Bravely Default06.12.2013, Jens Bischoff
Bravely Default

Im Test:

Das vor einem Jahr in Japan erschienene 3DS-Rollenspiel der Silicon Studios (u.a. 3D Dot Game Heroes) kommt dank einer Kooperation zwischen Square Enix und Nintendo gleich in erweiterter Form auf den hiesigen Markt. Und das nur einen Tag nach dem japanischen Re-Release sowie Monate vor dem US-Start. Ob Bravely Default (ab 44,99€ bei kaufen) neben der zeitlich ungewohnten Vorzugsbehandlung auch inhaltlich positiv überrascht, klärt der Test.

Gestärkt ins Verderben

Gegenüber dem in Japan mit "Flying Fairy" untertitelten Original bringt die dort mit dem Zusatz "For the Sequel" versehene Neuveröffentlichung ein paar entscheidende Verbesserungen mit sich, in deren Genuss man hierzulande gleich von Beginn an kommt: Allen voran die Möglichkeit, die Häufigkeit der Zufallskämpfe zu regulieren und deren Ablauf zu beschleunigen. Vielen Dank dafür! Aber auch Interface, Darstellung und Speicherangebot wurden verfeinert. Wer die Demo gespielt hat, kann sogar einige Fortschritte übernehmen und Boni kassieren.

Nichtsdestotrotz beginnt das Spiel mit einem furchtbaren Desaster: Nahe dem verschlafenen Dorf Norende bricht eines Tages die Erde auf und reißt alle Häuser und Einwohner in die Tiefe. Einzig Schafhirte Tiz Arrior überlebt die Katastrophe knapp, muss aber mit ansehen wie ihm alles andere genommen wird. Doch auch andernorts spielt die Natur verrückt: Vulkanische Aktivitäten nehmen zu, Gewässer verwandeln sich in giftige Kloaken, Energie spendende Winde verstummen.

Zumindest Letzterem will die Vestalin des Windkristalls Agnès Oblige mit aller Kraft entgegenwirken. Zur gleichen Zeit erhält Großmarschalltochter Edea Lee den Auftrag, die Kristallpriesterin aufzuhalten, während der unter Amnesie leidende Schürzenjäger Ringabel unter seinen Habseligkeiten ein Tagebuch entdeckt, das die Zukunft vorauszusagen scheint.

Als Tiz am Hof von Caldisla zu sich kommt, besitzt er nur noch die Kleider am eigenen Leib.
Als Tiz am Hof von Caldisla zu sich kommt, besitzt er nur noch die Kleider am eigenen Leib.
Es dauert nicht lang und die Wege der vier kreuzen sich, wie in Ringabels Buch beschrieben. Fasziniert und schockiert zugleich begibt sich das ungleiche Quartett auf eine gemeinsame Entdeckungsreise epischen Ausmaßes, deren Ausgang aber auch das abrupt endende Tagebuch nicht verrät.

Tiefe Einblicke

Als Spieler kann man trotzdem darin schmökern und selbst einen Blick in die vermeintliche Zukunft werfen. Darüber hinaus enthalten die Seiten auch Erklärungen zu wichtigen Orten, Personen und Begriffen, die sich zusammen mit anderen enthaltenen Notizen automatisch aktualisieren und so ein immer umfassenderes Lexikon bilden. Über spezielle AR-Karten, die man via Collector's Edition oder offizieller Website erhält, kann man sogar spezielle Augmented-Reality-Momente mit den einzelnen Gruppenmitgliedern erleben.

Agnès ruft den Spieler anfangs sogar über die 3DS-Kamera spektakulär zur Hilfe. Nach dem imposanten Auftakt fährt die Inszenierung aber deutlich zurück und beschränkt sich fortan fast ausschließlich auf vergleichsweise schlichte Dialoge vor starrer Kulisse. Die malerischen Schauplätze sind zwar durchaus ansehnlich, aber trotz origineller Blickwinkel und atmosphärischer Klänge eher mickrig.

Nach dem eindrucksvollen Auftakt, schalten Dramaturgie und Inszenierung deutlich zurück.
Nach dem eindrucksvollen Auftakt schalten Dramaturgie und Inszenierung deutlich zurück.
Auch die meist sehr kompakt gehaltenen Dungeons und vom Zufall bestimmten Feindkontakte wirken wenig zeitgemäß.

Immerhin lässt sich die Häufigkeit der Kämpfe auch ohne den Einsatz spezieller Gegenstände frei regulieren. Wer will, kann die Zufallsbegegnungen sogar komplett deaktivieren. Aufgrund des sehr grindlastigen Spielverlaufs macht das allerdings nur in Ausnahmesituationen Sinn, wenn man z. B. etwas in Ruhe erkunden will oder die Ressourcen knapp zu werden drohen. Für Phasen, in denen man dringend mehr Geld oder Erfahrung benötigt, kann man die Frequenz aber auch anheben, um alle paar Schritte Beutemöglichkeiten zu erhalten. Kämpfe mit bestimmten Feinden zu meiden oder zu forcieren ist im Gegensatz zu aktuelleren Ansätzen mit sichtbar umherziehenden Gegnern aber nicht möglich.

Gefällige Mischung

Die rundenbasierten Kämpfe bieten ein originelles Aktionsmanagement.
Die rundenbasierten Kämpfe bieten ein originelles Aktionsmanagement.
Auch die Auseinandersetzungen an sich setzen auf eine Mischung aus klassischen und modernen Elementen. Auf den ersten Blick werden traditionelle Rundenkämpfe mit typischen Aktionsmöglichkeiten wie dem Einsatz von Waffen, Spezialfertigkeiten und Verbrauchsgegenständen bestritten. Darüber hinaus kann man mit den Titel gebenden Kommandos "Brave" und "Default" aber auch Risiken eingehen, in dem man Bonuspunkte für zusätzliche Aktionen anspart (Default) bzw. verbrät (Brave). So weit, so unspektakulär.

Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, im Voraus Bonuspunkte einzusetzen, wonach man allerdings so lange handlungsunfähig bleibt, bis die vorgeschossenen Punkte ausgeglichen wurden. Ein riskantes, aber auch chancenreiches Unterfangen, das einem eine Menge Ärger ersparen, aber auch kräftig ins Auge gehen kann. Wenn das Timing stimmt, lassen sich ganze Heerscharen ohne Gegenwehr eliminieren. Verzettelt man sich hingegen, muss man tatenlos zusehen, wie die eigene Gruppe gnadenlos aufgerieben wird.

Ein Ass hat man allerdings stets im Ärmel: Die so genannte "Bravely Second" (heldenhafte Sekunde). Mit ihr kann man das Kampfgeschehen jederzeit pausieren und mit speziellen Münzen sofort wirksame Gegenaktionen initiieren. Allerdings ist die Münzanzahl auf maximal drei Stück begrenzt und Nachschub gibt's nur alle acht Stunden im Standby-Modus.

In kritischen Situationen kann man die Zeit anhalten und heldenhaft intervenieren.
In kritischen Situationen kann man die Zeit anhalten und heldenhaft intervenieren.
Wer nicht warten will, kann aber auch echtes Geld springen lassen, um früher Münznachschub zu erhalten. Die Nutzung solcher Mikrotransaktionen ist zwar optional, hinterlässt aber einen faden Beigeschmack.

Hand in Hand

Viel löblicher ist da die Möglichkeit die Unterstützung von Freunden in Anspruch zu nehmen. Die müssen dazu nicht einmal online sein. Sobald sie registriert sind, kann man jeden von ihnen einmal täglich um Hilfe bitten oder sich dauerhaft mit ihnen verbinden. Die tägliche Hilfe ist das Auslösen zuvor gesendeter Aktionen, die man seinerseits ebenfalls Freunden zukommen lassen, in ihrer Effektivität steigern und sogar kommentieren kann. Beim dauerhaften Verbinden erhält man hingegen Zugriff auf Fertigkeiten, die der entsprechende Freund bereits besitzt, man selbst aber noch nicht.

So kann man sich sogar miteinander absprechen, um sich beim Aufleveln der insgesamt zwei Dutzend verfügbaren Jobklassen bestmöglich zu ergänzen. Man kann sich sogar gegenseitig Monster für lukrative Bonuskämpfe zuschicken. Direkte Teameinsätze sind allerdings nicht möglich. Doch selbst wer keine anderen Bravely-Default-Spieler kennt, muss nicht auf freundschaftliche Unterstützung verzichten.

Auch echte und virtuelle Freunde können zu Hilfe gerufen werden.
Auch echte und virtuelle Freunde können zu Hilfe gerufen werden.
Im Verlauf des Abenteuers lernt man auch KI-Freunde kennen, die regelmäßig Hilfsaktionen senden und bereitwillig ihre Joblevels mit einem teilen.

Und selbst ohne diese Kooperationen bietet das von Final Fantasy inspirierte Klassensystem viele taktische Möglichkeiten. So kann jeder Charakter sämtliche Professionen wie Ninja, Schwarzmagier, Mönch oder Beschwörer erlernen, sie individuell verbessern und je nach Situation beliebig zwischen ihnen wechseln. Klassenspezifische Spezialattacken können sogar individuell angepasst, diverse Aktionen persönlich kommentiert werden. Neben der Hauptklasse lässt sich auch eine Nebenklasse festlegen, deren bereits erworbene Aktiv-Fähigkeiten man auch weiterhin anwenden kann. Der Platz für Passiv-Fähigkeiten ist hingegen begrenzt, erlaubt dafür aber eine völlig freie Zusammenstellung aller bisher angeeigneten Talente.

Licht und Schatten

Nicht nur die Charakterfertigkeiten, auch die Spezialaktionen lassen sich individuell anpassen.
Nicht nur die Charakterfertigkeiten, auch die Spezialaktionen lassen sich individuell anpassen.
Aber nicht nur das Jobsystem erinnert an Squares langjährige Rollenspielsaga, auch bei Outfits, Zaubern sowie dem Charakterdesign entdecken Veteranen viel Vertrautes. Letzteres wirkt allerdings trotz charmanter Darstellung à la The 4 Heroes of Light sehr schablonenhaft. Auch die Dialoge bleiben meist oberflächlich, obwohl es an der deutschen Übersetzung an sich nichts auszusetzen gibt und die wahlweise englischen oder japanischen Synchronsprecher sehr gute Arbeit leisten. Schade nur, dass die optionalen Gruppenplaudereien im Stil der Tales-of-Serie völlig stumm verlaufen und die Untertitel in 3D-Szenen nicht immer optimal mitlesbar sind.

Ansonsten macht die zuschaltbare Tiefenwirkung aber eine gute Figur und wird bei reiner Textdarstellung zur besseren Lesbarkeit sogar automatisch deaktiviert. Lob verdient auch die Steuerung, die sowohl Tasten- als auch Touchbedienung unterstützt und sich dank intelligenter Steuerkreuznutzung fast komplett einhändig bewerkstelligen lässt, was bestimmt nicht nur Spielern mit körperlichem Handicap gefallen dürfte.

Schön ist auch, dass man jederzeit den Schwierigkeitsgrad anpassen, das Tempo der Kampfdarstellung regulieren sowie vorherige Aktionsfolgen automatisch wiederholen lassen kann, um Grindpassagen erträglicher zu machen.

Ortswechsel erfolgen ganz klassisch via frei bereisbarer Weltkarte.
Ortswechsel erfolgen ganz klassisch via frei bereisbarer Weltkarte.
Auch die Spielstandsicherung lässt sich automatisieren, wodurch man seine Fortschritte nicht nur an bestimmten Speicher-NPCs oder auf der Weltkarte, sondern auch bei jedem Orts- und Stockwerkswechsel festhalten lassen kann. Im Gegensatz zur Urfassung stehen dafür nun sogar drei Speicherbänke zur Verfügung.

Immer unterwegs

Dungeonkarten werden ebenfalls automatisch mitgezeichnet, wichtige Dinge bildlich festgehalten. Zur besseren Orientierung kann man sich auch Wegweiser zu aktuellen Haupt- und Nebenzielen anzeigen lassen. Die Spielwelt bereist man ganz klassisch über eine große zusammenhängende Landkarte - sowohl zu Land, zu Wasser als auch in der Luft. Unterwegs wechseln sich Tag und Nacht dynamisch ab, was nicht nur optisches Gimmick ist, sondern auch unterschiedliche Gegner und Ereignisse auf den Plan ruft.

Abenteuer abseits des Hauptplots sind ebenfalls an Bord. Wer fleißig Ausschau hält, entdeckt nicht nur Geheimgänge und versteckte Schätze, sondern auch zusätzliche Orte, Gegner, Nebenhandlungen und Jobklassen, die oft wiederum ihrerseits neue Aufgaben und Herausforderungen bereithalten.

Tiz' zerstörtes Heimatdorf Norende kann Schritt für Schritt wieder aufgebaut werden.
Tiz' zerstörtes Heimatdorf Norende kann Schritt für Schritt wieder aufgebaut werden.
Darüber hinaus gibt es auch Belohungen für das erfolgreiche Absolvieren Spiel begleitender Tutorials oder den Wiederaufbau von Tiz' Heimatdorf Norende, das man ähnlich wie in Dark Cloud & Co erst wieder erschließen und mit neuen Geschäften zum Leben erwecken muss.

Registrierte Freunde oder per StreetPass getroffene Spieler beschleunigen den Wiederaufbau und je nachdem welche Ladenbesitzer man unterstützt, ändert sich auch das generelle Warensortiment und man erhält sporadisch Gegengeschenke. Der Spielverlauf ist trotzdem oft sehr zäh, auch wenn sich mit der Hilfe anderer Spieler oder durch Herabsetzen des Schwierigkeitsgrads so manches beschleunigen lässt. Trotzdem gibt es viel zehrendes Hin-und-her-Gerenne, sich wiederholende Inhalte sowie unausweichliches Level-Grinding. Doch egal wie man spielt, Bravely Default bietet auch abseits dieser Mühen tolle traditionelle Rollenspielunterhaltung für sehr, sehr viele kalte Winterabende.

Fazit

Mit Bravely Default bescheren einem die Macher von 3D Dot Game Heroes ein charmantes Rollenspielvergnügen, das alte Traditionen mit modernen Errungenschaften gekonnt verknüpft. Manche Bausteine wie Mikrotransaktionen für Ungeduldige wirken zwar eher deplatziert, die meiste Zeit geht die Symbiose aus Zufallskämpfen und freier Spielanpassung, Rundentaktik und Zeitmanipulation oder Soloabenteuer sowie kooperativer Vernetzung aber bestens auf. Vor allem die vielen Freiheiten und Facetten des von Final Fantasy inspirierten Klassensystems wissen zu gefallen - und das ohne die ärgerlichen Einschränkungen des Quasi-Vorgängers The 4 Heroes of Light. Einzig der mitunter recht zähe Spielverlauf und die schablonenhaften Charaktere trüben die Abenteurerfreude. Auch bei der Inszenierung hat man nach dem grandiosen Auftakt einiges an Potenzial liegen lassen. Nichtsdestotrotz werden Genrefans gut und lange unterhalten - vor allem, wenn sie auf klassische Rollenspieltugenden stehen.

Pro

üppiges Klassenangebot
individuell kombinierbare Fertigkeiten
originelles Aktionsmanagement
frei regulierbare Kampfhäufigkeit
Spiel begleitender Dorfaufbau
Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Spielern
viele praktische Nachschlagewerke
dynamischer Tag-/Nachtwechsel
umfangreiche englische & japanische Vertonung
komfortable Speicherfunktion
variabler Schwierigkeitsgrad
Spieldaten aus Demo importierbar
nahezu komplett einhändig spielbar
eingebaute AR-Funktionalität

Kontra

schablonenhaftes Charakterdesign
mitunter sehr zäher Spielverlauf
vorwiegend kompaktes Leveldesign
weitestgehend unspektakuläre Inszenierung
fragwürdige Mikrotransaktionen

Wertung

3DS

Charmanter, wenn auch manchmal etwas zäher Rollenspielspagat zwischen Klassik und Moderne.

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