NHL 2K724.10.2006, Jörg Luibl
NHL 2K7

Im Test:

Nicht nur EA, auch das Team von Visual Concepts muss die Technik der Xbox 360 erstmal in den Griff kriegen: Nach der Award-Flut der Jahre 2003 und 2004 kehrte bei der Premiere auf Microsofts Konsole erstmals Ernüchterung ein. Im Jahr 2005 konnte NHL 2K6 nur magere 80 Prozent einheimsen und selbst auf PS2 und Xbox kurvte man mit 84% am Award vorbei. Kann man dieses Jahr wieder alte Euphorie auf dem Eis und neue im Netz entfachen?

Endlich online genießbar!

Was habe ich letztes Jahr über den Online-Modus von NHL 2K6 geflucht:

"Eigentlich wollte ich bei der Besprechung der Online-Features in eine Lobeshymne verfallen. (...) Aber, aber, aber: Der Online-Modus leidet unter massiven Netzwerkproblemen. Es sind noch nicht mal Lags, denn sobald man aufs Eis geht flutscht der Puck recht flüssig, sondern vollkommen unerklärliche Verbindungsabbrüche oder Abstürze. Mal klappt`s reibungslos, mal rauft man sich die Haare, weil Spiele selbst nach dem x-ten Versuch einfach nicht gestartet werden oder alles gleich komplett einfriert und ein Neustart nötig ist. Mal gibt es Synchronisierungsprobleme beim Hochladen des eigenen Steuerungsprofils, mal unterbricht das Spiel nach dem Anpfiff. Sogar im Offline-Modus ist mir der Titel beim Musikwechsel abgestürzt. So krasse Fehler sind mir bisher bei keinem Konsolentitel vorgekommen."

Auch ohne ESPN-Lizenz kann sich NHL 2K6 sehen lassen: Das Drumherum wurde um viele Zwischensequenzen ergänzt. Das Highlight ist die neue Cinemotion-Perspektive - hier im Trailer!
Und dieses Jahr? Xbox Live anschmeißen, NHL 2K7 (ab 6,90€ bei kaufen) einlegen, ab in die Lobby, einen Gegner suchen, das Match starten - und siehe da: Der Puck jagt sauber durch die Reihen, das Spielerlebnis ist flüssig. Es gibt keine störenden Lags, keine Abstürze, keine Probleme wie noch beim hauseigenen Vorgänger NHL 2K6 oder der aktuellen Konkurrenz von NHL 07 . Kann man Electronic Arts Eishockey online kaum genießen, serviert das Team von 2K Sports einen verblüffend sauberen Netzcode ab - das ist ein klarer Schritt nach vorne.

Auch in Sachen Online-Spielmodi ist man der Konkurrenz voraus: Abgesehen davon, dass beim Start sofort die aktuellen Kader der NHL-Teams geladen werden, gibt es hier eine komfortable Lobby inklusive Chat-Funktion und qualitativer Spielersuche. Wählt gezielt nach Gegnern eures Ranges oder mit positivem Feedback aus, um Rüpel auszuschließen. Ihr könnt nicht nur zu Freundschafts- oder Ranglisten-Matches herausfordern, sondern auch eigene Ligen oder Turniere veranstalten.

Ihr habt sogar die Möglichkeit, als Admin eine Saison für vier bis 30 Spieler aufzusetzen, die Transfers untereinander beinhaltet. Dabei könnt ihr nicht nur die Intervalle der Begegnungen auf einen Tag oder eine Woche festlegen, sondern auch ganze Matches simulieren, falls jemand krank ist oder ausfällt. Das ist ein Online-Komfort, von dem andere Sportspiele wie NHL 07 oder auch Pro Evolution Soccer 6 auf der Xbox 360 nur träumen können - technisch sauber, inhaltlich umfangreich, einfach ein klasse Netzauftritt, der für die Pleite des letzten Jahres entschädigt.

Lebendiger, ansehnlicher

Check aus vollem Lauf: Letztes Jahr fehlte das Krachen, jetzt wird der Vollkontakt intensiver dargestellt. Wie das aussieht, zeigt der Trailer!
Aber warum sollte ich mich überhaupt in die Online-Arena stürzen? Weil dieses Eishockey verdammt viel Spaß macht. Das hat es immer schon, Kenner schwören seit Jahren auf die Serie, aber letztes Jahr wirkte es auf der Xbox 360 noch zu steril, kaum wie ein Spiel der nächsten Generation. Diesmal sieht das Ganze schon anders aus: Zwar erreicht man noch immer nicht die plastische Qualität von NBA 2K7 oder eines NHL 07, das noch markantere Spielertypen zeigt, aber die Kulisse ist besser, weil sie individueller ist - statt geklonter Fangruppen sieht man z.B. einzeln jubelnde Zuschauer, Trainer motivieren ihre Spieler schon in der Kabine. Und wie schon letztes Jahr feiern die Fans laut und heiß, der Soundtrack ist mit Bands wie Grinder angenehm hart, rauchig und rockig.

Außerdem krachen die Checks jetzt wesentlich voller und es gibt kleine grafische Zusätze, die die Atmosphäre einen Schritt nach vorne bringen: Da ist zum einen der Dunst auf dem Eis, der zu Beginn eines Matches durch die Halle wabert; selbiges wirkt dieses Jahr übrigens griffiger, die Kratzer zeigen sich deutlicher. Und zum anderen gibt es bei jedem Bully sehr schöne Duellsituationen, die die Profis Auge in Auge zeigen. Selbst auf dem Eis kommt

Interview zu NHL 2K7:

Wir haben mit Ben Bishop über die Stärken und Schwächen des Spiels gesprochen. Zum Interview!

es immer wieder zu lebendigen Kommentaren innerhalb des Teams: In kurzen Zwischensequenzen wird z.B. gezeigt, wie ein Kapitän einen Mitspieler nach einem krassen Foul rügt, da man jetzt in Unterzahl spielt. Natürlich wiederholen sich diese Szenen irgendwann, vor allem wenn man eine Saison oder gar eine Dynasty spielt, aber sie sorgen für eine neue Lebendigkeit in den Arenen, die dem Vorgänger fehlte. Übrigens gibt es in der Vereinskarriere erstmals Rivalitäten (hier im Video) zwischen den Teams, die das Stadion erst richtig zum Kochen bringen - Derby-Stimmung pur.

           

Alte Liebe schmilzt nicht

Aber die Verfeinerungen in der Kulisse sind nicht so ausschlaggebend wie das Spielerlebnis. Es ist unheimlich rasant und actionreich, aber gleichzeitig taktisch enorm befriedigend. An der Oberfläche wirkt es gerade für Neueinsteiger zunächst wie ein Arcade-Hockey, denn die Checks kommen schnell, die Sprints sind geradlinig und mit dem Turbo ist man in null Komma nichts vor dem gegnerischen Goalie. Wo NHL 07 eine neue Langsamkeit an den Tag legt, gibt NHL 2K7 auf dem Eis direkt

Die Torhüter könnt ihr wie letztes Jahr auch selber steuern. Sie halten zwar meist recht gut, aber einige Tore lassen sich auch erzwingen.
und schnörkellos Vollgas. Und hier wirkt sich auch die neue Kameraperspektive aus, die das Spiel von schräg hinten zeigt und euch so richtig ins Geschehen zieht. Das Mittendringefühl ist jetzt wesentlich stärker und profitiert auch von der Wahl der Präsentation: Ihr entscheidet, ob ihr während des Spiels die guten englischsprachigen Kommentare von Bob Cole und Harry Neale hören wollt oder lieber dramatisch aufspielende Musik in wichtigen Szenen.

Jetzt kann man darüber streiten, ob das unheimlich hohe Tempo einer Simulation gerecht wird, aber immerhin handelt es sich um den schnellsten Mannschaftssport der Welt. Die Frage ist, ob diese Rasanz authentisch genug ist? Vielleicht sollte Visual Concepts überlegen, ob man für das nächste Jahr noch einen Tick individueller wird - sprich: Jeder Spieler zeigt etwas deutlicher seine Stärken beim Skaten. EA hat dieses Jahr auch versucht, das Skateverhalten anzupassen, was lobenswert ist, aber leider auf jegliches manuell aktivierbares Sprinten verzichtet, was schlecht ist. Wenn NHL 2K8 markanteres Simulationsflair verströmen will, muss es auf dem Eis noch mehr Ecken und Kanten zeigen, noch mehr Dynamik zwischen ausgepowerten Profis und frischen Spielern bieten.

Geniales Pass-System

Aber auch, wenn diese Oberfläche zunächst nach Arcade riechen mag, schlummert darunter ein höchst anspruchsvolles Eishockey mit dem derzeit besten Pass-System des Genres: Ihr könnt nicht nur flache und leicht angelupfte Pässe spielen, sondern den Puck auch für den Hintermann liegen lassen oder wie einen Lob schräg in die Spitze befördern. Das gute Laufverhalten eurer Mitspieler sorgt für packende Wechsel zwischen Offensive und Defensive. In Sachen Steuerungsfinessen bleibt NHL 2K7 nicht nur auf dem Eis, sondern auch in den Menüs vorbildlich: Ihr könnt euer Gamepad problemlos auf individuelle Vorlieben anpassen oder unter vorgefertigten Varianten wählen.

Der Wraparound: Das schnelle Umkurven des Goalies wirkt noch nicht kernig genug, fühlt sich zu unspektakulär an.
Wer die Profi-Kontrolle einschaltet, kann z.B. auf das unheimlich rasante und effektive Icon-Passing zurückgreifen: Hier kann man ganze Puck-Stafetten in Sekundenschnelle zwischen Flügelflitzern, Mittelstürmer und Hintermännern einleiten, um mit einem One-Timer oder einem mächtigen Schlagschuss abzuschließen. Vor allem beim Spiel in Überzahl ergeben sich so sehr gute Möglichkeiten: Die Folge B, Y, X und dann B, B führt von Spieler B quer durch die Reihen zurück zu ihm und einem finalen Schuss. Das Schöne daran ist, dass es optional bleibt, dass es im Vergleich zum Vorjahr zu weniger One-Timern gegen die KI führt und die Spielbalance nicht aushebelt. Allerdings ist diese Methode unter Fans der Serie auch umstritten, denn sie ist nicht leicht zu beherrschen und führt zu einer Geradlinigkeit. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt und nutze sie schon beim Spielaufbau, weil auch blinde Pässe möglich sind.

Druck auf den Gegner

Auch in der Defensive habt ihr neben einfachen Checks, dem gezielten Abblocken, in den Gegner werfen oder dem aggressiven Kontakt mit dem Analogstick, der zu regelwidrigem Haken oder gar Schlägen von der Seite führen kann, interessante Möglichkeiten: Ihr könnt einen Spieler des Gegners gezielt von der KI eurer Verteidiger unter Druck setzen lassen - ähnlich wie in der Doppeldeckung von Pro Evolution Soccer 6. Wie funktioniert das? Wenn ihr einen Star wie Sakic darin hindern wollt, elegant bei euch einzunetzen, markiert ihr ihn auf dem Eis über den linken Bumper und den rechten Analogstick.

Kurz vor dem Schlagschuss: NHL 2K7 bietet euch vorbildich viele Steuerungs- und Spielvarianten sowie einen flüssigen Online-Modus über Xbox Live..
Danach habt ihr mehrere Möglichkeiten, ihm das Leben schwer zu machen: Ein Klick und einer eurer Spieler jagt Sakic, mehrere schnelle Klicks und zwei eurer Spieler setzen ihm nach, blockieren seine Wege und checken ihn. Die Härte des Kontakts könnt ihr noch verstärken, bis der Gejagte brutal aufs Eis gelegt wird. Das führt dazu, dass ein Star die Lust aufs Tore schießen verliert und seine Fähigkeiten abnehmen. Wie schon letztes Jahr wird der so Eingeschüchterte auch farblich markiert, wie auch letztes Jahr können die so genannten Enforcer am besten austeilen. Aber leider hat man hier erneut verpasst, diese Situationen zu dramatisieren: Warum hat man die Brecher nicht mit kurzen Einblendungen in den Fokus der Kamera gebracht? Warum sieht man keine krachende Vollkontakt-Zeitlupe? Oder die Verzweiflung des Gecheckten? Oder den Hohn des Checkers? All diese Fragen haben wir uns auch letztes Jahr gestellt.

Und wie schon letztes Jahr kommt ein Schere-Stein-Papier-Prinzip im Taktikbereich zum Tragen: Ihr könnt über das Digikreuz vier offensive und defensive Manöver ausführen, die sofort die Laufwege und das Verhalten eurer Spieler beeinflussen. Der Clou ist, dass man diese kontern kann: Aktiviert euer Gegner bei Puckbesitz z.B. die Irritierung eures Torhüters durch zwei Sicht behindernde Stürmer, könnt ihr schnell einleiten, dass der Torwartraum geräumt werden soll - und schon wird das Eis vor dem Goalie freigecheckt. Hört sich gut an, lässt sich aber angesichts der Rasanz des Sports und der Tatsache, dass diese Wechsel nur in einem Drittel aktivierbar sind, nur schwer wirklich effektiv umsetzen. Neu und hilfreich ist dieses Jahr, dass Trainer und Spieler teilweise Tipps für den Taktikwechsel ins Spiel reinrufen - so muss man die Situation nicht erst selbst analysieren.

Gute und schlechte Seiten

Das Spiel ist rasant und intensiv, birgt aber wenig inhaltliche Neuerungen.  Vielleicht sollte man für die nächste Ausgabe das Deke-System überarbeiten.
Klasse wie eh und je bleiben die elegante Rückwärtsbewegung, das sofortige Stoppen mit dem Puck sowie das elegante Abdecken desselben. Auch die manuelle Torwartsteuerung wurde übernommen und kann einem Spiel Würze und Nervenkitzel verleihen, denn es wird als Reaktionsspiel inszeniert: Mit einem Sichtkegel müsst ihr den Stürmer bis zum Schuss verfolgen, danach so schnell wie möglich ein Fadenkreuz erreichen, um den Puck abzuwehren. Das kann manchmal besser sein, als sich auf die automatischen Fähigkeiten der Goalies zu verlassen: Zwar gibt es keine Flut an peinlichen Überkopftoren wie in NHL 07, aber man kann den Puck noch zu oft ins Tor zwingen oder mit den Füßen hinein schieben. Trotzdem sind die Fähigkeiten der Hintermänner nicht mehr so fehleranfällig wie letztes Jahr.

Verbesserungswürdig ist vielleicht das Deken vor dem Goalie, da es noch nicht intuitiv genug abläuft und sich nicht speziell trainieren lässt. Die Kombination aus linker Schultertaste gedrückt halten, dann eine Analogstickbewegung in diversen Gradwinkeln und dem anschließenden Loslassen der Schultertaste verlangt noch zu viel Konzentration. Vielleicht könnt man sich nächstes Jahr auf eine freiere Stick-Kontrolle à la NHL 07 einlassen, das in diesem Bereich befriedigender ist, um die 1-gegen-1-Situationen zu beleben; auch die Wraparounds sind mir immer noch zu unspektakulär - hier müssten die Kurven kratzen und die Bewegung noch intensiver dargestellt sein. All das zeigt an, dass da noch Luft nach oben ist, wenn man wieder Platineuphorie entfachen will.

    

Fazit

Schnell, taktisch, umfangreich: NHL 2K7 macht mir auf der Xbox 360 wieder richtig Spaß. Letztes Jahr enttäuschten die Kulisse und vor allem der Online-Service, dieses Jahr gibt es in beiden Bereichen spürbare Fortschritte. Ich liebe die neue Kameraperspektive, die mich von schräg hinten so richtig in die Banden-Action zieht - man ist immer mittendrin, ganz dicht dran am Puck! Ich hätte nicht gedacht, dass sich eine kleine Änderung des Blickwinkels so stark auswirken kann. Die Kulisse ist lebendiger, die Kommentare sind klasse und die Spielmodi erschlagen euch offline sowie online. Vor allem über Xbox Live serviert dieses Eishockey endlich motivierende Trümpfe: Der Puck läuft flüssig, der Netzcode ist endlich stabil und es gibt vom einfachen Match über Minigames bis zur hin zur organisierten Liga jede Menge Möglichkeiten, das Hartgummi zu jagen. Dass ich trotzdem noch nicht in alte 2K-Platineuphorie gerate, liegt daran, dass es in Sachen Animationen, Steuerung und Deke-Einsatz noch Luft nach oben gibt. Man hat sich außerdem inhaltlich auf Altbewährtes verlassen, anstatt auf dem Eis spürbar neue Wege zu gehen. Im Interview hat uns Ben Bishop jedoch versichert, dass man für NHL 2K8 neue Wege gehen will. Wie dem auch sei: Momentan ist NHL 2K7 das beste Eishockeyspiel für Konsolen. Sollte EA allerdings die komplette Analogsteuerung für NHL 08 verfeinern, könnte es wieder eng werden...

Pro

zig Spielmodi
gut reagierende KI
gute Kommentare
klasse Spielgefühl
viele coole Minispiele
lebendige Hallenkulisse
neue KI-Doppeldeckung
gezielte Trainingssituationen
erstklassiger Online-Modus
Online-Turniere/Saisons
neue Rivalitäten in der Karriere
hilfreiches Taktikreinrufen
coole neue Kameraperspektiven
kompletter Franchise-Modus

Kontra

keine deutsche Liga
kaum wesentliche Neuerungen
seltsam unspektakuläre Wraparounds
1vs1-Dekes bleiben unhandlich
Einschüchterungen zu schwach inszeniert

Wertung

360

Hart, schnell und taktisch anspruchsvoll: klasse Eishockey!

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