Alan Wake10.05.2010, Jörg Luibl
Alan Wake

Im Test:

Der Held ist kein Söldner, sondern Schriftsteller. Er kämpft nicht in einem Krieg, sondern in seinem Roman. Er zitiert nicht Tom Clancy, sondern Stephen King. Dieses Spiel trug von Anfang an die Hoffnung in sich, dass das junge Medium zu mehr als Waffenporno fähig ist, dass es geheimnisvolle und erzählerisch wertvolle Unterhaltung bieten kann. Schon fünf Jahre vor Heavy Rain symbolisierte Alan Wake (ab 12,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) eine kollektive Sehnsucht. Jetzt ist der Psycho-Thriller endlich da.

Angst im Dunkeln

Alleine im Dunkeln: Ein Schriftsteller zwischen Wahn und Wirklichkeit.
Wenn man alleine im Wald ist, sind die Sinne geschärft. Man nimmt die Geräusche intensiver wahr und genießt die natürliche Idylle. Aber unter der friedlichen Oberfläche schlummert nicht nur bei Stephen King manchmal das Böse. Auch für den Schriftsteller Alan Wake wird die Natur der imposanten Bergwelt immer wieder zu einem mysteriösen Horrortrip. Ist er verrückt? Leidet er unter Halluzinationen? Das Licht des Tages verwandelt sich scheinbar grundlos in die Schwärze der Nacht, die Grenzen zwischen Realität und Alptraum scheinen zu verschwimmen.

Erst mischt sich ein tiefkehliges Rumoren unter das Rauschen des Windes. Dann nimmt der Nebel Fahrt auf und rast in grauen Fetzen um Alan herum, während tintenschwarze Schleier wie Klauen um Bäume greifen. Schließlich faucht der ganze Himmel wie eine Bestie aus Wolken und Schatten, Tannen werden wie Grashalme gepeitscht und man kann den Hass in der Luft förmlich spüren, während man sich in Schultersicht nach allen Seiten umdreht. Nur ein paar Sekunden später nimmt die kollektive Urgewalt Gestalt an, als pechschwarze Kreaturen aus dem Nichts heran schleichen.

Im Auge des Tornados

Das sind grandiose Momente. Das Faszinierende an Alan Wake ist diese unheimlich lebendige Art und Weise, wie sich die Dunkelheit zusammen braut - Remedy zieht audiovisuell alle Register und sorgt dafür, dass Partikel und Licht, Töne und

Auf dieser Insel will sich Alan mit seiner Frau entspannen - aber alles kommt anders. Und seine Frau verschwindet.
Umwelt eine beklemmende Symbiose eingehen. Man hat fast das Gefühl, dass sich langsam ein Tornado des Bösen ausbreitet. Wer seine Anlage aufdreht und die Kamera schwenkt, erlebt ein fürchterliches, tiefkehlig knurrendes Gewitter auf technisch höchstem Niveau. Allerdings spuckt es keine Blitze, sondern Besessene aus.

Auch deren Inszenierung sorgt zu Beginn für Gänsehaut. Denn diese pechschwarzen Kreaturen scheinen mit dem Nebel aus dem Wald zu fließen und wirken mit ihren Messern und Äxten so bedrohlich wie die Untoten aus dem Filmklassiker The Fog - Nebel des Grauens. Das Figurendesign dieser Schattenzombies ist klasse. Und wenn die Kamera wie von Geisterhand hinter Alan fährt, dann an Höhe gewinnt und die schwarzen Schatten von allen Seiten aus Büschen hervor oder über Felsen kriechen, kommt tatsächlich Panik à la Resident Evil auf.

Wo ist meine Frau?

Eigentlich wurde Alan schon genug gestraft: Seit zwei Jahren bringt der berühmte Autor von Schauergeschichten keine Zeile mehr zu Papier. Er kann nicht mehr, wird von einer Schreibblockade geplagt. Und als wäre das nicht genug, wird aus dem geplanten Erholungstrip in das idyllische Städtchen Bright Falls spätestens dann ein Horrortrip, als seine Frau nach einem

Was geht ab in Bright Falls? Wo ist seine Frau? Alan sucht auch in einer Nervenheilanstalt nach Antworten.
Streit in diesen verdammten See springt. Alan taucht hinterher und findet nur Schwärze. Hat sie Selbstmord begangen? Wurde sie getötet? Oder gar von einer fremden Macht entführt? Selbst die Insel auf dem Cauldron Lake ist weg. Dabei haben sie das Haus darauf noch zusammen bezogen!

Wahnsinn? Twilight Zone? Die Story macht mit dieser mysteriösen Ausgangssituation richtig neugierig, zumal edle Rückblicke à la Lost für TV-Serienflair sorgen - auch die musikalische Untermalung dieser Pausen ist gelungen; der Soundtrack zum Spiel kann sich hören lassen. Alan muss im Laufe der sechs Episoden herausfinden, was mit seiner Frau geschah. Schön ist, dass es mehrere Erzählebenen gibt, denn man begleitet den Schriftsteller bei Rückblicken in die Vergangenheit, sieht plötzlich Erinnerungsfetzen und erfährt über Manuskripte, was andere über ihn denken. So werden aus Ahnungen irgendwann Gewissheiten.

In der Ruhe liegt das Drama

Obwohl es viel potenzial für subtilen Horror oder verstörende Elemente gab, konzentriert sich das Spieldesign auf die Action.
Alleine die Tatsache, dass man einen Schriftsteller spielt, der in seinem eigenen Roman unterwegs ist, verdient in einer von Söldnern und Kriegen überlaufenen Spielewelt dickes Lob. Allerdings lässt sich Remedy nicht genug Zeit, um die Existenz der düsteren Welt über die Erkundung der Umgebung oder die Befragung von Bewohnern aufzubauen. Innerhalb einer halben Spielstunde gelangt man von der Fähre einer heilen Welt in den düsteren Wahnsinn der Schulterperspektive, um mit der Taschenlampe durch den Wald zu joggen, den Revolver aufzunehmen und loszuballern.

Man weiß viel zu schnell, dass eine Alptraumwelt besteht, dass man die Feinde mit Licht bekämpfen muss und dass eine alte Hexe im Hintergrund die Fäden zieht. Auf der einen Seite zitiert Remedy literarische Meister des Grauens wie Hitchcock und des Öfteren Stephen King, aber auf der anderen Seite ignorieren sie deren behutsame, auf die langsame Zuspitzung von Ereignissen und Konflikten ausgelegte Dramaturgie. Man muss hier nicht lange überlegen, wer das Böse personifiziert, weil man es auf einem Tablett im Witwenkostüm serviert.

Brotkrumen und Manuskripte

Dabei legt das Spieldesign zunächst interessante Köder aus, die wie erzählerische Puzzlestücke wirken: Alan findet nämlich Fragmente seines eigenen Romans. Aber er hat doch gar keinen geschrieben - oder etwa doch? Hier ist man noch

Vor allem Leuchtfackeln und Blendgranaten helfen Alan gegen die Besessenen.
angenehm verwirrt , da Alan eine Woche aus seinem Gedächtnis verloren hat; man lässt sich die kurzen Episoden als Erinnerungsfüller vorlesen. Da Remedy alles vertont hat, kommt dabei sogar ein Hauch von Hörspielstimmung und Autorenlesung auf. Allerdings sind die Texte manchmal komplett belanglos oder spoilern eine kommende Situation: Man liest quasi, was in der nächsten Hütte passiert.

Trotzdem folgt man den leuchtenden Manuskriptseiten durch den Wald wie Hänsel und Gretel den Brotkrumen, da man seine Frau finden will. Die Motive ähneln sich: Sowohl Alan als auch die Geschwister haben es mit einer Hexe zu tun. Nur entsteht im Märchen dadurch Spannung, dass diese einfache Spur und damit die Sicherheit von den Vögeln weggepickt wird. Und es wird dadurch schrecklich, dass die Hexe zunächst nicht als solche zu erkennen ist, sondern sich als gutmütige alte Frau mit Lebkuchenherz verkleidet. In Alan Wake wird einem die Hexe schon in der ersten Episode als schwarze Witwe präsentiert - plump und klischeehaft. Und die Gebrüder Grimm kannten noch keine Thermosflaschen: Was hat die Finnen geritten, dass sie ihre geheimnisvolle Spielwelt mit hundert sammelbaren Kannen entzaubern?

Die sichere Fährte

Man kann sich auch nicht in den Wäldern von Bright Falls verirren. Hier hat man nicht nur eine immerwährende Spur aus

Es gibt auch Fahrsequenzen: Alan kann in Autos steigen und losdüsen. Warum sind die eigentlich alle offen und ohne Besitzer?
Zetteln, Licht und Munition, die von A nach B führt, sondern auch einen Kompass, der die Richtung zum nächsten Ziel angibt. Wenn es mal Schätze gibt, wird der Weg dorthin auch noch mit knallgelben Graffitis markiert und was bekommt man? Munition oder Waffen! Es gibt weder ein Inventar noch besondere Gegenstände, die zum Kombinieren oder Nachdenken anregen würden. Wollte Remedy dafür sorgen, dass möglichst viele Spieler möglichst frustfrei voran kommen, ohne sich all zu viele Gedanken zu machen?

Es gibt auch keine Dialoge, in denen man eine Wahl bei den Antworten hätte. Man kann das Spiel und sein Ende auch nicht mit seinen Aktionen beeinflussen wie etwa in Silent Hill: Shattered Memories . Die idyllischen Kamerafahrten mögen an Twin Peaks erinnern, die Werke von David Lynch mögen als Inspiration gedient haben, aber in Alan Wake steckt nichts von dem subtilen Geheimnis oder der rätselhaften Beziehung zwischen Charakteren, die man entschlüsseln möchte. Dafür trifft man einfach auf zu wenige Leute und ist eher Zuschauer als Ermittler.

Passiver Mitläufer

Die Problemlöser: Taschenlampe und Colt. Es gibt überall genug Munition und Waffen vom Jagdgewehr bis zur Pumpgun.
Dabei gibt es in all den ruhigen Momenten sehr stimmungsvolle Ansätze für Recherchen: Wenn Alan durch die Wohnwagensiedlung geht, um einen Fan zu treffen oder wenn er im Sanatorium dem Arzt folgt, entstehen so viele potenziell verstörende oder interaktive Situationen. Aber es bleibt immer passiv. Remedy nutzt diese atmosphärisch gelungenen Rundgänge nicht aus, denn man bleibt immer so lange lauschender Mitläufer, bis das Dunkle wieder einbricht. Das geht so weit, dass man in der Nervenklinik tatsächlich dieselben Scheinwerfer platziert wie im Wald, um rechtzeitig Licht machen zu können.

Trotzdem gibt es Highlights in den automatisierten Dialogen. Interessante Figuren wie die Rocker Tor und Odin bilden die löbliche Ausnahme: Sie sorgen für köstliche Unterhaltung und einen Hauch zwielichtigen Mythos abseits stereotyper Dörfler. Wie schon in Max Payne gibt es Rabenvögel sowie Anspielungen auf die nordische Mythologie. Erinnert sich jemand an den Club Ragnarök in New York? Hier bleibt sich Remedy also treu. Ansonsten darf man viele sprechende Klischees beobachten und hat keinerlei Einfluss auf die Geschichte oder die Beziehungen.

Wo sind die Rätsel?

Es gibt auch keine anspruchsvollen Rätsel, die einen beschäftigen könnten. Remedy hätte angesichts der Schauplätze, der Geschichte und auch der Physik so viele Möglichkeiten gehabt, etwas Kombinationsgabe und Gehirnschmalz zu fordern, um

Sehr intensiv wird es, wenn die Besessenen Alan umzingeln und aus dem Nichts auftauchen.
das Spieldesign aufzuwerten. Nur ab und zu kommt so etwas wie Experimentierfreude auf, wenn man schwarze Flecken mit Licht wegbrennt oder ein Schloss aufschießen muss. Aber meist muss man stupide Schalteraufgaben in immer gleicher Art und Weise bewältigen: Die Lampe geht nicht? Bitte den Generator finden, einschalten und zurück zur Lampe, um diese anzuknipsen - das wiederholt sich zigmal von der ersten bis zu letzten Episode.

Man wird quasi zwölf Stunden lang von einer dunklen Actioninsel zur nächsten hellen Aufsammelinsel geschleust. Und weil man im Licht immer wieder Munition, Fackeln und Waffen findet, weiß man auch, dass man diese demnächst gebrauchen muss. Der schlimmste Feind der Spannung ist die Sicherheit. Sowohl Hitchcock als auch Stephen King verstehen es, ihre Zuschauer bzw. Leser mit dem Grauen zu überraschen. Remedy kann es zwar optisch beschwören, kann es in den Wolken und im Nebel immer dichter werden und zu einem schwarzen Himmel anschwellen lassen, aber spielerisch präsentieren die Finnen eher Horror im Stile von Michael Bay als King oder gar Poe.

Kampf gegen die Schatten

Das Licht, die Landschaft, die Architektur - alles großartig und auf technisch höchstem Niveau.
Diese düstere Action sieht verdammt gut aus und kann richtig rocken. Auch die Geräusche tragen ihren Teil dazu bei, dass die Gefechte gegen die Besessenen unter die Haut gehen: Sie fletschen ihren Hass wie tollwütige Hunde heraus und man kommt sehr oft in die Gefahr der Umzingelung, so dass man selbst nicht stehen bleiben darf und vor allem die Unterstützungswaffen wie Leuchtfackeln und Blendgranate clever nutzen muss. Hier entsteht ein ebenso hektischer wie ansehnlicher Tanz aus eleganten Ausweichmanövern mit anschließender Zeitlupe, krachenden Projektilstößen von der Pumpgun bis zum Jagdgewehr und gleißenden Lichtexplosionen, die die Nacht in rotes Feuer tauchen - sehr ansehnlich! Zumal man selbst zielen und nicht automatisch anvisieren kann.

Remedy schickt ganz unterschiedliche Besessene und Feinde in den Kampf. Unter den schwarz flackernden Hillbillys gibt es wendige Messerwetzer und bullige Axtschwinger, böse Kettensägenrassler und ganz fiese Attentäter, die man zunächst nur als verschwommene Schemen wahrnimmt, die blitzschnell durch das Unterholz huschen. Überhaupt sorgt ihre Beweglichkeit für Spannung: Wer sie mit der Taschenlampe ins Visier nimmt, muss damit rechnen, dass sie seitlich ausweichen oder einen geschickt umrunden, so dass sie im Rücken wieder auftauchen - hier kann man sich keine Sekunde ausruhen. Und das macht richtig Laune.

Zu wenig Taktiken und Tricks

Leider gewöhnt man sich irgendwann an die düstere Action, zumal die Besessenen keine Immunitäten zeigen.
Allerdings machen sich nach zwanzig, dreißig Kämpfen bereits Abnutzungserscheinungen breit, was die Vielfalt und den taktischen Anspruch angeht. Ich jogge immer wieder zu einem nahen Generator, schmeiße ihn an und betrete den rettenden Lichtkegel, der mich sofort heilt. Und siehe da: Die Lebensenergie ist schnell wieder auf Maximum! Und wenn ich mal umzingelt werde, schmeiße ich die Smartbombs...ähm...Blendgranaten. Der Nervenkitzel weicht später der Ballerroutine, wenn man auf einer Rockbühne eine Hundertschaft nieder mäht oder sie im Dutzendpack über den Haufen fährt. Man verliert irgendwann den Respekt vor den Feinden, weil es fast immer genug Waffen und Munition gibt.

Remedy kann im weiteren Spielverlauf nicht mit Überraschungen wie neue Gegnertypen, Waffen oder Situationen aufwarten, die Alan Wake als Actionspiel auf wirklich sehr gutes Niveau hieven würden. Man hat relativ schnell alle Totmacher und Todfeinde gesehen, alle Taktiken und Tricks ausprobiert. Schön ist, dass man manchmal auch einfach fliehen muss und dann endlich mal das Gefühl des Gejagten bekommt. Allerdings ist die einzige groß angelegte Fluchtszene wiederum so anspruchslos, dass man mit einfachem Lauf nach vorne durchkommt. Und spätestens nach fünf Spielstunden weiß man, wie der Kampfhase läuft: Licht gegen Dunkel - immer wieder, ohne Variationen.

Poltergeister im Anmarsch

Es gibt abseits von riesigen Baggern oder plötzlich vom Himmel fallenden Bussen keine wirklich beeindruckenden oder

Alans Kumpel Barry weist den Weg mit seinem Leuchtdiodengurt.
fürchterlichen Feinde, die angesichts flexibler Schwachpunkte eine spezielle Taktik verlangen würden. Vögel muss man mit Leuchtpistolen als heranfliegenden Schwarm treffen, Poltergeister wie lebendig gewordene Tonnen oder ganze Autos ebenso. Man kann auch auf alles und jeden Leuchtfackeln oder Blendgranten werfen. Es gibt weder Immunitäten noch Besonderheiten - einfach draufhalten!

Wenn sich der Boden plötzlich hebt, wenn Brücken schwanken oder Poltergeister in Gegenstände fahren und Besitz von riesigen Kabeltrommeln oder gar Fahrzeugen ergreifen, kommt natürlich Stimmung auf. Aber das ist zusammen mit einigen Einblendungen von Fratzen das einzige wirklich verstörende oder subtile Horrorelement im Spiel. Und das ist ein paar Jahre nach Eternal Darkness , Silent Hill und Project Zero zu wenig. Remedy hätte sich nicht nur literarisch von Bestsellerautoren, sondern auch inhaltlich von diesen Größen inspirieren lassen sollen, um zu verschleiern und zu verwirren.

Grausige Reste der Offenheit

Dass Alan Wake mal als größeres Spielerlebnis in einer offenen Welt geplant war, merkt man vor allem den späteren Abschnitten bei Tageslicht an, in denen man weite Strecken durch die waldigen Berge mit Fahrzeugen düsen kann. Hier kann man fast à la Grand Theft Auto die Vehikel wechseln, indem man einfach anhält und in den nächsten Wagen steigt. Ein

Alan kann auch in Autos steigen und diese als fahrbare Lichtwaffe nutzen.
bulliger Jeep steuert sich zwar etwas anders als ein schlanker Ford, aber das Gefühl bleibt schwammig, man kann weder ordentlich Gas geben und muss kaum aufpassen, dass man die Karren zu Schrott verarbeitet.

Zwar gibt es ein Schadenssystem, aber das ist ebenso gnädig wie die hölzernen Straßenbegrenzungen stabil sind - hier ist die Physik alles andere als realistisch. Lediglich in den düsteren Phasen ist man auch im Auto in Gefahr: Obwohl man die Besessenen mit dem Scheinwerferlicht schwächen und im Dutzendpack über den Haufen fahren kann, sollte man auf Kollisionen mit schweren Geisterbaggern oder Ähnlichem verzichten und sein Auto möglichst nicht umzingeln lassen - dann wird man nämlich von den schwarzen Kreaturen rausgezerrt; sehr schön. Letztlich ist die Sicherheit in den Autos bei Nacht allerdings viel zu groß, so dass die Feinde an Gefährlichkeit verlieren, sobald man hinter dem Steuer sitzt.

Schöne tote Landschaft

Die Besessenen erinnern in ihrem Artdesign an die Toten aus The Fog - Nebel des Grauens.
Bei Tag muss man diese Konflikte natürlich nicht befürchten. Wer nicht mit 120 Sachen durch die atemberaubende Landschaft düsen will, kann jederzeit aussteigen und überraschend weitläufige Areale zu Fuß erkunden - die phänomenale Sicht auf Gipfel und Schluchten erstreckt sich über Kilometer. Die Bergwelt sieht fantastisch aus, weil Hänge und Bäume, Felsen und Büsche wie gemalt wirken. Ich habe noch nie so eine authentische Darstellung einer waldigen Landschaft gesehen. Hier und da rollt sich zwar Gras in einiger Entfernung auf und es gibt etwas Tearing, aber technisch ist Alan Wake hinsichtlich der Texturen und Weitsicht ein Augenschmaus.

Allerdings entlarvt eine Erkundung schon nach ein paar hundert Metern das Problem dieser Spielwelt: So authentisch die Pflanzen und Bäume auch aussehen, so leblos sind diese Wälder. Man trifft höchstens auf die allgegenwärtigen Krähen, aber sonst machen sich Tiere und Menschen rar. In den düsteren Phasen bei Nacht kann man das verstehen, aber wo sind die Bewohner von Bright Falls bei Tag? Hätte es nicht wenigstens mal Wanderer, Arbeiter oder Ähnliches geben können?

Abseits landschaftlicher Reize ist die Erkundung also eine Enttäuschung. Remedy entwirft kilometerlange Serpentinen und platziert in regelmäßigen Abständen bloß leere Autos, leere Aussichtstürme und leere Fabriken. Man findet auf diesen Autofahrten höchstens Munition, Waffen oder Thermosflaschen. Wo sind geheimnisvolle Höhlen? Warum hat man nicht wenigstens ein, zwei zusätzliche Charaktere eingebaut? Das Aufgebot an Personen ist erschreckend gering. Dafür entschädigt allerdings das mediale Angebot: Man kann bis zu elf Radio- und vierzehn TV-Sendungen finden, um mehr über

Immer mitten in die Schatten rein: Alan gibt Gas!
Brights Falls zu erfahren oder sich einfach zu amüsieren, weil Twilight Zone köstlich veräppelt wird oder Bewohner interviewt werden.

Schwache Animationen

Hinsichtlich der Bewegungen der Menschen kann Remedy nicht in der ersten Liga mitspielen: Alan bewegt sich fast so hüftsteif wie Max Payne anno dazumal, kann sich nicht ducken und darf manchmal selbst knietiefe Zäune nicht überspringen. In den Zeitlupen ist er ein agiler Panther, aber ansonsten wirken seine Animationen auch beim Aufheben oder Öffnen träge. Schön ist allerdings, dass er nach einem Spurt sichtbar verschnaufen muss. Ansonsten beschränkt sich sein akrobatisches Repertoire darauf, dass er über Abgründe springen kann. Es gibt auch einige Hüpf- und Kletterpassagen, aber die sind hinsichtlich Anspruch oder Weitläufigkeit nicht der Rede wert.

Die Mimik so mancher Protagonisten kann im Zeitalter von Uncharted 2 nicht begeistern - da fehlen die Feinheiten im Ausdruck, da fehlen die Muskelbewegungen im Gesicht. Die Charaktere sehen aber immer noch gut aus und sie bewegen sich angenehm natürlich.

Die deutsche Lokalisierung

Nur selten muss Alan auf die Waffen verzichten und einfach wegrennen.
Die deutschen Sprecher hinterlassen gemischte Gefühle: Auf der einen Seite gibt es sehr gut gesprochene Figuren wie den Arzt oder Barry, auf der anderen Seite einige fehl besetzte wie Alans Frau oder die Polizistin. Ein ganz schlimmer Fauxpas: "Wir müssen beim Diner anhalten" wird mit druckstarkem Doppelkonsonant als "Wir müssen beim Dinner anhalten" gesprochen. Angesichts der langen Entwicklungszeit und der enormen Wirkung von Stimmen verwundert es, dass man Alan nicht prominenter besetzt hat. Sein deutscher Sprecher ist zwar okay, aber alles andere als markant oder charismatisch - manchmal spricht er fast teilnahmslos. Immerhin kann man auf das amerikanische Original umschalten, das wesentlich besser wirkt.

Mehr akustische Emotionen und weniger belangloses Gequatsche hätten dennoch dramaturgische Wunder gewirkt, denn Alan kommentiert nahezu alles. Und das kann nerven, denn das Offensichtliche wird nicht dadurch gruselig, dass man es nochmal ausspricht. Im Bereich der inneren Monologe sinkt die Qualität der Texte rapide ab, weil es viel zu selten um Alans Gefühle geht. Wenn man sich dann vor Augen hält, dass er seinen eigenen Roman erlebt, besteht der zum Großteil aus seichten Beobachtungen der Marke "Es ist dunkel." oder "Das Haus schien leer." oder "Ich musste schnell weiter."

Fazit

Das ist nicht der grandiose Thriller, der die Rätselhaftigkeit eines Twin Peaks mit dem subtilen Grauen eines Silent Hill verbindet. Das ist schmackhafter Popcorn-Horror, der von Michael Bay kommen könnte - ein audiovisueller Hochgenuss mit explosiver Action. Macht das Spaß? Oh ja! Vor allem wenn die Besessenen aus dem Wald kriechen, ich einem Axthieb in Zeitlupe ausweiche und danach die Pumpgun abfeuer! Ich bleibe bei Tageslicht auch gerne stehen, um die Kamera zu schwenken: Was für eine fantastische Bergwelt! Allerdings ist sie erstens tot und zweitens werde ich stupide von A nach B hindurch geschleust. Es gibt weder aktive Dialoge noch anspruchsvolle Rätsel oder verstörenden Psychoterror. Remedy wollte an die Dramaturgie aus Film und Literatur anknüpfen, um einen grausigen Thriller zu erschaffen. Das gelingt ihnen an der Oberfläche der Inszenierung gut, aber so ungewöhnlich der erzählerische Ansatz ist, so gewöhnlich ist die Spielmechanik darunter - inkl. Thermosflaschen und Spuren für Blinde. Remedy ist hier ganz eindeutig faule Kompromisse eingegangen und hat die geplante Offenheit ad acta gelegt, damit möglichst viele Leute möglichst viel Spaß haben. Die Story ist gut und in ihren besten Momenten blitzt ihr schauriges Potenzial auf, aber im Gegensatz zu Eternal Darkness, Silent Hill oder Project Zero wird dieser Horror nicht als Highlight in Erinnerung bleiben. Nach zwölf Stunden und sechs Episoden hinterlässt das Finale keine nachdenkliche Ergriffenheit, sondern einen schalen Nachgeschmack.

Wenn sich die Bäume im Wind wiegen, das weiche Mondlicht durch die Äste schimmert und das sanfte Rauschen von einem immer lauter werdenden Grollen abgelöst wird, bin ich in der Welt von Alan Wake gefangen wie der Autor selbst: Atmosphärisch gehört dieser übernatürliche Psycho-Thriller mit zum Besten, was ich bisher an einer Konsole oder dem PC erlebt habe. Vor allem die ruhigen Momente haben es in sich, doch auch wenn das laute Getöse einsetzt und die Dunkelheit ihr destruktives Gesicht zeigt, werden sich vor allem Besitzer von leistungsstarken 5.1-Anlagen wie im Raumklang-Himmel fühlen. Doch so sehr mich das audiovisuelle Erlebnis packt und mich die Hintergrundgeschichte mit ihren Mysterien fesselt - spielerisch haut mich Remedy nicht so richtig vom Hocker. Rätselelemente sind kaum vorhanden, die Action ist zwar oft intensiv, nutzt sich aber durch ständige Wiederholungen und zu wenige Gegnervariationen zu schnell ab. Außerdem nagt die Überversorgung an Munition, Waffen und Fackeln an der Spannung: Während ich bei Spielen wie Resident Evil schon aufgrund des knappen Vorrats Schweißausbrüche bekomme, machte ich mir hier bei der nächtlichen Flucht nur selten Sorgen, mich gegen die Besessenen zur Wehr setzen zu können. Die Krone setzt diesbezüglich der Bosskampf auf - wenn man ihn überhaupt so nennen kann: Dramaturgisch zwar gelungen, ist das Finale spielerisch eine kleine Katastrophe. Das gilt auch für die Fahrsequenzen, die mit ihrer schwammigen Steuerung und schwachen Soundeffekten mehr an eine Billig- als eine Triple-A-Produktion erinnern. Trotzdem habe ich den Besuch in Bright Falls insgesamt genossen - die dichte Atmosphäre und Präsentation haben mich zusammen mit der Hintergrundgeschichte über einige der spielerischen Defizite hinwegsehen lassen und regelrecht bis zum Abspann an den Bildschirm gefesselt. Trotzdem hätte ich mir nach der langen Entwicklungszeit mehr Ideenreichtum und Abwechslung beim Spieldesign gewünscht - selbst die betagte Konkurrenz vom Schlag eines Eternal Darkness oder Silent Hill ist da weiter.


Zum Video-Fazit

Pro

Popcorn-Horror mit viel Action
gute Story, mehrere Erzählebenen
beeindruckende Landschaft
hervorragend inszenierte Dunkelheit
packende Gefechte inkl. Zeitlupen
clevere Gegner umrunden Alan
einge gelungene ruhige Passagen
 sehr gute Licht- und Partikeleffekte
klasse Geräusch- und Musikkulisse
coole TV- & Radio-Sendungen
teilweise weitläufige Areale

Kontra

 kaum subtile Schockmomente
 plumper Hexen-Einstieg
sehr lineares Spieldesign
 zu wenig und stupide Rätsel
Kämpfe ohne Schwachpunkttaktik
keine große Gegnervielfalt
Gefühl der Dauersicherheit
blöde Sammelobjekte & Markierungen
steife Mimik, wenig Personen
schwache Hüpfpassagen
langweilige KI-Koop-Passagen
spielerisch anspruchsloses Finale

Wertung

360

Gute Horror-Action, aber nicht der grandiose Thriller, den man erwartet hat.

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