Tischtennis19.04.2006, Paul Kautz
Tischtennis

Vorschau:

Was ist das unwahrscheinlichste Spiel aller Zeiten? Duke Nukem Forever 2? Bard's Tale 4? Monkey Island 5? Eine Tischtennis-Simulation für Xbox 360, entwickelt von Rockstar Games? Hahaaaaa, was haben wir gelacht! Jaja, der Scherz war wirklich... ähm, Moment: Das meint ihr ernst? Oh ja, die meinen das ernst! Und zwar verdammt ernst! Wir haben uns für euch in die schwungvoll unterschnittenen Tiefen des Profi-Ping-Pong getraut.

Eben noch im Land der Träume...

...jetzt schon auf unserer Showbühne: Ein neues Spiel von Rockstar? Für die Xbox 360? Hier meine Kreditkarte, hier die Oma und hier mein Erstgeborenes - aber her damit! Ein neues GTA? Nicht? Mist. Ein neues Midnight Club? Nicht? Mist. The Warriors 2 vielleicht? Nein? Ja, was denn nun? Tischtennis.

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Tischtennis? Tischtennis. Ganz ohne Kettensägenpaddel, Post-Spiel-Sexgames, Granaten statt Bälle oder Shotgun-Rettungsanker bei drohendem Match-Verlust. Kein Arcade-Klopper, sondern eine ernsthafte Simulation des

Tischtennis spielt sich herrlich rasant, ohne dabei Kompromisse bei der Kontrolle einzugehen - bemerkenswert!
Echtwelt-Pong, entwickelt von Rockstar San Diego, die bislang vor allem mit der Midnight Club -Reihe und Red Dead Revolver von sich reden machten. Hat man diesen Kulturschock, der eigentlich nur von »Vergesst DNF: 3DRealms arbeitet seit sieben Jahren an einer Keksbacksimulation!« übertroffen werden kann, erstmal verdaut, dann öffnen sich die Augen für die Detailverliebtheit der Entwickler: Wie beim echten Ballgekloppe habt ihr z.B. vielerlei Schlagmöglichkeiten, die für das ungeübte Auge mit unterschiedlich gefärbten Kringeln um den Ball herum deutlich gemacht werden. Unterschnittene Bälle leuchten gelb, links angeschnittene rot usw. Ihr könnt den Bällen Top- oder Backspin verleihen, mit entsprechendem Gegenspin kontern oder Stopbälle schlagen. Außerdem füllt sich mit gutem Spiel eine dreistufige Spezialleiste - voll aufgeladen dürft ihr dann besonders kraftvolle und von einer dramatischen Zeitlupenaufnahme eingeleitete Sonderschläge auf den bedauernswerten Gegner niederprasseln lassen. Interessanterweise haben die Entwickler hier ein Stein-Schere-Papier-Prinzip integriert; für jeden Schlag gibt es zum einen den optimalen Gegenangriff, zum anderen aber auch den fatalen Konter - der fast immer im Aus oder im Netz landet. Neben blitzschnellen Reaktionen gehört also auch ein flinkes Auge zur Analyse des gerade
Die mannigfaltigen Schlagmöglichkeiten garantieren abwechslungsreiche Matches.
gespielten Balles zum Standardrepertoire eines künftigen Tischtennismeisters. Und, wie im richtigen Leben, eine gesunde Portion Glück, denn auch Sondermanöver wie Netzroller oder Tischkantenabpraller werden physikalisch korrekt simuliert - sehr zum Ärger des Opfers.

Wer mit der Steuerung von Games wie Top Spin vertraut ist, wird sich in Tischtennis sofort heimisch fühlen: Der Aufschlag funktioniert sehr ähnlich, die Reaktionsphase ebenfalls. Besonders wichtig dabei: Die Ballphysik fühlt sich sehr glaubwürdig an. Und auch für den Coolness-Faktor ist gesorgt, werden doch besonders spektakuläre oder risikoreich gefangene Bälle in automatischer Zeitlupe und Nahaufnahme gezeigt, die schwungvoll wieder in die Partie übergehen ohne den Spielfluss merklich zu stören. Das alles klingt simpel, spielt sich aber durchaus anspruchsvoll: Einfache Ballwechsel sind eine Sache von einer Spielminute (Hey - immerhin haben wir beim präsentationsinternen Turnier nach nur ein paar Probespielen den stolzen zweiten Platz belegt!), aber für die richtig fiesen Klopper muss man schon ordentlich üben. Danach fetzen die Plastikkuller mit Höchstgeschwindigkeit aus allen Richtungen über den Tisch, krachen die Sonderschläge, fliegen die Körper der Spieler von einem Eck ins nächste - Reflex- und Instinkttraining pur, begleitet vom kraftvollen Schreien und Stöhnen der Akteure sowie dem typischen Plick-Plack des Balles.           

Klamotten im Wind

Nach den großen Weiten, frei begehbaren Welten schraubt Rockstar Games jetzt den Lokalitätsanspruch gehörig zurück und steckt euch in kleine Turnierhallen, Übungsräume, Fabrikgebäude oder in eine verschneite Berghütte, hinter deren Fenster verträumte  Skigondeln vorbeirauschen. Die Beschränkung auf kleine Örtlichkeiten in Kombination mit der Rechenpower

Rockstar legt größten Wert auf natürliche Figurendarstellung - in HD sollt ihr sogar Hautporen und einzelne Sommersprossen erkennen können.
einer Xbox 360 lässt natürlich noch allerlei gestalterischen Freiraum, der zum größten Teil in das knappe Dutzend Spieler gesteckt wurde. Zwar erwarten euch keine international bekannte Namen, dafür aber echtes Equipment und Bandenwerbung echter Sponsoren. Die Männlein und Weiblein unterscheiden sich nicht nur in Aussehen, Nationalität sowie statistischen Werten wie Schlagkraft oder Präzision, sondern auch durch individuelle Paddel-Griffe und Persönlichkeiten. So tanzt die Brasilianerin Carmen nach einem Sieg um den Tisch herum oder klatscht sich der Franzose Luc bei einem verschossenen Ball an die Stirn, während der Chinese Liu Ping seine Zähne bleckt und grimmig in die Kamera stiert.

Die eigens für das Spiel entwickelte Grafikengine, zu der von Take 2 ein Statement wie »kommt auch in zukünftigen Next-Gen-Spielen von Rockstar zum Einsatz« orakelt wurde, liefert schnelle, effektgeladene und hochauflösende Bilder auf den möglichst HD-kompatiblen Fernseher - den hatten wir zwar auch am Start, aufgrund technischer Schwierigkeiten bekamen wir aber trotzdem nur das normale Bild zu sehen. So entgingen uns angekündigte Details wie individuelle Hautstrukturen der Spieler; ein Feature, das wir spätestens im Test genauer unter die Lupe nehmen werden. Klar zu erkennen war allerdings der leichte Plastiklook der Figuren, der mit glänzender Haut und noch besser geölten Haaren ein wenig an Far Cry erinnerte. Egal, denn die Animationen machen alles wieder wett, gerade die Klamotten bewegen sich großartig: Shirts und kurze Röcke baumeln herrlich lose an den Körpern der Spieler herum, werfen realistisch ausgeleuchtete Falten, sind weich animiert - und werden im Verlauf eines Spiels natürlich auch ordentlich durchgeschwitzt! Darüber hinaus sieht man den Kellenschwingern Freude, Wut oder Erschöpfung deutlich an, eine misslungener Hechtsprung endet schon mal mit dem Gesicht voraus auf 

Während der Spieler vor dem Fernseher ackert, schwitzen sich auch die Ping-Pong-Helden einen ab.
dem Hallenboden. Lediglich die Laufbewegungen am Tisch sehen sehr ruckartig aus - aber angesichts der benötigten schnellen Reaktionen ist das wohl nicht flüssiger zu machen. Außerdem stellt sich dem Brille putzenden Beobachter die Frage nach der tatsächlichen Notwendigkeit einer Xbox 360, denn  mit ein paar Abstrichen könnte das Ganze auch locker auf PS2 und Xbox realisiert werden.

Neben dem exzessiv von uns ausprobierten Zwei-Spieler-Modus an einem Fernseher lockt Tischtennis auch mit einer Xbox Live-Variante - den wir allerdings noch nicht spielen konnten. Darf man eigene Spieler bauen und online verwenden? Wie gut flutscht die Verbindung? Haben die Chinesen Vorteile? Und was ist mit den Solisten? Dürfen die nur gegen in drei Schwierigkeitsstufen wartenden KI-Gegner antreten, oder kann man sich auch die Karriereleiter hinaufpingpongen? Fragen über Fragen, die noch genug Freiraum für den Test lassen.       

Ausblick

Wer hätte das gedacht? Dass ausgerechnet Rockstar eine Tischtennissimulation entwickelt, die nicht nur gut aussieht, sondern sich verdammt gut spielt - ganz ohne Verfolgungsjagden, Mafia und MGs. Und obgleich ich den simplen Namen zwar pragmatisch, aber schrecklich unaufregend finde, trifft er den Kern des Spiels: Tischtennis ist Tischtennis pur. Es fühlt sich so gut an, die intuitive Steuerung vermittelt einem vom ersten Moment an ein beruhigendes Gefühl der Kontrolle und hebt sich die Feinheiten für die darauf folgende Übungsperiode auf - ich hatte nie das Gefühl, dass das Programm halbautomatisch für mich spielt, wie das bei anderen Games gelegentlich der Fall ist. Stattdessen habe ich mein Paddel voll im Griff, nach kurzer Zeit vergesse ich alles um mich herum, kralle die Finger ins Pad, fixiere den kleinen weißen Ball wie eine Kobra ihr Opferkaninchen - hossa! Im Mehrspielermodus sorgt das unwahrscheinlichste Spiel aller Zeiten bereits für großartigen Spielspaß; bin mal gespannt, wie sich das Ganze für Solisten anfühlt.

Ersteindruck: sehr gut

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