Tony Hawk's Proving Ground13.12.2007, Paul Kautz
Tony Hawk's Proving Ground

Im Test:

Wenn man einen Funsportfreak fragt, woran er beim Stichwort »Skateboard-Game« denkt, dann dürfte die Antwort nur im Ausnahmefall etwas wie »California Games« sein - der Name »Tony Hawk« ist einfach übermächtig! Kein Wunder, gilt Neversofts Rollerei seit 1999 als Meilenstein, der im Alleingang ein neues Genre begründen konnte. Und was bleibt acht Jahre später von diesem Ruhm?

Skate, wie dir das Skateboard gewachsen ist!

Die Tony Hawk-Welt ist eine gute: Fast jeder kann skaten. Ist ja auch kein Wunder, wenn Städte wie Philadelphia oder Washington im Grunde nicht mehr als gigantische Skateparks sind. Und falls jemand richtig gut auf dem Brett ist, stehen wie durch Zufall mehrere Dutzend Profis vor der Tür, die sich nichts sehnlicher wünschen, als dem neuen Rollengott möglichst viel beizubringen. So auch eurem Alter Ego, das ihr wie gewohnt vor Beginn der Karriere aus vielen Einzelteilen zusammenschrauben dürft:

Flieg Birdman, flieg: Tony Hawk's Proving Ground (ab 19,95€ bei kaufen) bringt die Serie nicht weiter.
Frisur, Shirt, Hosen, Griptape, Diamant-Ohrstecker - Neversoft hat das Blingbling-Kontingent nach dem eher spartanischen Project 8  (P8) wieder gehörig aufgestockt, auch wenn nach wie vor keine weiblichen Skater zu erschaffen sind. Passt das Äußere, geht es an die inneren Werte - von einer in der deutschen Fassung grauenhaft gelangweilten Stimme kommentiert werden euch drei mögliche Skater-Zukünfte angeboten: Der Karrieretyp, der sich und seine gut gefüllte Brieftasche möglichst oft auf Magazin- oder Spielecovern sehen will. Der Hardcore-Freak, der sich nicht um Regeln oder Verbote schert, bei ihm geht es um den puren, unverkommerzialisierten Skate-Spaß - quasi der Anarchist auf dem Brett. Und der »Rigger«, der MacGyuver unter den Sportlern, der sich keine Gelegenheit entgehen lässt, aus vorhandenen Materialien neue Skate-Spots zu erschaffen - ein Rohr hier, ein Brett da, und schon hat man eine neue Rail! Klingt nach Auswahl und gutem Wiederspielwert? Möööööp, leider falsch: Die Entscheidung spielt keine Rolle, denn wollt ihr die Story komplett durchlaufen, müsst ihr ohnehin alle drei Wege beschreiten.

Grundsätzlich erwarten euch keine Überraschungen - alles was in P8 vorhanden war, findet sich auch in Proving Ground (PG) wieder. Neversoft hat hauptsächlich ein paar Kohlen nachgeschippt und an der Erweiterungsschraube gedreht: Das berüchtigte »Nail The Trick« ist z.B. wieder an Bord und hat seine Brüder mitgebracht - »Nail The Manual« und »Nail The Grab« dürften selbsterklärend sein. Alle Nageleien lassen sich zu einer schönen Kombo verbinden, haben aber, trotz dezent vereinfachter Steuerung und ausführlichen Tutorials, nach wie vor den Nachteil der Unberechenbarkeit. Besonders Tricks und Manuals sind oft genug ein Wagnis, mit dem man eine schöne Kombo zerstören kann - klassische Tricks bringen weitaus mehr Punkte und sind weniger

Neben Fliptricks könnt ihr jetzt auch Grabs und Manuals »nageln« - was nach wie vor zwar cool aussieht, aber nicht viel spielerischen Wert hat.
riskant. Neu im Sortiment ist der Aggro-Kick der Hardcore-Fraktion: Etwas Timing im Blut vorausgesetzt bekommt ihr damit weitaus mehr Geschwindigkeit, sehr nützlich für mächtige Air-Tricks. Oder um Passanten mit Schmackes und dem ebenfalls frischen »Aggro-Check« aus den Latschen zu hauen - einen echten praktischen Nutzen hat das Teil aber nicht. Falls ein Spieler den guten alten Arcade-Modus im Hauptmenü vermisst, sollte er innerhalb der Story auf herumstehende Arcade-Maschinen achten, an denen man klassische Ziele zocken kann. Wenn ihr wollt, könnt ihr auch eigene Videos aufnehmen, mit Effekten verschönern und online euren Freunden vorführen. Die Bedienung des Editors ist nicht unbedingt intuitiv, aber variantenreich genug. Ansonsten kurvt ihr wie in Project 8 frei durch die nach und nach freigeschaltete Stadt, und nehmt Aufträge von Passanten an. Es gibt Skill-Challenges, die euer Geschick im Umgang mit Grinds oder Manuals testen, lange Lines, die es fehlerfrei zu fahren gilt sowie Foto- und Film-Herausforderungen. Jede Mission ist wie gewohnt in drei Schwierigkeitsgrade unterteilt: »Amateur« dürfte auch für Pad-Neulinge meist im ersten Anlauf zu schaffen sein, »Profi« ist deutlich anspruchsvoller und »Krank« ist nur für Tony-Cracks zu schaffen. Wem das immer noch nicht Haareraufen genug ist, der aktiviert den »Sim-Modus«, der die Sache mit erhöhter Schwerkraft und deaktiviertem HUD nochmals verschärft - nicht umsonst spricht das Programm eine deutliche Warnung aus: »Benutzung auf eigene Gefahr. Möglicherweise werden alle Ziele wirklich schwierig.«

Tony, der Baumeister

Ihr könnt jederzeit neue Hindernisse in der Landschaft bzw. eurer Skate-Lounge platzieren.
Als Erweiterung kann man auch den Rigger-Part bezeichnen, schließlich durftet ihr bereits in P8 an ausgewählten Stellen das Landschaftsdesign leicht verändern. Das könnt ihr jetzt an jeder Stelle - einfach die Rigger-Taste drücken, schon findet ihr euch in einer Iso-Perspektive wieder, aus der ihr Kicker, Quarterpipes oder Rails frei nach Gusto platzieren dürft. Sogar Fotoapparate könnt ihr aufstellen, um möglichst dramatische Aufnahmen von euren Stunts zu machen. Das Ganze hat allerdings zwei Nachteile: Zum einen sind die Städte wie bereits erwähnt voller Skate-Möglichkeiten; es gibt tatsächlich nur wenige Gelegenheiten, eine sinnvolle Erweiterung zu platzieren. Eine davon ist eure private Skate-Lounge, die ihr nicht nur mit den angesprochenen Skater-Freuden verschönern, sondern auch mit Couchen oder Fernsehern verzieren dürft. Der zweite Nachteil betrifft das Fotografieren selbst: Es ist furchtbar. Einfach furchtbar. Völlig furchtbar. So furchtbar, dass ich jede einzelne dieser Missionen in der Story bis aufs letzte Bit gehasst habe!        

Die Foto-Challenges sind eine Pein: Da ihr die Bilder manuell auslösen müsst, sind Kombos von vornherein zum Scheitern verurteilt - schlimmer wird es nur noch, wenn ihr die Kamera selbst platzieren müsst!
 Warum? Zum einen sind damit keine sinnvollen Kombos möglich, da ihr die Fotos selbst machen müsst. Nicht etwa wie in skate , wo ihr einfach euer Lieblingsbild aus einer Reihe von Aufnahmen auswählt. Stattdessen schaltet die Ansicht in die entfernte Fotoapparat-Perspektive um, und sobald ihr in den Linsen-Bereich geratet, wird die Zeitlupe aktiviert. Im richtigen Moment macht ihr per Druck auf den rechten Stick das Foto, die Ansicht schaltet wieder um. Kann mir einer erklären, wie innerhalb dieses Gefummels ein vernünftiges Manöver möglich sein soll? Noch schlimmer wird es, wenn ihr den Apparat selbst platzieren müsst. In einer Mission hätte ich fast das Gamepad in meinen Plasma gepfeffert: Der goldene Fontänenring eines Springbrunnens muss gegrindet, die Kamera selbst platziert werden. Nach gefühlten 96 Versuchen hatte ich die Schnauze mehr als voll, denn obwohl der Foto-Bereich aus jedem Winkel genau auf den Ring zeigte, konnte ich kein Foto machen und somit die Mission nicht beenden. Was für ein Scheiß!

Wiiso tut ihr uns das an?

Technisch hat sich auf 360 und PS3 seit P8 nix getan: Die großen, flüssig ineinander übergehenden Städte sind glaubwürdig und herausfordernd design, die Skater gut animiert, das Ganze läuft im Großen und Ganzen flüssig - auf der PS3 gibt's hier und da ein paar Ruckler. Einige Persönlichkeiten wie Tony Hawk sehen allerdings nach wie vor aus als würden sie abends auf der Suche nach Fleisch aus ihren Gräbern steigen.

Die Story ist wie üblich nicht der Rede wert, aber wenigstens nett inszeniert - jedenfalls auf 360 und PS3.
Und beim Riggen gibt's teilweise übles Texturflackern. Aber okay, der Gesamteindruck ist prima. Auch die Soundkulisse stimmt wieder mal fröhlich, von Nirvana über Beastie Boys, Foo Fighters und Smashing Pumpkins zu den Rolling Stones und den Sex Pistols dröhnt gutes Druckmaterial aus den Boxen, die englische Sprachausgabe ist gut, die deutsche einschläfernd - alles wie gewohnt. Auch der Mehrspielermodus bietet keine Überraschungen, außer dass ihr jetzt gegeneinander Tricks nailen und eine Kombo-Line vorlegen dürft.

Schlimmer wird's auf der PS2: Von den obligatorischen grafischen Einbußen abgesehen sind auch die Zwischensequenzen weitaus kürzer, weniger an der Zahl und aus der Ego-Perspektive abgefilmt, es gibt keine englische Sprachausgabe, die Städte sind weitaus kleiner und in Abschnitte unterteilt, es tummeln sich weitaus weniger Personen und Autos auf den Straßen - die Aufgaben werden von schwebenden Icons repräsentiert. Darüber hinaus gibt es zwar einen 16:9-Modus, der aber nicht für die Videos gilt; die werden in diesem Fall extra-gestreckt angezeigt. Die Aufgaben sind leicht anders designt, die Nail-Darstellung ist weniger spektakulär - und die Nagel-Tricks verfügen über ein anderes Timing als ihre großen Brüder, so dass sie nochmal unberechenbarer werden! Am Ärgerlichsten ist allerdings, dass der Online-Mehrspielermodus komplett über Bord fiel, an seiner Stelle gibt es nur noch eine Splitscreen-Variante für zwei Spieler.

Am schlimmsten hat es allerdings die Wii-Skater erwischt: Es hatte schon seinen Grund, warum P8 letztes Jahr nicht auf diese Plattform umgesetzt wurde - stattdessen bekamen Fuchtelfreunde mit Tony Hawk's Downhill Jam  eine spezielle, angepasste, spaßige Skaterei vorgesetzt. Eine weise Entscheidung. Das war Proving Ground nicht: Die Wii-Version vereint alle Nachteile der PS2-Version mit einer Steuerung, die frisch dem innersten Kreis der  Hölle entspringt! Ein paar Lowlights: Flip- und Grabtricks liegen auf C und Z, also komplett auf dem Nunchuck - ein schneller Wechsel ist so knifflig. Nailtricks werden durch die Bank per Nunchuck- bzw.

Mit dem Video-Editor könnt ihr eure Board-Großtaten in effektvolles Licht setzen und der Welt präsentieren.
Wiimote-Bewegung ausgelöst, für den Impossible muss man z.B. das Nunchuck nach links rucken - die Ausführung ist damit Glückssache. Für den Aggro Kick muss man die Fernbedienung rhythmisch nach unten kippen, was nicht mal ansatzweise funktioniert. Der Revert wird per B & Z aktiviert, das Trick-Timing ist dadurch komplett neu, der Übergang in den Manual eine Qual - Adios, Halfpipe-Kombos! Und zu grausamer Letzt ist die Rigger-Steuerung eine einzige Pein: Kamera und Bauteil gleichzeitig drehen geht nicht, das Scrolling ist elend langsam. Kurz gesagt: Das auf schnelle Reaktionen und präzise Eingaben setzende Spielprinzip geht mit der trägen Wii-Steuerung einfach nicht auf. Nicht mal ansatzweise.     

Fazit

Wäre ich gemein, würde ich Proving Ground vorwerfen, ein leicht erweitertes Add-On zu Project 8 zu sein. Es ist nicht mal in jeder Hinsicht positiv erweitert; ganz speziell die Foto-Challenges sind derart haarsträubend wider jede Vernunft programmiert, dass ich den Entwicklern hier boshafte Absicht unterstelle. Aber da ich nicht gemein bin (außer zur Wii-Version, aber dieses trübe Stück Software hat's nicht besser verdient!), stelle ich fest, dass das immer noch ein Tony Hawk-Game ist, wie man es kennt und liebt: Einfache Steuerung, cleveres Aufgabendesign, coole Trick-Vielfalt, guter Mehrspielermodus. Aber das ist Fluch und Segen zugleich, denn Neversoft ruht sich schon seit einigen Teilen mehr oder weniger offensichtlich auf seinen Lorbeeren aus - und warum auch nicht, wenn's keine Konkurrenz gibt? Erst vor ein paar Wochen gab's endlich mit skate den schon lange nötigen Tritt in den Hintern, davon hat Proving Ground allerdings nichts. Ich sage nicht, dass die Entwickler jetzt panisch anfangen sollten skate zu kopieren - das ist nicht nötig, das Spielprinzip hat nach wie vor seine Vorteile. Allerdings tritt es nicht mehr nur optisch, sondern mittlerweile auch spielerisch deutlich auf der Stelle; ein Habitus, den man sich angesichts erstarkter Konkurrenz auf Dauer kaum leisten dürfte. Wer also skate für schwer zugänglich hält, der wird mit dem neuen Tony erneut glücklich werden. Alle anderen dürften gelangweilt abwinken.

Pro

viele Aufgaben
einfache Steuerung
gute Grafik
abwechslungsreich designte Levels
einsteigerfreundliches Schwierigkeitsgrad-System
spaßige Mehrspielermodi

Kontra

erschreckend innovationsarm
völlig verhunzte Wii-Version
aufgesetzt wirkender »Rigger«-Teil
furchtbare Foto-Challenges
stark eingeschränkte PS2
und Wii-Fassungen
»Nail the Trick« nach wie vor nicht sehr intuitiv

Wertung

360

Wii

Zur schwachen Technik der PS2-Fassung gesellt sich hier eine völlig unbrauchbare Steuerung!

PlayStation3

Die Serie tritt auf der Stelle: Proving Ground sieht gegen skate ziemlich alt aus!

PlayStation2

Technisch erheblich schwächer als die großen Brüder, spielerisch aber immer noch in derselben Liga.

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