The Elder Scrolls 4: Oblivion24.03.2006, Jörg Luibl
The Elder Scrolls 4: Oblivion

Im Test:

Schnürt das Kettenhemd, zückt das Langschwert - das Abenteuer ruft! Doch nehmt euch in Acht: Wer nach all der Rollenspielabstinenz zum hochprozentigen Oblivion greift, könnte schnell in einen berauschenden Taumel geraten, in dem man Zeit, Familie und Alltag vergisst. Wollt ihr das? Natürlich wollt ihr das. Dann öffnet entweder auf dem PC oder der Xbox 360 die Büchse der epischen Fantasy.

Pandora lässt grüßen

Am Anfang steht das Unheil: In der ersten Stunde wird vor meinen Augen der ergraute Kaiser ermordet - vermummte Assassine schlüpfen durch einen Geheimgang, stechen unbarmherzig zu. Ich bin hilflos, entsetzt, überfordert. Aber Uriel Septim VII. ahnte scheinbar seinen Tod voraus und überreicht mir kurz vor seinem Tod ein Amulett. Seine letzten Worte: Ich soll einen Vertrauten finden, der mir helfen wird. Ich soll die Tore zu Oblivion schließen. Ich verstehe ihn nicht, aber Hoffnung keimt auf. Und mit ihr schleichen sich süße Rachegedanken ein.

Der Puls steigt.

Das ist Wald. So lebendig wurde eine Landschaft noch nie eingefangen - selbst ohne Kampf macht die Erkundung Spaß. (PC)
In der zweiten Stunde kämpfe ich mich durch die Kanalisation, wehre bissige Ratten ab, schleiche mich an Goblins vorbei und erreiche endlich das Tageslicht: Was für ein wunderbares Panorama! Die untergehende Sonne taucht Wald und Hügel in ein blutrotes Licht, in der Ferne locken Kilometer entfernte Bergkuppen - ich könnte endlos wandern, ohne Begrenzung loslaufen, den drohenden Bürgerkrieg und die Assassine einfach vergessen. Aber Fragen bohren sich in diese Idylle: Warum diese Bluttat? Warum drückt mir der Kaiser ein Amulett in die Hand? Wieso hat er mich in seinen Träumen gesehen? Ich muss Antworten finden.

Die Neugier lodert.

In der dritten Stunde stehe ich vor einem flammenden Höllenportal - hässliche Kreaturen zwängen sich heraus, greifen mich an. Und ich soll hinein, um es zu schließen? Ist das ein Witz? Ich bin ein Niemand! Aber wenn nicht, werden weiter Dörfler massakriert. Wenn nicht, kann ich den letzten Nachkommen des Kaisers nicht befreien. Nur er kann das Ritual vollführen, das die Invasion aus der mysteriösen Parallelwelt Oblivion stoppt. Also gehe ich durch die Flammen. Mein Kettenhemd sitzt. Mein Bogen ist gespannt. Und mein Herz? Es rast...

Der perfekte Einstieg?

Der Einstieg in die Welt von The Elder Scrolls 4: Oblivion (ab 3,60€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ist eine dramaturgische Wohltat: Tutorial und Story gehen schon in den ersten Minuten eine dermaßen gute Symbiose ein, dass auch Rollenspielneulinge gepackt werden. Man erkundet die Welt von Anfang an wie aus einem Guss und lernt fast beiläufig, wie man sich bewegt, kämpft und zaubert, während um einen herum Schatten aus den Ecken kriechen und sich mit der Leibwache des Kaisers heftige Kämpfe liefern. Wenn man Probleme hat und zu oft stirbt, kann man den Schwierigkeitsgrad übrigens jederzeit anpassen. Noch nach Stunden werden wichtige Dinge wie die Karte oder das Herstellen von Tränken erklärt. Und wenn dann noch Fragen offen sind, hilft das vorbildliche Handbuch weiter.

Konnte man sich in The Elder Scrolls 3: Morrowind noch in der der Welt verirren und sich fragen, was man eigentlich tun soll, wird man hier besser geführt, ohne gegängelt zu werden: Inventar, Tagebuch & Co verlangen zwar aufgrund der Vielfalt an Gegenständen, Zaubern und Einträgen etwas Eingewöhnung, aber das ist kein Wunder und Teil der Faszination. Immerhin wurden 9000 Objekte als eigene Körper integriert vom Stein über den Knochen bis hin zum Kraut oder Bierkrug; euer Rucksack wird sehr schnell sehr voll sein und euch evtl. sogar am Weitergehen hindern. Aber die Übersicht über die laufenden Quests ist vorbildlich: Sie werden nicht nur gut geordnet, sondern ihr könnt Aufträge auf einen

Hinter jeder Ruine steckt eine Quest - oder wenigstens ein Monster: Ihr könnt in Ego- oder Schulterperspektive kämpfen. (360)
Klick noch mal komplett in einem Tagebuch nachvollziehen und die Karte mit dem Zielpunkt einblenden. Wer einfach nur dem Hauptpfad folgen will, sucht die Schlüsselfiguren auf und wird sofort wieder in die turbulenten Ereignisse rund um den Kaisermord verstrickt.

Eigentlich ist alles perfekt. Eigentlich müsste ich mich ab jetzt in einen Platinrausch schreiben. Auch, weil einem die Kulisse einfach den Atem raubt - egal ob auf PC oder Xbox 360, egal ob auf einem normalen Fernseher oder in HD. Natürlich müssen Spieler mit Mittelklasserechnern einige Details zurückschrauben und mit Rucklern leben, natürlich hat man an einem normalen Fernseher weniger Schärfe und Bildpracht. Aber als Ganzes ist Oblivion auf allen Systemen eine Wucht: Die Katakomben überzeugen mit düsterer Enge, zwielichtigen Nebelschwaden und flackerndem Licht. Schaut euch diese plastischen Steine an, nutzt die Physik, um Holzstämme als tödliche Lawine abwärts rollen zu lassen oder an Decken verborgene Totschlagkeulen vorher auszulösen. Die Städte begrüßen mit klasse Architektur, monumentaler Pracht und verwinkelten Gassen. Und dann diese Wälder: Diese natürliche Wildnis mit ihren verwitterten Felsen, verlassenen Ruinen und im Wind wogenden Blumenwiesen! Wenn man geduckt durch diese Blütenpracht tigert und sich umschaut, ist man einfach fasziniert: Oben die Wipfel der Bäume, in denen jedes Blatt zittert, vor einem die zerfurchte Rinde oder die eigene Klinge, auf der das Licht tanzt, unten zig Pilze, die man pflücken und zu Tränken verarbeiten kann. Das ist der erste Wald der Videospielgeschichte, der diesen Namen auch verdient.

              

Schlampige Texte, gute Sprachausgabe

Wenn doch alles so perfekt wäre, könnte man eine Hymne schreiben. Aber der Jubel über die gute Dramaturgie des Einstiegs wird von üblen Misstönen unterbrochen. Die ersten Stunden offenbaren neben all den Stärken auch eine große Schwäche, die die Euphorie klar ausbremst - die deutsche Lokalisierung. Dabei muss man differenzieren: Das Handbuch

Vom Menü bis zum Ladebildschirm wurde alles überaus edel designt - nur die Texte hat man einfach schlampig übesetzt. (360)
wurde gewissenhaft übersetzt. Und die Sprecher sind zum größten Teil in Ordnung. Zwar kommen sie nicht an die Markanz des amerikanischen Originals heran - man nehme z.B. Kaiser Uriel, der in der US-Fassung an der Schlüsselstelle das drohende Unheil mit seiner aufwallenden Stimme fast schon beschwört, während ihm in der deutschen Fassung einfach diese Emotion fehlt -, aber dafür ist die Qualität der Sprecher in der Breite überzeugend. Es gibt sogar einige Highlights wie z.B. pöbelnde Orks oder genervte Händler, die ihre Aggression überaus glaubwürdig transportieren.

Die Eindeutschung der Texte ist allerdings eine Katastrophe. Wenn mal Worte vergessen oder falsch übersetzt werden, wenn mal ein Rechtschreibfehler auftaucht - alles kein Thema. Aber hier gibt es eine ganze Phalanx an Schlampigkeit, die angesichts des großen Titels vollkommen unverständlich ist. Das Blöde ist: Diese Fehler tauchen sofort geballt auf und überschatten damit das Erlebnis des Einstiegs. Warum heißt der Heilzauber z.B. "Feuerball"? Das ist nur der Anfang. Man stolpert quasi alle paar Minuten über grammatikalische Schnitzer oder halb englische Formulierungen, ohne Sinn und mit abstrusen Satzzeichen:

"To ready your weapon or fists, drücke die Taste X. To attack, Alle Mappings auf Standardwerte setzen?. To block, den linken Schalter drücken. "

Das ist Denglisch in Reinkultur. Manchmal passen die Texte auch nicht in ihre Menüs, werden am Ende einfach abgeschnitten oder wachsen über den Rand hinaus, so dass das Layout zerschossen wird. Auch die Plattformen wurden bei der Übersetzung nicht konsequent getrennt. Schon im Tutorial auf dem PC (!) liest man:

"Drückt der rechten Bumper, um eure Zauber zu wirken."

Mal abgesehen davon, dass es "den" heißen müsste, hat die Maus bloß zwei oder drei Tasten und ein Rad, aber keinen "Bumper". Das ist doppelt bitter, weil PC-Spieler gar kein Gamepad benutzen können; selbst der Windows-kompatible 360-Controller wird nicht erkannt. Auf dem Weg zur Schließung des ersten dämonischen Portals liest man dann:

"Ich habe den Schlüssel zum Siegelwarte."

Au Backe! Hey, ich will ein Epos spielen und keine Erkan & Stefan-Parodie! Soetwas reißt einen einfach raus. Der Bann der Kulisse ist plötzlich gebrochen, der Zauber epischer Fantasy erloschen - jedenfalls für kurze Zeit.

Die Figuren überzeugen mit lebendiger Mimik und guter Sprachausgabe. Auch, wenn die deutschen Stimmen nicht an die Markanz des Originals herankommen. (PC)
Es gibt sogar richtig grobe Textfehler, die sich durch das ganze Abenteuer ziehen: Ich spiele einen männlichen Waldelfen. Ich schließe das erste Tor nach Oblivion. Ich bin ein Hoffnungsträger, der gefeiert wird. Aber die Bewohner in allen Städten begrüßen mich mit "Herrin" oder reden mich als "Heldin" an. Hallo? Hier wurde einfach mal das Geschlecht vertauscht, obwohl meine Rasse zu Beginn und im weiteren Verlauf noch so löblich erkannt wird. In dieser penetranten Häufigkeit sind das keine Kleinigkeiten mehr, sondern große Nadelstiche, die dem Spiel sofort etwas von seiner sonst so zauberhaften Atmosphäre rauben. Leider konnte uns Take 2 noch nicht sagen, ob und wann diese Fehler ausgemerzt werden. Fest steht: Sie haben mit dazu geführt, dass der Platin-Award verfehlt wurde.

Fantastische Bibliothek

Das Positive ist: Es gibt im Vergleich zur Fülle an Texten relativ wenig Fehler - vor allem in der Mitte des Spiels tauchen deutlich weniger auf. Und es wird verdammt viel gesprochen: Selbst einfache Bewohner artikulieren sich und machen eine weitaus bessere Figur als die Texte. Außerdem beherbergt Oblivion quasi eine virtuelle Bibliothek mit knapp 400 Bänden. Wer sich in die Geschichte des Kontinents, seiner Rassen und Kriege vertiefen will, hat reichlich Gelegenheit dazu. Hier sind die Bücher in Regalen keine Zierde, sondern tatsächlich lesbar - es gibt mehrseitige Abhandlungen, Chroniken und Handbücher. Es gibt sogar richtig gute Kurzgeschichten über Vampirismus oder Reiseberichte von Archäologen - wunderbar! Diese Fülle an Hintergrundinformationen verleiht der Fantasywelt nicht nur eine authentische Dimension, sondern auch spielerische Tiefe, denn man kann sowohl seine Statistiken über das Gelesene aufwerten als auch literarische Hinweise zu seinem Vorteil nutzen.

            

Interessante Quests

Die Qualität der Aufträge kann sich fast mit der von BioWare in Star Wars: Knights of the Old Republic messen: Zwar erreicht man bei den Dialogen zum einen nicht immer diese letzte Brillanz und zum anderen sind sie bei weitem nicht so verschachtelt, dass man sich in Argumentationsstränge wühlen könnte. Aber die Quests und Gespräche sorgen fast immer für

Auch hoch zu Ross sind die Figuren unterwegs. Ihr könnt euch auch selbst in den Sattel schwingen. (360)
erzählerische Überraschungen. Alles kann so harmlos anfangen, dass man fast gähnen möchte, und sich dann urplötzlich in eine Tour de Force verwandeln: Man soll einen Maler finden, der sich seit Tagen in seinem Zimmer eingeschlossen hat? Langweilig. Die Tür ist auf und das Zimmer ist leer? Interessant. Es gibt keine Falltüren oder Geheimgänge? Seltsam. Das Bild auf der Staffelei zieht mich in seinen Bann? Mysteriös! Ich sehe einen verblüffend realistisch gemalten Wald und...werde ins Bild gezogen? Fantastisch! Ich lande auf der anderen Seite und finde den Maler? Na also! Aber wie komme ich wieder zurück? Keine Ahnung. Und was sind das für Kreaturen, die da aus dem Wald preschen?

Im Vergleich zu Morrowind sind diese kleinen Nebenquests wesentlich besser ausgearbeitet und abwechslungsreicher: Ein Mann wird von einem Doppelgänger geplagt, eine Frau wundert sich über Berglöwen im Keller, ein Hauptmann tyrannisiert die Bevölkerung mit abstrusen Strafzöllen. Natürlich gibt es auch einige langweilige Töte-Monster-gegen-Belohnung-Aufträge, aber es gibt abseits dessen viele interessante Situationen: Ihr streift durch eine scheinbar verlassene Siedlung und werdet plötzlich angesprochen, weil die Bewohner unter einem Unsichtbarkeitszauber stehen - also heißt es, den arkanen Übeltäter finden und von seiner Schandtat überzeugen. Oder tötet ihr in gleich brutal? Das könnte eure Eintrittskarte in die Karriere eines Assassinen sein.

Oftmals ist vieles nicht so, wie es auf den ersten Blick erscheint und ihr habt die Möglichkeit, ein Problem auf zwei Arten zu lösen: Entweder ihr nutzt euer detektivisches Geschick und eure Schleichkünste, um einen Beweis zu finden und den Verdächtigen der Gerichtsbarkeit zuzuführen. Oder ihr lockt ihn zu einem seiner Opfer und werdet Zeuge einer blutigen Rache. Entweder ihr beschafft der Magiergilde ein gefährliches Buch oder ihr überlasst es einer seltsamen Frau, die den Ruf einer Hexe genießt. Die Belohnung fällt in allen Fällen natürlich anders aus. Und die spielerischen Konsequenzen ebenfalls, denn es können sich plötzlich ganz neue Kapitel auftun…

Frei wie ein Vogel

Aber die Frage ist, wie ihr Oblivion spielen wollt? Die Möglichkeiten sind enorm, denn die Welt ist offen. Ihr könnt euer Aussehen über das Geschlecht bis hin zur Höhe der Wangenknochen und der Größe der Nasenlöcher bestimmen. Ihr könnt

In Egosicht erlebt man die Kämpfe doppelt intensiv, in der Schulterperspektive behält man die Übersicht. PC-Helden können dort übrigens weiter rauszoomen. (PC)
als Mensch, Elf, Katzen- oder Echsenwesen spielen. Ihr könnt als Kämpfer, Magier oder Dieb in jeweils mehreren Unterklassen mit dutzenden Fähigkeiten und Zaubern losziehen. Der eine spezialisiert sich auf schwere Rüstungen und den Nahkampf, der andere auf Beschwörungen von Kreaturen oder Illusionen wie Unsichtbarkeit. Wer seine Schlüsselattribute wie z.B. Geschicklichkeit als Dieb trainiert, macht natürlich schneller Fortschritte, denn hier darf man nach einem Aufstieg mehr Punkte verteilen. Und selbst wenn man sich als Magier durchschlagen möchte, braucht man nicht auf handfeste Argumente verzichten: Ihr mixt euch eben einen Feuerball werfenden Hünen, der auch noch mit dem Schwert austeilen und Schlösser knacken kann - kein Problem. Man darf seinem selbst erstellten Helden sogar eine eigene Berufsbezeichnung verpassen.

Selbst die Gilden stehen jedem frei, denn sie bleiben zunächst unabhängig von eurer Profession. Ihr könnt also auch als gelernter Dieb einen Auftrag für die Magier- oder Kämpfergilde ausführen. Der Nachteil dieses offenen Systems liegt vielleicht darin, dass die Klassenwahl etwas in der Beliebigkeit versinkt und keinen direkten Einfluss auf den Spielverlauf hat. Aber erstens wird eure Rasse immer eine Rolle spielen und zweitens sorgen eure Taten für genug soziales Feedback: Je nachdem, wie gesetzestreu ihr seid, welchen Ruf ihr genießt und welche Quests ihr übernehmt, reagieren die verschiedenen Fraktionen eher freundlich oder unfreundlich auf euch. Manche reden erst gar nicht mit euch und begründen das damit, dass sie euch nicht genug vertrauen. Das könnt ihr ändern: Manchmal nur über Taten, manchmal aber auch in Gesprächen. Allerdings geht das System nie so weit, ist nie numerisch oder grafisch so nachvollziehbar wie in Star Wars: Knights of the Old Republic (KotOR)  oder Fable , wo sich das Äußere euren Handlungen angepasst hat. Aber das macht nichts, Oblivion fährt dafür nicht so stoisch auf zwei moralischen Schienen, lässt mehr Grauzonen zwischen Gut und Böse zu.  

Scheibengespräche & Schlösser

Nur: Diese Dialoge haben leider wenig mit Rollenspiel zu tun. Euer Gegenüber hat einen Sympathiewert von 0 bis 100, den ihr nicht über das Einfühlungsvermögen bei eurer Wortwahl, sondern in einem Minispiel nach oben treiben könnt. Dieses rundenbasierte Spiel wird zu Beginn nicht gut genug erklärt und ist leider nur kurzfristig unterhaltsam: Auf einer viergeteilten Scheibe gibt`s die Optionen Nötigung, Witze, Prahlerei und Einschmeicheln. Rechts daneben seht ihr anhand der Mimik, wie euer Gegenüber auf die vier "rhetorischen" Mittel reagiert: Strahlt ein Händler bei einer Nötigung und Prahlerei, sollte ihr die Scheibe so drehen und drücken, dass sie hier gut gefüllt sind. Die beiden Alternativen sorgen meist für Abzüge.

Nicht nur die Landschaft, auch die Räume sind eine Augenweide: Sie stecken voller Objekte und überzeugen architektonisch. (360)
Kurzum: Irgendwann hat man einfach raus, wie man jeden noch so aggressiven Gesprächspartner in einen Grinsemann verwandelt, der einem alles erzählt und die Preise für seine Waren senkt. Selbst ein feindseliger Dorfbewohner mit einem Wert von 0 kann in ein paar Runden auf die 70 geschraubt werden. Natürlich spielt auch euer Charisma eine gewisse Rolle, aber so verlieren manche Figuren an Charakter und werden zu Statistiken degradiert. Die Spielbalance wird immerhin dadurch gerettet, dass man einige Schlüsselfiguren meist nicht über diese Methode zu allem überreden kann.

Und es gibt bessere Minispiele, wie z.B. das Schlösser knacken: Ihr seht das Schloss mit seinen Bolzen im Querschnitt. Dann müsst ihr den Dietrich einführen und z.B. vier Bolzen aus dem Weg nach oben schieben - sobald einer oben angelangt ist, müsst ihr mit gutem Timing noch mal drücken. Schafft ihr es, bleibt er oben und ihr könnt euch dem nächsten widmen; schafft ihr es nicht, zerbricht euer Dietrich - knifflig, aber gut! Magier müssen auf diese illegalen Bereicherungen übrigens nicht verzichten und können es mit Zauberei versuchen. Und wer selbst als Dieb an Grobmotorik leidet, darf das Ganze auch automatisiert versuchen lassen, bis der letzte Dietrich aufgebraucht ist.

Sehr gute Regie

Wer sich abseits des Hauptpfades durch die Wildnis schlägt, Dörfer und Dungeons erkundet oder Städte entdeckt, versinkt schnell in einer Flut von Quests, erlebt ohne strikte Reihenfolge seine eigenen kleinen Abenteuer. Er kann sich aber jederzeit wieder in die Strömung der eigentlichen Story stürzen und sich vom spannenden Plot treiben lassen. Das Bedrohungsszenario aus einer fremden Welt ist zwar nicht neu, das dämonische Feindbild scheint klischeebehaftet und der erzählerische Rhythmus vibriert durchaus  in einem Herr der Ringe-Takt, aber alles wirkt dennoch sehr eigenständig, sehr durchdacht. Und diese enorme Freiheit erinnert positiv an Spiele wie Grand Theft Auto: San Andreas . Es gibt keine künstlichen Levelbegrenzungen wie in Fable oder KotOR. Auch die Entwicklung eures Charakters gehört dazu: Zwar wählt ihr zu Beginn über eure Rasse und Klasse Schlüsselattribute, die dann von Anfang an stärker ausgebildet sind, aber je nach Spielweise könnt ihr euch überall verbessern: Wer oft mit stumpfen Waffen austeilt, wird hier ebenso Punkte sammeln wie jemand, der oft schleicht oder oft feilscht. Man ist das, was man spielt. Es sei denn, man trifft einen Trainer: Der kann euch gegen Bares wertvollen Unterricht erteilen und so schneller ausbilden.

Das Spielgefühl ist trotz der Vielfalt sehr kompakt, sehr dicht: Die Regie ist wesentlich souveräner als im Vorgänger, die Protagonisten überzeugen mit emotionaler Mimik und ihr seid oftmals nicht nur alleine, sondern in einer Gruppe von Kämpfern unterwegs, müsst ihnen folgen oder sie anführen, bis es zu einem Gemetzel in riesigen Hallen oder im Freien kommt. Die Intelligenz der Gegner und Mitstreiter macht für ein Rollenspiel eine gute Figur: Zwar gibt es hier und da Totalausfälle, wie einen Bogenschützen, der sich nicht am Kampf beteiligt, aber in der Regel werden Gegner Verstärkung rufen, euch selbst durch Türen hindurch verfolgen und in der Überzahl niedermachen.

Kampf & Physik

Schnell erkennt man die Vorzüge des neuen Kampfsystems: Die Schwere der Waffe wird beim Schlag simuliert, so dass der Körper nach einem Axthieb nach vorne geworfen wird. Und wenn man einfach schnell drauflos haut, sinkt die Ausdauer. Über kluges Blocken, Ausweichen und Kontern kommt man zum Erfolg. Wer blind in Räume rennt, um in Action-

Etwa alle halbe Stunde wechselt der Tag zur Nacht und taucht jedes Gebäude in ein anderes Licht. (PC)
Rollenspielmanier alles nieder zu machen, wird nicht lange leben. Man muss sich gut vorbereiten, die richtigen Zauber parat haben, das Heranschleichen nutzen, um mehr Schaden anzurichten und mit Timing kämpfen. Das macht richtig Spaß, denn der Schild kracht satt bei einem abgewehrten Treffer, man kann zu Boden geworfen werden und ihr dürft nahtlos von der Schulter- in die Egosicht wechseln, um einen Schlagabtausch noch intensiver zu erleben. Schön ist auch, dass man durch das Halten der Angriffstaste besonders schwere Schläge austeilen darf, die je nach Richtung des Sticks/der Maus bzw. euren Schwertkampffähigkeiten unterschiedliche Hiebe ausführen. Auch das Wechseln der Waffe ist kein Problem, denn das Digikreuz bzw. die Tasten lassen sich für einen schnellen Zugriff belegen.

Die Physik, die im Tutorial noch spektakulär inszeniert wurde und ein paar Goblins niederwalzte, wird im weiteren Abenteuer als Spielelement etwas vernachlässigt und nicht immer ganz konsequent umgesetzt. Es kann z.B. sein, dass ihr mit einem Schwert an einer Holzpuppe trainiert, aber es trotz klarer Treffer keine Kollisionsabfrage gibt. Das sind jedoch nur kleine Ausfälle, denn ansonsten funktioniert das Aufeinanderprallen von Körpern sehr gut: Schießt ihr einen Pfeil auf Holz, bleibt er stecken und ihr könnt ihn später wieder rausziehen - einen Goblin mit Schild kann man aus der Entfernung in ein Stachelschwein verwandeln. Schießt ihr einen Pfeil auf Stein, prallt er ab; schießt ihr ihn einen Hang hinauf, purzelt er hinunter. Wer mal eben durch Dungeons rennen will, wird übrigens sein Fallenwunder erleben, das teilweise an Action-Adventures erinnert: Gruben, schwingende Pendel, bewegte Wände, messerscharfe Riesenklingen - alles ist dabei und hält den Nervenkitzel lebendig.

         

Reisen all inclusive

Komfort ist alles: Oblivion überlässt euch, wie schnell ihr die Welt entdecken wollt. Wer sich die Mühe macht und die Gegend zu Fuß erkundet, ist vielleicht nicht auf Ortshinweise angewiesen, wird mehr sehen und sogar mit einer kontinuierlichen Erhöhung seiner Athletikwerte belohnt - sprich: Man verliert nicht so schnell an Ausdauer und kann öfter kräftig zuschlagen.

So prächtig, so wenig lebendig: Die Städte wirken etwas steril, man vermisst das mittelalterliche Treiben. (PC)
Wem das zu langsam geht, der kann sich auch in zig Ställen ein Pferd leihen oder kaufen. Das ist überaus praktisch, da ihr auch über Zäune springen könnt. Aber die Rosse werden bei weitem nicht so natürlich dargestellt wie z.B. in Shadow of the Colossus - auf verschiedene Gangarten oder das Scheuen vor Hindernissen müsst ihr genau so verzichten wie auf den Kampf hoch zu Ross. Auch die Muskelbewegungen sind hier trotz weit überlegener Hardware nicht so augeprägt. Schade, denn damit bleiben die Vierbeiner recht sterile Transportmittel.

Wer noch zügiger reisen will, kann das direkt auf der Karte tun: Sobald ihr einen Ort entdeckt, wird er dort eingezeichnet und ein Klick auf sein Symbol bringt euch in null Komma nichts dorthin. Zu Beginn ist eure Weltkarte jedoch eine kleine Terra inkognita; erst über Gespräche und Gerüchte füllt sie sich mit geheimnisvollen Ruinen, Tempeln und Katakomben, die in die Hunderte gehen. Allerdings können die Ladezeiten die Reise etwas verlängern - vor allem auf der Xbox 360 gibt es ab und zu eine knackige Wartezeit. Auch bei der freien Erkundung können die Bewegungen beim Zutritt in neue Gebiete stocken.  Abhilfe schafft da das Leeren des Caches (wir berichteten). Die Wartezeit wird immerhin von nützlichen Hinweisen in schönen Bildern überbrückt, die an mittelalterliche Handschriften erinnern - sehr edel.

Unbelebte Städte

So wunderbar die Landschaft ist: In den Stätden wirkt die Welt von Tamriel manchmal wie ein Stillleben - schön, aber statisch. Es ist gespenstisch still, es gibt kein Gewusel, kein buntes Treiben. Spätestens hier trennen sich die Wege zum ähnlich offenen  Grand Theft Auto: San Andreas . Jede Stadt lebt von ihren Torwachen sowie einer oder zwei Hand voll Charaktere. Die gehen alle ihrem Tagwerk nach, legen sich schlafen, schließen ihre Türen ab, schmeißen euch raus und unterhalten sich sogar untereinander: Wer stehen bleibt, kann ihrem Geschwätz oder Klagen lauschen. Und sobald man in ihre Nähe kommt, drehen sie sich um, grüßen euch oder pöbeln euch an - je nach Rasse und Ruf. Auch der Diebstahl fällt nicht so leicht wie in Morrowind: Entweder werden Wachen sofort gerufen oder man ertappt euch mit der heißen Ware beim Spaziergang. Da ihr das Zeug nicht bei einem Händler loswerden könnt, müsst ihr mit der Diebesgilde und ihren Hehlern Kontakt aufnehmen.

Aber richtig lebendig wirken die Städte nicht, weil sie einfach so groß sind, ihre Bewohner verschlucken und der Alltag darin nicht animiert wurde. Man vermisst z.B. arbeitende Handwerker, die auf ihren Amboss schlagen, Felle gerben oder Holz schnitzen. Man vermisst auch spielende Kinder, tanzende Gaukler oder Marktschreier - all das hat schon Gothic 2 besser simuliert. Trotzdem erkundet man die Straßen gerne: Egal ob Wohn- und Gildenhäuser, Läden, Statuen oder Kathedralen - alles wurde akkurat designt. Ihr könnt jedes Gebäude betreten und werdet euch angesichts der üppigen Innenausstattung wundern: vom einfachen Stuhl und Messer über Vasen, Eimer, Käse, Wein bis hin zu gestickten Wandteppiche, gläsernen

Und weil es einfach so schön ist: Noch mal ein Ausblick in den urwüchsigen Wald. (PC)
Schaukästen und Schreibpulten voller Federn, Pergament und Krams ist alles vorhanden. Nur ab und zu trüben Grafik- und Logikfehler das Flanieren: Es kann passieren, dass eine Figur beim Öffnen einer Tür oben am Rand in der Luft hängt und später runterpurzelt; es kann passieren, dass euch ein Kneipenwirt auf Anfrage seine eigene Taverne und einen Abstecher dorthin empfiehlt, obwohl ihr gerade an seiner Theke steht; es kann sein, dass euch Figuren erst feierlich als Helden empfangen und dann plötzlich kein Wort mehr mit euch reden.

Obwohl es an der Oberfläche meist kein pralles Leben gibt, gärt es unter Tage: Es gibt zig versteckte Tunnel, Geheimgänge, Höhlen und Dungeons, die euch nach wenigen Schritten in die üblen Etagen Tamriels führen. Während oben die neun Götter regieren, herrschen unten düstere Kulte, Banditen und Geister. Die Stimmung kann von einer strahlenden Erhabenheit schnell in einen beklemmenden Horror wechseln, der sogar für Gänsehaut sorgt. Da soll ein junges Mädchen geopfert werden, weil einige Dörfler über ein blutiges Ritual Rache nehmen wollen. Ihre Häuser sind untertunnelt und führen euch in das Innere eines verrückten Kultes. Für diese wohltuenden Wechsel sorgt auch die hervorragende Musikuntermalung: Zwar wirken manche Übergänge zwischen den Stimmungen etwas abrupt, aber der wehmütig-epische Klang der Hauptmelodie und die packenden Tempowechsel beim Kampf drücken dem Abenteuer einen erstklassigen akustischen Stempel auf.   

Fazit

Knurrt euer Magen? Hunger auf epische Fantasy? Dann greift zu Langschwert, Feuerball oder Dietrich und schlagt euch den Bauch voll. Mit Oblivion hat Bethesda das große Fressen für alle Abenteurer eröffnet, die nach Gothic 2 und Morrowind zur Diät verdonnert wurden. Ab sofort dürft ihr euch in einer 40 Quadratkilometer großen Welt austoben, die keine Levelgrenzen kennt und neue grafische Maßstäbe setzt. Noch nie konnte ein Spiel diese Magie eines natürlichen Waldes beschwören. Noch nie wurde eine virtuelle Landschaft so faszinierend gestaltet. Wer einmal in ihr wandert, wird in einem Meer von imposanten Eindrücken, spannenden Quests und düsteren Dungeons versinken. Es gibt so viel zu entdecken, so viel zu lernen, so viel auszuprobieren. Die Story legt immer wieder delikate Köder aus: Spannung, Ungewissheit und Neugier halten für Stunden auf Trab. Aber unter der prächtigen Oberfläche steckt nicht immer die Tiefe und die Liebe zum Detail, die dieses Abenteuer verdient hätte: Die deutschen Texte sind eine einzige Schlampigkeit und rauben aufgrund ihrer Häufung wertvolle Atmosphärepunkte. Das Schiebespiel bei Dialogen ist ein Graus für Rollenspieler und in den Städten versinken die wenigen Bewohner in der Monumentalität. Obwohl von der Mimik bis zur Gestik viel Leben in den Figuren steckt, vermisst man reges Treiben. Das sind aber nur kleine Risse in einem ansonsten fast perfekten Abenteuer. Und selbst damit ist Oblivion unwiderstehlich.

Pro

gute Steuerung
enorme Spielzeit (50 Std.+)
viele gesprochene Dialoge
klasse Schlossknacksystem
freie Abenteuererkarriere
offene Charakterentwicklung
Entdeckerlust & Abenteuerflair
traumhafte Landschaft, ansehnliche Städte
wunderbare Tag-/Nacht- & Wetterwechsel
sehr gutes Reisesystem
übersichtliches Tagebuch
viele interessante Quests
spannende Story, gute Regie
hervorragender Einstieg
hunderte Dungeons & Höhlen
dynamisches Kampfsystem
Pferde reiten, Häuser kaufen
viele glaubwürdige Reaktionen
unglaublich viele Bücher, Pflanzen & Items
sehr stimmungsvolle Musikuntermalung
jederzeit anpassbarer Schwierigkeitsgrad

Kontra

unbelebte Städte
schlampige Lokalisierung
misslungene Überredungs-Minispiele
gelegentlich Abstürze (Xbox 360)
relativ lange Ladezeiten (Xbox 360)
hohe Systemanforderungen (PC)
keine komplexen Dialoge
vereinzelt Logik
& Grafikfehler- Gamepad nicht benutzbar (PC)

Wertung

360

Episch, prächtig, unwiderstehlich. Und dann dieser Wald - Wahnsinn!

PC

Episch, prächtig, unwiderstehlich. Und dann dieser Wald - Wahnsinn!

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