Assassin's Creed 4: Black Flag29.10.2013, Mathias Oertel
Assassin's Creed 4: Black Flag

Im Test:

Ubsioft bildet mit der Assassin's-Creed-Serie ein breites Spektrum an Themen und Epochen ab. Man zog mit Altair durch die Zeit der Kreuzzüge, hat sich mit Ezio in der italienischen Renaissance herum getrieben und wurde mit Connor zuletzt Zeuge der amerikanischen Unabhängigkeit. Jetzt darf man in die Karibik segeln und mit Piraten kämpfen.

Bitte was?

An die Kreativschreiber von Ubisoft: Was habt ihr euch bloß gedacht? Ich weiß, dass vielen die zweite Erzählebene der Serie egal ist. Also der in der Gegenwart schwelende Kampf zwischen Templern und Assassinen, der sich in der Auseinandersetzung zwischen Abstergo und Desmond Miles manifestierte. Für mich hingegen war sie immer das Sahnehäubchen. Ich fand von Teil 1 an häufig interessanter, was in der Gegenwart zwischen Templern und Assassinen passierte, als die Vergangenheitserlebnisse von Ezio & Co. Aber euch ist nichts Besseres als dieser Murks für Assassin's Creed 4 (AC4) eingefallen, um diesen Konflikt weiterzuführen? Ernsthaft? Man muss als anonymer Angestellter von Abstergo Entertainment (dem Spieleproduktions-Zweig Abstergos) mit einer der Oculus-Brille nicht unähnlichen Apparatur als Mini-Animus in der DNA von Subjekt 17 (Desmond Miles) nach Erinnerungen suchen, damit diese als Basis für ein Videospiel verwendet werden? Fünf Jahre habe ich die Mythologie verfolgt und gegen alle Anfeindungen von außen verteidigt. Und jetzt dreht ihr mir eine lange Nase, tut so, als ob all das nur ein böser Traum wie J.R.s Ermordung in Dallas war und erfindet einfach eine neue Geschichte?

Sind jetzt alle Ereignisse, die man mit Desmond und den anderen Meuchlern von Altair bis Connor erlebt hat, auch nur irgendwelche Erinnerungen, die von Abstergo in ein Spiel gepresst wurden? Warum versucht ihr, über fünf Spiele glaubhaft und nachvollziehbar zu erklären, dass der Kampf zwischen Assassinen und den Templern sich nicht nur durch die Vergangenheit, sondern auch durch die Gegenwart zieht, wenn ihr im sechsten alles ad absurdum führt?

Keine Piraten ohne Seeschlachten und Kaperfahrten.
Keine Piraten ohne Seeschlachten und Kaperfahrten.
Wo ist das Düstere, das Bedrohliche geblieben, mit dem sich Desmond auseinandersetzen musste? Über Jahre wurden die Animus-Geräte als sperrige High-Tech-Liegen vorgestellt, man wird sogar durch Laborhallen geführt, in denen ein Gerät neben dem anderen steht. Und jetzt - zeitlich scheinbar nur kurz nach den Gegenwarts-Geschehnissen von AC3, gibt es den Animus als portable Brille?Selbst Apple schafft solche technologischen Sprünge nicht. Ich bekomme das Gefühl, dass ihr die Geschichte und ihre Ursprünge selbst nicht ernst nehmt. Und damit kann ich es nicht mehr ernst nehmen. Es werden über skurrile und mitunter weit hergeholte Anspielungen oder Anmerkungen zwei Ebenen vermischt, die nicht miteinander vermischt werden sollten: Die Spielwelt und das erlebte Spiel.  Das ist nicht originell, das ist auch nicht augenzwinkernd satirisch oder selbstironisch, das ist unkreativ und entwertet das Spiel vollkommen unnötig. Das ist beinahe so, als ob Microsoft trotz des erklärenden Intros aus Halo 4 in Teil 5 wie aus dem Nichts erklären würde, dass der Master Chief eigentlich ein genetisch modifizierter Covenant-Krieger ist, der aus Rache gegen sein eigenes Volk kämpft. Um es kurz zu machen: Nach etwa zwei Stunden hatte ich den Motivations-Nullpunkt erreicht - zumal die Tutorial-Ausflüge in die Karibik der Piraten-Ära andeuteten, dass man spielmechanisch nur wenige Fortschritte macht. Ich war sogar so weit, die Kollegen zu fragen, ob sie den Test übernehmen könnten. Und das ist mir in meiner gesamten Assassin's-Creed-Zeit noch nie passiert.

Durchbeißen lohnt sich

Pure Piratenidylle: Selbst die hoch gesteckten Grafik-Ansprüche werden von Assassin's Creed 4 übertroffen.
Pure Piratenidylle: Selbst die hoch gesteckten Grafik-Ansprüche werden von Assassin's Creed 4 übertroffen.
Ich bin froh, dass ich nicht die Segel gestrichen und aufgegeben habe - vor allem aus erzählerischer Sicht. Zwar konnte ich Ubisoft bis zum Schluss nicht verzeihen, dass man diesen "Kniff" gewählt hat. Auch wenn man gegen Ende der fünf verpflichtenden Gegenwartsmissionen in Ego-Sicht noch versucht, zu retten, was zu retten ist und so zumindest halbwegs Schadensbegrenzung betreibt. Immerhin erfährt man, was mit Desmond nach den Geschehnissen in AC3 passiert (oder ist das nur eine weitere Erinnerung einer unterbezahlten „Spielerecherche“?), bekommt eine Verbindung zwischen Gegenwart und Edwards Vergangenheit, sieht ein paar bekannte Gesichter wieder und darf ein paar (weitgehend anspruchslose) Puzzle oder Geschicklichkeitsspiele lösen. Und wenn man den Trailer für ein Film-Projekt namens "Devils of the Caribbean" findet, der letztlich nur eine leicht umgeschnittene sowie anders kolorierte und neu vertonte Version des Debüt-Trailers darstellt, funktioniert ausnahmsweise sogar der satirische Blick auf die Verknüpfung von Spiel- und Filmwelt. Dennoch bleibe ich dabei: Das hätte anders gelöst werden können, anders gelöst werden müssen.

Erzählerisch besser macht man es in der Vergangenheit: Edward Kenway, der Großvater des Helden aus AC3, ist in der Karibik als Freibeuter unterwegs, um sich seinen Traum vom Reichtum zu erfüllen, damit er schließlich zurück nach England gehen kann, um seiner Ehefrau und Familie ein sorgloses Leben zu bieten. Auf den ersten Blick ein Klischeeabziehbild und bei Weitem nicht so interessant scheinend wie der geheimnisvolle Altair, der charismatische Frauenheld Ezio oder der rachsüchtige Indianer-Mischling Connor, hat er als Figur letztlich mehr zu bieten als alle anderen zusammen. Er ist ein Wanderer zwischen Welten, der Aufstieg und Fall der Piraten miterlebt. Mal kämpft er auf Seiten der Templer. Dann wiederum setzt er auf die Freibeuter, nur um schließlich auf Seiten der Assassinen zu kämpfen. Dass er dabei ihr Credo "Alles ist erlaubt" gehörig missversteht und für seine Zwecke missbraucht, anstatt mit seinen Fähigkeiten dem Gemeinwohl zu dienen, findet er erst spät und auf Kosten anderer heraus. Er ist sich selbst am wichtigsten, zerrissen zwischen der Liebe zu seiner Frau auf der einen und der Liebe zur See und Piraterie auf der anderen Seite. Während die Assassinen vor ihm in ihrer Zeichnung und Entwicklung eindimensional bleiben, bringt er eine Ambivalenz mit, die mich neugierig gemacht hat und die für mich der Hauptgrund war, mich trotz mechanischer Stagnation durch die Kampagne zu kämpfen. Zumal er bis zum Ende der etwa 15 bis 20 Stunden dauernden Geschichte serientypisch viele zeitgenössische sowie historisch verbürgte Figuren kennenlernt, darunter den legendäre Pirat Blackbeard, die beiden Freibeuterinnen Mary Read und Anne Bonny oder Benjamin Hornigold. Im erzählerischen Kontext wirken die Figuren, die mit ihnen verbundenen Themen wie z.B. Sklaverei oder ihre Auswirkungen auf die Entscheidungen Edwards sogar glaubwürdiger als die Gründungsväter Amerikas in Teil 3 in Bezug auf Connors Leben.

Best and worst of Assassin's Creed

Ich spiele und teste Assassin's Creed seit dem ersten Teil. Und jedes Jahr hoffe ich, dass mechanisch etwas mehr Anspruch eingefordert wird, sei es nun beim Klettern auf Schienen, beim Schleichen oder bei den Kämpfen gegen die meist schwache KI - allesamt Elemente, die mit nur wenig optionalem Modifikationsaufwand eine neue Ebene erreichen könnten.

Das dynamische Wetter führt mitunter zu spektakulären Erlebnissen.
Das dynamische Wetter führt mitunter zu spektakulären Erlebnissen.
Gebt mir optional die Möglichkeit, eine Art Ausdauer einzuschalten, damit ich nicht zehn Minuten am Stück an einem Vorsprung hängen könnte. Lasst mir die Wahl, das Symbol zu deaktivieren, mit dem ein gegnerischer Angriff signalisiert wird, so dass ich rechtzeitig einen Konter setzen kann. Und wäre es so schwer, in den Einstellmöglichkeiten einen Punkt einzubauen, bei dem mir nicht angezeigt wird, in welcher Richtung nun ein Feind steht, der mich entdeckt hat? Die Spannungsmomente wären deutlich häufiger, die Panik bei Entdeckung deutlich intensiver, die nach wie vor schick choreografierten Kämpfe wären fordernder. Und das alles optional, für die Spieler, die nicht nur geleitet werden wollen. Dafür würde ich sogar auf viele der bewährten Elemente verzichten, die es auch hier wieder gibt und die in der Summe sogar vielfältiger sind als bei dem in dieser Hinsicht zurück gestuften Assassin's Creed 3. Hier kommt man zwar schnell in einen angenehmen Spielfluss, doch der Spannungsbogen ist in den ersten Stunden zu schlaff. Auch weil sich die Gegner-KI wieder einmal bemerkenswert uneinheitlich zeigt und zwischen fordernd und proaktiv suchend auf der einen sowie grenzdebil auf der anderen Seite schwankt.

Die Ausflüge und Gefechte auf See mit Edwards Segler Jackdaw inkl. Angriffen auf gegnerische Forts, die hier zwangsläufig deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, kennt man aus Teil 3 - auch wenn sie hier stark verfeinert und intensiviert, aber auch noch arcadiger und michaelbayiger wurden. So muss man beim Entern gegnerischer Schiffe z.B. erst den gegnerischen Kahn bewegungsunfähig machen, bevor man die übrige Besatzung dezimiert und Sonderaufgaben wie das Zünden einer festgelegten Anzahl Pulverfässer, das gezielte Töten von Offizieren oder das Zerstören der Flagge am Hauptmast erledigt, um das Schiff und die Besatzung vollends unter Kontrolle zu haben.

Die meisten Mechaniken sind mit all ihren Vor- und Nachteilen bekannt.
Die meisten Mechaniken sind mit all ihren Vor- und Nachteilen bekannt.
Das Upgrade-System stammt zwar aus keinem der Assassin's-Creed-Spiele, ist jedoch allen ein Begriff, die Far Cry 3 gespielt haben: Jagt man Tiere und häutet sie bzw. nimmt sie aus, kann man die hier gewonnenen Rohstoffe nicht nur gewinnbringend verkaufen, sondern in Upgrades z.B. für Gesundheit, neue Pistolengurte etc. umwandeln. Wieso man das klassische Kaufen der Upgrades damit ersetzt, erschließt sich mir nicht. Wenn man die Jagd, die offensichtlich ein beliebtes Element des Vorgängers war, partout integrieren wollte, dann eben, um Rohstoffe zum Verkaufen oder Nahrung für die Schiffsfahrten zu Sammeln. Doch es gibt auch ein paar erfrischende Elemente wie z.B. die Möglichkeit, bei Wracks nach Schätzen zu tauchen, was allerdings erst nach etwa der Hälfte der Kampagne freigeschaltet wird. Dabei muss man seinen Luftvorrat im Auge behalten und seine Route gut planen, während man Gefahren wie Haien oder Feuerquallen aus dem Weg geht. Man kann auf den Tauchgängen sogar Höhlen entdecken, die man wie Ezio in der italienischen Renaissance erforscht. Ebenfalls interessant sind die Schatzkarten: Über diese bekommt man die Koordinaten einer Insel sowie eine mitunter kryptische Skizze des Fundorts der Truhe und muss nun selbst entschlüsseln, wo sich der Schatz befindet. Als Belohnung locken nicht nur stattliche Goldsummen, sondern auch Elite-Upgrades für das Schiff und seine Bewaffnung, die man auf herkömmlichen Weg nicht bekommen kann. Doch diese gut integrierten Neuerungen reichen nicht, um AC4 mit einem neuen Spielgefühl zu versehen. Vieles bleibt zu bekannt, zu routiniert und unter dem Strich wie die Kämpfe zu langweilig.

Neuer Fokus auf alte Stärken

Dass es sich bei den Assassinen eigentlich um eine Gilde oder Kaste handelt, die sich im Hintergrund aufhält und aus dem Verborgenen heraus meuchelt, ist in den letzten Teilen der Serie zunehmend vernachlässigt worden. Edward kann sich zwar weiterhin darauf verlassen, dass er im Falle einer Entdeckung mit seinen übermächtig wirkenden Kampfkünsten im Vorteil ist. Doch das Missionsdesign wurde dahingehend angepasst, dass Schleichen und die Nichtentdeckung viel häufiger als bislang in den Mittelpunkt gerückt werden. Verfolgungen und Aufgaben, bei denen man partout nicht gesehen werden darf, kommen häufiger vor. Wer zu lang aus der schützenden Deckung lugt und entlarvt wird, muss zurück zum letzten Kontrollpunkt und einen neuen Versuch unternehmen. Unter dem Strich ist damit zwar sicherlich nicht die eleganteste Lösung gefunden worden, um Spannung zu erzeugen, doch sie verfehlt ihr Ziel nicht. Und wenn man z.B. ebenfalls versteckte Gegner jagt und sie aus dem Hinterhalt angreifen muss, da sie einen sonst mit Gift- und Betäubungspfeilen spicken, bekommt die Planung des Vorgehens unter Einbeziehung der Umgebung einen Fokus wie schon lange nicht mehr in der Serie.

Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn mir zusätzlich zu den kontextsensitiven Deckungsoptionen (wenn Edward in Sträuchern und Gebüschen oder hinter Hausecken in Deckung gehen kann, bringt er sich automatisch in Position) die Möglichkeit geboten würde, manuell meine Position zu verändern und z.B. auf Knopfdruck in die Hocke oder einen speziellen Schleichmodus zu gehen. So muss man sich häufig darauf verlassen, dass der Programmcode es rechtzeitig erkennt, wenn man im Bereich schützender Vegetation ist. Und den Fehler, zu vermuten, dass Edward hinter dieser oder jener halbhohen Kiste (die definitiv höher ist als z.B. Büsche) in Deckung geht, er dies natürlich nicht macht, dann wie ein Leuchtturm hervorragt und natürlich erkannt wird, macht man auch nur maximal zwei Mal. Aber genau dies sind die Momente, in denen man sich angesichts des gestiegenen Stealth-Fokus weitere einfache  Schleich-Optionen abseits der unter dem Strich gut funktionierenden Automatismen wünscht. Das Blasrohr als neue Waffe, mit dem man selbst Schlaf- oder Wutpfeile verschießt, die den Gegner Amok laufen lassen, bis er entweder von seinen Kollegen erledigt wird oder die Wut abklingt und er in die Bewusstlosigkeit sinkt, nehme ich hingegen gerne an.

Der wiederentdeckte Fokus auf Schleichen hilft dem Spannungsaufbau.
Der wiederentdeckte Fokus auf Schleichen hilft dem Spannungsaufbau.
Allerdings ist es im Zusammenspiel mit der in diesen Fällen eher schwach reagierenden KI beinahe schon zu mächtig - zumal man bis auf wenige Ausnahmen nicht Gefahr läuft, keine Munition mehr parat zu haben. Wenn es hart auf hart kommt, kann man aus den erbeuteten Tierknochen Nachschub kreieren.

So kurz und lang wie nie zuvor

Sehr überraschend: Nach gut 15 bis 20 Stunden ist die Kampagne vorbei, wobei ich die für einen Assassin's-Creed-Teil vergleichsweise kurze Kernspielzeit positiv sehe. So kann ich die stagnierende Mechanik besser akzeptieren und mich voll und ganz auf die in diesem Fall als Hauptmotivation wirkende Geschichte konzentrieren, die kaum Längen vorweist und gut auf den Punkt kommt. Und wer mehr als die Erzählung erleben will und sich auch damit anfreunden kann, dass auch die zahlreichen optionalen Missionen und Entdeckungen nur selten das Spannungsniveau steigern, hat in der großen Spielwelt viel zu tun. Maya-Steine wollen entdeckt werden; die Assassinen haben eine Reihe an Feinden, die ausgeschaltet werden müssen; man kann sich mit dem Metaspiel Kenways Flotte vergnügen: Eroberte Schiffe kann man rekrutieren und auf Missionen schicken, die man bei Bedarf auch über eine Companion-App an einem separaten Eingabegerät (Tablet) steuert; man darf Haie und Wale jagen; schwer bewachte Schiffs-Konvois schreien geradezu danach, überfallen zu werden. Man kann seine Geldbörse dadurch füllen, dass man Lagerdepots überfällt und die Beute beim nächsten Hafenmeister verhökert. Der Ausbau der Jackdaw wird aber nicht nur durch die im Vergleich zu den Vorgängern eher knappen Geldmittel eingeschränkt: Für besonders effektive Erweiterungen werden viele Rohstoffe benötigt, die man wiederum nicht kaufen, sondern nur durch Kaperfahrten erlangen kann – ein gut gelungener Kreislauf, der nur gegen Ende zu einem Grind führt.

Das Design der Hauptfiguren kann sich ebenfalls sehen lassen.
Das Design der Hauptfiguren kann sich sehen lassen.
Man kann in den Städten Notenpapier nachjagen, mit denen man neue Shanties freischaltet, die von den Matrosen auf See intoniert werden, die man aber auch zum Schweigen bringen kann, wann man es nicht mehr aushält.

Was man allerdings nicht machen kann, ist die politische Situation beeinflussen. Es war immerhin eine Epoche, in der die Karibik vom Kampf um die Vormachtstellung zwischen England und Spanien geprägt war und der sich auch auf den für meinen Geschmack etwas zu stark befahrenen Gewässern widerspiegelt, wenn sich die Schoner und Fregatten der beiden Nationen explosive Gefechte liefern. Man kann zwar als Freibeuter ein- und alles angreifen, doch Auswirkungen hat es keine. Man hätte hier eine zusätzliche Ebene einbauen können, in der man zumindest temporär nichts zu befürchten hätte, selbst wenn man durch die jeweiligen von Forts gesicherten Hoheitsgewässer schippert - je nachdem, für wen man nun Partei ergreift. Ebenfalls ohne Einfluss ist die Crew, die mit einem zur See fährt. Sie folgt einem blind ohne Ansprüche. Wenigstens Rum oder Frischfisch als „Zufriedenstell-Ressource“ wären eine Option gewesen, ohne die es auf lange Sicht zu einer Meuterei kommen würde. Diese Ebenen hätten dem Spielerlebnis nur eine kleine, aber entscheidende frische Nuance hinzufügen können - nicht zu vergessen, dass dem thematische ohnehin omnipräsenten Klassiker "Pirates" noch mehr gehuldigt worden wäre.

Wer braucht die nächste Generation?

Okay: Die Schatten krümeln Version mitunter richtig fies. Und wer genau hinschaut, wird wie in AC3 immer wieder sehr spät ins Bild materialisierende Figuren entdecken, die hoffentlich auf Xbox One und PlayStation 4 der Vergangenheit angehören. Wie auch das leicht merkwürdig aussehende Schwimmen, da Edwards Körper an der Wasseroberfläche nicht wie die anderen Objekte optisch korrekt "gebrochen" wird. Oder das Kantenflimmern, das sich gelegentlich bei der PS3-Version bemerkbar macht, das aber das Spielgefühl nicht negativ beeinflusst.Viele Nebenfiguren und Klon-Zivilisten fallen visuell neben den klasse animierten und mit überzeugender Mimik versehenen Hauptfiguren ab - ebenfalls ein bekanntes Problem, das eventuell auch mit der bald erscheinenden nächsten Generation behoben wird. Doch der eigentliche visuelle Star war ohnehin immer die Umgebung. Und hier übertrifft man sich: Ähnlich wie in GTA 5, das allerdings die Nase in dieser Hinsicht leicht vorn hat, ist die Wasserdarstellung fantastisch - was bei einem Titel, der gefühlt zu 50 Prozent auf oder in dem nassen Element spielt (man kann auch ein Schnellreise-System nutzen, wenn man bestimmte Schlüsselpunkte auf der Karte entdeckt), nicht zu unterschätzen ist. Dabei geht es mir jedoch nicht um die Urlaubsstimmung, die sich unter der karibischen Sonne bei flachem Seegang einstellt, wenn Delfine neben dem Schiff durch die Wellen hüpfen oder ein Buckelwal mit der Flosse grüßt. Denn erst mit dem dynamischen Wetter, das flüssig von leichtem Seegang mit Nebelschwaden bis zum Taifun mit wechselnden (aber nur in Ausnahmefällen die Schiffssteuerung beeinflussenden) Winden reicht, spielt die Engine ihre ganzen Stärken aus. Wenn die Sicht durch dichten Regen und spritzende Gischt eingeschränkt wird, die Blitze hinter einem einschlagen und von rechts ein Tornado auf einen zu rast, während von vorne ein Kaventsmann darauf wartet, das Schiff in seine Einzelteile zu zerlegen, wenn man ihn nicht frontal anzugehen versucht, sieht das nicht nur klasse aus, sondern bringt das Adrenalin in Wallung. Noch bedrohlicher ist es, wenn diese Sturmsituationen mit nur wenig Ankündigung passieren, während man sich gerade in einem Gefecht mit schwer bewaffneten Feinden befindet. Oder wenn man versucht, den Wasserhosen auszuweichen und dabei in die Sichtlinie eines Forts gerät, das ohne Vorwarnung Artillerie auf einen los lässt. Ob die in wenigen Wochen erscheinenden Versionen für die nächste Generation hier noch eine deutliche Schippe drauf legen können, wage ich zu bezweifeln.

Bei den Figuren und auch der einen oder anderen Umgebungstextur ist ebenfalls noch Luft nach oben - der Gesamteindruck dürfte dabei jedoch im Wesentlichen unbeeinflusst bleiben. Zumal es in dem Gebiet von Havanna bis Nassau zwar viel zu entdecken, aber für meinen Geschmack auch zu viel Gleichförmiges gibt, was sich mit den grafisch aufwändigeren Fassungen kaum ändern dürfte.

Mit dem Schiff durch die Wellen pflügen macht Spaß - auch dank der grandiosen Kulisse.
Mit dem Schiff durch die Wellen pflügen macht Spaß - auch dank der grandiosen Kulisse.
Wo sich im Vorgänger New York z.B. deutlich von Boston unterschied, fallen die Differenzen zwischen den einzelnen Siedlungen hier geringer aus. Klar gibt es auch hier Unterschiede z.B. in Form von Plantagen oder Festungsanlagen, doch nach einiger Zeit wirken vor allem die optional zu erforschenden karibischen Inseln bis auf zu wenige Ausnahmen zu generisch und damit austauschbarer als das amerikanische Hinterland oder das Italien zur Zeit Leonardo da Vincis. Dass ich dennoch nicht die Lust verloren habe, Edward so viel wie möglich von der verdammt großen, anfänglich noch komplett in Nebel gehaltenen Karte entdecken zu lassen, ist der allgemein hohen visuellen Qualität zuzuschreiben, an der ich mich trotz Wiederholungserscheinungen kaum satt sehen kann. Dem steht die akustische Seite theoretisch nicht nach. Allerdings gibt es in seltenen Fällen Probleme mit der Tonabmischung. Über den Großteil der  Zeit jedoch gab es in bester Serientradition nichts an der Akustik auszusetzen: Die deutsche Sprachausgabe strotzt vor bekannten Stimmen, u.a. mit Martin Semmelrogge und Oliver Rohrbeck hinter dem Mikro und gehört mit zu den besten Lokalisierungen dieses Jahres, während der dynamische Instrumental-Soundtrack sowohl in stillen als auch in lauten Momenten immer das richtige Mittel findet, um die Bildschirmaktionen zu unterstützen.

Der Vollständigkeit halber: Mehrspieler-Modus

Seit Brotherhood gehört der Mehrspieler-Modus zum guten Ton der Assassin's-Creed-Serie. Und seit der Premiere vor drei Jahren hat er sein Spannungspotenzial kaum eingebüßt. Wenn man gleichzeitig als Jäger und Gejagter durch die gut auf die Bedürfnisse abgestimmten Karten schleicht oder hetzt, fühlen sich die Duelle mit bis zu acht Spielern angenehm anders an als die Ballereien in Call of Duty oder Battlefield. Und man kann Ubisoft in diesem Fall auch nicht vorwerfen, sich auf die faule Haut zu legen. Es gibt mehr Personalisierungsoptionen und optionale Fähigkeiten als je zuvor. Bekannte Modi wie das "Wolfpack", bei dem man unter Zeitdruck als Team Aufgaben erledigen muss, wurden erweitert und mit "Manhunt" kommt eine weitere interessante Spielvariante hinzu. Die Teams wechseln sich hier ab:

Wer meuchelt zuerst? Der Mehrspieler-Modus hat nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Wer meuchelt zuerst? Der Mehrspieler-Modus hat nichts von seiner Faszination eingebüßt.
In einer Runde jagt man gemeinsam die gegnerische Gruppe und kassiert Punkte, wenn man die Feinde meuchelt. In der nächsten Runde versucht man zu überleben, wobei man Boni bekommt, wenn man lange in einer Deckung verweilen kann, ohne entdeckt zu werden. Der Bonus fällt sogar noch größer aus, wenn Team-Kollegen in der Nähe sind.

Und wem die mitgelieferten Modi nicht ausreichen, zu denen auch Capture-The-Flag à la Assassin's Creed gehören, modifiziert sie einfach. Im so genannten "Game Lab" kann man sowohl öffentliche als auch private Spiele aufsetzen und die Parameter nach Herzenswunsch festlegen. Dabei geht es um einfache Einstellungen wie Punktbelohnungen für einen Kill ebenso wie um mehr in die Mechanik eingreifende Optionen. Dazu gehören z.B. das Ausschalten des Kompasses, gezieltes Deaktivieren bestimmter Fähigkeiten oder gar die Beschränkung auf Schusswaffen.

Fazit

Erzählerisch ist Black Flag mein bisheriger Favorit in der Serie: Die Story um Edward Kenway als ambivalente, für alle und niemanden kämpfende Figur gefällt mir wesentlich besser als die bisher recht eindimensionalen Charaktere. Im Gegenzug hat Ubisoft mir die Gegenwarts-Story vollkommen verdorben. Obwohl sie traditionell nur einen Bruchteil der Spielzeit einnimmt, war die mythologische Grundlage um den Streit zwischen Templern und Assassinen, personifiziert durch Desmond Miles, für mich genauso wichtig wie Altair, Ezio oder Connor. Im Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart wurde der gesamte Konflikt erst greifbar. Und jetzt werden mit nur wenigen Sätzen und einer für mich vollkommen unpassenden sowie an den Haaren herbei konstruierten Erklärung fünf Jahre gespielte Erinnerungen beinahe komplett entwertet. Mechanisch verlässt man sich zu einem Großteil auf Bewährtes der Vorgänger. Das Ergebnis ist ein routiniert inszenierter, angenehmer Spielfluss mit allen Stärken, aber auch noch zu vielen Schwächen (Stichworte: Klettern, KI) der Vorgänger. Unter dem Strich werden zu wenige Spannungsmomente geboten, wobei der wiederentdeckte Fokus auf Schleichen und Verstecken punktuell ebenso überzeugt wie die Seegefechte. Nur wenig zu kritisieren gibt es an der Kulisse, die neben GTA5 ein Paradebeispiel dafür ist, dass auch diese Generation noch einiges leisten kann. Wem die zweite Erzählebene um Abstergo und Assassinen egal ist, findet hier eine gelungene und zu großen Teilen angenehm fließende Fortführung bekannter Elemente, die es allerdings nicht schafft, die Serie auf die nächste Stufe zu hieven. Dazu bewegt man sich zu sehr auf sicherem Gelände und schleift auch noch viele alte Macken mit.

Pro

überraschend facettenreich erzähltes Piraten-Seemannsgarn
Edward Kenway als zerrissener egoistischer Held erstaunlich mehrdimensional
historische Figuren glaubwürdig in die Erzählung eingebunden
explosive Seeschlachten
Schleichen als eines der zentralen Spannungs-Elemente
sehr gute Lokalisierung
stimmungsvoller dynamischer Soundtrack
viel zu entdecken mit Auswirkung auf Edwards Fortschritt
fantastische Wasserdarstellung
dynamisches Wetter bis hin zu tropischen Stürmen
Jagen von Tieren für Upgrades oder Rohstoffe zu bekommen
Schiff kann aufgerüstet werden
sehr ansehnliche Kulisse
gut gelungene Tauchgänge
spannender Mehrspieler-Modus mit sehr vielen Konfigurationsmöglichkeiten

Kontra

Gegenwarts-Erzählung schlecht wie nie und zudem inkohärent
Kämpfe bis auf wenige Ausnahmen zu leicht
bekannte KI-Probleme weiterhin vorhanden
Schleichmechanik zu sehr auf Halbautomatismen angewiesen
Potenzial des Nationenkrieges England-vs-Spanien wird nicht ausgenutzt
Schiffs-Besatzung ohne Bedürfnisse, Wirtschafts-Ebene wird beinahe komplett ignoriert
viele Kernelemente nahezu ohne Fortschritt übernommen
Krümelschatten, herein fadende Passanten
Klettern auf Schienen

Wertung

360

Routiniert inszeniertes sowie gut erzähltes Piraten-Abenteuer, aber die Spannung bleibt auf der Strecke.

PlayStation3

Routiniert inszeniertes sowie gut erzähltes Piraten-Abenteuer, aber die Spannung bleibt auf der Strecke.

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