Assassin's Creed10.07.2007, Jörg Luibl
Assassin's Creed

Vorschau:

Noch vor dem offiziellen Start der E3 lud Ubisoft zum mittelalterlichen Meucheln. Zum ersten Mal konnte die Presse selbst Hand an den Assassinen legen, der bisher lediglich präsentiert wurde und selbst auf den Ubidays in Paris nicht spielbar war. Wie schlägt sich der akrobatische Mann im Kapuzenumhang, der das Genre des Action-Adventures gleich bei seiner Premiere "neu definieren" soll?

Moderne Kreuzzüge

14 Uhr, Santa Monica, Kalifornien: Alte Geschichte trifft auf neue Technik. In einem Hotel am Pazifik versetzt uns Ubisoft das

Eine ganze Stadt zu euren Füßen: Altair erinnert an einen Raubvogel auf der Lauer.
erste Mal in die Zeit des 3. Kreuzzuges. In der Rolle eines Assassinen geht die Reise auf einer Xbox 360 in das Jerusalem des Jahres 1191. Und gleich die ersten Momente verblüffen architektonisch: Die heilige Stadt wurde originalgetreu nachgebildet, vom Tempelberg über die Art der Zinnen und Fenster bis hin zu den wichtigsten Straßen. Zu Beginn des Spiels lauert man wie ein Raubvogel auf einer hölzernen Planke und kann von oben alles überblicken - das Treiben der ameisenhaften Bewohner, die Wachen an den Pforten, die Fahnen auf den Stadtmauern. Auf einen Knopfdruck lasse ich mich fallen, stürze wie ein Falke in die Tiefe und lande in einem Heuwagen...

...kurz ein paar Halme abschütteln, dann mische ich mich unter die Bewohner: Überall Schleier, vermummte Priester, Krugträger, Bettler, Wachen mit Krummsäbeln - und jeder Bewohner zeigt eine volle Mimik. Hut ab, Ubisoft, diese Zeitreise fängt richtig gut an. Art & Design, Kulisse & Mode punkten auf höchstem Niveau. Worum geht es eigentlich? Ihr spielt Altair, eine Art Spezialagenten des Mittelalters, der weder den christlichen Kreuzrittern noch den moslemischem Sarazenen angehört. Als Mann mit dem weißen Kapuzenumhang steht ihr quasi zwischen den Fronten und agiert zunächst à la Robin Hood von eurem Geheimversteck aus: Dort wartet ein Komplize und gibt euch Aufträge, die teilweise mehrere Stufen umfassen: Informationen beschaffen, Gebäude infiltrieren, Zielperson finden und töten. Egal ob miese Steuereintreiber oder korrupte Beamte - jeder, der vom Krieg profitiert, steht auf eurer Abschussliste.

Damit scheint der politische und religiöse Konflikt zwar etwas in den Hintergrund zu geraten, aber wir konnten bisher nur ein Kapitel erleben, das noch wenig erzählerische Rückschlüsse zuließ. Auch das Auftauchen der futuristischen Zeichen, sowohl in Zwischensequenzen als auch im Spiel bleibt noch ein Geheimnis, das Ubisoft nicht lüften wollte. Zeitreise? Matrix? Wir wissen es nicht. Aber die Entwickler sind sich hoffentlich bewusst, dass diese Hightecheinspielungen und auch die SciFi-Menüleisten für Leben und Wahrnehmung einen Stilbruch darstellen, der so gar nicht zum historischen Stil des Abenteuers passt. Ich bin sehr gespannt auf die Erklärung.

Untertauchen in der Masse

An bestimmten Punkten kann man sich wie ein Falke in die Tiefe stürzen und in Heuwagen landen - diese Szenen sind unheimlich gut inszeniert.
Fest steht, das 12. Jahrhundert hatte es in dieser Region in sich: Die Europäer wollen im Namen ihres Gottes das heilige Land erobern, zig Orden kämpfen um die Macht. Es herrscht Krieg. Und während die Sarazenen versuchen, die Fremden mit ihren seltsamen Eisenpanzern zu vertreiben, will euch das französische Team mit dem Abtauchen in oder dem Entgleiten aus der Masse begeistern. Ihr könnt euch nämlich nicht an Mauern drücken oder einfach im Schatten verschwinden. Die Sichtlinie spielt zwar für eure Entdeckung eine Rolle, aber das langsame Schleichen hilft euch nur selten. Statt Stealth und Action wie in Splinter Cell zu kombinieren, gehen hier ähnlich wie in Prince of Persia Akrobatik und Action eine Symbiose ein - nur auf einem neuen Niveau, das erstmals die Menschenmasse und ihre Reaktionen sowie die Flucht berücksichtigt.

Ein paar Beispiele: Ich zücke auf dem Marktplatz ein Schwert - die Leute schreien, rennen weg und Wachen umrunden mich. Das kennt man bereits aus anderen Spielen, aber hier geht es noch einen Schritt weiter. Ich besiege zwei von drei Wachen, dann rennt die letzte vor Angst davon - sehr schön! Es mag nur ein Detail sein, aber dieses natürliche Verhalten des Unterlegenen  sorgt gleich für eine sehr lebendige Atmosphäre. Noch können wir nicht abschätzen, ob das auch für das Stadtleben als solches gilt, denn Gebäude waren bis auf dafür vorgesehene, geskriptete Stellen nicht zugänglich und man vermisste ein wenig mittelalterliches Treiben von Handwerkern oder Verkäufern. Aber dafür gab es bereits viele subtile Reaktionen: Ihr dürft wenig Aufmerksamkeit erregen. Und daher solltet ihr die Leute nicht anrempeln oder provozieren. Wer einfach in die Menge rennt, wird wie ein Trottel stolpern und von allen Seiten verflucht. Aber was macht ihr, wenn euch plötzlich ein Verrückter attackiert oder drei Frauen gleichzeitig zutexten? Ihr könnt handgreiflich werden und mit den Fäusten zuschlagen, so lange ihr keine Waffe zieht. Ihr könnt sie aber auch wegschubsen und dann weglaufen.

               

Taktische Rückzüge

Diese Freiheit und die taktischen Rückzüge sind ein Kern der Spielmechanik, denn Altair kann sich so der Aufmerksamkeit entziehen und Ruhepunkte suchen, bis die Wahrnehmung der Wachen wieder sinkt. Dafür kann er zwar auch die Hände

Verfolgen in und Entkommen aus der Masse: Freut euch auf verblüffend lebendig agierende Menschenansammlungen.
falten und langsam in der Menge laufen, aber auch ein Heuhaufen ist hier ideal, um das Alarmlevel ähnlich wie bei Metal Gear Solid herunterzuschrauben. Wenn das nicht hilft, kann man Wachen auch in ebenso halsbrecherischer wie eleganter Flucht entkommen. Neben dem einfachen Laufen gibt es ein Rennen und einen Spurt: Ihr könnt euch dann von euren Verfolgern absetzen, Balken zum Hochschwingen nutzen oder über Karren springen. Richtig interessant wird das Ganze in der Vertikalen: Ihr könnt Wände fast à la Spider-Man erklimmen, wenn sie genug Klettermöglichkeiten bieten und über den Dächern der Stadt über klaffende Abgründe springen. Gerade diese Wechsel vom Treiben in den Gassen hoch hinauf machen unheimlich Spaß, denn es gibt atemberaubende Perspektiven. In der spielbaren Fassung lief zwar noch nicht alles ganz flüssig bei Drehungen, aber bis November ist noch genug Zeit für Feintuning.

Die Entwicklung des Charakters konnten wir noch nicht im Detail erleben. Und auch die Story bleibt noch ein Fragezeichen. Was sind die Anreize für die Karriere als Meuchler? Es gibt weder Gold noch Gegengstände, keine Individualisierung über Kleidung oder Ähnliches. Fest steht: Altair gewinnt im Laufe des Spiels immer neue akrobatische Möglichkeiten und Manöver. Wir konnten bereits einen ausgebildeten Assassinen der siebten Stufe durch die Gassen jagen, insgesamt gibt es neun. Man kann als Neuling der ersten Stufen z.B. noch von Wachen mit Steinen beworfen werden, die einen aus dem Gleichgewicht bringen und von Mauern stürzen lassen. Erst später gewinnt man die Fähigkeit, sich rechtzeitig an einem Sims festzuhalten, um dem Fall in die Tiefe zu entkommen. manchmal hilft aber auch einfach ein Blick in die Umgebung, um knifflige Situationen zu lösen. Ein Beispiel: Vier Wachen haben eine Straße gesperrt, ein Bogenschütze überwacht sie von oben. Ihr könntet jetzt erst heimlich nach oben klettern, den Schützen von hinten meucheln und so einen Sprung in den Rücken der Wachen wagen. Ihr könnt euch aber auch unter eine Gruppe weißgewandeter Mönche begeben und mit ihnen an den Wachen vorbeigehen - die bemerken euch nicht, da ihr inmitten der Männer aufgrund der ähnlichen Kleidung nicht auffallt. Verlasst ihr die tarnende Gruppe zu früh, werden die Wachen aufmerksam und verfolgen euch selbst auf Dächer hinauf; das Figurenverhalten hinterließ bereits einen sehr guten Eindruck.

Kampf bis zum Tod

Nach dem Konter folgt der Todesstoß: Bei richtigem Timing sind spektakuläre Manöver möglich.
Ihr sucht lieber die Konfrontation? Kein Problem, denn auch der Kampf spielt eine wichtige Rolle: Ihr könnt neben dem Langschwert auch zwei Dolche oder Wurfmesser nutzen. Schön ist, dass man Feinde fixieren kann, um sie zu verfolgen oder zu beobachten. Neben einfachen Attacken und Paraden gibt es Konter, die ihr im richtigen Moment einleiten müsst. Habt ihr das Timing gefunden, zoomt die Kamera dichter heran und ihr könnt ähnlich wie in Tenchu Z  einen spektakulären Finishing-Move ausführen - Altair rammt seinen Dolche dann mehrere Male in die Brust seines Gegners, schlägt mit dem Langschwert von schräg oben auf den Hals oder nutzt eine Kombination aus Fausthieb und Stich. All diese Manöver sehen fantastisch aus und werden von dichten Kamerfahrten unterstützt. Die kontrolliert ihr übrigens selbst in den Zwischensequenzen: Statt einer statischen Perspektive zu folgen, könnt ihr euch noch bewegen, umschauen und bei einem Flackern sogar alternative Blickwinkel einleiten, die euch vielleicht eine andere Szene zeigen. Aber zurück zum Kampf: Ihr könnt nicht nur kontern, sondern auch ausweichen, um dann zu attackieren oder euren Feind mit einem Griff zur Seite oder gegen eine Wand schleudern. Die Kampfanimationen erreichen ein Niveau, das selbst die tänzerische Leichtigkeit eines Prince of Persia toppt.

Aber gerade wenn man umstellt wird, kann das Timing knifflig werden, denn immer wieder wird man attackiert, nach hinten geworfen oder gar in eine Sackgasse gedrängt. Das ist auch gut so, denn so bleiben die Situationen fordernd. Die Steuerung braucht jedoch etwas Zeit zur Eingewöhnung, ist aber angenehm komplex in ihren Möglichkeiten und sehr intuitiv, weil sie euch kontextsensitive Manöver anbietet: Habt ihr eure Dolche gezogen, könnt ihr normal attackieren, werfen oder von hinten meucheln. Habt ihr keine Waffe zur Hand, könnt ihr einen Taschendiebstahl versuchen, springen, klettern oder Leute zur Seite schubsen. Die Buttons repräsentieren Körperteile: Mit dem oberen Y-Button, der für den Kopf steht, könnt ihr in die Egosicht wechseln, euch umschauen etc.; die linken und rechten stehen für die Aktionen der Arme; der untere A-Button für das Sprinten und Springen. Die Eingewöhnung ist deshalb nötig, weil alle Aktionen über die Schultertasten noch in verschiedenen Ausrichtungen abgerufen werden können, quasi als sanfte oder aggressive Variante.      

Ausblick

Dieses Abenteuer war in Los Angeles das erste Mal spielbar. Und es hat mich nach etwas Eingewöhnung in die komplexe, aber angenehm kontextsensitive Steuerung hinsichtlich Art & Design, Kulisse & Animationen schnell überzeugt: Das historische Jerusalem ist fast greifbar, die Menschenmasse wird sehr lebendig inszeniert, die Schwertkämpfe sehen klasse aus und bieten dank Konter, Griffen und diversen Todeshieben viele taktische Optionen. Außerdem wirkt es schon jetzt überaus natürlich, wenn Unterlegene fliehen oder ich von Wachen weggeschubst werde. Hut ab, Ubisoft! Etwas Sorgen mache ich mir trotz der herrlichen Klettertouren und der reaktiven KI über das Stadtleben sowie die Freiheit der inneren Erkundung: Kann man das mittelalterliche Treiben so abwechslungsreich gestalten, dass sich die Stadtteile nicht zu schnell ähneln? Reichen geskriptete Abstecher in Gebäude aus, um meinen Entdeckerdrang auf lange Sicht zu befriedigen? Keine Frage: Schon unsere gespielte Mission hat richtig Spaß gemacht. Und das, obwohl der erzählerische Rahmen noch fehlte, der Altairs Rolle vertiefen und die flackernden Hightechsymbole erklären muss - die wirkten noch wie Fremdkörper in der mittelalterlichen Umgebung. Aber man fühlt sich bereits richtig wohl in der Rolle des Assassinen, der nicht nur kämpferisch begabt ist, sondern auch akrobatisch mindestens in einer Liga mit dem Persischen Prinzen spielt. Im Mittelpunkt steht seine besondere Fähigkeit des Rennens und Durchmogelns, des Untertauchens und Entfliehens. Wie ein Windhund kann er sich einen Weg durch gefüllte Straßen oder stark besetzte Märkte bahnen, um aus einer überfüllten Gasse auf die Dächer Jerusalems zu entkommen. Und von da oben blickt er wie ein Raubvogel auf sein nächstes Opfer. Das sind bereits klasse Momente - ich freue mich auf die Jagd im November!

Ersteindruck: sehr gut

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