Ninety-Nine Nights13.09.2006, Mathias Oertel
Ninety-Nine Nights

Im Test:

Massenschlachten im Dynasty Warriors-Stil spielten in der Kingdom Under Fire-Reihe auf der Xbox nur eine Nebenrolle und mussten sich der Strategie unterordnen. Ninety-Nine Nights (ab 24,90€ bei kaufen), die 360-Premiere des Phantagram-Teams, setzt den Fokus auf geradlinige Action und lässt taktische Elemente nahezu unbeachtet. Kann das gut gehen?

Kingdom ohne Fire

Schon im Vorfeld war klar, dass Ninety-Nine Nights (N3) nicht die strategische Tiefe der indirekten Vorläufer im Geiste eines Kingdom Under Fire: The Crusaders oder Kingdom Under Fire: Heroes haben würde.

Die Prämisse: Taktik wird auf ein Minimum reduziert, die Action und damit die Kämpfe gegen Hunderte von Gegnern wird in den Vordergrund gerückt. Doch damit begibt man sich auf ein Terrain, das bislang hauptsächlich von Koeis Dynasty Warriors bzw. Samurai Warriors-Serien gehalten wird. Man begibt sich auf ein Gelände, das durch die fast schon im

Auf den ersten Blick könnte N3 als neuer Teil der "Warriors"-Serien von Koei durchgehen.
Halbjahresrhythmus erschienenen neuen Koei-Spiele seinen Zenit schon längst überschritten hat und leicht schal geworden ist. Und so leid es mir tut: N3 bemüht sich zwar redlich, das "Armeen-Hack&Slay" zu neuen Höhen zu führen, doch zeigt man sich dabei zu verhaftet in konventionellen Mechanismen.

Warriors ohne Dynasty

Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt natürlich auf der Hand: Spieler, die schon Erfahrungen mit den Koei-Produkten gemacht haben, fühlen sich sofort heimisch, da die Steuerung ähnlich einfach gehalten wurde. Und auch Einsteiger werden mit den zwei Schlagknöpfen sowie Möglichkeiten zu blocken, zu springen und Magie einzusetzen, in keiner Weise überfordert.

Bis hierhin kann ich Phantagram auch keinen Vorwurf machen. Denn bereits in den KuF-Spielen auf der Xbox hat man ein ähnliches System erfolgreich eingesetzt. Dort allerdings wurden Schwachstellen in der Kampfmechanik durch eine hervorragende Einbettung in dieStrategie mehr als wettgemacht.

Alibi-Kommandos werden allerdings trotzdem geboten: Vor jeder Mission könnt ihr die Mitläufer an eurer rechten und linken Flanke festlegen, denen ihr sogar zwei Befehle geben könnt: "Bleibt hier" oder "Kommt mit" - nicht gerade üppig. Und selbst diese Minimalstrategie ist für den Spielverlauf vollkommen unerheblich. Ob die leidlich mitkämpfenden Schergen nun draufgehen oder nicht, ist absolut egal. Da die Knaben im Gegensatz zu meiner Figur sowieso keine Erfahrung bekommen, habe ich keinerlei Bindung zu ihnen. Sie sind Kanonenfutter, Köder und im besten Fall das Einzige, das zwischen mir und einem angreifenden Riesentroll steht&

Da Taktik keine Rolle spielt, treten auch die Schwächen in der Action deutlich zu Tage: Man kann zwar mit "nur" zwei Schlagknöpfen im Wechsel teilweise extrem lange und auch gut aussehende Kombos abrufen und mit jeder durch den Gewinn von Erfahrungspunkten erreichten neuen Stufe kommen auch frische Kombination dazu.

Wenn aber die neuen Möglichkeiten auf lange Sicht weit weniger effektiv sind als die Standard-Kombos, die einem anfänglich zur Verfügung stehen, fängt das Nachdenken an: Warum soll ich komplexe Manöver überhaupt nutzen? Und das hat bei mir dazu geführt, dass ich zwar jede neue Schlagvariation ein paar Mal ausprobiert habe, mich aber bei den Kämpfen letztlich auf die "normalen" Kampfroutinen verließ - so schön das Ergebnis auch aussehen mag. Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen ist einfach nicht gegeben.

Hinsichtlich der Anzahl von Gegnern auf dem Schirm und im Bezug auf Spezialeffekte ist N3 wahrlich Next-Gen. Die Sichtweite lässt aber immer noch zu wünschen übrig...
Die auf den Schlachtfeldern verteilten Schatztruhen kennt man bereits aus den Koei-Titeln. Hier wie da finden sich darin Ausrüstungsgegenstände, die euch z.B. gewisse Boni spendieren oder die Orbleiste auffüllen, die man ebenfalls aus ähnlichen Spielen kennt - auch wenn sie hier in leicht abgewandelter Form eingesetzt wird: Statt sich wie bei Koei mit jedem Schlag aufzufüllen, saugt ihr automatisch rote Orbs besiegter Gegner auf. Ist die entsprechende Leiste voll, kann ein zeitlich begrenzter Supermodus aktiviert werden, in dem besiegte Gegner blaue Orbs zurücklassen, die wiederum für eine extrem mächtige Spezialaktion benötigt werden.

Story ohne Tiefgang

Trotz aller Unzulänglichkeiten konnte ich mich nicht dazu entschließen, N3 in den letzten Winkel der Software-Hölle zu verdammen. Immerhin sind auch Koeis Warriors-Reihen mit ähnlichen Problemen behaftet, die scheinbar nicht so einfach aus dem Weg zu räumen sind. Und auch die Dynasty Warriors machen mir selbst als fünfter Teil in der Empires-Edition immer noch Spaß.

         

Nicht so sehr, dass ich damit Augenringe nach einer durchzockten Nacht in der Redaktion erklären müsste, aber für ein Stündchen hier und ein Stündchen da macht das eigentlich sinnlose Vernichten ganzer Heere durchaus Laune - und das ist auch bei N3 der Fall. Was allerdings auch weniger der KI oder gar der Geschichte an sich zuzuschreiben ist. Erstere ist -wie man es kennt- meist strunzdoof und selbst im Heeresverband nur auf die pure Zerstörung und den absoluten Angriff bei Sichtweite ausgelegt; kleine geskriptete Rückzüge inklusive.

Fortgeschrittene Schlagkombos sehen zwar fein aus, sind aber leider unter dem Strich nur selten effektiver als die Standard-Möglichkeiten.
Zweitere bleibt trotz völliger Loslösung von bekannten Spieluniversen erschreckend blass und erzählt eine alltägliche Geschichte von Gut gegen Böse. Trotzdem oder gerade deshalb findet meine Motivation genau hier in diesem eigentlich unzureichend ausgenutzten Potenzial ihren Anfang. Denn ihr erlebt die Geschichte jeweils aus dem Blickwinkel der insgesamt sieben zu spielenden Figuren, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen.

Überschneidungen der sieben Wege kommen dabei genauso vor wie komplett losgelöste Handlungsstränge. Die vor manchen Missionen angebotene Entscheidung, wo ihr jetzt weiter machen könnt, z.B. einem Hilferuf einer nahe gelegenen Stadt nachkommt oder nicht, scheinen aber keinen Einfluss auf den Gesamtverlauf der Geschichte zu haben.

Und auch wenn die ganz großen Überraschungen hinsichtlich des Plots und der damit zusammenhängenden Spannung ausbleiben, hat mir das schon als Anfangsmotivation gereicht, um das Pad wieder und wieder für eine kurze Spielesession aufzunehmen.  

Auch wenn es mir durch die selten überzeugende englische Sprachausgabe, die über die schön anzusehenden, meist in Spielgrafik angebotenen Zwischensequenzen gelegt wurde, nicht immer leicht gemacht wurde.

Die Akustik hinterlässt hingegen einen soliden Eindruck: Von passenden, wenngleich sich schnell wiederholenden Kampfgeräuschen bis hin zum orchestralen Soundtrack, der sich positiv von den harten Gitarren-Riffs der Kingdom Under Fires unterscheidet, gibt es nichts, was großartig aufregen würde - aber auch ebenso wenig, das dazu geeignet wäre, Atmosphäre aufzubauen.

Next-Gen ohne Glanz

Mit der Kulisse verhält es sich ähnlich zwiespältig wie hinsichtlich der Spielmechanik: Einerseits bleibt man zu sehr in alten Strukturen verhaftet, um für Furore sorgen zu können, befindet sich dadurch allerdings auf der sicheren Seite, andererseits möchte man viel fürs Auge bieten, verliert dabei aber den Blick für das Wesentliche.

Angesichts der viel beschworenen Grafikpower der 360, die in den Spielen der zweiten Generation wie z.B. Dead Rising auch deutlich zu sehen ist, bleibt N3 häufig erschreckend altbacken. Man ist zwar der spielerisch ähnlichen Konkurrenz aus dem Hause Koei weit voraus, doch unter dem Strich bleibt ein "Fast-aber-doch-nicht-ganz-Next-Gen"-Eindruck zurück.

Das betrifft vor allem die nicht gerade üppig zu nennende Vielfalt bei Gegnern: Dabei geht es mir nicht einmal darum, dass man viel zu häufig den immer gleichen Typen begegnet. Doch dass diese dazu auch noch alle aus dem Klonlabor kommen, wirkt befremdlich. Wenn es Capcom schafft, Dutzende verschiedener Zombies zu gestalten, wieso schafft es dann Phantagram nicht, innerhalb eines Truppentyps wenigstens für etwas Abwechslung zu sorgen? Von mir aus leichte Abweichungen bei der Haut-Kolorierung oder bei den Klamotten der Zauberer - irgendwas!

Die Zwischensequenzen sind gut gelungen, werden aber durch die häufig lahme englische Sprachausgabe geschwächt.
Doch dies ist nicht der einzige Punkt, wo man sich wünschen würde, die Entwickler hätten mehr aus dem System geholt. Denn auch die Sichtweite ist kein Zeugnis für Grafikpower der nächsten Generation. Zwar gibt es keine Nebelwände wie bei den Koei-Produkten, doch der leicht verzerrende Weichzeichner, der sich über heranstürzende Gegnermassen legt und sich erst ca. 200 Meter vor euch auflöst, ist nur eine unwesentlich bessere Alternative.

Erst bei den aufwändigen Effekten und vor allem der schieren Anzahl an gleichzeitig auf den Bildschirm gebrachten Figuren kommen Next-Gen-Gefühle auf, die allerdings durch die bereits angesprochene Gegner-Monotonie wieder etwas abgemildert werden. Doch Trotz der fehlenden Abwechslung fühlt man Adrenalin durch seine Adern strömen, wenn Hunderte von Gegnern auf einen zustürmen.

Wenn man allerdings irgendwann in der Pflicht ist, auch den letzten, wirklich den allerletzten Gegner auf dem Schlachtfeld zu suchen, den man vielleicht in der Hitze des Gefechts übersehen hat, nimmt der Adrenalinspiegel spürbar ab und weicht einer leichten Frustration, die von der generell etwas zickigen Kameraführung nicht gerade gemildert wird.

Aber wenn man es schließlich geschafft hat, seine Magieleiste aufzufüllen, die abhängig von der Figur eine andere elementare "Smartbomb" zündet, scheint die Sonne aufzugehen: Alle Gegner mit Ausnahme der Bosse werden z.B. von einer imposanten Feuerwelle ausgelöscht und der K.O.-Zähler wird extrem schnell vierstellig. Diese Momente, die sich im Normalfall maximal ein bis zwei Mal pro Abschnitt auslösen lassen, sind letztlich neben den Story-Variationen verantwortlich dafür, dass ich immer wieder zum Pad greife.       

Fazit

Selbst als bekennender Dynasty Warriors-Spieler und erklärter Fan der Kingdom Under Fire-Serie auf der Xbox habe ich Schwierigkeiten, Ansatzpunkte zu finden, die den Kauf von Ninety-Nine Nights rechtfertigen. Gut: Das Spielprinzip ist einfach nicht totzukriegen und wurde im Vergleich zu den Dynasty und Samurai Warriors leicht verbessert. Nicht gut: Losgelöst von der Taktik der Kingdom Under Fires zeigt die Kampfmechanik Schwächen in der Tiefe. Gut: Der Begriff Massenkämpfe wird neu definiert. Nicht gut: Es hätte noch intensiver sein können, wenn man mehr Gegnervarianten und eine bessere KI eingebaut hätte. Gut: Die Spezialeffekte sind Next-Gen-würdig. Nicht gut: Der Rest der Kulisse ist meist nur "Fast-Next-Gen". Gut: N3 macht kurzfristig einen Heidenspaß. Nicht gut: Es wird zu schnell eintönig und gleichförmig. Ihr seht schon: Ich bin hin- und hergerissen. Aber unter dem Strich bleibt N3 hinter nahezu allen in den Titel gesetzten Erwartungen zurück. Wie intensiv Massenschlachten der anderen Art aussehen könnten, hat vor kurzem erst Dead Rising bewiesen. Ob es für Phantagram da ein Trost ist, dass man wenigstens die Koei-Konkurrenz übertrumpft hat? 

Pro

eingängige Steuerung
imposante Gegner-Massen
kurzzeitig unterhaltsam
plakative Story aus mehreren Blickwinkeln
gelegentliche Missions-Wahlmöglichkeiten
Hack&Hack alter Schule
Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung
feine Spezialeffekte

Kontra

auf Dauer eintönig
gelegentliche Einbrüche der Bildrate
wenig Abwechslung im Gegnerdesign
kaum anspruchsvolle Bosskämpfe
unnötig unübersichtliche Kamera
schwache (englische) Sprachausgabe

Wertung

360

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