Viva Piñata01.12.2006, Mathias Oertel
Viva Piñata

Im Test:

Rare: Vor allem Nintendo-Fans verbinden mit diesem Namen Spiele wie Blast Corps, Donkey Kong Country oder auch Perfect Dark. Mit Viva Piñata (ab 49,95€ bei kaufen) scheint die Kultschmiede zu ihren Wurzeln zurückzukehren. Denn dahinter verbirgt sich ein zuckersüßer Titel mit vollkommen offenem Spielprinzip, der in dieser Form auch auf einem System wie GameCube oder Wii vorstellbar wäre! Ist es vielleicht sogar das beste Spiel, das Rare bislang für eine Microsoft-Konsole gebastelt hat?

Wo kommen die kleinen Piñatas her?

Einige mögen sie aus eigener Erfahrung von Geburtstagen kennen, andere nur aus dem Fernsehen oder gar nicht. Die Rede ist von Piñatas, kleinen Pappmaché-Figuren in Tierform, die traditionell mit Süßigkeiten gefüllt sind und von den Partygästen mit Stöcken bearbeitet werden bis sie kaputt sind und ihren Inhalt zum Verzehr freigeben. Vorzugsweise sind sie in Lateinamerika sowie in Spanien zu Hause.

Willkommen auf Pinata Island!
In Viva Piñata, einer Crossover-Lizenz zu einer kürzlich in den USA gestarteten Fernsehserie gleichen Namens liegt es an euch, die Versorgung mit Piñatas aller Größen und Variationen sicherzustellen. Denn die im wahrsten Sinne des Wortes süßen Papierviecher werden nicht in Fabriken hergestellt, sondern wachsen und gedeihen auf einer kunterbunten Insel.

In erster Linie seid ihr als Gärtner unterwegs, und müsst mit Schaufel, Gießkanne und Saatwerkzeug dafür sorgen, dass eure Landparzelle gewisse Anforderungen erfüllt, um die insgesamt über 60 Piñatas anzulocken, zu zähmen und zu versorgen.

Aller Anfang ist leicht

Dass Rare sich mit seinem neuen Projekt eher an jüngere Spieler sowie Neueinsteiger richtet, lässt sich an mehreren Punkten festmachen, so z.B. auch am extrem einfachen Beginn: Um die erste der unheimlich knuddeligen Piñatas anzulocken, müsst ihr fast gar nichts machen. Die Whirlms (unheimlich niedliche Würmchen) kommen, sobald ihr ein freies Stück Land mit frischer Erde euer Eigen nennt.

Nach und nach kommen immer mehr Piñatas dazu, die ihre eigenen Anforderungen stellen. Nun liegt es an euch, sie durch das Erfüllen dieser Bedürfnisse dazu zu bringen, in eurem Garten sesshaft zu werden. Dabei bleibt das Schema immer gleich: Basierend auf eurem Level als Gärtner, der Verteilung bestimmter Landformen, den Pflanzen sowie bereits vorhandener Piñatas werden potenzielle Neubesucher neugierig und wandern in der Nähe umher.

Sind weitere Gegebenheiten erfüllt, wie z.B. eine bestimmte Anzahl einer besonderen Blumensorte, machen die Piñatas in eurem Garten Station.

Die Steuerung bleibt trotz zahlreicher Möglichkeit stets übersichtlich und einfach!
Um sie nun zu einem permanenten Bewohner zu machen, müssen wieder andere Bedingungen erfüllt werden. Und in diesem Moment wechseln die bislang schwarz-weißen Knuddelmonster ihr Aussehen und zeigen mit pastelligen Farben an, dass sie zu euch gehören, euren Befehlen lauschen und ggf. auch bereit sind, für Nachwuchs zu sorgen. Schon kann es mit der nächsten Piñata und dem Ausbau eurer Ländereien weiter gehen...

Hört sich langweilig an? Wäre es vermutlich auch, wenn Rare nicht dafür gesorgt hätte, dass sich jeder Garten anderes entwickelt und jeder seinen eigenen Wünschen entsprechend spielen kann. Da es ein offenes Ende, nur höchst selten vorgegebene Missionen und im Normalfall auch keinerlei Zeitbegrenzung für die Erfüllung bestimmter Aufgaben oder das Anlocken der Piñatas gibt, ist erlaubt, was gefällt! Jeder setzt sich selber die Ziele.

Problemlöser

Natürlich ist auch in eurem Garten-Idyll nicht nur gute Laune angesagt. Denn trotz aller Einfachheit in Sachen Bedienung und Spielfortschritt, der nahezu perfekten Lernkurve sowie dem Aquariumeffekt gibt es immer wieder Punkte, an denen ihr dringend eingreifen müsst - alles ohne übergroße Hektik.

     

Jede Piñata-Rasse hat ihre Eigenheiten, Vorlieben und Abneigungen, die sich erst nach eingehender Beobachtung und/oder dem Studium der spielinternen umfangreichen Enzyklopädie erfassen lassen. Manche Kreaturen sind automatisch aggressiver als andere und greifen diese auch mal an, sei es nun, um ihr Revier sowie ihre Jungen zu verteidigen, oder auch nur, weil die andere Art auf dem Speisezettel steht.

Knallbunt, wunderschön animiert und einfach nur knuddelsüß: Pinatas in eurem Garten!
Dabei hat Rare das ganze Verhalten mit einer sehr glaubwürdigen KI versehen, die nicht nur auf äußere Umstände wie das Aufsuchen der Behausung bei Regen reagiert oder die Interaktion mit anderen Piñatas z.B. bei der (vollkommen jugendfreien, da tänzerischen) Fortpflanzungsritual zeigt. Auch die eingeschränkten Bewegungs-Befehle, die ihr geben könnt sowie Stubsen mit eurer Schaufel oder eine künstliche Dusche aus eurer Gießkanne werden mit akkuraten und glaubwürdigen Reaktionen beantwortet.

Zusätzlich werden nach und nach immer mehr Mechaniken, Gimmicks, Goodies, Nützliches und Unnützes, Hilfen, Anforderungen und natürlich Landvergrößerungen freigeschaltet. Dabei könnt ihr euch immer darauf verlassen, dass es erst dann etwas Neues gibt, wenn man bewiesen hat, dass man mit den jeweilig bis dahin zur Verfügung stehenden Versatzstücken umgehen kann: ideal für Kinder und Spielanfänger!

Und dass mir ein Spiel alle Zeit der Welt lässt und ich quasi selber das Tempo vorgebe, in dem ich von einem Ziel zum nächsten schreite, gab es in den letzten Jahren selten - viel zu selten! Dementsprechend genieße ich die entspannenden Aufenthalte in meinem Garten, versuche die Piñatas bei Laune zu halten, zur Fortpflanzung zu bewegen und natürlich auch neue anzulocken. Immerhin soll es gut 20 Piñatas geben, die nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen erscheinen. Man kann sich je nach Lust und Laune auch einfach mal zurücklehnen, dem Gewusel zuschauen und in Ruhe die nächsten Schritte planen.

Aufgepasst: Rowdys!

Allerdings müsst ihr beachten, dass jeder Garten nur einen bestimmten Pool an "Platzierungspunkten" hat. Jeder platzierte Gegenstand, jede Piñata verbraucht diese Punkte, so dass irgendwann die Kapazität erschöpft ist. Von diesem Moment an ist Optimierung angesagt: Blumen, die mehrere Blüten auf einmal tragen und platzsparend wirken, können durch den Einsatz von Dünger erschaffen werden; ein Baum, der bei einer Ernte 24 Äpfel abwirft ist sinnvoller als zwei, die jeweils zwölf Früchte fallen lassen.

Saure Pinatas machen euch immer wieder das Leben schwer, können aber auch gezähmt werden!
Dieser erzwungen wirkende Platzmangel mag zwar einerseits dem offenen Prinzip von Viva Piñata widersprechen. Andererseits wirkt diese Mechanik übermäßigem Wildwuchs entgegen und hält das Spiel in einigermaßen geordneten Bahnen.

Denn chaotisch genug wird es spätestens in dem Moment, in dem die "sauren" Piñatas (und noch schlimmer: die Rowdys) in euren Garten einfallen: Diese knallroten Viecher haben nichts besseres zu tun, als eure Saat zu fressen, eure Piñatas anzugreifen oder zu vergiften und im schlimmsten Fall sogar die Struktur eures Gartens zu verändern, so dass ihr ab und an die Landschaft neu gestalten müsst. Andererseits könnt ihr es euch zum Ziel setzen, einige dieser sauren Zeitgenossen zu bekehren und zu echten Piñata-Bewohnern eures Gartens zu machen.

Zwar lässt sich später jemand engagieren, der Jagd auf die Fieslinge macht, doch die absolute Sicherheit habt ihr nur, wenn ihr selber die Eindringlinge mit eurer Schaufel "Piñata-Style" erschlagt. Das wiederum lenkt immer wieder von akuten Problemen ab, die eigentlich eure Aufmerksamkeit benötigen, so dass es in Ausnahmesituationen tatsächlich zu kleinen "Stressanfällen" kommen kann, bei denen vor allem jüngere Spieler unter Umständen die Lust verlieren könnten. Doch trotz dieser kleineren Mankos kann man Rare unter dem Strich nicht vorwerfen, das Balancing vernachlässigt zu haben. 

   

Experimentelle Personalisierungswut

Aber es ist nicht nur der Sammeltrieb oder die Optimierungswut, die in mir angesprochen werden und dafür sorgen, dass ich immer wieder gerne einen Abstecher nach Piñata Island mache. Ich kann nach Herzenslust schalten und walten, experimentieren und personalisieren, dass es eine wahre Freude ist: Sämtliche Piñatas können mit frei wählbaren Namen

So entstehen neue Pappmaché-Figuren - natürlich vollkommen jugendfrei!
versehen werden, im Shop kann ich Accessoires kaufen und sie z.B. mit Sonnenbrillen, Hüten und ähnlichem Schnickschnack versehen. Ich kann sie mit (extrem teuren) Süßigkeiten füttern und darauf hoffen, dass eine spontane Mutation einsetzt, die u.a. die Farbe verändert und damit den Wert des Pappmache-Viehs steigert. Im besten Fall verändert sich die Piñata sogar zu einer ganz anderen Rasse!

Ich kann mich als Gartenarchitekt betätigen, als Züchter und -Verkäufer versuchen und vielleicht schaffe ich es sogar, einen Zoo aufzubauen, in dem ausnahmslos alle Piñata-Arten vertreten sind...

Spielziel? Figurendesign? Geschmackssache!

Doch vielleicht habt ihr ganz andere Ziele? Vielleicht wollt ihr euch nur an der in sich absolut stimmigen Kulisse erfreuen, bei der die wechselnden Wetterbedingungen sowie der Tageszeiten-Wechsel nur das i-Tüpfelchen darstellen.

Die Stars sind sowieso die an niedliche Plüschtiere erinnernden Piñatas. Klasse animiert, abwechslungsreich und trotz aller Fantasie immer mit einer Anlehnung an echte Fauna macht es mir einen Heidenspaß, dem Gartentreiben einfach nur zuzuschauen.

Andererseits kann ich es aber auch verstehen, wenn jemand angesichts der pastellinen Farbgebung der Tiere sowie der ansonsten bonbonbunten Umgebung das kalte Grausen bekommt.

Die Kulisse ist nicht nur idyllisch, sondern bietet auch Tag-/Nachtwechsel sowie dynamische Wetterbedingungen.
Rare geht ins Extrem und wie immer bei Extremen findet eine Polarisierung statt. Das ist beim Spielprinzip nicht anderes. Was für die einen nicht aufregend genug ist, ist für Leute wie mich (die nicht zur erklärten Zielgruppe von Kids im Alter zwischen acht und vierzehn sowie Frauen gehören) entspannender Spielspaß pur.

Wo die Geschmäcker allerdings nicht auseinandergehen dürften, ist die Einbindung von Mehrspieler-Aspekten sowie Xbox Live. Jugendschutz hin oder her: Etwas mehr als das simple Versenden von Gegenständen aus eurem Garten (gleichgültig ob Piñatas, Pflanzen, saure Piñatas (!) oder Futtermitteln) wäre sicherlich möglich gewesen und wirkt angesichts der viel beschworenen Online-Power der 360 sehr mager. Wieso z.B. kann mich ein Freund nicht in seinen Garten einladen, wo ich als Gast umherschlendern kann?

Auch der Multiplayer an einem System ist eher zweckmäßig: Egal, ob ihr alleine oder zu zweit vor dem Bildschirm hängt, steuern beide ein und denselben Cursor. Daher ist dieser Modus wohl am ehesten als "Eltern-Modus" zu bezeichnen, bei dem man jüngeren Mitspielern hilfreich und einlenkend unter die Arme greifen kann, um so den Frustfaktor für die Kleinen zu minimieren.  

Fazit

Man kann reden so viel man will, noch so viele Vergleiche mit Titeln wie Die Sims, Animal Crossing, Harvest Moon sowie nicht zuletzt auch Pokemon bemühen und muss trotzdem darauf hinweisen, dass Rare bei allen Anleihen etwas Neues geschaffen hat: Die Faszination, die von Viva Piñata ausgeht, beruht auf vielen Kleinigkeiten, von denen der bunt-fluffige Grafikstil nur das i-Tüpfelchen ist. Enorme Freiheit, eine weitestgehend offenen Welt, bei der jeder für sich festlegt, wie schnell er voran schreitet, welche Ziele er sich setzt und was er von dem Spiel erwartet, hat es in dieser Form schon lange nicht mehr gegeben. Kleinere Probleme wie die magere Online-Anbindung, die ab und an in Hektik ausartenden Kämpfe gegen die sauren Piñatas sowie die in letzter Instanz fehlende Genauigkeit der ansonsten guten und extrem intuitiven Steuerung verhindern allerdings den Aufstieg in höhere Wertungsregionen. Festzuhalten bleibt, dass die Experimentierfreudigkeit von Rare endlich Früchte trägt: Viva Piñata ist nicht nur ein einzigartiges und offenes Erlebnis, sondern darüber hinaus der Beweis, dass die Xbox 360 spielerisch auch Wege beschreiten kann, die bislang eher auf Systemen zu erwarten waren, auf denen ein großes N prangt!

Pro

charmante Knuddel-Optik mit vielen Details
entspannende Soundkulisse
eingängige Steuerung
nahezu perfekte Lernkurve
intuitive Benutzerführung
über 60 Piñatas
offene Spielstruktur
zahlreiche optionale Hilfen
umfangreiche Personalisierungsmöglichkeiten
hohe Langzeitmotivation
Experimente werden gefördert
Tag-/Nachtwechsel
dynamische Wetterbedingungen
umfangreiches In-Game-Lexikon
Piñatas/Gegenstände können online verschickt werden
hervorragend für Kids geeignet

Kontra

unzureichende Online-Funktionen
Steuerung in Ausnahmefällen etwas hakelig
gelegentlich zu hektisches Mikromanagement
Ruckler beim regelmäßigen Quicksave

Wertung

360

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