Im Test: Partykombomonster
Und ewig ruft der Weltenbaum
Meine Güte ist das langweilig! Ich spiele jetzt seit 2008 dieses Etrian Odyssey, habe 2013 noch den vierten Teil ausgezeichnet, aber spätestens in diesem fünften Teil ödet mich der Einstieg mit den immer gleichen Abläufen an. Schon wieder lockt das unerforschte Baumlabyrinth Yggdrasil irgendwelche Abenteurer aus fernen Ländern herbei, die sich in einer bunten Stadt als Gilde registrieren müssen, in der man von Fahrstuhlmusik begleitet und von kichernden Kulleraugenladys bedient wird. Diese ersten Szenen wirken für einen Serienkenner gerade nach den letzten Veröffentlichungen von Ableger und Remake wie ein schales Déjà-vu. Hallo Atlus, woran habt ihr denn vier Jahre gearbeitet? Natürlich kann und soll man die etablierte Spielmechanik nicht über den Haufen werfen! Aber ich habe erwartet, dass man mutiger von der bekannten Formel abweicht - wenn schon nicht vom putzigen Artdesign dann wenigstens hinsichtlich der Regie.
Komplexe Charaktererschaffung
Etrian Odyssey 5: Beyond the Myth hat es hinsichtlich Anspruch, Taktik und Party-Management dermaßen in sich, dass man
Man kann aus vier Rassen für seine Party wählen, die nicht nur deutliche Unterschiede in den acht Attributen wie Stärke, Intelligenz oder Lebenskraft aufweisen, sondern auch über zwanzig (!) exklusive Fähigkeiten besitzen, die in fünf Stufen bis Level 20 freigeschaltet werden: Nur die elfenartigen Celestrians haben z.B. Nachtsicht, können Verzauberungen zurückwerfen oder magische Kettenreaktionen auslösen. Nur die kleinen Brounis beschleunigen die Gruppe, verlängern Buffs und können ab Level 15 mit "Hygieia's Bowl" die komplette Gruppe heilen und Tote auferstehen lassen. All das sollte man perspektivisch berücksichtigen. Aber das ist auch noch längst nicht alles, denn man managt quasi zwei Fähigkeitenbäume parallel - für Rasse und Klasse.
Die ideale Gruppe
Hinzu kommen ja die offenen Fähigkeitenbäume der zehn Klassen, in denen es um Waffen, Erkundung, Kampftaktik, Magie, Heilung sowie die Ernte oder Jagd geht, wobei diese zunächst an ein Volk gebunden sind. Sprich: Nur ein humanoider Earthling darf Fencer (Fechter), Dragoon (Dragoner), Pugilist (Boxer) oder Harbinger (Sensenmagier) sein; nur ein elfischer Celestrian ein Warlock oder Necromancer; nur ein hasenartiger Therian Rover (Vagabund) oder Masurao (Ronin); nur ein hobbitähnlicher Brouni ein Shaman oder Botanist. Erst nachdem man das erste Dungeon kartografiert hat, stehen einem für alle Rassen auch alle Klassen zur Verfügung, so dass man später frei wechseln kann - die Kombinationsmöglichkeiten und die daraus resultierenden taktischen Optionen für die Gruppenzusammenstellung sind enorm.
Anspruchsvoller Einstieg
Ich habe mit folgender Gruppe angefangen: Vorne ein mit dem Katana unheimlich schlagfertiger Masurao, dazu ein vielfältiger Harbinger, der mit seiner Sense auch ganze Reihen trifft und mit seinem Miasma die Feinde schwächt. Hinten ein Dragoon als
Der Anspruch ist von Beginn an happig, so dass die rechtzeitige Flucht tatsächlich zur Taktik gehören sollte, bevor die komplette Gruppe aufgerieben ist und es Game Over heißt. Heiltränke sind zunächst teuer, Wiederbelebungen nicht sofort möglich und deshalb sollte man seine Gruppe in der Taverne übernachten lassen, damit die Toten wieder fit auferstehen - auch das kostet immer etwas Geld. Wer lange im Labyrinth unterwegs ist, sollte unabhängig von einer aktiven Heilerklasse wie dem Schamanen vor allem auf die indirekten heilenden Fähigkeiten achten: Menschen können z.B. das "Blessing" erlernen, das alle Helden nach einer Runde etwas heilt; wenn man das kombiniert mit der "Animal Therapy" des Vagabunden, das bei der Anwesenheit eines Tieres ebenfalls auf diese Art heilt, kann das sehr nützlich sein!
Dungeon-Crawler mit Suchtgefahr
Hat man dieses Zusammenhänge erstmal verinnerlicht und die erste Etage sowie ihre Quests gemeistert, entsteht die für die Serie typische Sogwirkung. Denn auch ohne Partyinteraktion oder Dialoge wachsen einem die Helden natürlich ans Herz, weil sie sich stets entwickeln und weitere Kniffe sowie tolle Kombos drauf haben. Man lernt die Widerstände der Monster zu berücksichtigen und selbst mit Blindheit, Paralyse & Co auszuteilen, um gezielt die Bewegung oder Schläge eines Feindes zumindest für ein paar Runden einzufrieren. Und wenn man den Boss der zweiten Etage besiegt, kommen ja noch die Meisterklassen hinzu - das Tüfteln innerhalb der Heldenkarrieren nimmt also kein Ende. Während der Erkundung kann man auf alle bekannten Komfortfunktionen wie automatische Kämpfe oder Märsche ("Auto-Walk") bei Routinequests sowie noch mehr Symbole und eine etwas elegantere Benutzeroberfläche zum Kartographieren zurückgreifen.
Manchmal hat man bis zu drei Antworten und muss dann mit den Konsequenzen leben. Schön ist, dass alle Helden hier Erfahrung gewinnen und dass die Situationen mit jeder Etage etwas brisanter werden. Das kann den Wegfall von vorgefertigten Charakteren mit Biografien und Konflikten in der Party zwar nicht kompensieren, aber sorgt für zusätzliches Abenteuerflair, das mir als Rollenspieler alter Schule gut gefallen hat.
Gruppenmanöver und Monsterdaten
Zu den taktischen Neuerungen gehören neben zig zusätzlichen Attacken, Zaubern und Beschwörungen auch die multiplen Gruppenaktionen, die nicht nur offensiv ausfallen: Ist die entsprechende Leiste aufgeladen, kann man auch zu zweit, zu dritt
Sechs Etagen gilt es zu meistern, wobei man auf ein riesiges Kompendium an über 100 Kreaturen von tierähnlichen Bestien, käfer- und wurmartigen Wesen bis hin zu Höllenhunden, Golems und Zombiedrachen trifft, von denen die speziell markierten und meist über die Karte wandernden Minibosse (FOE, Field of Enemy), die man bei Erstkontakt möglichst meiden sollte, sowie die echten Bosse natürlich zu den gefährlichsten gehören. In diesen Gefechten zeigt sich dann, wie gut man die Konter und Kombos, Buffs und Debuffs verinnerlicht hat. Sammler und Perfektionisten freuen sich wie immer über die zu Beginn leere Datenbank, die man aktiv füllen muss, indem man die Wesen und Pflanzen der Welt erkundet - so bekommt man nicht nur Hinweise zu Stärken und Schwächen oder Zutaten, sondern wird auch vom Stadtrat als Forscher belohnt. Das Verkaufen von Beute hat zudem den Vorteil, dass man damit beim Händler wie gehabt bessere Waffen, Rüstungen sowie Tränke und Artefakte freischaltet.
Fazit
Ich hatte nach der langen Wartezeit auf ein Abenteuer gehofft, das Etrian Odyssey auf eine neue Stufe hebt. Aber dieser fünfte Teil fühlt sich eher wie eine Erweiterung an. Zwar gibt es sinnvolle Verbesserungen en detail, außerdem sorgt das duale System von Rasse- und Klassefähigkeiten für zig Kombinationen, so dass die Partytüftelei richtig gut unterhält. Aber weder die Story noch die Spielmechanik oder die Präsentation bieten genug frische Impulse - besonders der ewig gleiche Einstieg ist öde, es gibt keine Interaktion oder Konflikte in der Gruppe wie noch in einigen Ablegern bzw. Remakes. Dafür hat es Etrian Odyssey 5: Beyond the Myth hinsichtlich Anspruch, Taktik und Management dermaßen in sich, dass man irgendwann aus dem Grübeln und Experimentieren gar nicht mehr heraus kommt. Der Kern aus aktiver Kartographie und Rundenkämpfen mit tollen Kombos ist immer noch ein richtig guter, zudem erlebt man die komplexeste Charaktererstellung der Seriengeschichte. Aber ich sehe bis auf die neuen Ereignisse mit Entscheidungen, die zumindest für etwas Pen&Paper-Flair sorgen, zu wenig Fortschritte hinsichtlich Regie, Taktik sowie Erkundung, um wieder so begeistert zu sein wie anno 2013. Es wird vielleicht auch mal Zeit, dass sich Etrian Odyssey beim Artdesign etwas einfallen lässt: Statt der bunten Fantasy mit Kulleraugen könnte ich mehr ein etwas düsteres und erwachseneres Szenario vorstellen. Es muss ja nicht gleich Horror à la Bloodborne sein, aber zumindest ein Stilwechsel. Noch wichtiger wäre es, das Dungeon-Prinzip auf eine neue technische und spielmechanische Ebene zu bringen. Nach fast einem Jahrzehnt muss sich Etrian Odyssey mit seiner immer noch starken Sogwirkung ja nicht komplett neu erfinden, aber kreativer entwickeln. Vielleicht geschieht das ja mit dem Systemwechsel auf Switch.
Pro
Kontra
Wertung
3DS
Schwache Story, öder Einstieg, viele bekannte Routinen statt Überraschungen: Aber die komplexe Charaktererstellung, das flexible Partymanagement und die anspruchsvolle Rundentaktik sorgen für richtig gute Unterhaltung.
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