Mass Effect20.07.2007, Mathias Oertel
Mass Effect

Vorschau:

Auf der Xbox 360 herrscht Rollenspiel-Flaute. Bislang hielt lediglich The Elder Scrolls IV: Oblivion die Fahne hoch. Danach wurde es ruhig. Aber es besteht Hoffnung: Spätestens seit bekannt wurde, dass Bioware an einem exklusiven Abenteuer in einem neuen Universum arbeitet. Denn die Jungs verstehen ihr Handwerk meisterhaft. Wir haben einen ausgedehnten Blick auf das futuristische Spektakel geworfen.

Naturgesetze

Es gibt unumstößliche Naturgesetze: Wasser ist nass, der Himmel ist blau, Frauen haben Geheimnisse und Bioware produziert sehr gute bis großartige Rollenspiele. Baldur´s Gate, Baldur´s Gate II, Star Wars: Knights of the Old Republic (KotOR), Jade Empire. Jeder dieser Titel hat spielmechanische Grenzen gesprengt sowie Kulisse und vor allem die Erzählkunst auf eine neue Stufe gehoben.

Kann man diese Tradition fortsetzen? Seit der Ankündigung auf der X05-Hausmesse von Microsoft haben wir immer wieder in aktuelle Entwicklungsstadien schauen und daraufhin optimistisch stimmen können. Doch was wir jetzt, gut vier Monate vor

Als Vorbild für "Look & Feel" von Mass Effect (ab 7,00€ bei kaufen) dienten Bioware SciFi-Filme und -Serien der 80er Jahre.
dem angepeilten Veröffentlichungstermin im November, zu sehen bekamen, lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Mass Effect wird neue Standards setzen.

Zu voreilig?

Skepsis ist die Mutter der guten Berichterstattung. Aber: Ich bin nach der bislang letzten Erfahrung heiß auf Mass Effect. Ich kann es nicht mehr erwarten. Ich will endlich in das neue Abenteuer versinken, das sich die Story-Spezialisten aus Kanada haben einfallen lassen. Dahinter steckt natürlich eine große Herausforderung. Bioware muss eine glaubwürdige Welt erschaffen, ethische, moralische, soziologische und nicht zuletzt auch physikalische Richtlinien festlegen. Dieses Mal kann man sich nicht auf ein D&D-Regelwerk oder ein bereits bestehendes Star Wars-Universum verlassen.

Und so kommt es nicht von ungefähr, dass man sich wieder die Dienste von Drew Karpyshyn (KotOR) gesichert hat, um die Geschichte sowie die dazugehörige Welt zu entwickeln. Als kleines Nebenprodukt, das aber eher als Zeichen dafür zu werten ist, wie umfangreich der Hintergrund für Mass Effect gestaltet wurde, gibt es in den USA sogar ein Buch von Karpyshyn, das die Vorgeschichte erzählt.

Doch auch ohne Roman verspricht der rote Faden viel Spannung: Ihr seid als Commander Shepard (wahlweise selbst editiert oder vorkonfiguriert) mit eurem Schiff, der SS Normandy, im weiten All unterwegs, um den drohenden Untergang der Zivilisation zu verhindern. Alle 50.000 Jahre fällt eine Maschinenrasse über das bekannte Universum her und löscht nahezu alles  Leben aus, das sich ihr in den Weg stellt. Von vielen als längst ausgestorbene Legende belächelt, verdichten sich die Zeichen, dass die Maschinen bereits erste Anstrengungen unternommen haben, um die Galaxie zu unterjochen.

Kein Renderfilm: Das Charakterdesign ist ausgezeichnet!
Best of Bioware

Und schon seid ihr mittendrin in einem intensiven Mix, der die besten Elemente der letzten Bioware-Titel zu vereinen scheint. Echtzeitkämpfe kennt man aus Jade Empire; viele andere Mechanismen wie Party-Interaktion, die Kontrolle über ein Raumschiff, umfangreiche Dialoge sowie Entscheidungen mit großer Tragweite sind Spielern von KotOR bekannt.Doch Mass Effect nutzt all diese Elemente nicht nur, sondern baut sie auch noch aus. Alles unter der Prämisse, ein Action-Rollenspiel (O-Ton Bioware) zu schaffen, das euch mit digitalen Schauspielern noch stärker ins Geschehen zieht. Dementsprechend scheint man die 360 bis an die technischen Grenzen zu treiben. Die Planeten weisen eigene Vegetations- und Klimazonen auf und sehen schlichtweg klasse aus. Wüstenplaneten können genauso angesteuert werden wie eisige Ödländer. Grüne Waldzonen, die von idyllischen Wasserfällen und Flüssen durchzogen sind, wechseln sich ab mit tropischen Gebieten.

Freie Fahrt ins All

Bioware wollte noch nicht preisgeben, wie viele Planeten man tatsächlich ansteuern oder auf wie vielen man mit dem MAKO (eine Art gepanzerter und bewaffneter Über-Jeep) landen kann, geschweige denn, wie viele davon für die Kerngeschichte genutzt werden. Aber eines können wir schon sagen: Die galaktische Karte ist groß! Und prall gefüllt mit Sternensystemen und Planeten, die mit Geheimnissen auf ihre Entdeckung warten. Und zwar frei nach dem Motto "Anywhere! Anytime!" Sprich: Ihr könnt wann ihr wollt, wohin ihr wollt fliegen. Inwieweit dieser geförderte Entdeckerdrang mit der eigentlichen Geschichte kollidiert, lässt sich noch nicht absehen. Doch die angestrebte Freiheit macht neugierig.    

Der eigentliche Wow-Effekt hinsichtlich der Kulisse kommt allerdings bei der Begegnung mit den Figuren auf, bei denen sich das überzeugende Animationssystem nicht nur auf die üblichen Bewegungen beschränkt. Vor allem die in jeder Phase glaubwürdige und (zumindest in der englischen Version) lippensynchrone Mimik in den Gesprächen zeigt, welche Power in der 360 steckt. Apropos Dialoge: Wie cool ist es bitte, dass man in den umfangreichen 

Als Standbild nur halb so schön: In Bewegung sieht die umfangreiche Mimik noch besser aus.
Multiple Choice-Sequenzen auch andere Figuren mitten im Satz unterbrechen kann und dies sogar Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen euch hat? Allein dadurch wird man als Spieler emotional an die Figuren gebunden und hat wirklich das Gefühl, in einem Abenteuer zu stecken.

Denn es geht immer wieder um Entscheidungen und Konsequenzen. Ein Beispiel: Als ihr den Befehl bekommt, eine Basis auszulöschen, in der ein Serum hergestellt wird, das der Oberbösewicht nutzt, um seine Armee zu manipulieren, steht ihr vor einem Dilemma. Dieses Tod bringende Serum ist nämlich gleichzeitig das Heilmittel für eine mit einem Gendefekt geborene echsenähnliche Rasse, von der ein Mitglied ausgerechnet zu den zuverlässigsten und engsten Vertrauten in eurer Gruppe gehört.

Was macht ihr, als er euch bittet, die Basis nicht zu zerstören? Versuchen, ihn in einem Gespräch von der Notwendigkeit zu überzeugen, sich und seine Rasse zu opfern? Seiner Bitte nachkommen und eventuell in Kauf nehmen, dass die Maschinenarmee unbezwingbar wird? Wendet ihr Gewalt an? Entscheidungen mit dieser Tragweite werden in bester Bioware-Manier allerorten zu finden sein und nicht nur euren Intellekt, sondern auch euer Gewissen fordern.

Taktik-Shooter inklusive

Natürlich kommen in einem Rollenspiel auch die Kämpfe nicht zu kurz. Hier geht Bioware einen ähnlichen Weg wie das kürzlich von Bethesda vorgestellte Fallout 3 und bietet ballistische Echtzeit-Kämpfe ohne Kompromisse. Mit rudimentären Deckungsmöglichkeiten sowie Kommandos für die zwei anderen Mitglieder eurer Gruppe, für die ihr auch das Geschehen unterbrechen könnt, bekommen die Gefechte bei aller Action einen taktischen Anspruch.

Die Kämpfe laufen in Echtzeit ab, können aber jederzeit unterbrochen werden, um den Teammitglidern taktische Anweisungen zu geben.
Der ergibt sich übrigens auch durch die je nach Spezialisierung zur Verfügung stehenden Spezialfähigkeiten. Entscheidet ihr euch z.B. für die Biotik steht euch Telekinese zur Verfügung, mit der sich Gegner wunderbar anheben lassen, bevor man ihnen eine Ladung geballter Energie aus der Projektilwaffe entgegen schleudert - sehr schön!

Bei der Charakterentwicklung möchte man einen Spagat zwischen einfacher Bedienung und Übersichtlichkeit einerseits und einem umfangreichen System andererseits meistern - und hat unserer Meinung nach Erfolg. Beim Levelaufstieg bekommt ihr Punkte, die ihr auf eine anfänglich rudimentäre Grundauswahl an aktiven und passiven Fähigkeiten sowie Techniken verteilen könnt. Erreicht ihr dort Stufe X, wird eine daran angegliederte Fähigkeit freigeschaltet, die eine Spezialisierung erlaubt. Im Kern hat man natürlich immer noch einen verzweigten Baum mit nützlichen Eigenschaften und Skills, doch die Übersichtlichkeit ist beispielhaft.

Was den Aufstieg der Partymitglieder betrifft, wird es sowohl eine automatische Lösung geben als auch eine, bei der ihr selber tätig sein könnt - so wie man es aus KotOR kennt.

Doch damit nicht genug: Wie bei den altrepublikanischen Rittern könnt ihr Waffen auch modifizieren, sei es jetzt z.B. durch ein Zielfernrohr, um eine höhere Genauigkeit zu erzielen oder auch durch Einbauten, die den Rückstoß minimieren.          

Ausblick

Als Bioware Mass Effect vor ein paar Jahren erstmals präsentierte, dachte ich: Naja, ein hübscheres Star Wars: Knights of the Old Republic. Jetzt denke ich: Wow, das wird ein großartiges Abenteuer! Auf was ihr euch freuen dürft? Entscheidungen, Emotionen, Partyinteraktion - und obendrauf fordernde Echtzeitkämpfe mit Taktikeinschlag, eine riesige Galaxie zur Erforschung sowie eine opulente Kulisse. Was Bioware hier vor allem hinsichtlich der Dialoge und Mimik vom Stapel lässt, gehört zum Besten, was bislang abseits von Renderszenen in Rollenspielen zu sehen war. Auch das restliche Design steht dem in nichts nach: All die exotischen Planeten, die klimaabhängigen Lichteffekte und die Spielereien mit der Tiefenschärfe sorgen für ein cineastisches Erlebnis, in dem ihr die Hauptrolle übernehmt. Bei aller Euphorie bleiben jedoch noch ein paar Fragen offen, die angesichts der Bioware-Historie rhetorisch scheinen: Kann die Story auch in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Momenten überzeugen? Ist die offene Galaxie Segen oder Fluch? Wie präsentiert sich die KI in den Actiongefechten? Diese Antworten kann nur eine ausführlich spielbare Version geben. Aber bei aller Skepsis: Ich traue Bioware einfach zu, dass sie im November ein Meisterwerk abliefern. Und dieses Vertrauen hatte ich in den letzten Jahren selten.

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