Forza Horizon20.09.2012, Michael Krosta
Forza Horizon

Vorschau:

Mit Forza Horizon (ab 26,79€ bei kaufen) schlägt Microsoft ein neues Kapitel auf: Statt originalgetreuen Lizenz-Pisten lädt hier erstmals eine offene Spielwelt zum Erkunden und Rasen ein. Dabei steht alles im Zeichen eines hippen Festivals, bei dem Rennen begleitet von lauten Musikbeats, DJs und Pyrotechnik mehr zu Showeinlagen werden. Trotzdem soll der Ableger so authentisch bleiben, wie man es von der Serie gewohnt ist. Ein Widerspruch?

Partynächte in Colorado

Der VW Corrado ist nicht nur in meinem Freundeskreis ein begehrtes Tuning-Objekt, sondern erfreut sich generell einer großen Beliebtheit unter Autobastlern. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass man seine Karriere in Forza Horizon ausgerechnet hinter dem Steuer des betagten, aber immer noch stylischen Sportwagens aus Wolfsburg in Angriff nimmt. Schon auf dem Weg zum fiktiven Festival in Herzen Colorados werden zwei Dinge deutlich: Zum einen wird der Soundtrack fantastisch! Der britische DJ Rob da Bank hat für die drei fiktiven Radiosender des Spiels insgesamt 66 Tracks mit über sechs Stunden Spielzeit zusammengestellt, die sich von Rock über Elektroklänge bis hin zum angesagten Dubstep erstrecken und sowohl aktuelle Hits als auch Klassiker beinhalten - teilweise auch in extrem coolen Remix-Versionen. Bisher führte mein Weg bei Forza-Spielen immer zuerst in die Optionen, um dort die Musik abzuschalten. Hier würde ich gar nicht erst auf die Idee kommen - nein, ich werde vermutlich sogar die Lautstärke richtig aufdrehen! Beim Fahren war ich ständig am mitwippen - sei es beim entspannten Cruisen oder im Rahmen der Rennveranstaltungen. In Horizon sind Musik und DJ-Moderationen ein wesentlicher Bestandteil des Spiels, durch den die Festival-Atmosphäre überhaupt erst zustande kommt.

Zum anderen wird deutlich, dass Turn 10 und Playground Games ihr Versprechen halten: Ohne zuschaltbare Hilfen wie ABS und Traktionskontrolle fühlt sich dieses Forza hinsichtlich der Fahrphysik fast genauso an wie die großen Simulations-Brüder. Da bricht das Heck aus, wenn man zu euphorisch das Gaspedal bearbeitet, während andere Boliden zum Untersteuern neigen oder bei harten Bremsmanövern ins Schlingern kommen. Die Sorge, dass der Anspruch zugunsten einer besseren Zugänglichkeit massiv zurückgeschraubt und die Steuerung auf Arcade getrimmt wird, ist also unbegründet - zum Glück.

Rasen mit Stil...und Härte

Abwechslungsreiche Strecken, tolle Panoramen, Tag-/Nachtwechsel: Das virtuelle Colorado hat einiges zu bieten.
Abwechslungsreiche Strecken, tolle Panoramen, Tag-/Nachtwechsel: Das virtuelle Colorado hat einiges zu bieten.
Trotzdem finden sich einige Elemente, die man eher mit Arcade-Rennspielen verbindet: So gibt es insgesamt 35 Fahrmanöver und Kombos, für die man mit Punkten und damit einer gesteigerten Beliebtheit beim Publikum belohnt wird. Dazu gehören z.B. knappes Überholen, Sprünge sowie lässige Drifts. Eindruck zu schinden, ist das A und O, denn nur wer mit Stil fährt und Siege verbucht, steigt in Rang auf und gewinnt Armbänder, die Zugang zu neuen Veranstaltungen gewähren. Bei den Positionskämpfen geht es hier außerdem härter zur Sache, denn im Gegensatz zu Motorsports wird auch mal ungestraft abgekürzt und bei Duellen die Eisenstange ausgepackt. Das Schadensmodell wurde deshalb auf die Kosmetik reduziert - Auswirkungen auf die Fahrphysik muss man selbst nach heftigen Rempeleinlagen nicht befürchten. In diesen Momenten wird klar, warum die Entwickler den Titel gerne als „Action-Rennspiel“ bezeichnen. Doch gerade durch die Kombination aus Arcade-Elementen und dem geforderten Anspruch hinter dem Steuer hebt sich Horizon von Need for Speed, Burnout & Co ab... Gleichzeitig ist der normale Straßenverkehr beim Erkunden der Welt oder speziellen Wettbewerben ein weiteres Elemente, mit dem sich Forza-Spieler bisher nicht auseinandersetzen mussten.

Alle vereint

Das Festival-Gelände, das vor allem bei Nacht mit Feuerwerk und Leuchtstrahlern beeindruckend wirkt, fungiert als Zentrale und Hub der Spielwelt. Hier findet man nicht zur Autohändler, sondern kann sich auch als Tuner und Lackierer versuchen. Dabei bietet Horizon alles, was man von einem Forza-Titel erwartet: Der Editor zum Erstellen von Aufklebern und Videos wurde quasi unverändert übernommen, so dass man alle nötigen Werkzeuge bekommt, um kleine Kunstwerke zu basteln. Wer bereits in Forza Motorsport viele Stunden in das Erstellen von Lackierungen investiert hat, wird sich freuen, dass man die vorhandenen Mustergruppen in Horizon importieren darf. Das war’s dann aber auch mit gemeinsamen Inhalten: Theoretisch würden sich gemeinsame DLC-Pakete mit neuen Fahrzeugen anbieten, doch unterscheiden sich die Horizon-Modelle aufgrund anderer Shader von den Exemplaren aus Forza Motorsport. Man wird also zweigleisig fahren und parallel in jedem Monat neue Inhalte anbieten. Für Dezember ist sogar ein großes Expansion Pack geplant, das deutlich mehr bieten soll als zusätzliche Boliden.

Straßenschilder brauch man eigentlich nicht, da das Navigationssystem ausgezeichnete Dienste leistet.
Straßenschilder brauch man eigentlich nicht, da das Navigationssystem ausgezeichnete Dienste leistet.
Im Tuningbereich findet man ebenfalls alles, was man erwartet: Mit Teilen wie Sportauspuff, Turboladern und Rennfahrwerk verwandelt man selbst PS-schwache Serienwagen in Ferrari-Killer. Daml einer Auswahl an Front-, Heck- und Seitenschürzen sowie ansehnlichen Felgen poliert man zusätzlich zur Leistung auch die Optik auf. Feineinstellungen beim Setup müssen dagegen aus nachvollziehbaren Gründen weichen: Bei Forza Motorsport werden Einstellungen am Fahrwerk, der Aerodynamik oder am Getriebe speziell für die jeweiligen Kurse abgestimmt. In einer offenen Welt ergibt eine solche Option dagegen nur wenig Sinn, so dass man den Verlust verschmerzen kann.

Die große Freiheit?

Der Fuhrpark besteht aus einer Auswahl an stylischen Sportwagen, Muscle-Cars und Offroad-Boliden.
Der Fuhrpark besteht aus einer Auswahl an stylischen Sportwagen, Muscle-Cars und Offroad-Boliden.
Von der Aufmachung her erinnert Forza Horizon an Test Drive Unlimited, das bei seiner Veröffentlichung 2006 Maßstäbe für Rennspiele in einer offenen Welt setzte. Der Ausschnitt von Colorado wirkt zwar nach meiner bisherigen Einschätzung nicht ganz so groß wie die Hawaii-Insel Oahu, doch gibt es in dem US-Bundesstaat mit seinen beeindruckenden Felsformationen und dem abwechslungsreichen Streckendesign trotzdem genug zu tun. Die Veranstaltungen beinhalten sowohl Rundkurse als auch Rennen von A nach B, wobei maximal acht Fahrer an den Start gehen. Erstmals in der Geschichte von Forza geht es dabei auch ins Offroad-Terrain - eine willkommene Ergänzung. Pinkslip-Duelle gegen Rivalen stehen genauso auf dem Programm wie abgedrehte Showkämpfe, bei denen man z.B. gegen ein Flugzeug antritt. Später sind abseits der Festival-Events sogar Straßenrennen abseits der offiziellen Festival-Pfade möglich. Polizeiverfolgungen im Stil von Need for Speed wird es allerdings nicht geben. Innerhalb der Wettbewerbe wird der Streckenverlauf vorgegeben - ein eigenständiges Suchen der idealen Route ist also nicht nötig. In diesen Momenten fühlt sich Horizon zwar nicht mehr so frei an wie zunächst gedacht, doch damit kann ich gut leben, da ich das Rasen auf abgesteckten Pfaden ohnehin bevorzuge. Wie bei den bisherigen Forza-Spielen sind die meisten Veranstaltungen auf bestimmte Wagenklassen, die maximale Leistung oder Automodelle beschränkt. Schön: Wer kein passendes Gefährt in seiner Garage hat, kann direkt aus dem Veranstaltungsmenü heraus das Angebot des Autohändlers annehmen und muss dafür nicht erst zum Festivalgelände zurückkehren. Auch Tuningumbauten werden auf Wunsch automatisch vorgenommen, damit man mit seinem aktuellen Wagen am Wettbewerb teilnehmen kann.

Auch in der Nacht wird um den Sieg gefahren.
Auch in der Nacht wird um den Sieg gefahren.
Wer die große Freiheit erleben will, hat immer noch die Erkundung, die ein weiterer Stützpfeiler werden soll. Zwar kann man gegen Gebühr ein Schnell-Transportsystem nutzen, doch wollen die Entwickler, dass die Spieler so viel Zeit wie möglich hinter dem Steuer verbringen - sei es bei der Fahrt zum nächsten Wettbewerb oder einfach nur das Cruisen, während man das Radio aufdreht und den Tag-/Nachtwechsel genießt. Ein Navigationssystem, das sich optional via Kinect bedienen lässt, führt einen dabei sicher zum gewünschten Ziel. Zusätzliche Anreize sollen seltene Autoexemplare bieten, die in Scheunen versteckt wurden und von den Spielern gefunden werden können. Hinweise über den Aufenthaltsort liefern die DJs in ihren Radiomoderationen, die zwischendurch auch den eigenen Fortschritt kommentieren. Wie bei Midnight Club: Los Angeles gibt es auch in Horizon eine Hintergrundgeschichte voller Klischees, die in ansehnlichen Zwischensequenzen sympathisch erzählt wird. Da ist der kleine Niemand in seinem VW Corrado, der Karriere machen und dem arroganten Champion Paroli bieten will. Das alles noch gewürzt mit einer kleinen Prise Romantik und Festival-Partystimmung - fertig ist die Rahmenhandlung. Und mehr braucht es auch nicht.

TDU der nächsten Generation?

Vergleicht man Forza Horizon mit Test Drive Unlimited, könnte man glauben, dass eine ganze Konsolengeneration zwischen beiden Titeln liegt. Das virtuelle Colorado sieht zusammen mit den detaillierten Boliden unfassbar gut aus, zaubert fantastische Panoramen auf den Bildschirm und bietet selbst in weiter Entfernung noch knackscharfe Details. Manchmal möchte man hier einfach anhalten und die großartige Aussicht genießen. Die gezeigte Qualität fordert allerdings ihren Tribut: Im Gegensatz zu Forza Motorsport musste die Bildrate beim Ableger auf 30 Bilder pro Sekunden halbiert werden. Ist zu viel los, geht es auch schon mal darunter - z.B. bei Offroad-Rennen, wenn mehrere Wagen gleichzeitig auf dem Bildschirm sind und dabei Staub aufwirbeln. Das sind allerdings Ausnahmen - die meiste Zeit nimmt man nicht einmal die halbierte Framerate wahr, weil das Geschwindigkeitsgefühl trotzdem angenehm hoch bleibt.

Bei den Positionsduellen geht es härter zur Sache als bei Forza Motorsport.
Bei den Positionsduellen geht es härter zur Sache als bei Forza Motorsport.
Im Mehrspielerbereich bleibt man dem bewährten Konzept treu und orientiert sich an den Modi, die bereits in Forza Motorsport 4 für Laune gesorgt haben. Die „Playground Games“, also unterhaltsame Minispiele im Stil von „Katz und Maus“, sollen im Vordergrund stehen, doch werden auch klassische Rennen gegen bis zu sieben Fahrer angeboten. Zusätzlich will man den Rivalenmodus stärker ins Geschehen einbinden: In Horizon wird nach jedem Rennen angeboten, sich mit einem Spieler zu messen, der sich auf der Bestenliste in unmittelbare Nähe zur eigenen Platzierung befindet. Autoclubs, in denen sich Gleichgesinnte in einer Art Clan zusammentun, werden ebenfalls angeboten.

Ausblick

Ich liebe die Forza-Reihe für ihre Authentizität, die lizenzierten Pisten und den großartigen Fuhrpark. Aber funktioniert das auch in einer offenen Welt, die mit der Festival-Aufmachung, stylischen Fahrmanövern und dem Begriff „Action Racing“ geradezu nach einem Arcade-Erlebnis schreit? Wird Horizon noch dem gerecht, was 360-Spieler mit der Forza-Marke verbinden? Die Skepsis war groß, aber legte sich schon beim ersten Anspielen, als wir Entwickler Playground Games im Mai in England besuchten. Jetzt, nachdem ich mich über eine Stunde lang frei in der offenen Welt herumtreiben konnte, steht für mich fest: Forza Horizon wird großartig! Das virtuelle Colorado sieht fantastisch aus, die Wettbewerbe wirken dank zusätzlichen Offroad-Ausflügen sowie dem Tag-/Nachtwechsel enorm abwechslungsreich und das Wichtigste: Die anspruchsvolle Fahrphysik der detailgetreu modellierten Boliden bleibt so authentisch, wie man es von einem Spiel aus der Serie erwartet. Das Konzept aus Simulation, actionreichen Positionskämpfen und Arcade-Elementen wie den Stilkombos scheint voll aufzugehen! Auch hinsichtlich Tuning- und Lackierungsoptionen steht man dem großen Bruder in nichts nach - nur Setup-Einstellungen sind nicht mehr möglich, weil sie beim Rasen durch die offenen Welt ohnehin wenig Sinn ergeben würden. Was ich vermisse, ist der Autovista-Modus, denn gerade der Festival-Rahmen würde sich hervorragend dazu anbieten, um die Boliden genauer unter die Lupe zu nehmen. Die grandiose Zusammenstellung des Soundtracks ist aber eine gute Entschädigung - hier kommt echtes Festival-Feeling auf, bei dem man unweigerlich während der Fahrt im Rhythmus mitwippt und die Lautstärke noch weiter aufdrehen will. Forza Horizon lässt die Konkurrenz im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen!    

Eindruck: sehr gut / FIT 4 HIT

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