Etrian Odyssey 5: Beyond The Myth10.11.2017, Jörg Luibl
Etrian Odyssey 5: Beyond The Myth

Im Test: Partykombomonster

Seit fast zehn Jahren sorgt Etrian Odyssey mit seiner aktiven Kartographie, rundenbasierten Gefechten und dem Party-Management für exklusive Unterhaltung auf Nintendos Handhelds. Was 2008 auf dem DS begann und dort drei mal fortgesetzt wurde, konnte 2013 mit dem vierten Teil auf dem 3DS unser Gold erobern. Und man musste lange auf den fünften Teil warten, denn zunächst wurden Ableger oder Remakes veröffentlicht. Wie schlägt sich Etrian Odyssey 5: Beyond the Myth (ab 199,99€ bei kaufen)?

Und ewig ruft der Weltenbaum

Meine Güte ist das langweilig! Ich spiele jetzt seit 2008 dieses Etrian Odyssey, habe 2013 noch den vierten Teil ausgezeichnet, aber spätestens in diesem fünften Teil ödet mich der Einstieg mit den immer gleichen Abläufen an. Schon wieder lockt das unerforschte Baumlabyrinth Yggdrasil irgendwelche Abenteurer aus fernen Ländern herbei, die sich in einer bunten Stadt als Gilde registrieren müssen, in der man von Fahrstuhlmusik begleitet und von kichernden Kulleraugenladys bedient wird. Diese ersten Szenen wirken für einen Serienkenner gerade nach den letzten Veröffentlichungen von Ableger und Remake wie ein schales Déjà-vu. Hallo Atlus, woran habt ihr denn vier Jahre gearbeitet? Natürlich kann und soll man die etablierte Spielmechanik nicht über den Haufen werfen! Aber ich habe erwartet, dass man mutiger von der bekannten Formel abweicht - wenn schon nicht vom putzigen Artdesign dann wenigstens hinsichtlich der Regie.

Das aktive Kartografieren der Labyrinthe zeichnet die Serie seit 2008 aus.
Das Problem ist, dass sich dieses Fantasy-Rollenspiel nach dieser langen Wartezeit einfach viel zu vertraut anfühlt. Inn, Shop, Bar, Guild, Council? Kennt man alles. Die erste Quest? Richtig, die erste von sechs Etagen des Labyrinths kartographieren, damit man weitere Aufgaben annehmen kann - so wie immer. Auch Präsentation, Figuren sowie Partyinteraktion ernüchtern zunächst, schließlich hatte Atlus in Etrian Odyssey Untold: The Millennium Girl oder Etrian Odyssey 2 Untold: The Fafnir Knight entweder mit ausgezeichneten Anime-Sequenzen, interessanten Nebencharakteren oder dynamischen Dialogen und Konflikten gepunktet. Schade auch, dass das Spiel erneut nur auf Englisch erscheint. Das klingt bis hierher vielleicht nach einem Verriss, aber dieser Dungeon-Crawler wehrt sich dagegen mit scharfen spielmechanischen Krallen, die vor allem Veteranen schätzen werden.

Komplexe Charaktererschaffung

Etrian Odyssey 5: Beyond the Myth hat es hinsichtlich Anspruch, Taktik und Party-Management dermaßen in sich, dass man

Was putzig aussieht, kann lebensgefährlich austeilen: Der Schwierigkeitsgrad hat es in sich; Einsteiger können jederzeit eine Stufe runterschalten.
irgendwann aus dem Tüfteln und Experimentieren gar nicht mehr heraus kommt. In der komplexesten Charaktererstellung der Seriengeschichte bekommt man schon einen Eindruck davon. Und damit meine ich nicht die für mich überflüssigen kosmetischen Fummeleien von den Haaren bis zur Rüstung inklusive riesiger Farbpalette, Stimmauswahl & Co, sondern die vielfältigen Wege, die ein Held hier in seiner Karriere beschreiten kann. Zu Beginn darf man bis zu dreißig Figuren erstellen, von denen fünf in der aktiven Gruppe ihren Platz finden.

Man kann aus vier Rassen für seine Party wählen, die nicht nur deutliche Unterschiede in den acht Attributen wie Stärke, Intelligenz oder Lebenskraft aufweisen, sondern auch über zwanzig (!) exklusive Fähigkeiten besitzen, die in fünf Stufen bis Level 20 freigeschaltet werden: Nur die elfenartigen Celestrians haben z.B. Nachtsicht, können Verzauberungen zurückwerfen oder magische Kettenreaktionen auslösen. Nur die kleinen Brounis beschleunigen die Gruppe, verlängern Buffs und können ab Level 15 mit "Hygieia's Bowl" die komplette Gruppe heilen und Tote auferstehen lassen. All das sollte man perspektivisch berücksichtigen. Aber das ist auch noch längst nicht alles, denn man managt quasi zwei Fähigkeitenbäume parallel - für Rasse und Klasse.

Die ideale Gruppe

Hinzu kommen ja die offenen Fähigkeitenbäume der zehn Klassen, in denen es um Waffen, Erkundung, Kampftaktik, Magie, Heilung sowie die Ernte oder Jagd geht, wobei diese zunächst an ein Volk gebunden sind. Sprich: Nur ein humanoider Earthling darf Fencer (Fechter), Dragoon (Dragoner), Pugilist (Boxer) oder Harbinger (Sensenmagier) sein; nur ein elfischer Celestrian ein Warlock oder Necromancer; nur ein hasenartiger Therian Rover (Vagabund) oder Masurao (Ronin); nur ein hobbitähnlicher Brouni ein Shaman oder Botanist. Erst nachdem man das erste Dungeon kartografiert hat, stehen einem für alle Rassen auch alle Klassen zur Verfügung, so dass man später frei wechseln kann - die Kombinationsmöglichkeiten und die daraus resultierenden taktischen Optionen für die Gruppenzusammenstellung sind enorm.

Auch Tiere wie der Falke können beschworen und zum Kampf eingesetzt werden.
Wer soll bloß vorne in der ersten und hinten in der zweiten Reihe stehen? Immerhin liefern die Beschreibungen der Klassen wichtige Hinweise für Einsteiger wie "Frontline offense" oder "Backline healer", was deren ideale Position sowie die Rolle betrifft. Aber es sind gerade die hybriden Klassen wie u.a. der Necromancer oder der Vagabund, die mit ihren Beschwörungen z.B. weitere Gefährten wie Hunde oder Falken als sechste Figur hinzu holen, die wiederum heilende, bindende oder stärkende Wirkung zeigen können. Noch mehr als in den bisherigen Spielen wird man um flexible Wechsel und multiple Gruppen nicht herumkommen. Sprich: Je nach Quest sollte man spätestens ab der zweiten Etage des Laybyrinths mit einer anderen Zusammensetzung unterwegs sein, um effizienter zu ernten oder zu kämpfen - natürlich auch, damit die Ersatzleute an Erfahrung gewinnen und aufsteigen.

Anspruchsvoller Einstieg

Ich habe mit folgender Gruppe angefangen: Vorne ein mit dem Katana unheimlich schlagfertiger Masurao, dazu ein vielfältiger Harbinger, der mit seiner Sense auch ganze Reihen trifft und mit seinem Miasma die Feinde schwächt. Hinten ein Dragoon als

Der Einstieg ist für Kenner der Serie sehr langweilig - alle Abläufe hat man schon zig mal hinter sich gebracht.
sichernder und starker Paladin, dazu ein Vagabund als Fernkämpfer und Beschwörer von Tieren sowie ein Warlock als offensiver Magier, der mit Feuer, Eis und Blitz austeilen kann. Das klang vielversprechend, aber ich hatte schon bei der Erkundung des ersten Labyrinthes nach der ersten Begegnung mit "putzigen" Monstern zwei Tote durch One-Hit-Kills zu beklagen - autsch! Zwei Schwierigkeitsgrade für Einsteiger sowie Kenner der Serie stehen zur Verfügung, wobei Ersterer im Todesfall der ganzen Gruppe lediglich einen erneuten Kampfversuch erlaubt.

Der Anspruch ist von Beginn an happig, so dass die rechtzeitige Flucht tatsächlich zur Taktik gehören sollte, bevor die komplette Gruppe aufgerieben ist und es Game Over heißt. Heiltränke sind zunächst teuer, Wiederbelebungen nicht sofort möglich und deshalb sollte man seine Gruppe in der Taverne übernachten lassen, damit die Toten wieder fit auferstehen - auch das kostet immer etwas Geld. Wer lange im Labyrinth unterwegs ist, sollte unabhängig von einer aktiven Heilerklasse wie dem Schamanen vor allem auf die indirekten heilenden Fähigkeiten achten: Menschen können z.B. das "Blessing" erlernen, das alle Helden nach einer Runde etwas heilt; wenn man das kombiniert mit der "Animal Therapy" des Vagabunden, das bei der Anwesenheit eines Tieres ebenfalls auf diese Art heilt, kann das sehr nützlich sein!

Dungeon-Crawler mit Suchtgefahr

Hat man dieses Zusammenhänge erstmal verinnerlicht und die erste Etage sowie ihre Quests gemeistert, entsteht die für die Serie typische Sogwirkung. Denn auch ohne Partyinteraktion oder Dialoge wachsen einem die Helden natürlich ans Herz, weil sie sich stets entwickeln und weitere Kniffe sowie tolle Kombos drauf haben. Man lernt die Widerstände der Monster zu berücksichtigen und selbst mit Blindheit, Paralyse & Co auszuteilen, um gezielt die Bewegung oder Schläge eines Feindes zumindest für ein paar Runden einzufrieren. Und wenn man den Boss der zweiten Etage besiegt, kommen ja noch die Meisterklassen hinzu - das Tüfteln innerhalb der Heldenkarrieren nimmt also kein Ende. Während der Erkundung kann man auf alle bekannten Komfortfunktionen wie automatische Kämpfe oder Märsche ("Auto-Walk") bei Routinequests sowie noch mehr Symbole und eine etwas elegantere Benutzeroberfläche zum Kartographieren zurückgreifen.

Es lohnt sich, mit den Fähigkeiten der Klassen zu experimentieren.
Obwohl es erneut viel Holen und Bringen sowie Suchen und Vernichten als Aufgaben gibt, wird man innerhalb der Labyrinthe immer wieder überrascht. Denn es gibt nicht nur die bekannten Schleichwege oder verschlossene Türen, für die man erstmal Schlüssel finden muss, sondern neue Ereignisse mit Entscheidungen, die an Pen&Paper-Situationen erinnern. Das fängt alles harmlos an: Soll man vor einer sumpfigen Stelle den Ast einsetzen, um den Boden zu überprüfen oder geht man direkt durch? Greift man nach der Kupfermünze, obwohl die Schildkröte sie zu beschützen scheint? Soll man die roten Beeren essen - und wenn ja, welches Gruppenmitglied?

Manchmal hat man bis zu drei Antworten und muss dann mit den Konsequenzen leben. Schön ist, dass alle Helden hier Erfahrung gewinnen und dass die Situationen mit jeder Etage etwas brisanter werden. Das kann den Wegfall von vorgefertigten Charakteren mit Biografien und Konflikten in der Party zwar nicht kompensieren, aber sorgt für zusätzliches Abenteuerflair, das mir als Rollenspieler alter Schule gut gefallen hat.

Gruppenmanöver und Monsterdaten

Zu den taktischen Neuerungen gehören neben zig zusätzlichen Attacken, Zaubern und Beschwörungen auch die multiplen Gruppenaktionen, die nicht nur offensiv ausfallen: Ist die entsprechende Leiste aufgeladen, kann man auch zu zweit, zu dritt

Neuerdings kann man kollektive Aktionen über "Union" ausführen: zwei, drei oder vier Helden beteiligen sich daran.
oder zu viert diverse kollektive Manöver ausführen - vom Doppelschlag auf einen Gegner über die Regeneration von Mana bis hin zu Flucht zum Ausgang. Gerade letzteres Manöver ist unheimlich nützlich, wenn man sich und seine Gruppe mal wieder überschätzt hat, mit drei Toten in den Seilen hängt und auf dem Rückweg von einem Monster überrascht wird. Wer diese Möglichkeiten ausschöpft, wird auch schneller in einen Spielfluss ohne all zu viel Game Over kommen. Trotzdem steigt der Anspruch mit jedem Aufstieg in höhere Ebenen von Yggdrasil.

Sechs Etagen gilt es zu meistern, wobei man auf ein riesiges Kompendium an über 100 Kreaturen von tierähnlichen Bestien,  käfer- und wurmartigen Wesen bis hin zu Höllenhunden, Golems und Zombiedrachen trifft, von denen die speziell markierten und meist über die Karte wandernden Minibosse (FOE, Field of Enemy), die man bei Erstkontakt möglichst meiden sollte, sowie die echten Bosse natürlich zu den gefährlichsten gehören. In diesen Gefechten zeigt sich dann, wie gut man die Konter und Kombos, Buffs und Debuffs verinnerlicht hat. Sammler und Perfektionisten freuen sich wie immer über die zu Beginn leere Datenbank, die man aktiv füllen muss, indem man die Wesen und Pflanzen der Welt erkundet - so bekommt man nicht nur Hinweise zu Stärken und Schwächen oder Zutaten, sondern wird auch vom Stadtrat als Forscher belohnt. Das Verkaufen von Beute hat zudem den Vorteil, dass man damit beim Händler wie gehabt bessere Waffen, Rüstungen sowie Tränke und Artefakte freischaltet.

Fazit

Ich hatte nach der langen Wartezeit auf ein Abenteuer gehofft, das Etrian Odyssey auf eine neue Stufe hebt. Aber dieser fünfte Teil fühlt sich eher wie eine Erweiterung an. Zwar gibt es sinnvolle Verbesserungen en detail, außerdem sorgt das duale System von Rasse- und Klassefähigkeiten für zig Kombinationen, so dass die Partytüftelei richtig gut unterhält. Aber weder die Story noch die Spielmechanik oder die Präsentation bieten genug frische Impulse - besonders der ewig gleiche Einstieg ist öde, es gibt keine Interaktion oder Konflikte in der Gruppe wie noch in einigen Ablegern bzw. Remakes. Dafür hat es Etrian Odyssey 5: Beyond the Myth hinsichtlich Anspruch, Taktik und Management dermaßen in sich, dass man irgendwann aus dem Grübeln und Experimentieren gar nicht mehr heraus kommt. Der Kern aus aktiver Kartographie und Rundenkämpfen mit tollen Kombos ist immer noch ein richtig guter, zudem erlebt man die komplexeste Charaktererstellung der Seriengeschichte. Aber ich sehe bis auf die neuen Ereignisse mit Entscheidungen, die zumindest für etwas Pen&Paper-Flair sorgen, zu wenig Fortschritte hinsichtlich Regie, Taktik sowie Erkundung, um wieder so begeistert zu sein wie anno 2013. Es wird vielleicht auch mal Zeit, dass sich Etrian Odyssey beim Artdesign etwas einfallen lässt: Statt der bunten Fantasy mit Kulleraugen könnte ich mehr ein etwas düsteres und erwachseneres Szenario vorstellen. Es muss ja nicht gleich Horror à la Bloodborne sein, aber zumindest ein Stilwechsel. Noch wichtiger wäre es, das Dungeon-Prinzip auf eine neue technische und spielmechanische Ebene zu bringen. Nach fast einem Jahrzehnt muss sich Etrian Odyssey mit seiner immer noch starken Sogwirkung ja nicht komplett neu erfinden, aber kreativer entwickeln. Vielleicht geschieht das ja mit dem Systemwechsel auf Switch.

Pro

fodernde Rundenkämpfe
taktisches Party-Management
Rassen und Klassen mit eigenem Fähigkeitenbaum
tolle Kombinationen im Kampf möglich
neue Situationen mit Entscheidungen
aktives Kartographiesystem mit komfortablen Funktionen
vertrackte Dungeons, knackige Bosse
schöne Monster- & Item-Bibliographie
zwei Schwierigkeitsgrade

Kontra

öder Einstieg
schwache Story
viel zu viele bekannte Abläufe
keine Partyinteraktion oder Konflikte
repetitiver Spielablauf (Grind)
teilweise kitschiges Artdesign
nur englische Texte

Wertung

3DS

Schwache Story, öder Einstieg, viele bekannte Routinen statt Überraschungen: Aber die komplexe Charaktererstellung, das flexible Partymanagement und die anspruchsvolle Rundentaktik sorgen für richtig gute Unterhaltung.

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