Child of Eden05.05.2011, Jan Wöbbeking
Child of Eden

Vorschau: Preview

Langsam nimmt der Farbrausch Gestalt an: Entwickler Q Entertainment feilt noch am letzten Level von Child of Eden (ab 9,07€ bei kaufen), aber wir hatten bereits die Gelegenheit, uns durch die übrigen vier Stufen des hypnotischen Sinnesrausches zu ballern. Außerdem haben wir dem Vater des Spiels Tetsuya Mizuguchi bei seinem Hamburg-Besuch einige Fragen gestellt – das Interview findet ihr hier.

Jenseits von Eden

Bald hat das Warten ein Ende: Geschlagene elf Jahre hat Tetsuya Mizuguchi mich und alle anderen treuen Rez-Fans darben lassen. Doch bald ist der drogen- und rezeptfreie Videospiel-Rausch zurück und er fühlt sich genau so gut an wie damals. Am 16. Juni kommt die Xbox-360-Version in die Läden, die PS3-Fassung soll im September folgen. Als Kenner des Vorgängers fühlt man sich sofort heimisch: Wieder fliegen aberwitzig verschnörkelte Wesen durch eine bunt glühende Traumwelt und müssen trotz ihrer Schönheit mit Waffengewalt bekämpft werden. Genau genommen bringt man sie gar nicht um, sondern befreit sie aus den Klauen einer Virusattacke.

Ubisoft hat ein Herz für Blumenkinder.
Ubisoft hat ein Herz für Blumenkinder.
Das Schadprogramm hat das komplette Internet der Zukunft – Eden genannt - verseucht und hält das hübsche virtuelle Wesen Lumi in seiner Gewalt. Das barfüßige Mädel mit dem Perlweiß-Lächeln taucht von Zeit zu Zeit als Projektion im Spiel auf. Gespielt wird sie von der Sängerin aus Mizuguchis J-Pop-Band Genki Rockets, welche auch eine Großteil des Soundtracks beisteuert. Trotzdem kann ich schon eine Entwarnung an all die aussprechen, welche wie ich einen Kitsch-Overkill befürchten. Die Musik ist trotz der neuen Ausrichtung immer noch hypnotisch gehalten: Der an Vocal Trance erinnernde Gesang wird von jeder Menge hypnotischen Trance- und Elektro-Beats aufgelockert. Die Soundkulisse passt wieder hervorragend zum Geschehen auf der Mattscheibe.

Alte Schule…

Im Kern ist Child of Eden ein klassischer Rail-Shooter. Ich fliege auf einem vorgegebenen Weg durch das Level, ganz wie im Saturn-Oldie Panzer Dragoon – mit dem Unterschied, dass die Kulisse hier viel abstrakter aussieht. Wie in Rez werden bis zu acht Gegner mit dem A-Knopf markiert. Lässt man los, zischen die Raketen davon und nagen an der Energie der Widersacher. Als vor mir z.B. einige fliegende Walfisch-Rochen auftauchen, bearbeite ich ihre edelsteinförmigen Schwachstellen. Nachdem ich sie eine ganze Weile gepiesackt habe, zerbirst sich das letzte Exemplar in einen glitzernden Sternenhaufen, der langsam in Richtung der gleißenden Sonne fliegt. Dort verwandelt er sich mit einem farbgewaltigen Spektakel in einen gigantischen Vogel, der lange bunte Fäden an seinen Flügeln hinter sich her zieht – Freunde esoterischer Farbspiele dürften ihre helle Freude haben.

Der gigantische Feuervogel ist ein echtes visuelles Highlight.
Der gigantische Feuervogel ist ein waschechtes visuelles Highlight.
Praktischerweise ist auch der Flattermann mit Schwachstellen übersät, welche ein prima Ziel für meine Raketen abgeben. Wenn ich mich zu sehr auf sie konzentriere, kann es aber passieren, dass mein Opfer es mir mit gleicher Münze heimzahlen will. Dann fliegt ein Grüppchen pinkfarben flackernder Raketen in meine Richtung und die Neuerung des Spiels kommt zum Zuge: Solche Projektile lassen sich nämlich nur mit dem neuen, ebenfalls rosa leuchtenden Dauerfeuer-Laser abwehren. Auch komplette Gegner müssen damit bekämpft werden, wenn sie in der gleichen Farbe glühen. Einige Ammoniten verstecken ihre Achillesverse geschickt im Inneren: Zuerst bringe ich sie mit dem Laser  zum Rotieren, wodurch ein paar empfindliche Tentakeln freigelegt werden. Dann folgt der bekannte Abschluss: Ein paar mal markieren, abfeuern und sie sind Geschichte. Bei einigen Wesen und Kulissen ließen sich die Designer sich wieder bei abstrakten technischen Werken wie von Wassily Kandinski inspirieren, diesmal haben aber auch viele organisch anmutende Formen und Gebilde ihren Weg ins Spiel gefunden. Vor allem die dritte Welt strotzt vor derart vielen Ranken, Blüten und Pollen, dass es mir beinahe in der Nase gekitzelt hat.

…mit neuen Kniffen

Das Spielerlebnis gliedert sich im Wesentlichen in drei Phasen: Es beginnt mit der „Was-zum-Teufel-geht-hier-eigentlich-ab-Phase“, in welcher Neulinge sich erst einmal im Farboverkill zurecht finden müssen. Kenner überspringen dieses Stadium natürlich und versuchen von Beginn an, mit Hilfe ihrer in Rez erlernten Routine so lange wie möglich im blinkenden Inferno zu überleben – bis sie schließlich das rettende Ende des Levels erreichen. Wenn man das nur fünf Levels kurze Spiel gemeistert hat, startet Phase 3, in der man versucht, möglichst viele Gegner zu erwischen sowie gute Wertungen und Highscores abzusahnen.

Ist erst der Kern freigelegt, schickt man ihn flott ins Nirvana!
Ist erst der Kern freigelegt, schickt man ihn flott ins Nirvana!

Dann erweist sich das neue Kombo-System als echter Motivationsfaktor: Wenn man acht Gegner markiert und den Knopf dann im Takt der Musik loslässt, steigt der Multiplikator. In manchen Sequenzen tauchen sogar Hommagen an Rock Band und Co auf: Leuchtende Quadrate huschen über gigantische gebogene Drahtgitter und müssen im Takt ausgelöscht werden – was hier natürlich um einiges schmucker aussieht. Wenn man ein wenig Übung hat, entwickelt sich ein ständiges Abwägen zwischen Sicherheitsbedürfnis und neuem Highscore: Lass ich den Multiplikator sausen, um die bedrohlich nahe Rakete mit dem Laser abzuwehren? Verschwende ich eine gleißende Smartbomb für etwas mehr Energie oder spare ich sie für den Boss auf? Sammle ich das dringend benötigte Energiepaket oder riskiere ich für einen neuen Highscore den Exodus?

Kurz-Trip

Als Belohnung für gibt es wieder jede Menge freischaltbare Goodies wie farbprächtige Konzeptzeichnungen, Videos und einige Grafik-Effekte, welche die Kulissen wie ein ausgeblichenes Schwarzweiß-Foto oder ein pixeliges Retro-Spiel aussehen lassen. Die Verfremdungen machen das Erkennen der Feinde aber nicht gerade einfacher. Mit der Zeit tummeln sich übrigens auch einige befreite Cyber-Wesen im Hauptmenü. Wie in einem Aquarium kann ich sie mit Tönen anlocken oder ihnen selbst Sounds entlocken, indem ich sie mit dem Cursor streife. Ob die im September erscheinende PS3-Umsetzung den Move-Controller unterstützt, wollte Mizuguchi im Interview noch nicht bestätigen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie ausgerechnet hier gestrichen wird: Das Prinzip ist schließlich wie gemacht für das bequeme Zielen aus dem Handgelenk.

Rock Band lässt grüßen: Hier lässt sich mit ein wenig Rhythmus-Gefühl der neue Multiplikator in die Höhe treiben.
Rock Band lässt grüßen: Hier lässt sich mit ein wenig Rhythmus-Gefühl der neue Multiplikator in die Höhe treiben.

Die Kinect-Steuerung der 360-Fassung ist dagegen bereits integriert und wurde offenbar gründlich überarbeitet: Anders als bei Pauls Horror-Erfahrung auf der letztjährigen TGS kam ich verhältnismäßig gut damit zurecht. Das nervige Klatschen ist nur noch im optionalen zweiten Layout nötig. In der Standard-Variante dagegen markiere ich in Ruhe mit der rechten Hand und feuere durch ein leichtes Zucken ab. Strecke ich die linke aus, steuere ich damit den Laser.  So präzise wie mit dem 360-Controller funktioniert das Wedeln aber trotzdem nicht. Um für Chancengleichheit zu sorgen, haben die Entwickler die Highscorelisten bereits in einen Kinect- und einen Controller-Bereich aufgeteilt. Schön auch, dass lokale Bestenlisten für Länder und Städte geplant sind – so hat man auch als Normalsterblicher das Zeug zum Local Hero, wenn man sich ins Zeug schmeißt.

In bewegten Bildern sieht Child of Eden noch eindrucksvoller aus - einen Vorgeschmack gibt's im Video-Ausblick.

Ausblick

Es ist fast wie früher: Wenn ich mich erst einmal in einen Level eingeloggt habe, habe ich die Welt um mich herum sofort vergessen. Child of Eden ist wie ein Rausch ohne Kater oder Nebenwirkungen – inklusive Halluzinationen von knallbunten, wunderhübsch designten Phantasiewesen. Nur Epilektiker sollten tunlichst die Finger von dem blitzenden Inferno lassen – die extra dicke Warnung vor dem Spielstart ist hier ausnahmsweise völlig berechtigt. Der organischere Stil und die leicht poppig angehauchte Musik gefallen mir zwar nicht ganz so gut wie in Rez, passen aber prima zueinenander und sorgen für frischen Wind im Vergleich zum technischen Design des Vorgängers. Q Entertainment beweist zwar keinen Mut zu großen Veränderungen, aber kleine Neuerungen wie die Rhythmus-Kombos und der Laserschuss erweisen sich als sinnvoll und bringen erfreulich viel Tiefe ins einfache Konzept. Für einen dicken Minuspunkt wird vermutlich wieder die kurze Spieldauer sorgen. Die Highscorejagd und freischaltbare Extras erzeugen zwar einen hohen Wiederspielwert, doch wer darauf pfeift, schaut wohl schon nach wenigen Stunden in die Röhre. Das war bei der Rez-Neuauflage für Xbox Live Arcade zwar genau so, damals musste man aber auch keinen Vollpreis bezahlen. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, mich wieder in Edens virtuelle Traumwelten zu stürzen!

Ersteindruck:
sehr gut

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