhöhen, Elementschaden, die automatische Heilungsrate oder die Chance für kritische Treffer vergrößern usw. Allerdings kann man nicht überall frei aus allen Auswahlmöglichkeiten schöpfen. Pro Ausrüstungsupgrade wird der Pool an Optionen vorgegeben und ist zudem von unterschiedlichen Rohstoffen abhängig. Dennoch zeigt sich das Handwerkssystem sehr flexibel (nicht benötigte Waffen oder Rüstungen lassen sich auch zerlegen statt verkaufen) und gibt einem die Möglichkeit, seine angelegte Ausrüstung für die präferierte Spielweise zu optimieren.

Fazit

Jede Zutat dieses Rollenspiel-Eintopfs ist gut ausgewählt. Und doch hat Bound by Flame Probleme: Das Kampfsystem setzt auf einen gewagten, aber gelungenen Spagat aus Dynamik und Konter bzw. Paraden, wird aber von der maroden Kameraführung und fiesen Gegnerzusammenstellungen torpediert. Erzählerisch kocht man auf Sparflamme und bietet ein stereotypes Zombie-Herr-der-Ringe mit bekannten Archetypen und nur punktuell interessanten Nebenfiguren wie Morrigan-Verschnitt Edwen. Die Level-Strukturen sind ähnlich linear und schlauchig wie die Dialoge. Bei der Kulisse bedient sich Spiders der Comic-Ansätze, mit der einige Mitglieder des Teams bereits bei Silverfall für stimmungsvolle Schauplätze gesorgt haben. Das gelingt hier ebenfalls, wobei es auch PC und PS4 nicht schaffen, ein zeitgemäßes Bild abzuliefern. Aber: Es klickt beim Zusammenspiel aller mechanischen bzw. erzählerischen Elemente nicht - oder zu selten. Man ahnt immer, wo Spiders hin möchte, ab und zu kommt es zu einem emotionalen, dramatischen oder spielerischen Highlight. Aber das Team schafft es nicht, sich aus dem Durchschnitt zu kämpfen. Sinnbild dessen ist das vollkommen verschenkte Potenzial des vom Dämon besetzten Protagonisten. Anstatt das einzige frische Stilmittel sowohl erzählerisch als auch spielerisch für mehr als A- oder B-Entscheidungen bzw. den konsequenzfreien Einsatz von Magie zu nutzen, verkommt es nur zu einer Randnotiz.

(Anm. d. Red.: Die PS3-Version stand zum Testzeitpunkt nicht zur Verfügung)

Pro

dynamisches Kampfsystem schafft Spagat zwischen Action und taktischem Konter/Block
flexibles Crafting-System für Rüstungs- und Waffenergänzungen
vom Dämon besessener Protagonist eine interessante Idee...
KI-Figuren kämpfen ordentlich mit
Schleichen und "Stealth-Kills" möglich
drei Kampfstile (Zweihand, Dual-Dolche, Magie)
passable Charakterentwicklung

Kontra

stereotype Fantasy-Welt wird erzählerisch nicht genutzt
mitunter frustrierende Gegnerzusammenstellungen und marode Kamera in Kämpfen
... die weder spielerisch noch erzählerisch das Potenzial ausschöpft
keine Dialogbäume, sondern größtenteils "Gesprächsschienen"
schlauchige Abschnitte bieten nur wenig Erkundungsspielraum

Wertung

360

Solider Rollenspiel-Mix mit dynamischem Kampfsystem.

PC

Bound By Flame setzt großteils auf bekannte Versatzstücke, doch der Rollenspiel-Mix nutzt das Potenzial nicht aus.

PlayStation4

Passabler Rollenspiel-Mix bekannter Versatzstücke, der allerdings viel Potenzial liegen lässt.

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