Vorschau:
Von geplatzten Träumen
Aber der Traum vom grandiosen Action-Feuerwerk bleibt Wunschdenken. Too Human ist aber auch weit davon entfernt, an einen Albtraum zu erinnern. Es wirkt nur derzeit einfach zu bemüht, um in der Oberliga mitzumischen. Filmsequenzen und Actionszenen scheinen krampfhaft nach Superlativen zu greifen - ohne auch nur ein einzelnes zu erreichen. Doch
Mit ihrem Titel, der ursprünglich auf PlayStation erscheinen sollte, haben die Kanadier eine hohe Erwartungshaltung geweckt. Wie nah kommen sie ihren Zielen?was ist der Grund dafür, dass alle vier Redakteure, die sich mit einer frühen Fassung beschäftigt haben, etwas enttäuscht sind?
Vielleicht lag es an der enormen Erwartungshaltung, die ein Titel aufbaut, an dem Kreativ-Köpfe mit einem so kleinen, aber sehr beachtlichen Portfolio arbeiten - Eternal Darkness und Metal Gear Solid: Twin Snakes sprechen Bände. Ist es überhaupt möglich, einen solchen Hype zufriedenzustellen?
Vielleicht rührt die Enttäuschung daher aus den Versprechen, die Microsoft und Silicon Knights immer wieder rezitierten: Schließlich sollte Too Human nicht nur das Beste aus Rollen- und Actionspiel vereinen, es wollte zugleich "nie dagewesene visuelle Lebendigkeit" zeigen. Und beides schafft es einfach nicht. Nach unseren Vorschau-Erkenntnissen ist Too Human ein Action-Rollenspiel unter vielen: Als Baldur treibt ihr zwischen Dutzenden Roboter-Wesen euren Kombo-Zähler nach oben, knallt Spezialattacken aufs Parkett und seht euch an den trocken erzählten Filmszenen schnell satt. Tatsächlich ist es gerade nach Heavenly Sword, Uncharted, Metal Gear Solid 4 oder dem thematisch ähnlichen Mass Effect verblüffend, dass sich die Einfälle eines modernen Spieleregisseurs - überspitzt ausgedrückt - auf bewegte Lippen und das obligatorische Kamerakreisen um die Protagonisten beschränken.
SciFi-Götter
Wobei man vorsichtig sein muss: Wer bei Protagonist an "Helden in glitzernder Rüstung" denkt, erliegt dem Schein des tatsächlich glitzernden Äußeren. Denn in Silicon Knights' Auslegung der nordischen Götterwelt geht es nur allzu menschlich zu: Verrat, Intrigen und Machtgier beherrschen hier wie auch im Original die mythologische Welt. Selbst Baldur, Sohn des Göttervaters Odin, gerät in einen Strudel aus Gewalt, Trauer und Rache, dem er als Mitglied der Aesir eigentlich nicht erliegen dürfte.
Wie im mythologischen Vorbild ist "Aesir" dabei die Bezeichnung einer Gruppe von Göttern. Und genau wie in der Vorlage schwelt auch hier ein martialischer Konflikt, der nur in Ragnarök, der Apokalypse, und dem Tod von Baldur enden kann... Stilistisch ist die Kreuzung aus Science-Fiction, nordischer Mythologie und anderen Einflüssen ausgesprochen interessant.
So erzählen es jedenfalls die nordischen Sagen. Silicon Knights nimmt es mit seiner Vorlage hingegen nicht ganz so genau. Anders ist z.B. das Auftauchen von Grendel, einer Gestalt aus dem altenglischen Beowulf-Epos nicht zu erklären - vom Übertragen des Mythos' in die Science-Fiction ganz zu schweigen. In der Tat sieht man weder den mechanischen Gegenspielern noch den kybernetischen Implantaten aller Charaktere ihre erzählerischen Wurzeln an. Interessantes Detail: Die Köpfe der kleinen und mittleren Bösewichter erinnern frappierend an die Überwachungskameras, welche Gordon Freeman in City 17 zu schaffen machen. Lediglich die turmhohen Steinmauern der Kellergewölbe sowie der barocke Baustil in Asgard, dem Himmelsreich, Verzeihung: dem Hauptquartier der Aesir, spiegelt den erzählerischen Ursprung wieder.
Der Öko-Cyberspace
In einigen Bildern treffen die Designer ihre Kreuzung aus Zukunftsmusik und skandinavischer Tradition auf den Kopf: wenn hohe Torbögen die Gänge Asgards überdachen oder wenn ein Schneesturm vor massiven Befestigungswällen wütet. Reizvoll ist auch die Idee, den Cyberspace dieses SciFi-Himmelsreiches als idyllisches Waldstück darzustellen - eine virtuelle Reminiszenz an die von einer mysteriösen Eisschicht verschlossene Erde. Doch ausgerechnet diese Idylle hinterlässt erste Risse in der schönen Fassade. Denn in den ersten Stunden nutzt ihr den Cyberspace ausschließlich zum Öffnen von Türen: Drückt ihr an deutlich markierten Punkten eine Taste (so "schiebt" Baldur Gegenstände im virtuellen Raum),
schießt ihr einen Findling durch eine Mauer, öffnet Tore durch das Drehen mannshoher Steine - und wann immer sich in der Virtual Reality eine solche Lücke auftut, öffnet sich in Baldurs Realität eine Tür. Die Filmszenen bleiben im Vergleich zu anderen zeitgemäßen Regiearbeiten erschreckend einfallslos.
Zu blöd, dass sich die Anzahl der dafür benötigten grauen Zellen in Grenzen hält: Mehr als vor einem der Cyberspace-Zugänge die A-Taste zu drücken, zum "Hebel" zu laufen und zurückzulaufen, muss Baldur nämlich nicht tun. Als ich zum ersten Mal die Freiheit hatte, den Wald nach eigenem Gutdünken zu erkunden, hat mich die Virtual Reality sogar reichlich Nerven gekostet: Nachdem ich etliche Minuten sinnlos umher gelaufen bin, durfte ich den Wald nicht mit einem kurzen Tastendruck verlassen, sondern durfte zum Eingang zurücktraben. Daran muss sich später unbedingt etwas ändern! Gelegentlich im Cyberspace zu öffnende Geheimtüren können das Vorhandensein des "Mini-Levels" jedenfalls kaum rechtfertigen.
Metal Gear Human? 4get it!
Und die Fassade bröckelt weiter - allein die Tatsache, dass die Autoren ihren Göttern (Baldur, Heimdall, Freyja oder Thor) Sätze in den Mund legen, die man stellenweise am Stammtisch hört, zerstört die Illusion des großen Kinos. Silicon Knights will mit seiner Geschichte um Götter, Kybernetik und Science-Fiction auf die große Leinwand, landet aber im Vorabendprogramm. Vielleicht kommen die großen Momente erst noch, vielleicht gewinnen Geschichte und Cyberspace an Fahrt - der Anfang wirkt leider gewöhnlich, stellenweise sogar undurchdacht.
Wenn Götter Teufel spielen
Und selbst spielerisch braucht Too Human lange, bis es in Gang kommt. Es ist z.B. ein Unding, dass ich mich mit trockenen Bildschirmtexten in das unspektakuläre Menü einarbeiten muss und dass mich das eigentliche Spiel nicht behutsam an seine ungewöhnliche Steuerung heranführt. Stattdessen werde ich in die Action geworfen und muss sehen, wie ich mit Angriffen über den rechten Analogstick zurechtkomme. Schließlich rutscht Baldur automatisch an einen Gegner heran, sobald ich den Hebel in
die entsprechende Richtung drücke. Gelingt mir das einige Male direkt hintereinander, steigt Baldurs Kombo-Leiste und er führt mit dem rechten Bumper eine besonders mächtige Attacke aus. Andere Spezialschläge liegen auf X und Y, z.B. das Absetzen einer mechanischen Spinne, die bei Berührung alles in ihrer Nähe in die Luft schleudert. Kybernetik spielt in Too Human eine große Rolle - dieser Kerl hat es allerdings scheinbar übertrieben.
Das ist vielleicht der Zeitpunkt, an dem Baldur ebenfalls springen sollte, denn ähnlich wie die Devil May Cry-Helden kann der Gott noch in der Luft über seine Widersacher herfallen. Das sieht zwar weniger imposant aus als bei Dante oder Nero, macht die Kämpfe aber abwechslungsreicher. Dafür sorgen auch zusätzliche Kombinationen, denn ihr könnt über verschieden langes Drücken und mithilfe des linken Sticks verschiedene Hiebe aneinander reihen oder den Kampf mit einem brachialen Finisher beenden. In seinen besten Momenten fördert der sonst gewöhnliche Kloppmist angenehm viel Adrenalin. Ja, von der Dramaturgie schnörkelloser Action-Werke ist Too Human weit entfernt - von trockenem Kloppmist mit starrer Kameraführung aber ebenso! Besonders die flotten Zickzack-Attacken inmitten bissiger Roboter-Wölfe machen Laune, während Zwischengegner den Taktiker fordern.
Höhenangst?
Denn Baldur beherrscht nicht nur den Nahkampf; manche Feinde hält er besser mit gezieltem Pistolen- oder Gewehrfeuer auf Abstand. Genau wie Dante kann er kleine Bösewichter auch im Kugelhagel in der Luft halten. Das funktioniert bei großen Trollen natürlich nicht; deren Laufgeschwindigkeit leidet dafür, wenn ihr deren Beine trefft. Ihren überdimensionierten Hammer setzt ihr hingegen mit einigen
Ob auf dem Boden oder in der Luft: Odins Sohn teilt in jeder Lage aus. |
Action-Rollenspieler werden zudem mit etlichen Waffen, Rüstungen und Runen, die sie besiegten Gegnern stehlen, sehr gut bedient. In den erwähnten Geheimräumen finden sie zusätzliche Gegenstände, falls sie die dort anstehenden kurzen Arenakämpfe überstehen. Habt ihr euch einmal in das unübersichtliche Menü hineingedacht, fertigt ihr mithilfe von Anleitungen eure Ausrüstung auch selbst oder fügt Runen ein, damit Waffen und Rüstung dem Helden besondere Eigenschaften (schnelleres Zuschlagen, stärkere Abwehrkraft usw.) verleihen.
Garantie auf Entwicklungsschäden
Der Ausbau von Baldurs eigentlichen Fähigkeiten hält sich auf den ersten Blick dagegen stark in Grenzen, denn ihr könnt lediglich eine Hand voll Fertigkeiten erweitern. Schade auch, dass ihr keinen Einfluss auf das Aussehen eures Alter Ego habt; lediglich die gewählte Charakterklasse (Fernkämpfer, Berserker usw.) sorgt für äußerliche Unterschiede.
Im Gegenzug dürft ihr allerdings Baldurs Fortschritt in Sachen erlernte Fähigkeiten jederzeit zurücksetzen, um euch für einen anderen der drei möglichen Entwicklungswege zu entscheiden. Jede Charakterklasse verfügt dabei über einen dreigeteilten Baum, wobei ihr nur jeweils einen seiner Äste entwickeln dürft. Anders als in ähnlichen Abenteuern lernt Baldur übrigens keine neuen Fertigkeiten, sondern stärkt die bereits vorhanden - je nach Ast aber auf unterschiedliche Art und Weise. Die erwähnte Spinne kann die Gegner in ihrer Nähe z.B. entweder in die Luft werfen oder ihnen starken Schaden zufügen. Nachdem wir lange mit verschiedenen Helden unterwegs waren, steht eine Frage groß im Raum: Kann Silicon Knights die interessanten Ansätze zu einem packenden Epos verknüpfen?
Nicht zuletzt steht sehr früh auch die Entscheidung an, ob Baldur seine menschlichen Fähigkeiten fördern will oder lieber auf kybernetische Implantate setzt. Für die von mir gewählte Champion-Klasse hieß das: Verbessern der Kombo-Attacken oder Stärken einzelner Angriffe. Diese Wahl ist im Gegensatz zu den spezifischen Fertigkeiten unumkehrbar - ob und inwiefern sie sich auf den Verlauf der Handlung oder meine Spielweise auswirkt, muss sich allerdings erst zeigen. Nach den ersten Stunden hatte meine Entscheidung jedenfalls kaum spürbare Auswirkungen.
Ausblick
Ich war gespannt: Auf welche Art würden die Macher von Eternal Darkness und Metal Gear Solid: Twin Snakes die nordische Mythologie mit einem Science-Fiction-Szenario kreuzen? Schlägt Too Human tatsächlich eine Brücke zwischen reinrassiger Action und den meist nüchtern präsentierten, aber inhaltlich starken Action-Rollenspielen? Vielleicht wird es auf lange Sicht diese Brücke schlagen - nach sechs Spielstunden liegt da immerhin ein solider Steg. Denn auch wenn die Choreografie mitunter an das erklärte Vorbild Devil May Cry erinnert, wirken einige Bewegungen sehr ungelenk. Und auch, wenn Baldur einer von fünf Charakterklassen angehört, sind seine Entwicklungsmöglichkeiten sehr beschränkt und werden äußerlich kaum sichtbar. Dafür kommt mir Too Human entgegen, weil ich Baldurs erlernte Fähigkeiten jederzeit zurücksetzen darf, um eine andere Entwicklung einzuschlagen. Und so merkwürdig die Steuerung zu Beginn auch anmutet, so flott geht das Wechselspiel zwischen Fern- und Nahkampf sowie Angriffen in der Luft später von der Hand - Finisher runden die martialische Action schön brachial ab. Der Einstieg hat mich fürs Erste zufrieden gestellt; jetzt muss Too Human beweisen, dass auch die Geschichte um einen Krieg der SciFi-Götter das anfänglich geweckte Interesse stillen und dass Silicon Knights den knackigen Gefechten noch ein, zwei weitere frische Aspekte abgewinnen kann.
Ersteindruck: gut
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