Velvet Assassin20.05.2009, Jörg Luibl
Velvet Assassin

Im Test:

"Ich hatt 'nen Kameraden, 'nen Bessren findste nich..." Der Soldat trällert ein Liedchen in die Hamburger Nacht. Es ist kalt und neblig - das ideale Mistwetter für eine militärische Undercover-Mission. Noch sitze ich mucksmäuschenstill hinter einer riesigen Frachtkiste aus Bremen. Noch warte ich auf den richtigen Moment. Dann steckt sich der Wachposten eine Zigarette an. Als blauer Dunst zur Elbe weht, schleiche ich mich geduckt heran, das blanke Messer in der Hand...

Violett the Ripper

"Sabotage" sollte das Spiel der Hamburger Replay Studios ursprünglich heißen, als es im Februar 2003 (!) angekündigt wurde. Offiziell ist es bisher noch nicht in Deutschland erschienen; wir haben die Xbox 360-Fassung importiert - auch eine PC-Version ist im Anmarsch....auf den letzten Metern färbt sich der Bildschirm bedrohlich rot, aus den Boxen pocht es lauter und dann bin ich endlich nah genug am Mann: Einmal kurz A gedrückt und schon jagt die Klinge lautlos von oben rechts in den Hals. Je nachdem, aus welcher Situation heraus und mit welcher Bewaffnung man diese Attacken einleitet, gibt es ähnlich wie in Tenchu dutzende tödliche Manöver - vom Erwürgen mit dem Gewehr über den Stich in die Weichteile bis hin zum Schläfenschlag mit anschließendem Kopfschuss.

Wer es auf die friedliche Art per Betäubungspistole mag, wird in dieser Schleichaction des Zweiten Weltkriegs nicht fündig. Im Gegensatz zu Metal Gear Solid 4 , das man komplett ohne eine Tötung meistern konnte, gehört das Blut immer zum morbiden Alltag. Ein kurzes ersticktes Gurgeln, dann sackt der Soldat in sich zusammen. Ich greife ihm unter die schlaffen Schultern und wuchte ihn hinter die Frachtkisten, damit die Patrouillen ihn nicht finden. Aber das war nicht der letzte tote Mann, denn noch bin ich nicht am Ziel: Als Spezialagentin des britischen Geheimdienstes ist es meine Aufgabe, deutsche U-Boot-Routen aus einem Safe zu stehlen und alle Vorbereitungen für die Bombardierung zu treffen. Das ist trotz der Dunkelheit keine leichte Aufgabe, denn das Gelände hallt nur so vor zackigen Wehrmachtsstiefeln. Also heißt es, Kisten vor Lichtquellen schieben, Stromkästen sabotieren und auch mal die Uniform wechseln.

Hey, hier fühle ich mich wie Garretts moderne Reinkarnation - endlich wieder Stealth-Action! Okay, die Dame hat weder akrobatische Finessen in petto noch kann sie sich an die Wände schmiegen, um die Ecke lugen oder auf Hightech-Schnickschnack à la James Bond zurückgreifen - schade, hatte der MI6 denn damals nichts parat? Und wieso gibt es nur entweder sichtbar oder unsichtbar, aber nicht je nach Lichtverhältnis weitere Nuancen im Dunkeln? Warum kann ich eigentlich keine Lampen ausschießen? Das müsste doch im Jahr 2009 drin sein! Das wirkt im Gegensatz zur angenehm lebendigen Inszenierung der Dialoge oder Liedchen alles überaus konservativ, wenn sich Violette wie hier unten heran pirscht...

Tödliche Tricks

Aber die Freude über die Genrebelebung hält zunächst an: Man muss nicht schwer bewaffnet sein, um mit den Wachen fertig zu werden. Da hinten unterhalten sich z.B. zwei Posten über die neue Technik der Zaunkönig-Torpedos, während einer immer dieselbe Route im Zickzack abläuft und kommentarlos an ihnen vorbei marschiert. Dieser eine hat allerdings eine Stielgranate an seinem Gürtel - das ist meine Chance: Wenn ich nah genug von hinten an ihn heran komme, kann ich den Splint heraus ziehen und er läuft als tickende Bombe weiter - allerdings muss das Timing stimmen, sonst explodiert sie zu früh. So hockt man hinter einem Sandsack, freut sich über die listige Idee und zählt einundzwanzig, zweiundzwanzig...

Oder nehmen wir die zwei schwer bewaffneten Soldaten da drüben: Sie laufen jedesmal durch eine kleine Öl-Lache neben dem LKW - wenn ich da rechtzeitig einen Schuss mit der Schall gedämpften Pistole rein setze, geht alles in Flammen auf. Schade nur, dass ich gerade keine Gasmaske dabei habe, denn sonst könnte ich auch die giftgrünen Fässer mit dem Totenkopfsymbol einsetzen, die bei den Panzern stehen. Dafür müsste ich die beiden aber erst dort hin locken; das würde mit einem Pfiff oder einem Schuss funktionieren. Oder könnte ich irgendwo auch eine Pfütze unter Strom setzen? Schön ist, dass man die Umgebung häufig in seine Planung einbeziehen kann.

Die blutrote Rückblende

Das Messer ist griffbereit, der Moment passt - sobald sich Violette einer Wache nähert, hat sie ein kleines Zeitfenster, um die tödliche Attacke auszuführen.
Velvet Assassin (ab 7,99€ bei kaufen) entführt in den blutigen Alltag einer Agentin im Jahr 1944. Eigentlich liegt der schwarzhaarige Todesengel irgendwo schwer verletzt in einem Bett. Wie gelangte sie dort hin? Sie bekommt nur halb benommen mit, wie sich zwei mysteriöse Männer auf Französisch über ihr Schicksal unterhalten - aber bevor sie wirklich versteht, um was es den beiden geht und wie sie unter diese Seidendecke kam, schläft sie schon wieder. Im Traum durchlebt sie noch mal alles von Paris über Hamburg bis Warschau: Das eiskalte Töten, das ihr Handwerk war; den gnadenlosen Krieg, der ihr Zuhause war. Aber unter dem martialischen Pathos, das sie wie eine Fahne vor sich her trägt, wird nur selten die Frau sichtbar; und das ist schade.

Die deutschen Replay Studios haben sich für ihr Abenteuer im Zweiten Weltkrieg bei einschlägigen Vorbildern inspirieren lassen: Es duftet nach Dark Project, wenn man wie Garrett durch mittelalterliche Katakomben schleicht, geheime Hebel bedient und Leichen wegschafft; es riecht nach Splinter Cell, wenn man wie Sam Fisher aus dem Hinterhalt schießt oder Wachen mit Schüssen ins Nichts weglockt; es riecht sogar angenehm nach Resident Evil 4, wenn man Spinde öffnet und Kostbarkeiten vom Flachmann bis zum Eisernen Kreuz sammelt, die als edle 3D-Objekte im Inventar landen - an ein, zwei Stellen meint man sogar etwas wie eine Nuance Survival-Horror zu spüren. Die bedrohliche Soundkulisse und die schwelende Dunkelheit würden einen optimalen Rahmen dafür bieten.

              

Die Zwischentöne im Feindbild

Erkennt ihr noch was? Das Spiel ist düster und der Einsatz der Taschenlampe ist überaus gefährlich.
Aber es geht nicht um Zombies, sondern um die gezielte Sabotage der Wehrmacht, vom schnöden Hochjagen eines Benzintanklagers über die Eliminierung eines Waffen SS-Kommandeurs bis hin zur Rettung eines polnischen Widerstandskämpfers vor der Folter. Jetzt könnte man lamentieren, dass das ja nichts Neues sei, aber der Zweite Weltkrieg ist hier mehr als die Bühne für das ewig gleiche Naziklischee - natürlich gibt es die Bestie in Menschgestalt, die im Gestapo-Keller mordet, aber es gibt auch mehr Zwischentöne, mehr Menschliches unter Deutschen, wenn sich die Landser hinter vorgehaltener Hand über Gräueltaten unterhalten oder wenn man ihre Briefe in die Heimat liest.

Die Entwickler können zwar keine packende Story erzählen, weil selbst das Schicksal der kalten Heldin nicht mehr als eine bruchstückhafte Rückblende aus Missionserlebnissen ist, aber sie verleihen der Spielwelt eine authentische Mischung aus Dienst nach Vorschrift, Gnadenlosigkeit und Verzweiflung, in der Soldaten nicht nur über "Diese ganze Scheiße" ihres Alltags oder ihren verdammten Chef fluchen, sondern sich oft angeregt bis aufgebracht über belanglose, heitere bis ernste Dinge unterhalten: Mal reden sie über den Wert von Kunst, über ihre Frauen oder über Kriegsverletzungen.

Die morbide Tristesse

Es geht gnadenlos zur Sache: Man kann die Feinde nicht betäuben, sondern nur töten. Es gibt Levels, in denen man die Konfrontation vermeiden kann - aber meist geben die Entwickler vor, wann Action und wann Schleichen angesagt ist.
Es gibt nicht nur den Nazi. Es gibt Einfaltspinsel, Idioten, Aufmüpfige, Ehrgeizige, Schleimer neben Sadisten, die eine Hasenjagd auf Gefangene einleiten wollen. Hier wird also trotz des klaren Feindbildes weder stigmatisiert noch heroisiert - man bekommt das ganze Spektrum des alltäglichen Wahnsinns, in dem sich nur kleine Oasen der Menschlichkeit gehalten haben. Aber letztlich liegt über allem eine morbide Tristesse, die den Schrecken des Krieges und seine Verbrechen verdeutlicht. Spätestens, wenn man im Warschauer Ghetto die Leichen der Erschossenen oder im Gestapo-Keller die zu Tode Gefolterten findet, hat man einen Kloß im Hals, wenn man zum nächsten Zielpunkt schleicht.

Natürlich ist Vioelettes Standpunkt eindeutig, wenn sie in ihren Erinnerungen davon spricht: Sie kämpft gegen ein Unrechtsregime mit sadistischer Führung. Aber sie zeigt auf ihrem Feldzug keine Regung, bleibt nahezu emotionslos - egal, ob sie an den Opfern der Nazis vorbei schleicht oder Nazis zu ihren Opfern macht. Ein Todesengel ohne Gnade? Oder eine vergebene Chance der Regie? Hätte man hier mehr Reflexion einbauen können? Vielleicht.

Aber als Violette einen sturzbetrunkenen U-Boot-Kapitän in seiner Hütte schlafen sieht, sagt sie zu sich und damit auch zum Spieler: Ich könnte ihn ganz einfach töten. Es wäre ein erfahrener Jäger weniger. Aber sie benutzt bewusst den Konjunktiv und überlässt dem Spieler die Wahl. Und seltsamerweise war hier kein Stealthkill möglich, obwohl sie eindeutig im Schatten lauerte - man hätte ihn lediglich über den Haufen ballern können. Ich hab den Mann schnarchen lassen. Noch besser wäre es gewesen, wenn man hier Erfahrungspunkte gewonnen oder einen geheimen Erfolg ergattert hätte

Man hat jedenfalls trotz Dutzender hinterhältiger Attacken und trotz des Verzichts auf Betäubungswaffen das Gefühl, dass da eine reife Regie am Werk war, die eine bestimmte Stimmung erzeugen wollte - schade, dass nicht auch ein begabter Erzähler beteiligt war. Und noch viel bedauerlicher ist es, dass das Spieldesign, das in seinen besten Momenten sogar sehr gut unterhält, zu viele frustrierende Fallgruben beinhaltet. Aber bevor die Wertung innerhalb der gut zwölf Stunden Spielzeit da hinein purzelt, gibt es auch einige Höhepunkte.

    

Gute Ansätze

Neben Katakomben, Stadtruinen, einem Sanatorium und einem Wirtshaus geht es auch im Warschauer Ghetto ums Überleben.
Die meiste Zeit ist man geduckt in einer stimmungsvollen Kulisse unterwegs, die architektonisch und farblich überzeugt - flackerndes Licht, dunkle Gemäuer, aber plötzlich gleißend rote Herbstfarben oder fades Orange an der Oberfläche. Das ganze Artdesign besticht mit einer eigenwilligen und überaus markanten Note. Und trotz einiger Ruckler hinterlässt die Grafik auf der Xbox 360 insgesamt eine gute Figur. Es fehlt nur manchmal an lebendigen Details wie bewegtes Gras oder Schilf, das bei Berührung statisch verharrt, oder Staub unter den Füßen. Und auch die Soundeffekte lassen zu wünschen übrig, wenn Violette z.B. nach einem Uniformwechsel durch Kies stakst - das hört sich unnatürlich an. Dieser Kleidertausch ist eine gute Idee, aber wurde etwas zu mechanisch umgesetzt: Sobald man die Waffen SS-Uniform überstreift, darf man den Wachen nicht zu nahe kommen, sonst schlagen sie sofort Alarm und schießen. Aber müsste die Täuschung nicht auf diesen ersten Blick funktionieren? Hätte man da nicht eine Phase der Irritation einbauen können? So spielt sich das Ganze eher wie eine Art Geschicklichkeitstest, bei dem allen bewegten Soldaten rechtzeitig ausweichen muss.

Schleichen im Dunkeln ist allerdings Trumpf und das Rennen oder gar der Lichtkreis der kleinen Taschenlampe lockt die Wachen an. Letztere ist dennoch sehr wichtig, denn angesichts der düsteren Schauplätze werden sonst viele wichtige Details wie Spinde, Heilpakete oder gar Geheimhebel verschluckt. Das Stöbern und Erforschen lohnt sich, denn das Leveldesign birgt so manche verwinkelte Überraschung: Mal muss man eine Kiste clever verschieben, um eine Kostbarkeit zu bergen; mal kann man einen geheimen Mechanismus hinter einem Bild oder einem losen Felsen finden, um versteckte Kammern zu öffnen. Zumal man belohnt wird, wenn man Beutekunst der Nazis, die bereits zum Abtransport bereit ist, wieder versteckt - über diesen Geheimauftrag habe ich mich besonders gefreut.

Schneller, stärker, tödlicher

Das Artdesign besticht aber nicht nur mit düsteren Schauplätzen - auch diese gleißenden Herbstfarben sorgen für Stimmung.
Das genaue Erkunden der Umgebung wird z.B. nicht nur mit Funden belohnt, sondern auch mit der Charakterentwicklung: Jedes Sammlerstück hat einen bestimmten Erfahrungswert und sobald man eine Tausendermarke überschreitet, kann man einen der drei Bereiche Morphium, Schleichen oder Stärke erhöhen. Ersteres sorgt für eine längere Rauschzeit, um Feinde zu töten; Mittleres erhöht die Geschwindigkeit des geduckten Gehens; Letzteres erhöht quasi die Lebenspunkte der Agentin. Schade ist allerdings, dass die Auswirkungen der Upgrades kaum spürbar scheinen und dass man nicht auch neue Disziplinen erlernt oder Gadgets bekommt, die man aktiv einsetzen kann. Motivierender als mehr Schnelligkeit wäre eine neue Fähigkeit gewesen- so greift man von der ersten bis zur letzten Spielminute auf dasselbe Repertoire zurück.

Und da steht das kluge Verstecken und Schleichen an erster Stelle: Sobald Violette ausreichend Schatten zur Verfügung hat, zeigt eine lila Silhouette in der Benutzeroberfläche an, dass sie unsichtbar ist. Allerdings kann sie sich nicht aktiv an Wände schmiegen, sondern lediglich geduckt voran gehen - das Kriechen ist nur in bestimmten Situationen möglich. Aber selbst im Schatten ist sie nicht ganz unsichtbar, denn sollte sich ein Soldat auf etwa einen Meter frontal nähern, kann er sie entdecken, so dass man selbst mit dieser Anzeige nie ganz sicher sein kann. Hier ist Velvet Assassin übrigens Splinter Cell überlegen, denn dort konnte man manchmal noch zwanzig Zentimeter neben der Wache stehen und wurde nicht entdeckt.     

Natural Born Panty Killer

Kaltes Licht, gnadenlose Wachen: Violette kämpft sich durch Gefängnisse und Folterkeller.
Sehr häufig verderben ja viele Köche den Brei, aber hier wird in einigen Situationen spannende Stealth-Action serviert, die von einem düsteren und gleichzeitig melancholischen, manchmal fast surreal anmutenden Artdesign getragen wird: Wenn Violette im Morphiumrausch ihre Feinde angreift, fliegt sie in ihrer seidenen Unterwäsche wie ein Todesengel heran und rammt ihnen die Klinge in Bauch, Hals oder Kopf, während es Rosen regnet. Diese surrealen Attacken sind allerdings nur möglich, wenn man sich vorher einen aufputschenden Schuss setzt.

Allerdings wird das Genre nicht innovativ bereichert, denn alle Spieldesignelemente hat es schon mal gegeben. Und man muss Geduld haben, denn selbst auf dem leichtesten der beiden Schwierigkeitsgrade wird man viele Situationen mehrmals spielen müssen. Das liegt z.B. daran, dass das Wachverhalten überaus gut ist: Wenn man einmal erwischt wird, hat man im Schusswechsel kaum eine Chance, wird quasi sofort zusammen geschossen, zumal die Wehrmacht mit Maschinengewehren, Schrotflinten und später sogar Flammenwerfern auftritt. Aber manchmal scheint die KI auch zu schummeln, wenn sie in kompletter Dunkelheit aus gefühlten zweihundert Metern Entfernung durch Stahlgitter, Pfosten und Schrägen noch in der einen Sekunde trifft, in der man sich blicken lässt - das wirkt überaus unrealistisch.

Man kann natürlich auch ein Feuergefecht überstehen, da man auch selbst mal mit schwere Flinten unterwegs ist, aber sobald zwei, drei Soldaten alarmiert sind, gehen sie sehr zielgenau vor. Vor allem, wenn ein Offizier dabei ist, der mit seiner Pfeife noch Verstärkung holt, wird man es schwer haben. Hier muss man sich sehr gut überlegen, wie man am besten vorgeht, wen man wo zuerst eliminiert und zu welchem Zeitpunkt man am besten Morphium nimmt. Manchmal gibt es auch Situationen, die man besser aggressiv löst, indem man die explosive Umgebung einsetzt.

Die strapazierte Geduld

Auch der grausame Alltag im Warschauer Ghetto wird thematisert: Links die Erschossenen an der Wand, unten Violette im Schatten.
Dass das Spiel letztlich die Geduld strapaziert, liegt allerdings auch an einem Leveldesign, das zu oft einen Weg oder ein Verhalten vorschreibt: Wenn man im Spind eine Schrotflinte findet, dann weiß man schon - gleich geht es wieder actionreicher zur Sache. Man bestimmt also nicht immer selber den Rhythmus aus Zurückhaltung und Offensive. Zwar bietet man auch angenehm offene Orte mit alternativen Routen in Katakomben, aber sehr häufig muss man den einen Königsweg mit seinem elenden Trial&Error-Knecht im Nacken beschreiten. Wenn man nicht genau die Route nimmt, die vorgesehen ist, wird man bestraft oder landet in der Sackgasse. Auch dieser Zwang kann spannend sein, wenn man denn durchkommt, aber bei der zehnten Wiederholung nervt das ewig Gleiche. Vor allem in der Schlussphase des Spiels, im letzten Drittel, offenbaren sich viele Schwächen, die an der Motivation nagen.

Im Gestapo-Gefängnis gibt es hinter mancher Wand z.B. keine Kollisionsabfrage und neben bösen Clippingfehlern, die Arme durch Wände ragen lassen, kann man durch festen Beton gleich zwei, drei Wachen eliminieren - das sieht blöd aus und zehrt an der Glaubwürdigkeit. Genau so wie die fehlende Schattenerkennung im düsteren See-Abschnitt: Da hockt man eindeutig bei Nacht im hüfthohen Schilf, aber man ist für weit entfernt postierte Wachen scheinbar sichtbar wie am helllichten Tage. Hat man da die Abfrage vergessen? Ärgerlich ist auch, dass man im Gestapo-Gefängnis erkannt wird und einen Alarm auslöst, obwohl man in Waffen SS-Uniform (!) durch ein Schlüssel-Loch schaut! Die Wache hinter der Tür will gar nicht mehr aufhören, einen durch die Tür anzukeifen. Aber sie macht sie weder auf noch holt sie Verstärkung. Und wenn man dann aus Verzweiflung diese Wache tötet und danach den Offizier, kann man einfach die Tür zumachen und abwarten, bis der Alarm verebbt. Das ist zwar schön, weil man endlich weiter kommt, aber es ist alles anderes als authentisch - zumal man

Steht am Ende alles in Flammen? Kann sich Violette retten und das Geheimnis ihres Krankenhaus-Aufenthalts lüften?
beobachten muss, wie zwei weitere Wachen einfach so ohne Reaktion an ihrem eben nieder geschossenen Offizier vorbei laufen.

Das Figurenverhalten ist zwar unterm Strich kein Reinfall, denn vor allem das Absuchen im Alarmfall sowie die Reaktionen auf sabotierte Stromkästen wirken lebendig und gut. Aber es offenbart letztlich einige fatale Schwächen wie die oben beschriebene Lethargie trotz Leiche, darunter auch die altbekannte, dass man einen von zwei Gesprächspartnern einfach so aus dem Weg räumen kann, wenn der andere mal kurz um die Ecke geht - danach müsste wenigstens eine Reaktion à la "Hey, wo ist er denn jetzt schon wieder?" kommen. Nicht unbedingt ein Alarm, aber wenigstens ein kleiner Kommentar. Und schließlich wird einem im Sanatorium ein langer Fluchtweg aufgezwungen, der kaum noch Möglichkeiten bietet, die Umgebung mit einzubeziehen - hier muss man einfach von A nach B und C und D.

     

Fazit

Endlich wieder Stealth-Action! Ich habe mich richtig auf dieses Abenteuer made in Germany gefreut, das eine Odyssee an Verschiebungen und Publisherwechseln hinter sich hat. Und zwischendurch hatte dieses düstere Spiel so starke Momente, dass es fast an Gold kratzte. Die Replay Studios punkten mit überaus authentischer Kulisse, klasse Artdirection und einer reifen Regie, die mehr als ein böses Nazi-Klischee auf die Bühne treibt. Allerdings haben sich die Hamburger für ihren tödlichen Ausflug in den Zweiten Weltkrieg hinsichtlich der Spielmechanik mehr inspirieren lassen als kreativ weiter entwickelt. Das ist ja durchaus legitim: Es duftet nach Dark Project, wenn man wie Garrett durch mittelalterliche Katakomben schleicht, geheime Hebel bedient und Leichen wegschafft; es riecht nach Splinter Cell, wenn man wie Sam Fisher aus dem Hinterhalt schießt oder Wachen mit Schüssen ins Nichts weglockt; es weht sogar ein Hauch von Resident Evil 4, wenn man Spinde öffnet und wertvolle Funde als 3D-Objekte im Inventar landen. Warum erreicht man dann nicht höhere Wertungsregionen? Weil man in der Spielmechanik des Schleichens fast schon konservativ altbacken bleibt - keine Akrobatik, keine Schattenübergänge, keine Lichtquellen ausschießen. Weil das Figurenverhalten und die Schattenabfrage teilweise fatale Aussetzer hat, die genau so an der Glaubwürdigkeit zehren wie die unrealistische Treffsicherheit der Wachen. Weil mich das Missionsdesign zu oft zu stupidem Versuchen und Scheitern verdammt. Weil Violette vom ersten bis zu letzten Auftrag immer dasselbe macht, sich weder als Agentin noch als Charakter spürbar entwickelt. Oh, was habe ich alleine im letzten Drittel geflucht, wo viele dieser Macken geballt auftreten und das Leveldesign fast schon künstlich gestreckt wirkt! Trotzdem konnte ich mich dem Reiz des kalten Todesengels in den mehr als ein Dutzend Stunden nur selten entziehen. Ich hab mich trotz der Frustmomente immer wieder durchgebissen, weil in einzelnen Situationen die Qualität aufblitzt. Wer die Zeit bis zum Comeback des Meisterdiebs überbrücken will, sollte dieses Ticket ins Dritte Reich einlösen.

Pro

Stealth-Action alter Schule
erwachsener Blick auf den Zweiten Weltkrieg
sehr stimmungsvolles Artdesign
einfaches, aber gutes Schleichsystem
präzise Steuerung, kaum Kameraprobleme
düstere bis surreale Erzählweise
lebendige Dialoge, Briefe & kleine Lieder
authentische Architektur & Mode
gutes Suchverhalten der Wachen
herrlich böses Granaten zünden
Wachen per Pfiff oder Schuss anlocken
per Kistenbewegung Schatten schaffen
Stromkästen sabotieren, Leichen wegschaffen
gut designtes Sammelsystem
Charakter in drei Bereichen entwickeln
Strom, Giftgas und Öllachen als Alternativwaffen
versteckte Sonderziele & kleine Rätsel

Kontra

eher Rückblick mit Missionen als echte Story
einige nervige Trial&Error-Situationen
einige sehr beengte Levels
tödliche Attacken auf Dauer zu einfach & eintönig
man kann keine Lampen ausschießen
einige fatale KI
& Alarm-Aussetzer
einige unlogische Suchmanöver
keine neuen Fähigkeiten oder Gadgets
zu weit entfernte Rücksetzpunkte
ärgerliche Kollisionsabfragefehler (Schüsse durch Wand, Clippings)
letztes Drittel wirkt gestreckt

Wertung

360

Sehr stimmungsvolles Schleichen im Zweiten Weltkrieg - leider mit konservativer Spielmechanik und Trial&Error-Frust.

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