Call of Juarez04.07.2007, Benjamin Schmädig
Call of Juarez

Im Test:

Das Licht geht aus, die unheilvoll gezupften Gitarren-Saiten schwingen sich zum Crescendo auf, Erinnerungen an die Hauptdarsteller werden wach: Unglücksrabe Billy, der nach dem Mord seiner Eltern ausgerechnet am Tatort entdeckt wird und Pfarrer Ray - ein ehemaliger Revolverheld, der die Schießerei längst an den Nagel gehängt hatte. Doch als Ray seinen Neffen auf der Ranch des toten Bruders findet, treibt ihn die Wut in einen blutigen Rachefeldzug: Call of Juarez (ab 1,69€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) beginnt endlich auf 360!

Fingerknoten

Eigentlich hätte Ubisofts schmutziger Western schon vor einem knappen Jahr eine dicke Auszeichnung absahnen können. Schließlich fingen die Entwickler das verklärte Epos von Cowboys und Indianern so authentisch ein, dass Liebhabern von rauchenden Colts und Friedenspfeifen warm ums Herz wurde. Allerdings hatten sie auf dem Weg nach Juarez auch mit Stolpersteinen zu kämpfen: Wenn Billy durch ein Lager voller Banditen schlich, wirkte das aufgesetzt und unausgereift, die Ladezeiten zwangen zum Kaffee holen, die scheinbare Freiheit der Prärie wurde durch unsichtbare Grenzen zum abgezäunten Wildgehege, manche Abschnitte zogen sich unnötig in die

Bibelfest? Ray trägt die Heilige Schrift bei sich und hält sich für den von Gott gesandten Rächer.
Länge und die Steuerung bescherte mir Knoten in den Fingern. Um euch einen vollständigen Überblick zu verschaffen, klickt ihr euch am besten zum Test der PC-Fassung  (4P-Wertung: 80%) durch. Denn bis auf Kleinigkeiten stapft der Konsolen-Ausritt in den Fußspuren seines Vorreiters.

Gut so, denn so öffnet sich auch auf Xbox 360 eine grandiose Kulisse, sobald ihr abwechselnd mit Billy und Ray im Wilden Westen schleicht, reitet und schießt - auch wenn Techland die letzten neun Monate kaum dazu genutzt hat, die Längen in einigen Levelschläuchen zu entschlacken oder gläserne Zäune zu entfernen. Trotzdem haben sich die Entwickler um einige Szenen Gedanken gemacht; was besonders Billy zugute kommt, der jetzt beim Schleichen entdeckt werden darf, ohne dass er den Abschnitt von vorn beginnen muss. Außerdem erhält er Pfeil und Bogen nicht erst im letzten Drittel seiner Flucht, sondern findet die Waffe so früh, dass er die Gangster von Beginn an lautlos ausschalten kann. Das streicht viele frustrierende Momente aus der Geschichte. Einige Level wurden sogar umgestaltet, wovon wieder Billy profitiert: Gleich zu Beginn muss er nicht durch seine gesamte Heimatstadt fliehen, sondern entwischt den Verfolgern über eine Abkürzung. Später freut er sich über einige kürzere Laufwege.

Finaler Einstieg

Aber Techland hat das Abenteuer nicht nur gestrafft, sondern verleiht dem Blick in die Ferne einen moderneren Anstrich: Schärfere Texturen und zusätzliche Felsen, Bäume oder Sträucher machen aus vielen grauen Tapeten jetzt schroffe Klippen oder Geröllhaufen.

So sieht der Wilde Westen auf Xbox 360 aus:

Besonders beim Galoppieren fallen zwar immer noch spät auftauchende Büsche und Grasstoppeln auf, doch insgesamt wirkt der Übergang weicher als in der Erstveröffentlichung. Ich habe mich nur geärgert, dass die Details mit dem Fortschreiten der Handlung scheinbar weniger werden. Fehlte dafür die Zeit? Auf jeden Fall gleichen die Schauplätze der späteren Episoden deutlicher der PC-Kulisse als die Einleitung. Im Übrigen seid ihr auf Konsole in drei zusätzlichen Abschnitten unterwegs - nur, dass diese nicht die Handlung erweitern, sondern nach Abschluss der Geschichte als separate Kapitel freigeschaltet werden. Und noch eine Szene ist neu: Der Einstieg wirft euch direkt ins Finale, in dem ihr als Ray hinter einer dicken Minikanone das Zielen lernt. Anschließend heißt es "10 Wochen vorher" und ihr erfahrt, wie der Pfarrer dort hin kam.

Die ohnehin packenden Mehrspieler-Gefechte um Banküberfalle und die Jagd nach Gold wurden ebenfalls erweitert: Auf Xbox 360 spielt ihr Episoden der überlieferten Historie nach (schon mal als Billy the Kid ein eisernes Ross überfallen?) oder macht Jagd auf einen gesuchten Verbrecher. Nur der Letztere erhält für seine Abschüsse Punkte und wer ihn erledigt, übernimmt anschließend seine Rolle. Übrigens bleibt ihr dauerhaft bei Gesundheit, denn falls ihr zwei oder drei Treffer einsteckt, kehren die Kräfte nach kurzer Pause in einem sicheren Winkel zurück. Das sorgt zwar für einen flüssigeren Ablauf, weil ihr

Zusammen mit einer Truppe "Texas Ranger" schaltet ihr ein Banditenlager aus.
selten das Zeitliche segnet - es macht das Spiel für einsame Präriewölfe auf dem normalen Schwierigkeitslevel allerdings auch zu einfach. Solltet ihr trotzdem in die ewigen Jagdgründe abdanken, müsst ihr anschließend nicht den letzten Spielstand laden - Call of Juarez kennt auf 360 genug Rücksetzpunkte, um euch frustrierende Momente meist zu ersparen.

Schielen, nicht schießen

Alle sonstigen Veränderungen wirken sich spielerisch kaum aus. Die extremen Ladezeiten wurden z.B. entschärft. Sie unterbrechen den Spielfluss zwar immer noch, sind aber kein Ärgernis mehr. Zudem seht ihr jetzt stets, ob Billy von seinen Gegnern gesehen werden kann oder sich in Deckung aufhält und die komplizierte Steuerung wurde geringfügig entschärft: Ihr ladet jetzt beide Waffen mit nur einem Tastendruck. Weil ihr den rechten Bumper gedrückt halten müsst, um hinter einer Ecke hervor zu schielen, könnt ihr währenddessen allerdings nicht mit der rechten Pistole schießen. Schade: Gerade das hätte den großartigen Feuergefechten noch mehr Spannung verliehen.   

Fazit

Billys Flucht und die Suche nach dem Gold von Juarez ist auch auf 360 ein grandioser Western! Spätestens, wenn der Wind Staubwolken über die verlassene Prärie schiebt und die ruhige Musik in der unendlichen Weite verloren geht, wird euch Techlands verklärte Geschichtsstunde gefangen nehmen. Konsolen-Cowboys freuen sich dann über ein etwas schöneres Panorama als PC-Indianer, die spielerische Straffung, wenn sie mit Billy unterwegs sind und die immer noch großartigen Bleiwechsel zwischen Pfarrer Ray und den Gangster-Banden. Schade, dass die Entwickler nur eine Hand voll Schrauben anziehen - mit etwas mehr Hingabe hätten sie auch die aufgesetzten Schleich-Abschnitte dynamischer und einige zähle Level verkürzen können. Wäre der Wilde Westen wie ihn Call of Juarez zeichnet nicht so steif und geradlinig, er könnte die Erfüllung vieler Kindheitsträume sein.

Pro

grandiose Western-Kulisse
Geschichte wird aus zwei Perspektiven erzählt
knackige, glaubwürdige Schusswechsel
nachvollziehbares Verhalten der Gegner
sich ausbreitendes Feuer
Reiten erweckt Cowboy-Feeling
High Noon-Duelle!
viele filmreife Sequenzen
großartiger Soundtrack
hervorragende Sprachausgabe
spannend erzählte Geschichte
viele überraschende Einfälle
Zeitlupe, Schnellfeuer & beidhändiges Schießen
umfangreiche Mehrspieler-Varianten
entschärfte Schleich-Abschnitte

Kontra

steife Bewegungen von Feinden und Tieren
Sprüche der Gegner wiederholen sich schnell
sehr geradliniger Ablauf
Physik kaum spielerisch genutzt
Steuerung beim Reiten zu unrealistisch
unflexible Gegner beim Schleichen
unsichtbare Levelgrenzen
überladene Steuerung
Feinde mitunter schwer auszumachen
viele zähe (zu ausgedehnte) Abschnitte
Kisten stapeln wirkt veraltet
etwas zu einfach auf mittlerem Schwierigkeitsgrad

Wertung

360

Die Konsolen-Prärie ist ebenso großartig wie die am PC - einschließlich aller Stärken und etwas weniger Schwächen.

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