The Last Remnant28.11.2008, Jens Bischoff
The Last Remnant

Im Test:

Mit The Last Remnant (ab 9,99€ bei kaufen) wollte Square Enix in besonderem Maße auf die Bedürfnisse von Spielern aus dem Westen eingehen. Nein, keine aufwändige Lokalisierung, Verpackung oder PAL-Anpassung. Vielmehr sollten Charakterdesign, Story und Präsentation für westliche Augen und Ohren vertrauter, weniger exotisch wirken. Das ist den Japanern auch teilweise gelungen, aber ist das auch ein Grund zur Freude?

Zwei Welten kollidieren 

Video: The Last Remnant bietet rundenbasierte Schlachten mit interessantem Truppenmanagement, aber wenig Freiheiten.Einen Widersacher wie den "Eroberer" hätte man bis vor kurzem wohl eher in einer Wrestling-Arena als in einem Square Enix-Rollenspiel erwartet. Was zunächst wie ein Fremdkörper oder gar schlecht gemeinter Scherz anmutet, entpuppt sich jedoch schnell als überraschend charismatischer Antagonist, der ohne viele Worte und Emotionen weit mehr Interesse weckt als die ihm entgegen gestellte Heldenriege zusammen.

Vor allem Protagonist Rush Sykes, der erst seine kleine Schwester und dann mal wieder die ganze Welt retten will, versinkt mit seinem infantilen Gemüt und Gehabe geradezu in der Bedeutungslosigkeit. Eine Identifikation fiel jedenfalls unglaublich schwer, obwohl ich ebenfalls eine kleine Schwester und nichts für Wrestling-Stars übrig habe. Erst Tidus (Final Fantasy X ), dann Vaan (Final Fantasy XII ) und jetzt Rush - Square Enix' Helden werden irgendwie immer uninteressanter...

Die Rettung der Schwester

Aber egal, ihr seid nun mal Klein-Sykes, könnt trotz FFXI-Charaktereditor-Visage (siehe Screenshot) nichts daran ändern und dazu verdammt, eure Schwester und den Rest der Welt vor den Machenschaften des Bösen zu retten. Konkret heißt das, ihr reist mit einer illustren Truppe aus (Achtung, hier endet das westlich orientierte Charakterdesign!) vierarmigen Werwölfen, fischköpfigen Eidechsen und schlappohrigen Fröschen durch die Gegend und versucht etwas über illegale Forschungen und den Missbrauch von mächtigen Artefakten (Remnants) herauszufinden, an dem eure Familie nicht ganz unbeteiligt scheint. Sicher kein Stoff für einen Pulitzer-Preis, aber dank undurchsichtiger Beziehungen, Intrigen und Überraschungen immerhin spannend erzählt und in teils beeindruckenden Bildern präsentiert.

Leider sind diese jedoch sehr selten. Das meiste erfahrt ihr durch unspektakuläre Dialog-Sequenzen, die nicht einmal vertont wurden.

Frappierende Ähnlichkeit: Protagonist Rush Sykes sieht aus wie ein Charakter aus Final Fantasy XI.
Deutsche Sprachausgabe wie in Lost Odyssey oder Blue Dragon gibt es in The Last Remnant übrigens keine, aber im Gegensatz zu Infinite Undiscovery gibt es dieses Mal wenigstens deutsche Untertitel und das trotz weltweit gleichzeitiger Veröffentlichung - ein Novum bei Square Enix! PC-User dürfen sogar wahlweise japanischen Sprechern lauschen.

Teuer erkaufte Schönheit

Eine weitere Premiere ist die Verwendung der Unreal Engine 3 , von der die japanischen Entwickler angeblich ganz angetan waren. Das Ergebnis stimmt allerdings alles andere als euphorisch. Zugegeben, die Figuren und Kulissen sehen teils wirklich beeindruckend aus: Modelle und Texturen sind ungemein detailliert, die Effekte absolut sehenswert - auch wenn der hohe Blutgehalt (ein weiteres Zugeständnis an westliche Spieler?) anfangs gewöhnungsbedürftig ist. Aber diese Pracht wurde vor allem auf der 360 teuer erkauft und zwar mit jeder Menge Ladeunterbrechungen sowie massiven Slowdowns und Texturproblemen. Oft dauert es bei Kämpfen oder Ortswechseln mehrere Sekunden (!), bis Figuren und Umgebungen hochauflösend eingekleidet sind, während ihr fassungslos auf grobpixelige Grundtexturen in PSone-Qualität starrt. Eine Installation der beiden DVDs auf Festplatte verkürzt die Schrecksekunden zwar, schafft das Problem aber auch nicht aus der Welt. Auf dem PC sind Slowdowns eher eine Seltenheit, man kann die Kämpfe per zuschaltbarem Torbomodus sogar beschleunigen. Textur-PopUps gibt es aber auch hier massenweise, wenn auch nicht ganz so gravierend. Auch nachgeladen wird genauso oft, allerdings deutlich schneller, so dass nicht einmal mehr die im Original zumindest anfangs noch sehr hilfreichen Spielhinweise eingeblendet werden.   

Der Spielablauf wird durch die Textur- und Bildratenprobleme zwar kaum beeinträchtigt, die Atmosphäre leidet aber teils deutlich darunter, während die ständigen Ladeunterbrechungen (egal, ob von Platte oder Disc) vor allem auf der 360 direkt am Spielspaß zehren. Vor und nach jedem Kampf - und es wird viel gekämpft! - sekundenlang Däumchen drehen zu müssen, hatte bereits bei Lost Odyssey geschlaucht, 

Die Kämpfe sind prächtig inszeniert, leiden aber unter Slowdowns (360) und Texturproblemen.
wobei hier eigentlich schon die meisten Daten im Speicher sein müssten, da die unterschiedlichen Gegner bereits von Weitem sichtbar in voller Pracht durch die Gegend streunen und sich auch die Kampfumgebung nicht großartig ändert. Ihr könnt Gegner einzeln oder in Gruppen in Gefechte verstricken, euch an ihnen vorbei schleichen oder mithilfe einer vorübergehenden Zeitlupenfunktion, die eigentlich zur einfacheren Anvisierung und Zusammenrottung gedacht ist, das Weite suchen. Monster untereinander in Kampfhandlungen zu verstricken wie in Blue Dragon oder Final Fantasy XII ist nicht möglich.

Auf in die Schlacht

Gekämpft wird übrigens in klassischer Rundenmanier. Das heißt ihr gebt euren Charakteren Befehle, die anschließend mit den gegnerischen Aktionen abgeglichen und in einer selbstlaufenden Sequenz wiedergegeben werden bis eine Partei die Arena als Sieger verlässt. Damit ihr währenddessen nicht nur zuschauen müsst, haben die Entwickler kleine Reaktionstests für Blocks, Konter und kritische Treffer eingebaut, mit denen ihr sogar die Zugreihenfolge noch während des Schlagabtauschs zu euren Gunsten beeinflussen könnt.

Die teils grauenhafte Kampfmusik lässt sich durch Moralverschiebungen ebenfalls beeinflussen, die Wechsel sind jedoch genauso holprig wie die Bewegungen eures Protagonisten abseits des Schlachtfelds, wo wiederum alle Beteiligten eine gute Figur machen. Bei der Soundkulisse ist es eher anders herum: Diese weiß eher abseits der Schlachten mit abwechslungsreichen und gut zu den jeweiligen Locations passenden Kompositionen zu gefallen.

Flucht ist übrigens zu keiner Zeit eine Option, was angesichts einiger übermächtiger, aber unauffälliger Wölfe im Schafspelz trotz kostenloser Vollheilung nach jedem Kampf ziemlich schnell Game Over bedeuten kann. Daher solltet ihr von der Möglichkeit, das Spiel abseits von Kämpfen und Sequenzen jederzeit speichern zu können, ausgiebig Gebrauch machen - vor allem, wenn ihr neue Gebiete betretet oder euch dem Ende eines Abschnitts nähert, denn auch die Bossgegner haben es teils ganz schön in sich - selbst Profis haben mitunter zu knabbern, wenn sie der Story zu hastig gefolgt sind, was frustrieren, aber auch motivieren kann. PC-Spieler bekommen zusätzlich von einer praktischen Autosave-Funktion Rückendeckung, die auch dann speichert, wenn ihr es mal vergessen solltet - gerade vor unerwarteten Bossfights ein echter Segen.

Fragwürdige Dynamik

Oft können selbst vormals harmlose Kreaturen, die ihr kurz zuvor noch mit links erledigt habt, zu einer lebensgefährlichen Bedrohung werden, denn eure Feinde steigen zum Teil mit euch auf und das manchmal deutlich schneller als ihr selbst.

Die groß und lebendig wirkenden Städte sind in Wirklichkeit nur mit Statisten gefüllte Straßenzüge.
Kehrt ihr an alte Schauplätze zurück, können die dortigen Standardgegner durchaus Bosskampfqualitäten an den Tag legen und euch im Handumdrehen den Garaus machen. Dadurch werden eure Erkundungen zwar nie langweilig, aber wie auch immer man zum Level-Scaling von Gegnern in Rollenspielen stehen mag, die Balance ist bei The Last Remnant einfach völlig indiskutabel. Es gibt keine klare Linie. In manchen Gegenden bleiben die Monster schwach, in anderen werden sie sprunghaft übermächtig, in wieder anderen werden sie einfach durch völlig andere ersetzt, was nicht nur im Hinblick auf das facettenreiche Craften von Ausrüstung aus individuellen Leichenteilen einen ziemlichen Fauxpas darstellt.

Nichtsdestotrotz ist das Suchen und Sammeln von Materialien zur Item-Erzeugung und -Verbesserung einer der Motivationspfeiler von The Last Remnant. Neue Bastelressourcen bekommt ihr nicht nur durch das Ausweiden erlegter Gegner, sondern auch durch das Zerlegen von Waffen und Schmuck, durch das Erfüllen von Sidequests und Gildenaufträgen oder die Grabkünste eures skurrilen Maulwurfbegleiters Herr Buddler, den ihr an bestimmten Stellen auf verdächtige Böden, Felsen, Wasserlöcher oder Pflanzen loslassen könnt. Die Anzahl an Ernteversuchen ist zwar in jedem der Abschnitte begrenzt, aber je öfter ihr Herrn Buddler einsetzt, desto erfahrener wird er, wodurch ihr immer bessere Ausbeuten und seltenere Materialien einfahrt.              

Doch zurück aufs Schlachtfeld, wo ihr wohl die meiste Zeit des Spiels verbringen werdet, da oft und teils auch lange gekämpft wird. Manchmal nehmt ihr sogar an ausgewachsenen Schlachten teil, wo ihr eure Gruppenmitglieder in vorgegebenen Formationen auf feindliche Armeen hetzt, 

Spezialangriffe wie der Gae Bolg richten immensen Schaden an, stehen aber nur selten zur Verfügung.
die es festzusetzen, in die Zange zu nehmen oder in einen Hinterhalt zu locken gilt. Doch egal, ob ein oder zwei Dutzend Gegner, eure Aktionsmöglichkeiten sind sehr beschränkt und teils völlig unbrauchbar. Ihr bekommt nämlich jede Runde eine Handvoll oft willkürlich erscheinender Manöver wie Vorrücken, Angreifen, Abwarten oder den Einsatz individueller Spezialfertigkeiten wie Heil- und Angriffszauber sowie bestimmter Items vorgesetzt, aus denen ihr dann die passenden wählen müsst. Steht ihr kurz vorm Heldentod und eure Heiler bekommen nur Angriffsaktionen serviert, habt ihr eben Pech gehabt.

Keine Frage: Das Kampfsystem ist interessant und gerade das Organisieren der bis zu fünfköpfigen Kampfverbände sehr facettenreich. In der PC-Version seid ihr in der Party-Zusammenstellung sogar völlig frei, da es keine Beschränkungen mehr im Hinblick auf die Anzahl eurer Anführer gibt. Wer will, kann auf kostenlose Soldaten komplett verzichten und ausschließlich mit Bezahl- und Story-Charakteren in die Schalcht ziehen. Die Auseinandersetzungen selbst sind aber viel zu sehr von Glück, Willkür und fragwürdigen Automatismen abhängig und laufen fast immer nach demselben Schema ab. Für Hobbygeneräle ist's zu primitiv und oberflächlich und für Rollenspieler nicht individuell und handlich genug. Es funktioniert zwar, bietet ein ungewohntes Spielgefühl und sorgt für künstliche Spannung, wirkt aber alles andere als durchdacht und ausgereift.

Umfangreich, aber eintönig

Dass das Spiel womöglich unter Zeitdruck produziert wurde, legt auch das exzessive Gegner-Recycling nahe. Ich weiß nicht wie viele verschiedenfarbige Krebse, Motten oder gehörnte Hunde ich erlegt habe, aber es waren definitiv zu viele. Die Gegnervielfalt ist äußerst bescheiden. Selbst bei Bossfights bekommt man immer wieder dieselben Drachen und Riesenvögel vorgesetzt, die anfangs wirklich beeindruckend sind, aber einem irgendwann nur noch einen müden "Ach der schon wieder..."-Gähner entlocken.

Der Spielumfang kann sich zwar sehen lassen, wird aber in erster Linie durch unzählige Kämpfe und jede Menge zähe Lauf- und Sucharbeit erreicht, obwohl man sich eigentlich im Handumdrehen direkt zu jedem auf der Weltkarte registrierten Schauplatz begeben kann. Selbst die Städte bestehen nur aus winzigen Vierteln, die voneinander getrennt sind und direkt per Knopfdruck aufgesucht werden können, was vor allem Forschernaturen enttäuschen dürfte.

Auf Schatzsuche: Mit eurem Maulwurfbegleiter Herr Buddler könnt ihr seltene Materialien ausgraben.
Neben den Orten, an die euch die während eures Kampfmarathons leider immer wieder in den Hintergrund geratende Story entführt, gibt es auch zahlreiche optionale Areale, die entdeckt und erkundet werden wollen. Mitunter könnt ihr euch sogar auf Nebenquests einlassen, die weit mehr als simple Such- und Bringdienste darstellen und euch teilweise nicht nur nette Belohnungen, sonder auch zusätzliche Partymitglieder bescheren. Die meisten Mitstreiter kommen aber nicht über ein reines Statistendasein hinaus, da eure Truppe im Spielverlauf einfach zu groß wird und nur eine Handvoll der Beteiligten überhaupt in die Story involviert ist.

Das Partymanagement konnte mich auch nicht so recht überzeugen. Ausrüsten könnt ihr nur Rush, die anderen basteln sich ihre Waffen und Accessoires selbst. Rüstungen gibt es keine. Welche Gegenstände eure Gefährten für neue Ausrüstung benötigen, ist oft unklar, auch wenn sie manchmal irgendwelche Dinge fordern, von denen ihr in der Regel noch nie etwas gehört habt. Ähnlich verhält es sich mit dem Verbessern von Attributen und Fertigkeiten. Klassische Erfahrungspunkte und Stufen gibt es nämlich keine. Mal verbessert sich dies, mal jenes, manchmal fragen eure Gefährten sogar nach in welche Richtung es gehen soll, ohne dass ihr wirklich konkrete Angaben machen könnt. Bestehende Fertigkeiten sollten sich eigentlich verbessern, wenn man sie häufig einsetzt, aber oft genug war genau das Gegenteil der Fall. Es gibt einfach zu viel, das nicht nachvollziehbar ist, willkürlich erscheint und an dubiose Automatismen oder reines Glück gekoppelt ist auch wenn die Ansätze zum Teil ganz interessant sind und Lust auf ein ausgereifteres Wiedersehen machen.         

Fazit

The Last Remnant hätte so viel besser sein können. Die technische Seite enttäuscht trotz prächtiger Kulissen, Figuren und Effekte mit massiven Slowdowns, eklatanten Texturproblemen, chaotischem Kameragezappel, halbgaren Animationen und ständigen Ladeunterbrechungen, dass man fast den Eindruck gewinnt, eine frühe Alpha-Version vor sich zu haben. Bei der auf Steam als Kopierschutz setzenden PC-Version sind die Mängel zwar deutlich geringer, aber bis auf die Slowdowns und langen Ladezeiten nach wie vor vorhanden. Zusätzlich gibt es ein paar gelungene Erweiterungen wie eine Autosave-Funktion, einen Zeitraffer bei Kämpfen, eine freiere Party-Zusammenstellung sowie optionale japanische Sprachausgabe. Doch selbst bei der Präsentation wurde trotz wirklich beeindruckender Momente zu sehr geschlampt: Der durchaus spannend inszenierten Story mangelt es immer wieder an Präsenz, Sprachausgabe gibt es nur alle paar Schaltjahre, neue Gegner noch seltener und der vermutlich per FFXI -Editor erstellte Protagonist ist so interessant und charismatisch wie eine Tüte Milch. Selbst spielerisch manövriert man sich mit fragwürdigem Level-Scaling, unsinnigen Handlungsvorgaben und undurchsichtiger Charakterentwicklung unnötig ins Abseits. Dabei ist das Grundgerüst alles andere als schlecht, teilweise sogar originell. Es gibt zahlreiche Nebenquests mit teils aufwändigen Handlungen, viele optionale Schauplätze, Gegner, Partymitglieder und Herausforderungen sowie ein vielschichtiges Crafting-System, mit dem man sich ungemein lange beschäftigen kann. Schade nur, dass der Spielspaß dabei nur selten über befriedigendes Niveau hinaus geht. Geduldige Itemsammler und Monsterjäger kommen zwar auf ihre Kosten, anspruchsvolle Rollenspielunterhaltung sieht aber anders aus...

Pro

spannende Story
zahlreiche Nebenaufgaben
interessante Gruppenkämpfe
motivierendes Crafting-System
stimmungsvolle Zwischensequenzen

Kontra

mickrige Städte
zäher Spielverlauf
austauschbarer Protagonist
vorgegebene Kampfaktionen
exzessives Gegner-Recycling
Kämpfe ohne Fluchtmöglichkeit
unausgewogenes Level-Scaling
undurchsichtige Charakterentwicklung
viele lästige Ladeunterbrechungen (vor allem 360)
massive Textur
& Bildratenprobleme (vor allem 360)

Wertung

360

Trotz interessanter Ansätze technisch und spielerisch sehr durchwachsenes Rollenspielerlebnis.

PC

Technisch verbessert, aber spielerisch mit denselben Mankos behaftet wie das Konsolenoriginal.

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