Shin Megami Tensei: Strange Journey (Redux)25.05.2018, Jens Bischoff

Im Test: Wiederholte Reise zum Südpol

Konnte man Atlus' DS-Rollenspiel Shin Megami Tensei: Strange Journey seinerzeit nur als Import beziehen, hat es die erweiterte 3DS-Neuauflage auch bis nach Europa geschafft. Was einen erwartet und welche Unterschiede es gibt, verraten wir im Test.

Reise ins Ungewisse

In nicht allzu ferner Zukunft wird die Menschheit von einem schwarzen Nichts bedroht, das sich langsam von der Antarktis über den gesamten Erdball auszudehnen droht. Um eine globale Panik zu vermeiden, wird das Phänomen in den Medien heruntergespielt, während die Vereinten Nationen fieberhaft Gegenmaßnahmen vorbereiten. Doch die Untersuchungen laufen ins Leere, Aufklärungsdrohnen liefern bizarre Bilder und verschwinden spurlos. Der einzige Ausweg scheint eine bemannte Mission ins Innere der sogenannten Schwarzwelt, um die mysteriöse Anomalie direkt zu studieren und von innen heraus zu bekämpfen. Auch der Spieler gehört diesem von vielen als Himmelfahrtskommando angesehenen Vorstoß ins Ungewisse an.

Anfangs scheint zwar noch alles planmäßig zu verlaufen, doch schon bald bricht der Funkkontakt ab, die Schutzschilde versagen und unsichtbare Wesen beginnen ins Innere der Landungsfahrzeuge einzudringen. Mithilfe eines speziellen Hightech-Kampfanzugs, dem Demonica, gelingt es zwar, die Angreifer zu visualisieren und zurückzudrängen, doch die Schäden am Fahrzeug sind massiv, die Begleitfahrzeuge verschollen und das Schicksal der jeweiligen Crews ungewiss.

Dämonische Unterstützung

Die Forschungsteams werden bei ihrem Vorstoß getrennt, die Schicksale der einzelnen Crews sind ungewiss.
Es beginnt eine Expedition zu Fuß in unbekanntes Terrain, das von dämonischen Schattenwesen bevölkert wird, die Feind und Freund zugleich sind: Mittels Demonica-Anzug kann der Spieler seine Widersacher nämlich nicht nur sehen und bekämpfen, sondern auch mit ihnen kommunizieren und sie mit diplomatischem Geschick oder Opferbereitschaft als Mitstreiter gewinnen. Während der ansonsten stumme sowie austauschbare Protagonist in erster Linie auf Schlag- und Schusswaffen setzt, die sich später mit verschiedenen Beschichtungen bzw. Munitionsarten flexibel einsetzen lassen, können die Dämonen von Anfang an übernatürliche Elementarkräfte wirken, um ihre Artgenossen in klassischen Rundenkämpfen in Bedrängnis zu bringen. Shin-Megami-Fans fühlen sich in den Schlachten sofort heimisch, aber auch Neulinge werden behutsam an das im Mittelpunkt stehende Schwachstellensystem der stufenweise analysierbaren Gegner herangeführt. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich von Beginn an in drei Stufen regulieren sowie im weiteren Verlauf jederzeit anpassen. Die Orientierung in den bauklotzartigen Arealen im Rogue-like-Stil fällt dank vorgefertigter, nicht bei jedem Besuch zufällig generierter Levels sowie mitzeichnender Automap leicht.

Später werden die Areale trotz Kartenfunktion allerdings immer verworrener. Spätestens wenn Fallgruben über mehrere Stockwerke, nicht verzeichnete Korridorgeflechte in totaler Dunkelheit und bereichsweise Dimensionswechsel zur Tagesordnung zählen, braucht man schon einen sehr guten Orientierungssinn, um sich nicht hoffnungslos zu verlaufen.

Erkundungs- und Sammelreize

Trotz einiger Frustmomente übt aber gerade die Erkundung der Spielwelt einen enormen Reiz aus. Beschreitet man die oft seltsam vertraut wirkenden Schauplätze, die irdischen Schlachtfeldern, Rotlichtbezirken oder Einkaufszentren nachempfunden sind, anfangs noch auf Sicht, verlässt man sich später immer mehr auf die anwachsenden Scan-Funktionen des Demonica-Anzugs. Dieser visualisiert nämlich nicht nur unsichtbare Gegner und Materialien zur Herstellung neuer Gebrauchs- und Ausrüstungsgegenstände, sondern auch versteckte Türen, Schlösser oder Portale.

Zudem lässt sich der Anzug individuell mit sekundären Applikationen bestücken, die von regenerativen Kräften über Beuteboni und Kampfvorteile bis hin zur Beeinflussung von Dämonenverschmelzungen reichen. Wie von anderen Shin-Megami-Episoden gewohnt, lassen sich Dämonen nicht nur rekrutieren und trainieren, sondern auch fusionieren. Die Zuchtmöglichkeiten sind üppig und facettenreich: Strange Journey bietet über 300 verschiedene Kreaturen mit abweichenden Fähigkeiten, die sich nicht nur bei der Erschaffung, sondern auch ihrer weiteren Evolution beeinflussen lassen. Auf die allgemeine Entwicklung hingegen kann man keinen Einfluss nehmen. Stärke, Schnelligkeit und andere Attribute steigen sowohl bei den Dämonen als auch beim Protagonisten automatisch an. Da sind Persona-Fans mehr Mitspracherecht gewohnt. Auch das Verwandeln in übernatürliche Alter-Egos wie in der Schwesterserie vermisst man hier.

Die Party besteht quasi immer aus dem menschlichen Protagonisten, der bis zu drei dämonische Mitstreiter im Schlepptau hat, die er aus einem schrittweise anwachsenden Pool an Begleitern beschwören kann. Praktisch ist dabei die Möglichkeit, einmal beschworene Dämonen sowohl in ihrer ursprünglichen als auch aktuellen Form dauerhaft in einem Kompendium verewigen und jederzeit gegen einen entsprechenden Obolus wieder reaktivieren zu können. Man kann seine Kreationen sogar in einen Passcode verwandeln, um verschiedene Versionen derselben Gattung auf Abruf bereit zu halten oder sie anderen Spielern zur Verfügung stellen, wenn sie über das nötige Kleingeld zur Beschwörung verfügen, das bei besonders mächtigen Exemplaren natürlich entsprechend hoch ausfällt. Bezüglich Zucht- und Archivierungsmöglichkeiten lässt Strange Journey jedenfalls kaum Wünsche offen.

Taktische Weichspülung

Anders sieht es hingegen bei den Team- bzw. Bonusattacken aus, die weniger die Verkettung von Angriffen auf individuelle Schwachstellen, sondern eher die moralische Integrität der Kampfteilnehmer belohnen. Natürlich muss man auch in Strange Journey gezielt Schwachstellen ausfindig machen und aufs Korn nehmen, um zusätzliche Treffer landen zu können. Aber statt diese gekonnt miteinander zu verknüpfen, reicht es, einmal zu treffen, und alle Party-Mitglieder gleicher Gesinnung hauen automatisch mit drauf.
In den Rundenkämpfen gegen die gewohnt grotesken Gegner spielen individuelle Schwachstellen eine untergeordnete Rolle.
Das klingt anfangs vielleicht gar nicht so schlecht, aber da es nur drei Gesinnungen mit jeweils genügend Vertretern gibt, formt man einfach eine einheitliche Multifunktions-Party um die moralische Ausrichtung des Protagonisten und teilt so immer feste aus. Bonusattacken der Gegner fehlen hingegen gänzlich, so dass man sich um die eigenen Schwächen nicht mehr so viele Gedanken machen muss.

Spielfluss und Zugänglichkeit profitieren zwar davon, Taktik und Anspruch nehmen im Gegenzug aber natürlich ab. Was einem lieber ist, muss jeder selbst entscheiden - ich persönlich hätte auf diesen Weichspülgang aber gern verzichtet. Nicht, dass das Spiel dadurch zu einfach wird, fordernde Bossfights gibt es nach wie vor. Aber diese erfordern weit weniger taktische Spezialisierungen als stupides Aufleveln. Das grundlegende Schwachstellensystem ist zwar nach wie vor da und weiß zu gefallen, aber es fehlen einfach die Feinheiten.

Eine Frage der Moral

Abseits der Kämpfe ist das Moralsystem aber durchaus interessant. Es wirkt sich nicht nur auf die leider etwas zu willkürlich ablaufenden Rekrutierungsdialoge, sondern auch auf das zu erwartende Spielende aus. Auf dem 3DS gibt es sogar zusätzliche Enden. Trotzdem ist es oft so, dass man seine gesinnungsändernden Entscheidungen eher aufgrund der bevorzugt verwendeten Dämonen fällt, als dass man sich Gedanken darüber macht, wie man persönlich zu einem bestimmten Thema steht.

Das kann aber auch daran liegen, dass die Story weit weniger bizarr und geheimnisvoll wirkt, wals man es gewohnt ist. Man hat fast das Gefühl, als wären die Entwickler plötzlich zu Moralaposteln mit erhobenem Zeigefinger und abgedroschenen Populismen mutiert, die eine Parallelwelt mit visualisierten Menschheitssünden wie Dekadenz, Umweltverschmutzung oder Krieg auffahren, die wie eine futuristische Sintflut die Erde reinwaschen will, während man selbst religiöse Zugehörigkeiten abwägt. Zum Glück ist aber nicht alles so plump wie es scheint, auch wenn dieses bisher so gekonnt implementierte bizarre Antlitz des Unerklärlichen in Strange Journey einfach zu selten aufblitzt. Vieles wirkt trotz neu hinzugefügter Fertigkeiten, Figuren, Story-Elemente und Schauplätze zu gewöhnlich, zu simpel, zu vordergründig.

Auch die anderen Crewmitglieder sind nicht mehr als eindimensionale Abziehbilder, denen man keine Träne nachweint, wenn sie das Zeitliche segnen. Selbst um das eigene Überleben ist man nicht wirklich besorgt - schließlich spielt man einen stummen, namenlosen Niemand ohne jeden Erkennungswert oder emotionales Gefüge. Speichern kann man neuerdings überall, während spezielle Speicherterminals zudem als praktische Teleporter ins mobile Hauptquartier dienen, das sich Abschnitt für Abschnitt ins Zentrum der Schwarzwelt vorarbeitet und auch die Rückkehr in bereits besuchte Areale ermöglicht, um mit neuen Demonica-Erweiterungen zuvor unzugängliche Teilbereiche zu ergründen.

Viel zu tun

Hier und da ergeben sich auch optionale Nebenmissionen, die man von Crewmitgliedern oder Dämonen gestellt bekommt. Manchmal kann man sogar kleine Herausforderungen oder Minispiele bestreiten. Bei besonders einfachen Gegnern kann man auch eine primitive Autofight-Funktion nutzen, die aber selbst bei voll analysierten Gegnern nur konventionelle Standardangriffe im Zeitraffer abspult. Besonders unliebsame Widersacher lassen sich hingegen leicht in die Flucht schlagen, sobald man einen Artgenossen im Schlepptau hat, während sich die Anzahl der Zufallskämpfe durch entsprechende Demonica-Applikationen reduzieren lässt.

Dennoch wirken die Begegnungen gegen unsichtbare Zufallsgegner heute noch antiquierter als damals. Die Frequenz der Kämpfe verläuft allerdings in einem noch erträglichen Rahmen und die farblich symbolisierte, kontinuierlich steigende Kampfwahrscheinlichkeit in Verbindung mit dynamisch wechselnden Mondphasen, die u. a. Einfluss auf Dämonenkonversationen sowie -fusionen haben, sind durchaus gelungen.
Die wechselnden Mondphasen haben sowohl Einfluss auf die Kommunikation als auch Zucht der über 300 Dämonengattungen.
Auch der Spielumfang kann sich sehen lassen: Für die erste Schwarzwelt-Expedition kann man locker 40 bis 60 Stunden einkalkulieren - bei ausgiebigen Fusionsexperimenten oder Sammelambitionen noch mehr. Zudem kann man seine Daten auch in ein New Game+ transferieren, um sich optionalen Bonusarealen, -missionen und -gegnern zu stellen oder in weiteren Durchläufen die je nach finaler Gesinnung unterschiedlichen Enden zu Gesicht zu bekommen. Auch der Schwierigkeitsgrad lässt sich weiter erhöhen.

Ohne Fleiß kein Preis

Die Spielstunden vergehen allerdings nicht wie im Flug. Der Spielverlauf gestaltet sich mitunter sogar recht zäh und eintönig, da man immer wieder dieselben Passagen durchläuft und Gegner bekämpft, bis man alle örtlichen Storymissionen erledigt hat und stark genug ist, dem obligatorischen Bossgegner des aktuellen Abschnitts gegenüberzutreten, um zum nächsten Bereich vorzurücken. Nebenbei sollte man natürlich auch noch Materialien für neue Ausrüstung sammeln, Geld und passende Versuchskaninchen für Dämonenfusionen besorgen, die ein oder andere lukrative Nebenaufgabe erledigen sowie an der Durchschlagskraft und Flexibilität seiner Einsatztruppe feilen. Doch so motivierend Partypflege und Spielwelterkundung auch sind, so zeitaufwendig sind oft die damit verbundenen Aktivitäten. Wer jeden Geheimgang ausfindig machen, nicht aber auf fremde Hilfe in Form von Levelkarten zurückgreifen will, muss wirklich jede einzelne Wand beäugen. Zwar bekommt man recht früh ein Scan-Modul, das verborgene Türen ausfindig macht, aber nur, wenn man direkt davor steht, was angesichts der Größe und Komplexität mancher Areale ganz schön nervig sein kann.

Auch die Automap, so praktisch und komfortabel sie ist, zeichnet immer nur exakt die jeweilige Position mit, so dass man wirklich jeden Quadratmeter einzeln ablatschen muss, um keine Besonderheit oder Figur zu übersehen, die erst dann sichtbar wird, wenn man sich auf genau dem gleichen Feld wie sie befindet. Zwar rechne ich es den Entwicklern hoch an, dass man durch überlegt handgefertigte statt zufällig ausgewürfelte 3D-Labyrinthe ziehen darf und diese auch grafisch unterschiedliche Themenbereiche abdecken, aber die begrenzte Sichtweite im Hinblick auf besondere Objekte wirkt schon sehr rückständig. Ansonsten ist die grafische Überarbeitung aber ordentlich und auch die Benutzerführung wurde modernisiert. Der 3D-Modus wird hingegen leider nicht unterstützt. Die Soundkulisse präsentiert sich eher zweckmäßig, bietet neuerdings aber zumindest japanische Sprachausgabe als atmosphärische Aufwertung, während man sich an den stimmungsvollen Kompositionen nach stundenlanger Wiederholung irgendwann satt gehört hat. Dabei ist der von schummrigen Chorälen geprägte Soundtrack angenehm düster, nur eben zu knapp bemessen.

Fazit

Strange Journey ist auch auf dem 3DS ein durchwachsenes Vergnügen. Das Szenario wirkt nach wie vor angenehm unverbraucht, Story und Charaktere hingegen recht gewöhnlich. Der austauschbare Protagonist bleibt einmal mehr das ganze Spiel über stumm, seine Abziehbildkameraden völlig uninteressant. Auch das Rundenkampfsystem mit seinen gesinnungsabhängigen Koop-Attacken wirkt angestaubt, die vorhersehbaren Zufallskämpfe geradezu antiquiert. Trotz dieser Mankos üben die Erkundung der immer komplexer werdenden Schauplätze, das Rekrutieren und Fusionieren grotesker Schattenwesen sowie das Aufrüsten des eigenen Multifunktionsanzugs mit hilfreichen Zusatzmodulen eine motivierende Faszination aus. Man will jeden Winkel der bizarren, bauklotzartigen Spielwelt im Rogue-like-Stil ergründen, jeden noch so widerspenstigen Dämon als Versuchskaninchen gewinnen und jede noch so haarige Nebenaufgabe meistern. Zudem wollen moralische Entscheidungen getroffen werden, die sich nicht nur auf die Zusammensetzung und Effektivität der Gruppe, sondern den Ausgang der gesamten Mission auswirken. Der mit neuen Figuren, Schauplätzen und Spielenden erweiterte Umfang kann sich jedenfalls sehen lassen, wird aber nach wie vor von einer gewissen Zähigkeit und Monotonie flankiert, die nicht jedem schmecken dürfte. Fans von Dungeon-Crawlern alter Schule mit einem Faible fürs Bizarre werden jedoch gut unterhalten.

Pro

erweiterter Umfang
unverbrauchtes Szenario
aufrüstbarer Kampfanzug
variable Spielergesinnung
interessante Scan-Funktionen
motivierende Dämonenfusionen

Kontra

mäßige Story und Charaktere
zäher und monotoner Spielverlauf
stummer, austauschbarer Protagonist
keine deutsche Lokalisierung

Wertung

3DS

Erweiterter Dungeon-Crawler alter Schule, der trotz Abstrichen auch heute noch zu motivieren weiß.

Echtgeldtransaktionen

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