Rayman Origins07.06.2011, Paul Kautz
Rayman Origins

Vorschau:

Rayman – kennt den heute eigentlich noch einer? Früher einer der Shootingstars im Jump-n-Run-Bereich, danach ein Wegbereiter für die Raving Rabbids, seit einigen Jahren, von einigen Wiederbelebungen von Rayman 2 mal abgesehen, in der Versenkung verschwunden. Dieser Zustand hat nun ein Ende, wie wir direkt bei Ubisoft herausfinden konnten.

Die Rückkehr der Armlosigkeit

"Rayman Origins (ab 3,75€ bei kaufen) ist mir eine Herzensangelegenheit - das ist das Spiel, das ich schon seit Jahren machen wollte!" Mehr von Michael Ancel im Video-Interview.

Rayman Origins ist ein Herzensprojekt von Designlegende Michel Ancel. Der Franzose, der vor einigen Jahren zusammen mit Shigeru Miyamoto und Frederick Raynal von französischen Minister für Kultur und Kommunikation zum Ritter der Künste und Literatur geadelt wurde, möchte zurück zu seinen Wurzeln – und diese sind zweidimensional. Das wiederum ist ein Problem, denn echte 2D-Spiele sind mittlerweile außerhalb des Indie-Bereichs ein echte Seltenheit.

Kein Wunder, wenn man Geräte im Haus stehen hat, die 3D-Wunderwerke wie Crysis 2 oder Killzone 3 darstellen können. Und so sollte Rayman Origins (RO) ursprünglich auch ein Experiment sein, das in weniger risikoreichen Episoden veröffentlicht wird. Das hat sich im Laufe des Designprozesses, der mittlerweile länger als ein Jahr ist, allerdings als höchst unpraktikabel herausgestellt – und so erscheint das Spiel jetzt im Herbst als vollwertiger und vollständiger Titel im Laden. Die Frage ist nur: Liegt das an Ancels Überredungskünsten oder an der Qualität?

Nachdem ich zwei vollständige Levels bei Ubisoft Montpellier spielen konnte, fällt mir die Antwort leicht: Die Qualität, keine Frage. Der Begriff „polished“ fällt sehr oft bei Spielen, aber RO verdient in mehr als alles andere. Die Animationen (wie auch der Rest des Spiels in vollem HD) sind einfach irrwitzig flüssig und wunderschön; es gibt mehr als 150 teilweise höchst alberne Aktionen pro Figur – vom einfachen Laufen und Springen über hektisches Zappeln am Felsrand bis hin zum Veräppeln von Gegnern oder einfach Unsinn machen bei Untätigkeit des Spielers.

Die Levels bestehen aus unzähligen Ebenen, die im Vorder- und Hintergrund unschärfer werden – der Tiefeneffekt ist super. Mal sprintet man über eine wunderbar grüne Sommerwiese mit fluffigem Löwenzahn und fröhlich im Wind wiegenden Blümchen. Man rennt man nur als Silhouette durch einen düsteren Regenabschnitt, der immer wieder mal von krachenden Blitzen erhellt wird. Mal blubbert man durch eine Unterwasserwelt, an deren Boden massenhaft Wasserpflanzen und alte, von Algen überzogene Säulen oder Vasen herumdümpeln. Die Szenarien, es gibt insgesamt zwölf, gehen dynamisch ineinander über: Zwar gibt es natürlich thematisch gleich bleibende Levels, aber immer wieder gibt es auch einen schrittweisen Wechsel. Und manchmal bekommt man etwas serviert, womit man in einem solchen Spiel einfach nicht rechnet - wie einem spontanen Horizontalshooter, in dem Rayman eine Riesen-Rüsselfliege steuert und umgekehrt Globox von einem Mini-Brummer kontrolliert wird und Gegner aus der Luft spuckt. Oder ein Level, der sich vor einem aus Trümmerteilen erst zusammenbaut, während man ihn erkundet.

Die Vorteile von Schadenfreude

RO versteht sich als Prequel zum ersten Abenteuer des Helikopter-Blondschopfes: Hier hirscht ein jugendlicher Rayman zusammen mit seinem bekloppten Blaufreund Globox durch die farbenfrohen Welten, die von einem Überwesen namens „Bubble Dreamer“ erträumt werden – das mal in Form eines gigantischen Baumes, mal als einfacher Stein in Erscheinung tritt. Hat es einen ruhigen Schlaf, ist die Welt in Ordnung. Doch gesellen sich Albträume in den Schlummer, gerät die Harmonie aus den Fugen, was zur Erschaffung von „Mr. Dark“ geführt hat – das schöne Leben wird auf einmal von düsteren Monstern bedroht. Denen man am besten eine ordentliche Backpfeife verpasst oder ihnen gut gezielt auf den Kopf hüpft, denn dadurch verschwinden sie. Oder verwandeln sich in Plattformen bzw. Ballons, über die man, mit etwas Geschick und gutem Timing, versteckte Levelabschnitte erreichen kann.

Bis zu vier Spieler können gleichzeitig loslegen. Zwar nur lokal, dafür darf jeder nach Belieben ein- und aussteigen.
Bis zu vier Spieler können gleichzeitig loslegen. Zwar nur lokal, dafür darf jeder nach Belieben ein- und aussteigen.

Apropos Klopperei: Das Ganze ist ebenso viel Beat-em-Up wie Jump-n-Run, aber alles auf einem locker-leichten Niveau. Drischt man auf den Angriffsknopf ein, entfalten sich teilweise höchst alberne Animationen, die locker aus einem Stummfilm stammen könnten. Das bedeutet aber nicht, dass Rayman Origins ein Kinderspiel wird: Zwar wird einem der Einstieg sehr einfach gemacht, aber laut der Aussage von Michel Ancel soll gerade das letzte Spieldrittel sehr herausfordernd sein. Gut, dass man dieser Aufgabe nicht allein gewachsen sein muss, denn hat man mehrere Controller zur Hand, können bis zu drei weitere Spieler jederzeit einsteigen: Der Koop-Modus ist ähnlich einfach gehalten wie in den Lego-Titeln, Mit-Jumpnrunner sind auf einen Knopfdruck dabei (als Globox oder König der Teensies) und im Bedarfsfall auch genauso schnell wieder draußen. Allerdings nur lokal, nicht online: Zwar wäre das laut Ancel technisch möglich gewesen, aber der Gruppenspaß entfalte sich nur richtig, wenn man zusammen in einem Raum sitzt und sich anschreien kann. Denn natürlich herrscht im Koop keinesfalls pure Harmonie: Man kann den anderen einfach eine hauen oder sie an Hängen runterschubsen – einfach so, nur um sie zu piesacken. Sehr albern und kindisch? Oh ja, aber auch so wunderbar unterhaltsam! Alle Teilnehmer befinden sich immer zur gleichen Zeit auf einem Bildschirm, es gibt keine räumliche Trennung der Figuren. Das bedeutet, dass einer das Tempo und die Richtung vorgibt und die anderen sich daran halten müssen – Absprache ist also wichtig. Das gilt auch für den Fall, dass ein Mitspieler drauf geht. In diesem Fall schwebt er nämlich als Ballon zurück ins Spielfeld und muss von einem Partner befreit werden, damit er wieder mitmachen darf.

Und alle so: Yaaaaaaay!

Abwechslungsreichtum ist oberstes Gebot - manche Levelteile wirken wie Scherenschnitte.
Abwechslungsreichtum ist oberstes Gebot - manche Levelteile wirken wie Scherenschnitte.

Rayman Origins ist in erster Linie für einen Spieler konzipiert, beim Design der Levels wird die maximale Teilnehmerzahl aber immer berücksichtigt. Das bedeutet allerdings, dass es keine speziellen Koop-Herausforderungen oder –Levels wie z.B. beim Mega Drive-Klassiker World of Illusion gibt. Immerhin passen sich alle Zwischensequenzen der aktuellen Spielerzahl an. Und am Levelende posieren alle Teilnehmer für ein höchst albernes Foto. Es gibt allerdings einige Abschnitte (so genannte „Cage Maps“), die sich mit mehr Teilnehmern besser erledigen lassen – u.a. eine höchst amüsante Verbeugung vor dem mobilen Spaß Angry Birds. Manche Levels werden auch mit steigender Mitspielerzahl schwerer: In einem wird man z.B. von einem gigantischen Glubschaugenmonster verfolgt, der Abschnitt scrollt automatisch, man muss immer vor dem Riesenvieh auf der Hut sein – da müssen natürlich alle Mitspieler fit im Gamepadrühren sein. Oder fit in Spielegeschichte, denn in einem Abschnitt (einer mexikanischen Höllenküche) fallen auf einmal Tetrisklotz-förmige Eiswürfel von der Decke, die sich vor einem wie im Puzzle-Klassiker zusammenbauen, begleitet von der legendären Gameboy-Melodie.

Neben dem reinen Plattformspaß ist RO auch ein Suchspiel – man muss immer die Augen nach gefangenen roten Lums halten. Das ist nicht nur für die Punktzahl, sondern auch für das Herz sehr wichtig: Denn befreit man die Grinsekugeln, lassen sie einen wunderbar bescheuerten, herrlich fröhlichen Singsang vom Stapel – ooooooch! Passend dazu ist die Musik natürlich wunderbar beschwingt und ausgelassen. Alle Soundeffekte sind übrigens zu ihr synchronisiert, selbst Kleinigkeiten wie Raymans Fußtapser erschallen im passenden Rhythmus.

Ausblick

Eine Lektion, die sich die meisten anderen Designer von Michel Ancel bereits nach wenigen Sekunden Rayman Origins lernen können: Es sollte viel mehr Spiele mit fröhlichem Singsang geben! Das quietschfidele Geschnatter und Geflöte der geretteten kleinen Viecher geht direkt ins Herz und von dort aus sofort weiter ins breite Grinsen des beschwingt mitzappelnden Spielers. Und das ist nicht der einzige Grund dafür, Rayman Origins einen Platz im Herzen zu reservieren: Es sieht einfach hinreißend schön aus! Es gibt einige 2D-Ausnahmetitel wie Muramasa oder Braid; dieser Ubisoft-Spaß zählt bereits jetzt zu diesem elitären Zirkel. Derart liebevolle Animationen habe ich in hoch aufgelöstem 2D noch nie gesehen, die Landschaften sind herrlich verspielt und einladend, die gesamte Präsentation schreit „Ich bin albern! Spiel mit mir!“ Macht man das, erwartet einen ein unterhaltsames Jump-n-Run, von dem ich zwar nicht erwarte, dass es das Genre in seinen Grundfesten erschüttert. Aber ich habe Vertrauen in die Designfähigkeiten von Michel Ancel – Rayman zählte zu Prä-Rabbids-Zeiten immer zur Speerspitze im Bereich der Geschicklichkeit. Und vielleicht auch bald wieder.

Ersteindruck:
sehr gut

Update: Wie wäre es mit einem Blick hinter die Kulissen von Ubisoft Montpellier? Schaut euch unser Video an!

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