Alan Wake25.02.2010, Jörg Luibl
Alan Wake

Vorschau:

Geheimnisvoll, düster, inspirierend - schon als Alan Wake (ab 5,25€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) im Mai vor fünf Jahren angekündigt wurde, umgab ihn ein Mysterium: Ein Abenteuer mit einem Schriftsteller? Wird das anspruchsvoller Psychohorror? Trifft da Twin Peaks auf Silent Hill? All diese süßen Möglichkeiten sowie die angenehme Gewissheit, dass Remedy Entertainment mit Max Payne einen der besten Shooter aller Zeiten (4P-Wertung: 93%) entwickelt hatte, sorgte bisher für hochprozentige Vorfreude. Jetzt konnten wir erstmals den Einstieg spielen und in einige ausgewählte Kapitel reinschnuppern.

Nebel des Grauens

Angst im Dunkeln? Nicht, wenn man eine Taschenlampe und eine Pistole hat. Die Lichteffekte sind hervorragend.
War da nicht was? Da, hinter dem Baum: Ein schwarzer Schatten huschte doch gerade vorbei! Verflixt, jetzt sieht es wieder so aus, als würde Tusche in den Nebel zurückfließen. Diese Nacht macht mich noch fertig! Es ist kaum etwas zu erkennen bei diesem Sturm, der die Büsche und Sträucher so gnadenlos und ansehnlich vor sich her peitscht. Ich gehe weiter, meine Taschenlampe brennt mal links, mal rechts schmale Sichtkorridore in den düsteren Wald, der hier fast wie ein lebendiges Wesen wirkt, weil sich überall etwas bewegt. Der Revolver mit dem vollen Magazin sorgt zwar für eine gewisse Ruhe, aber eigentlich ist das ja nicht mein Handwerkszeug - ich bin ein Schriftsteller namens Alan Wake.

Aber die Zeit der Bestseller liegt weit zurück. Und ich habe neben der Muse auch das Gedächtnis verloren. Oder bin ich in einer Art Twilight Zone? Oder verrückt? Anders ist es nicht zu erklären, dass mein geplanter Urlaub in der Kleinstadt Bright Falls zu einem Alptraum mutiert. Nicht schleichend oder dramaturgisch langsam, wie ich es in einem guten Roman aufbauen würde, sondern fast schon auf ex innerhalb einer halben Spielstunde - gerade bin ich noch auf einer Fähre in der heilen Welt, plötzlich jogge ich in Schulterperspektive mit Licht und Projektilen ballernd durch den Wald. Warum lässt mir Remedy nicht mehr Zeit? Warum verzichtet man auf behutsamen Spannungsaufbau?

Auch die Hintergründe sind schnell erklärt: Seit zwei Jahren quält mich eine Schreibblockade. Alice und ich wollten einfach mal ausspannen und hier am Ende der Welt auf andere Gedanken kommen. Schließlich hat unsere Beziehung unter all dem Stress gelitten. Aber das idyllische Ferienhaus auf dem See, das wir gemietet haben, ist einfach nicht mehr da. Selbst die Insel auf dem Cauldron Lake ist weg. Dabei haben wir das Haus vorhin noch zusammen bezogen, vor gefühlten fünf Minuten. Ich hatte allerdings gar keine Zeit, mich auf diese Normalität einzustellen.

Haus weg, Frau weg, Verstand weg?

So friedlich, so idyllisch: Was geht ab in dem kleinen Städtchen Bright Falls? Die Kulisse überzeugt mit vielen authentischen Details.
Noch schlimmer: Die Frau, mit der ich hier Ferien machen wollte, scheint auch wie vom Erdboden verschluckt. Alice ist futsch. Das ging auch ganz schnell. Und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, wurde sie von einer Art Düsternis entführt, die auch noch wie ein Gott mit mir spricht. Oder war das diese alte Frau aus dem Diner? Diese Komische mit dem Schleier, die mir den Schlüssel für das Haus gegeben hat? Bis zu dieser plumpen Übergabe, die viel zu schnell das Klischee der Hexe bedient, schwebte noch etwas von Edgar Allan Poe in der Luft. Ob das Aroma später zurückkehrt? Als Schriftsteller würde es mich freuen, wenn Remedy eine gute Geschichte mit mir erzählt.

Okay, das sind jedenfalls keine normalen Ferien. Statt mit einer Dose Bier in der einen und Alice in der anderen Hand am örtlichen Hirschfest teilzunehmen, stampfe ich also mit Taschenlampe und Knarre durch einen Hochwald, höre Stimmen und sehe Gespenster...

...plötzlich rumort etwas hinter einem Busch - es hört sich an wie ein Elch oder Bär. Was war das bloß? Der Nebel wabert bedrohlich aus dem Unterholz, die Finsternis fließt schneller, dunkle Konturen huschen über den Weg, es wird lauter und... jetzt steht eine Gestalt mit einer Axt vor mir! Ich erkenne nicht mehr als einen tiefschwarzen Schatten. Erst steht er einfach nur da wie ein zur Salzsäule erstarrter Bullemann, wie eine Figur aus "Nebel des Grauens", aber dann zischt er mich hasserfüllt an: "Du mieser Schriftsteller!" Was will der Kerl? Ist das ein militanter Fan meiner Bücher? Ich renne instinktiv weg, aber er ist verdammt flink, ich ducke mich mit dem linken Bumper und dem linken Stick unter einem Hieb weg - gerade noch ausgewichen! Hey, hier kommt Spannung auf, denn ich muss fliehen!

Action in der Düsternis

Mit der Leuchtmunition kann man mehrere Gegner auf einen Schlag vernichten. Ob es auch große Bossgegner gibt? Einmal heulte es im Wald ziemlich laut...
"Hättest wohl nicht gedacht, dass dich eine Gestalt aus deinem Buch jagt, wie?" Ich habe kaum Zeit diesen gemurmelten Unsinn zu verarbeiten. Aber es könnte sich als hilfreich erweisen, den anderen Unsinn dieser mysteriösen Stimme aus dem Nichts zu befolgen, die mir in diesem Alptraum scheinbar beisteht: Ich soll mit Licht gegen die Finsternis kämpfen! Wer quatscht da eigentlich mit mir? Das bleibt im Gegensatz zur gewöhnlichen Spielmechanik noch ein Mysterium. Ob diese offenen Fragen den Spannungsbogen straff halten und die Antworten doch noch Überraschungen für Freunde des subtilen Horrors bieten?

Egal, auch das Ballern kann Spaß machen, wenn es so düster inszeniert wird: Ich halte mit der linken Schultertaste aka Taschenlampe voll drauf auf den Kerl - und tatsächlich: Er kreischt wie ein Vampir in der Sonne, verliert seine schützende schwarze Hülle und ich kann ihn mit der rechten Schultertaste und zwei, drei gezielten Schüssen aus dem Revolver niederstrecken. Dann ist es endlich wieder ruhig. Mein Herz pocht, aber die anfängliche Spannung, die sich aufgrund meiner Verwirrung und Hilflosigkeit in diesem Wald aufgebaut hatte, legt sich - schließlich bin ich bewaffnet, schließlich finde ich reichlich Munition, schließlich habe ich immer ein helles Ziel.

Ich hetze weiter durch den Wald, sammle zwischendurch Batterien für meine Taschenlampe, viel Munition und eine Schrotflinte. Weitere Gestalten brechen aus dem Unterholz: Ich bestrahle erst den einen, bis sein Schild aus Dunkelheit zerspringt und baller ihn nieder. Dann lade ich schnell per X nach, halte die Funzel auf den anderen und will ihn mit einem Kopfschuss abknallen, aber die Kugel jagt vorbei. Also nochmal zwei Schuss in die Brust! Leider erreicht mich in der Zeit der dritte Typ und haut mir die Axt in die Schulter - autsch, die Lebensenergieleiste sinkt.

              

Immer dem Licht nach

Tanz der Schatten: Nur in Lichtkegeln ist man sicher und kann sich heilen.
Also ein paar Schritte zurück, umdrehen, Licht ins Gesicht, etwas warten, dann die Kugeln hinterher - und zwar zwischen die Augen! Jetzt löst er sich endlich in Rauch auf. Ich jogge zu einem nahen Generator, schmeiße ihn an und betrete den rettenden Lichtkegel, der mich sofort heilt. Und siehe da: Die Lebensenergie ist schnell wieder auf Maximum! Das beruhigt noch mehr als die Waffen, denn diese Rettungsinseln gibt es überall. Wo soll ich jetzt hin? Eigentlich immer linear zu Inseln des Hellen. Die unbekannte Stimme wollte, dass ich die Tankstelle in der Ferne erreiche, also geht es weiter. Zwischendurch versuche ich die Gegend zu erkunden, aber viel Freiheit habe ich bisher nicht. Und Rätsel? Ja, aber der simplen Art: Hier einen Schalter bedienen, da etwas Holz anheben, bisher nichts Interessantes. Kommt da später etwas, wenn ich aus dem Alptraum erwache und in der "Realität" des Tageslichts Bright Falls erkundet?

Meine Taschenlampe trifft jetzt erstmal auf einen gelb glühenden Pfeil an einem Baum, der nach links zeigt. Ich werde neugierig: Was da bloß ist? Ich folge dem ersten, dann dem zweiten Pfeil und lande nach ein paar Metern vor einer Kiste: Hey, da ist... Leuchtmunition drin; quasi die Smartbomb gegen die Typen der Dunkelheit. Und als wie bestellt ein halbes Dutzend Schatten zwischen Baumaschinen und Holzstämmen auftauchen, halte ich mit der Leuchtkugel drauf und alle verglühen in null Komma nichts - sieht cool aus. Später wird es noch besser: Man steht mit seinem Kumpel Barry auf einer Rockbühne in der Finsternis und muss sich wie in einem King of the Hill gegen Wellen an Schatten verteidigen, die die Stage stürmen wollen - man springt wie ein Rocker von Waffe zu Licht und lädt nach wie in einem Western!

Rock'n Roll auf der Horrorbühne

Was erwartet Alan Wake am Ende seines Alptraums?
Das macht genau so viel Laune wie in einem Shooter. Zumal das auch technisch, atmosphärisch, audiovisuell und so weiter richtig gut inszeniert wird. Aber meine Hoffnung auf familiäre Entspannung verflüchtigt sich parallel mit jener auf subtilen Horror. Ich kehre also zurück auf den Weg, meine Anspannung fällt weiter und weicht einer Sammelroutine, denn spätestens jetzt fühlt sich das Spiel nicht mehr an wie ein verrückter Psychotrip, sondern wie stinknormale 3rd-Person-Action, nur dass man erst mit Licht ballert und dann Projektile hinterher jagt.

Und diese idiotensicher markierten Abzweigungen begegnen mir im Einstieg zwei, drei mal - ich habe am Ende des Weges immer Munition gefunden. Soll das alles sein, was es an Erkundungsreizen in der Düsternis von Bright Falls gibt oder trügt diese Einbahnstraße des Einstiegs? Moment: Da liegt eine Manuskriptseite! Erzählerische Hoffnung keimt auf, als ich diese rätselhaften Zeilen lese: Sie stammen von mir! Sie stammen aus einem Buch von Alan Wake, das ich mal schreiben wollte, aber irgendwie nicht konnte.

Wird hier etwa meine nie vollendete Geschichte wahr? Auf der Seite steht scheinbar, was gleich passieren wird, denn es geht um diesen Wald und eine Hütte sowie die Gefahr darin, die ich gleich finde. Kann das sein? Tatsächlich: Diese Seite spoilert quasi das, was darauf folgt. Ob das eine gute Idee ist? Ob dieser Trip noch fesseln kann, wenn er seine Höhepunkte vorweg nimmt? Immerhin kommt durch dieses Element wieder etwas mehr Neugier auf, denn nur wenn ich meinen eigenen Notizen folge, kann ich Alice finden. Also hinterher - selbst wenn noch mehr geballert wird! Brüllt da nicht etwas in der Finsternis?

         

Ausblick

Ich habe mich fünf Jahre auf dieses Abenteuer gefreut. Jetzt konnte ich erstmals den Einstieg spielen sowie einige ausgewählte Kapitel sehen. Und ich bin ernüchtert. Der Schleier des Mysteriösen, der Alan Wake bisher umgab, hat sich gelüftet. Darunter kommt bisher nicht das grandiose Thriller-Erlebnis zum Vorschein, das die Rätselhaftigkeit eines Twin Peaks mit dem subtilen Grauen eines Silent Hill verbindet, sondern einfach nur Horroraction der Marke Clive Barker. Ja, gut aussehende und gut inszenierte Horroraction, aber Alan Wake gehörte bisher zu den Hoffnungen der ungewöhnlichen Art. Remedy kommt hier jedoch so schnell zur gewöhnlichen Sache, nämlich zum Shooter mit Licht und Projektilen, dass ich mich regelrecht erschrocken habe. Nicht weil der Wald so düster ist, sondern weil sich die Finnen zu wenig Zeit lassen, um die im Ansatz vorhandene Stimmung und Rätselhaftigkeit weiter auszubauen - sie lassen es fast nach amerikanischer Art krachen. Das macht in der düsteren Atmosphäre des vernebelten Hochwalds durchaus Spaß, aber in diesem Einstieg wechselt man viel zu schnell auf die Schiene der Taschenlampenballerei. Man fährt gerne mit, aber anstatt die Dunkelheit zu erforschen, knallt man sie einfach auf linearen Wegen um. Die Szene auf der Rockbühne war nichts weiter als schnödes King of the Hill - langweilig. Noch habe ich dieses Abenteuer nicht aufgegeben, denn es bleiben viele Fragen und die Manuskriptseiten wecken trotz der fragwürdigen Spoiler die Neugier. Und in wenigen guten Momenten fühlt sich das Spiel tatsächlich an wie ein Trip mit Edgar Allan Poe. Hoffentlich kommt davon noch mehr!

Ersteindruck: gut

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