NHL 2K602.05.2006, Jörg Luibl
NHL 2K6

Im Test:

Fünf Spiele, fünf Siege, der Aufstieg ist perfekt. Wir sind wieder erstklassig - jedenfalls im Eishockey. Das deutsche Team konnte bei der B-WM gegen Frankreich in seiner letzten Partie fünfmal einnetzen und die Halle in Amiens in einen tosenden Applauskessel verwandeln. Ein Grund mehr, sich auch virtuell aufs Eis zu begeben. Kann NHL 2K6 (ab 14,94€ bei kaufen) die Faszination des Sports auf Xbox 360 & Co übertragen?

Ernüchterung im HD-Format

Wenn man NBA 2K6 in hoch aufgelöster Kulisse auf der Xbox 360 und danach am Fernseher auf Xbox oder PS2 betrachtet, ist der Unterschied ein gewaltiger, fast ein berauschender - man fühlt sich schon nach wenigen Sekunden wie in einem anderen Spiel; böse Zungen vergleichen das sogar mit einer Emulation. Genau so geht es einem z.B. auch bei Fight Night Round 3 . Manche Titel lösen ihr HD-Versprechen tatsächlich ein und rechtfertigen mit ihrer optischen Faszination unter Umständen auch den höheren Preis der 360-Fassung. NHL 2K6 gehört leider nicht dazu, denn bis auf etwas plastischere Figuren und mehr Zwischensequenzen ist kein großer Vorsprung zur Xbox oder PS2 zu sehen.

Das Spiel ist ansehnlich, aber vor allem auf der Xbox 360 ist der Sprung in die nächste Generation nicht so überzeugend wie bei NBA 2K6. (360)

Natürlich sieht es einen Tick besser aus. Natürlich gibt es hier ein jubelndes 3D-Publikum. Aber die Animationen bei Täuschungen, Paraden und Drehungen sind nicht wesentlich geschmeidiger oder gar vielfältiger - da hätte ich mir gerade gegenüber dem Vorgänger noch mehr Finessen gewünscht. Und es gibt einige grafische Schwächen: Die Einblendungen der grob geschnitzten Club-Besitzer in ihrer Loge etwa, die vielen zittrigen Bewegungen zwischen Puck und Stock in der Zeitlupe, die unspektakulären Wraparounds zum direkten Treffer oder die seltsam schlaffen Checks.

Es fehlt vor allem auf der Xbox 360 optisch an Wucht, Körnigkeit und diesem letzten Funken Eishockey-Feuer. Man hat zwar immer ein taktisch anspruchvolles, aber gleichzeitig immer auch leicht steriles Spielgefühl. Auch das famose TV-Flair, das die beiden Kommentatoren Gary Thorne und Bill Clement noch in ESPN NHL 2K5 mit viel Charisma und Fachwissen vermitteln konnten, will dieses Jahr nicht aufkommen -  beide sind Opfer der fehlenden ESPN-Lizenz. Immerhin finden deutsche Cracks endlich alle Texte in ihrer Sprache vor, so dass man sich ohne Probleme auch durch das ins Spielmenü integrierte Handbuch wühlen kann. Ansonsten gibt`s ordentlich was auf die Ohren: Die Fans feiern laut und heiß, der Soundtrack ist mit Bands wie Grinder angenehm hart, rauchig und rockig.

Starker Simulationskern

Wer die Wahl hat und in erster Linie die technische Power der neuen Microsoft-Konsole in Aktion sehen will, sollte sich also das Geld sparen und besser in die ältere Generation investieren - die sind im Schnitt 25 Euro günstiger und bieten inhaltlich fast dasselbe. Das ist schade, denn unter der ansehnlichen, aber wenig faszinierenden 360-Hülle steckt natürlich immer noch ein verdammt prächtiger Kern. Schon letztes Jahr haben wir ESPN NHL 2K5 mit 90 Prozent zum Meister der Eishockey-Simulation gekürt. In Sachen Umfang, Steuerungsfinessen und Taktik bleibt es dem auf den ersten Blick spektakuläreren NHL 06 klar überlegen.

EAs Konkurrent lässt es zwar fetter in Bande, Mann und Tor krachen, aber Veteranen netzen dort auf Dauer zu durchsichtig über ein, zwei Spielzüge ein. Hier geht es bei der Torjagd komplexer und abwechslungsreicher zur Sache. Hier gehen auch mal Schüsse von der blauen Linie oder aus dem frontalen Torraum rein. Egal ob Doppelpass, Rückwärtsskaten mit Puck, schnelle Stopps aus der Bewegung, elegante Dekes, Stockrempler in alle Richtungen, Querlupfer, Schlagschuss oder der Wraparound aka "Bauerntrick" - die Möglichkeiten sind enorm. Allerdings haben wir dieses Jahr auch immer wieder seltsam anmutende Tore beobachtet, die aus dem Zentrum in Torwartnähe mit Handgelenkschüssen fielen; seltsam deshalb, weil sie nicht immer platziert und gefährlich aussahen, sondern irgendwie ins Netz zuckelten, ohne dass der Goalie auch nur den Versuch einer Parade machte. Auch der Bauerntrick sieht aus wie eine nicht abgeschlossene Animationsphase - man vermisst den letzten Schliff beim Umkurven. Trotz kleiner Ungereimtheiten: die spielerischen Stärken wurden dieses Jahr noch erweitert. Dabei sind einige gelungene, aber auch einige weniger gelungene Neuerungen.

Das Team von Visual Concepts lässt sich immer wieder etwas einfallen, wenn es um neue Features geht. In NBA 2K6 ist es z.B. die Möglichkeit, die Spielzüge eines Gegners aufzuzeichnen, um anhand des Datenmaterials eine KI mit ähnlicher Taktik zu simulieren - so kann man z.B. üben, wie man seinen besten Freund besiegt. Das ist ein klasse Zusatz für Taktiker, den ich mir auch gerne für dieses Eishockey gewünscht hätte. Allerdings hat man für NHL 2K6 andere Prioritäten gesetzt.

Blitzpässe bis zum One-Timer

Trotz hübscher Spiegelungen und eleganter Manöver wirkt das Spiel ab und an etwas steril. Man vermisst etwas mehr Körnigkeit, Wucht und Bandendonner. (Xbox)
Dieses Jahr kann man den Puck z.B. noch schneller durch die eigenen Reihen jagen, um im Angriff mit einem One-Timer abzuschließen: Sobald man den Stick drückt, erscheinen Button-Symbole über allen Spielern und ihr könnt den Puck auf Knopfdruck dorthin befördern - ähnlich wie beim bekannten Icon-Passing von EA. Der Unterschied ist nur, dass ihr den Angreifer hier mit einem Doppeldruck sofort einen One-Timer ausführen lasst. Sprich: Die Folge B, Y, X und dann B, B führt von Spieler B quer durch die Reihen zurück zu ihm und einem finalen Schuss.

Dieses System hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass man so sehr schnell, sehr ansehnlich und gefährlich abschließen kann. Es sieht einfach klasse aus, wenn der Puck wie ein Blitz hin- und hergepasst wird. Der Nachteil ist, dass man aufgrund der Rasanz sehr viel Übung braucht und bei späterer Beherrschung gerade gegen die ersten KI-Stufen und weniger gute Freunde ein One-Timer-Festival feiern kann - Pass, Pass, Tor. Hier hat NHL 2K6 leider etwas an Flair verloren, denn diese Geradlinigkeit kann auf Dauer den Spielspaß hemmen. Daher sollte man möglichst in der Liga auf Pro oder höher gegen den Computer spielen. Gegen menschliche Gegner auf ähnlichem Niveau bieten die One-Timer immerhin keine ähnliche Tor-Garantie wie in NHL 06, da sie auf dem Weg durch die Mitte meist aufgrund der guten Kollisionsabfrage abgefangen oder vom Goalie weggefischt werden.

              

In der Haut des Goalies

Meist überlässt man die Torwartsteuerung dem Computer, denn man hat auch so schon genug auf dem Eis zu tun. In NHL 2K6 könnt ihr sie auch selbst übernehmen - und das macht vor allem auf der Xbox 360 richtig Spaß. Denn nur hier wird das Ganze sehr authentisch in einer Schulterperspektive inszeniert: Ihr müsst den Sichtkegel eures Goalies immer Richtung

Auf der 360 dürft ihr in die Haut des Goalies schlüpfen und die Panik des Schlussmanns nachempfinden. (360)
Stürmer bzw. Puck schieben, damit er eine grüne Farbe annimmt und ihr optimal auf Schüsse reagieren könnt. Sollte es dann krachen und die Scheibe angeflogen kommen, verlangsamt sich das Spiel zu einer Zeitlupe, eine Zielscheibe erscheint irgendwo in eurem Kasten und ihr müsst sie schnell mit einem Stick erreichen und zupacken. Schafft ihr das, gibt`s eine coole Parade. Ist die Trefferzone außer Reichweite könnt ihr auch einen Hechtsprung wagen, um das Tor zu verhindern. Diese Neuerung hat mir sehr gut gefallen, denn sie vermittelt die Panik und Hektik wunderbar, die der Schlussmann unter Druck spüren muss.

Schwache Einschüchterungen

Was ist ein "Enforcer"? Ein Brecher, der andere Spieler mit seinen Checks so demoralisieren kann, dass sie langsamer werden und ihre Stärken nicht mehr so gut einsetzen können. Für kurze Zeit gleiten selbst Stars wie Modano, Jagr & Co in die Zone der Unfähigkeit ab. Das ist eigentlich eine gute Idee, um dem Eishockey eine ebenso adrenalinhaltige wie emotionale Note zu verpassen. Daruf kann man für NHL 2K7 aufbauen. Aber das Team von Visual Concepts hat dieses neue System zum einen atmosphärisch zu oberflächlich inszeniert: Man sieht bloß ein "E" unter den Enforcern, wenn sie checken gibt`s keinen visuellen Unterschied und die Opfer bekommen ebenfalls nur markiert - das war`s. Warum hat man die Brecher nicht mit kurzen Einblendungen in den Fokus der Kamera gebracht? Warum sieht man keine krachende Vollkontakt-Zeitlupe? Oder die Verzweiflung des Gecheckten? Oder den Hohn des Checkers?

Zum anderen ist die spielerische Konsequenz nach erfolgreicher Einschüchterung zu krass: Man darf dem Gegner tatsächlich per Klick für kurze Zeit bestimmte Fähigkeiten sperren. Das heißt z.B., dass das gesamte Team keine One-Timer mehr ausführen kann - das ist albern, im besten Fall ein netter Arcade-Zusatz. Mal abgesehen davon, dass das der Simulationsphilosophie der Reihe widerspricht: Warum hat man hier nicht subtilere oder nur individuelle Schwächungen genutzt? Starke Spieler werden so nur unverhältnismäßig bevorteilt. Wir haben dieses -lobenswerter Weise optionale- Feature jedenfalls schnell abgestellt und auch online kaum jemanden gefunden, der damit spielen wollte.

Für NHL 2K7 sollte man sich besser auf die individuellen Animationen, die Körpersprache und vielleicht auch die Dekes konzentrieren. Das Abschirmen und Wegschlagen des Pucks funktioniert einwandfrei. Und theoretisch habt ihr zwar die freie Kontrolle über Stick und Mann, dabei sogar wesentlich mehr Möglichkeiten als bei NHL 06 , aber die Täuschungsmanöver bei 1:1-Situationen gegen Torwart gleichen manchmal automatisierten Zufallsprodukten - man müsste hier eine noch präzisere Kontrolle haben, die noch gezielter im Training einstudiert wird. Veteranen sollten auf jeden Fall das manuelle Zielen einstellen, damit man beim Abschluss genau weiß, warum der Puck jetzt links unten und nicht rechts oben gelandet ist.

Schnelle Taktikduelle

Neu ist auch das Schere-Stein-Papier-Prinzip im Taktikbereich: Jeder kann über den Druck auf das Digikreuz vier defensive

Der Goalie liegt quer, der Weg ins Netz ist frei: Tor! Leider sind nicht alle Treffer in dieser Konsequenz nachvollziehbar.  (Xbox)
und offensive Manöver ausführen, die sofort die Laufwege und das Verhalten eurer Spieler beeinflussen. Das ist nichts Revolutionäres, aber der Clou ist, dass es für jedes Angriffs- ein passendes Verteidigungs-Manöver gibt. Aktiviert euer Gegner bei Puckbesitz z.B. die Irritierung eures Torhüters durch zwei Sicht behindernde Stürmer, könnt ihr schnell einleiten, dass der Torwartraum geräumt werden soll - und schon wird das Eis vor dem Goalie freigecheckt. Hört sich gut an, ist auch eine gute Idee und sorgt umgehend für mehr Dynamik und Finessen auf dem Eis: Man kann z.B. in Bedrängnis schnell Hilfe eines zweiten Kufencracks ordern oder seine Stürmer wie eine Meute Richtung Goalie jagen lassen. Und das Schöne ist, dass ihr das alles im vorbildlichen Live-Trainer-Modus übren könnt. Hier bekommt ihr immer einen Tipp, auf was ihr am besten umschaltet.

Aber das interessante System hat einen Knackpunkt: Man kann seine Taktik immer erst dann aktivieren, wenn man sich als Stürmer im gegnerischen Drittel oder als Verteidiger im eigenen befindet. Warum geht das nicht früher? Das Problem ist nämlich, dass man so bei Kontern oder hektischen Spielen kaum Zeit hat, passend zu agieren oder gar zu reagieren. Im Online-Duell ist dieser Taktikwechsel kaum praktikabel. Und es gibt auch in Liga-Matches sehr selten Situationen, in denen man tatsächlich die heranstürmende Schere mit dem verteidigenden Stein zerschmettern kann. Wenn es mal klappt, ist die Freude natürlich um so größer.

Verrückte Online-Tombola

Eigentlich wollte ich bei der Besprechung der Online-Features in eine Lobeshymne verfallen: Denn im Gegensatz zu NHL 2K5, das für Europa komplett offline blieb, geht es jetzt endlich auf PS2, Xbox und Xbox 360 wieder im Internet zur Sache - hurra! Ihr findet eine ähnliche Vielfalt wie bei NBA 2K6, also nicht nur schnelle Matches, sondern auch die Möglichkeit an Turnieren oder Ligen teilzunehmen sowie detaillierte Profile eurer Kontrahenten. Aber, aber, aber: Der Online-Modus leidet unter massiven Netzwerkproblemen. Es sind noch nicht mal Lags, denn sobald man aufs Eis geht flutscht der Puck recht flüssig, sondern vollkommen unerklärliche Verbindungsabbrüche oder Abstürze. Mal klappt`s reibungslos, mal rauft man sich die Haare, weil Spiele selbst nach dem x-ten Versuch einfach nicht gestartet werden oder alles gleich komplett einfriert und ein Neustart nötig ist. Mal gibt es Synchronisierungsprobleme beim Hochladen des eigenen Steuerungsprofils, mal unterbricht das Spiel nach dem Anpfiff. Sogar im Offline-Modus ist mir der Titel beim Musikwechsel abgestürzt. So krasse Fehler sind mir bisher bei keinem Konsolentitel vorgekommen.

           

Fazit

Letztes Jahr konnte ich noch voller Euphorie den Platin-Award zücken, dieses Jahr bin ich nicht dermaßen überzeugt - vor allem nicht von der Puckjagd auf der Xbox 360. Der spektakuläre grafische Sprung ist im Gegensatz zum hauseigenen NBA 2K6 nicht geglückt, so dass sich die Unterschiede zu den wesentlich billigeren Fassungen für Xbox und PS2 in ernüchternden Grenzen halten. Irgendwie will auch deshalb keine Next-Gen-Gänsehaut den Nacken erobern, weil vieles zu schlaff und steril wirkt. Natürlich soll man kein Check-Festival à la NHL 06 feiern, aber ich will etwas mehr Kufenkratzen und Bandendonner. Und ich will weniger technische Fehler: Letztes Jahr gab es den ominösen Freeze-Bug in der Franchise, dieses Jahr friert einfach zu oft alles im Netz ein. Die massiven Verbindungsprobleme trüben die Freude über den neuen Online-Spaß. Trotzdem gebe ich mir ein Match nach dem anderen. Trotzdem komme ich kaum vom Eis weg. Einfach deshalb, weil der spielerische Kern erneut jeden Eishockey-Fan begeistern wird. Kein anderer Titel bietet so viel taktische Tiefe, so viele Steuerungsfinessen, so viel Simulationsflair und so viel Umfang - wer seine Euros hier investiert wird bis Weihnachten glücklich sein. Allerdings sind die Neuerungen gegenüber dem Vorjahr nicht alle so gelungen wie die Torwartsicht samt Reaktionstest: für die Taktik-Konter hat man kaum Zeit, das Icon-Passing kann zu One-Timer-Orgien führen, die Einschüchterungen durch Enforcer wurden schwach inszeniert und haben unrealistische Folgen. Kurzum: Ein gutes Spiel, das nicht ganz konsequent auf den Punkt entwickelt wurde. Für NHL 2K7 wünsche ich mir einfach mehr Feinschliff, weniger technische Fehler in der Online-Lobby und eine Kulisse der nächsten Generation.

Pro

+ enormer Umfang+ gut reagierende KI+ viele coole Minispiele+ zig Optionen & Regler
sehr gute Trainingsmodi+ hervorragende Rock-Soundtracks+ neues Icon-Passing für One-Timer+ viele Steuerungsfinessen
Online-Modus für alle Plattformen+ hervorragendes Simulationsflair+ neue Torwart-Steuerung (360)+ komplexer Franchise-Modus+ günstiger Preis (PS2 & Xbox)+ komplett deutsche Texte & Ingame-Handbuch

Kontra

viele unerklärliche Abstürze
Online-Verbindungsprobleme
ernüchternde Kulisse (360)
einige zittrige Animationen
nur englische Kommentare
wesentlich teurer (360)
halbgares neues Enforcer-System
kaum praktikables Taktik-Schere-Stein-Papier
Checks wirken zu schlaff
seltsam unspektakuläre Wraparounds
Torwart-KI nicht ganz überzeugend

Wertung

360

Kein anderer Titel bietet so viel taktische Tiefe, so viele Steuerungsfinessen, so viel Simulationsflair, so viel Umfang.

XBox

PlayStation2

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