Pokémon Sonne & Mond21.11.2016, Alice Wilczynski
Pokémon Sonne & Mond

Im Test: Alles neu macht die Inselwanderschaft?

Bereits seit 20 Jahren rüsten sich Spieler nun mit Pokébällen, Tränken und Attacken, um möglichst viele Taschenmonster zu fangen und der beste Trainer aller Zeiten zu werden. Pokémon Sonne & Mond läutet am 23. November die siebte Generation auf der Insel-Region Alola ein. Im Test verraten wir, was sich am Kampfsystem getan hat, wie vielfältig die neuen Monster sind und ob das Prinzip der Inselwanderschaft aufgeht.

Neue Generation – neues Spielgefühl?

Als ich letztens den Satz hörte „Pokémon ist halt Pokémon, da verändert sich doch nichts“ läuteten bei mir die Alarmglocken. So hat Gamefreak doch gerade mit den zahlreichen Neuerungen in Pokémon X&Y 2013 gezeigt, dass sie voller frischer Ideen stecken und man sich nicht unbedingt auf dem Erfolg des bekannten Prinzips ausruhen muss. Entsprechend hoch sind bei mir seitdem die Erwartungen. Denn nachdem es sich bei Pokémon Omega Rubin und Pokémon Alpha Saphir 2014 „nur“ um ein Remake handelte, darf ich nach drei Jahren endlich in eine komplett neuartige Spielwelt tauchen. Gerade die erste Erkundung der an Hawaii angelegten Inselwelt Alola weiß zu begeistern.

Alola besteht aus vier Inseln, die es auf der Inselwanderschaft zu erkunden gilt.
Als neu hingezogener Trainer begibt man sich von Mele-Mele aus auf Inselwanderschaft. Vorbei an Strohhütten und bauschigen Bäumen erhält man beim Aufnahmeritual des Inselkönigs Hala einen der drei Starter Flammiau, Bauz oder Robball. Im Vergleich zu den Vorgängern werden diesmal wichtige Momente anhand von tollen Zwischensequenzen inszeniert. Wenn mein zuckersüßer Eulen-Starter mir freudig in die Arme springt, oder ich das mysteriöse Pokémon von Charakter Lily auf einer Brücke retten muss, kommt erstmals das Gefühl auf, dass in diesem Pokémon eine echte Geschichte mit interessanten Charakteren auf mich wartet. Auch die Gestaltung der zahlreichen neuen Pokémon ist sehr gelungen. Vom Psycho-Orang Utan „Kommandutan“ über den kuriosen Hybrid „Typ: Null“ bis hin zu den zahlreichen Alola-Formen, die Digdri eine blonde Perücke verpassen, oder Raichu auf ein Surfbrett setzen, staunt man immer wieder über die kreativen Ideen.

Der aufgedrehte Sohn des Inselkönigs und die zahlreichen Nebencharaktere haben alle Eigenarten, die einem schnell ans Herz wachsen. Dadurch interessiert man sich endlich für das, was auf dem Bildschirm passiert. Auch die Beziehung von Trainer zu Taschenmonster wird wie im Anime mehr in den Fokus gerückt. Auch abseits der Zwischensequenzen wird optisch viel geboten, denn die Routen wurden unheimlich abwechslungsreich gestaltet. Man erkundet Häfen, Dschungel, Bauernhöfe, Strände, Höhlen, Friedhöfe, asiatisch angehauchte Gassen, gigantische Hotels und und und. Jede der vier Inseln hat dabei ihren ganz individuellen Charme und man will natürlich möglichst viel zu erkunden. Die bewegliche Kamera bringt zusätzlich Abwechslung in meine Reise und im Kampf steht man als Trainer erstmals hinter seinem Pokémon, was das Mittendrin-Gefühl verstärkt. Man fühlt sich wie in einem echten Rollenspiel mit Inszenierung.

Inselwanderschaft für Amateure

Die wohl größte Neuerung stellt die Inselwanderschaft dar. Anstatt wie bisher in jeder Region gegen den Arena-Leiter anzutreten, stellt man sich den Prüfungen so genannter Captains. Nach der ersten Ankündigung habe ich mir lange ausgemalt, wie diese ablaufen werden und was für Aufgaben ich lösen muss. Mit freudig klopfendem Herz und schwitzigen Fingern trat ich also zur ersten Inselprüfung von Champion Elima auf Mele-Mele an. Endlich etwas komplett Neues in einem Pokémon-Spiel, das wird sicher so ein Spaß, dachte ich mir. Es galt drei Rattfratz aus ihren Höhlen zu locken, indem man sich davor stellt, um sie danach im Kampf zu besiegen. Gegen drei schwache Ratten-Pokémon kämpfen? Ernsthaft? Am Ende jeder Prüfung steht zum Glück noch der Kampf gegen ein spezielles „Herrscher-Pokémon“. In meinem Fall ein Alola-Rattikarl vom Typen Normal/Unlicht, das sich in Z-Energie hüllte und somit Zugang zu einer starken Z-Attacke besaß. Wohl nicht stark genug. Ohne großartig zu überlegen war der Herrscher besiegt und die Prüfung bestanden.

Die Inselprüfungen bestehn leider nur aus simplen Minispielen und zu leichten Kämpfen.

Mit jeder weiteren Prüfung, die ich im Spielverlauf absolvierte, stieg die Ernüchterung. Mal muss man Zutaten suchen, mal ein unendlich einfaches Suchrätsel rund um tanzende Knogga lösen. Jede Prüfung wird zwar in sehr hübscher Kulisse inszeniert und auch die Champions, die einem im Verlauf des Spiels coolerweise immer wieder zur Seite stehen, überzeugen mit lustigen Eigenarten. Leider handelt es sich jedoch bei all den Aufgaben und Kämpfen nur um anspruchslose Gimmicks. Lediglich die Herrscher-Pokémon der späteren Captains, die teilweise heilende Attacken beherrschen, stellten eine schöne Abwechslung dar. Diese schafften es sogar zweimal im Spiel, dass mein gesamtes Team erschöpft wurde, was mich unheimlich freute.

Wo bleibt die Herausforderung?

Um Zugang zur nächsten Insel zu erhalten, muss man die „große Prüfung“ des Insel-Königs bestehen. Während so manche Arena-Leiter der Vorgänger einem ganz schön zusetzen konnten, enttäuscht schon der erste Kampf gegen den noch im Einstieg als so mächtigen Trainer angepriesenen Hala enorm.  Dieser tritt mit nur drei Pokémon an, die anhand ihrer drei Typen-Schwächen sehr schnell weggeputzt waren. Man muss sich nochmal vor Augen halten, dass wir hier von der Creme de la Creme der Pokémon-Trainer sprechen. Trotzdem muss man zu keiner Zeit großartig für die Kämpfe trainieren, sondern fegt alles und jeden im Vorbeigehen weg.

Die Dummheit der Trainer, die einen im Spielverlauf in Zufallskämpfe verwickeln, darf man fast schon gar nicht ansprechen. Diese agieren nach wie vor null taktisch und greifen beispielsweise fleißig mit Feuer-Attacken an, obwohl ihnen mehrfach mitgeteilt wurde, dass das Pokémon dank „Feuerfänger“ immun dagegen ist. So witzig die Gestalten teilweise auch sind, so sehr geht einem diese Dummheit auf den Keks. Zwar hat man zum Glück die Möglichkeit möglichst vielen

Trotz Neuerungen wie den Z-Attacken bleiben die Kämpfe gegen die KI und Inselkönige simpel.
Trainern aus dem Weg zu gehen, die ich möglichst oft genutzt habe. Aber wie schade ist es um das ganze vergeudete Potenzial?  Wieso werden nicht endlich unterschiedliche Schwierigkeitsstufen eingeführt? Wieso wird das grundlegend gute Kampfsystem, das in der Theorie viele taktische Möglichkeiten besitzt, nicht endlich auch im Hauptspiel, abseits des Online-Modus ausgeschöpft? Auch das Argument, dass es sich bei Pokémon um ein Kinderspiel handelt, zieht nicht mehr, wenn man sich anschaut wie viele Kinder auf Turnieren spielen und Online gewinnen.

Neuerungen am Kampfsystem sucht man leider auch eher vergebens. Hinzu kommt, dass die 3D-Funktion nicht mehr unterstützt wird, von der die teilweise hübschen Animationen in der Vergangenheit profitierten. Eine hilfreiche Neuerung ist die PokéPause: Hier können Taschenmonster mit Pokébohnen gefüttert werden, um sie zutraulicher zu machen, was bei manchen Wesen nötig ist um eine Entwicklung auszulösen, und sie mit Bürste und Fön pflegen. Was auf den ersten Blick unnötig wirkt, ist aber ein gutes Hilfsmittel um Pokémon direkt nach dem Kampf von Statusveränderungen zu heilen, ohne einen Trank oder eine Beere zu nutzen.

Bei den neuen Z-Attacken handelt es sich im Grunde um eine Abwandlung der Mega-Entwicklungen von Pokémon X&Y. Anstatt von Mega-Steinen erhält man Z-Kristalle bestimmter Typen, die man einmal im Kampf einsetzen kann, um eine besonders starke Attacke zu nutzen. An den Animationen der Attacken hat man sich sehr schnell satt gesehen und nutzt meist doch lieber sein selbst erstelltes Move-Set, da man hier wenigstens das Gefühl hat, taktisch vorgehen zu können.

Böse Jungs und eine Geheim-Organisation

So sehr mir auch die Nebencharaktere und die facettenreichen Captains gefallen, so sehr frage ich mich, wie schwer es sein muss, endlich mal vernünftige

Die Rüpel von "Team Skull" sind weder witzig, noch stellen sie eine Herausforderung dar.
Gegenspieler für ein Pokémon zu designen? Mit dem pseudo-rockigen Team Skull hat GameFreak mal wieder eine Gruppe von Rüpeln entwickelt, die kaum zu ertragen sind. Diese Gang, die stets mit einem verwegenen Lied und schwarzer Kampfanimation eingeleitet wird, will wie fast alle ihre Vorgänger anderen Leuten ihre Pokémon stehlen. Natürlich verhalten sie sich dabei stets komplett unfähig und haben im Kampf keine Chance gegen mich und meine Freunde. Dieses immer gleiche Prinzip, welches in den Anfängen bei Team Rocket zumindest noch witzig inszeniert wurde, war eigentlich schon in den letzten Spielen völlig überholt und peinlich. Wenn schon die Captains und Insel-Könige so einfach zu besiegen sind, dann möge man mir doch wenigstens echte Fieslinge in den Weg stellen.

Zumindest die Geschichte rund um die Äther-Foundation (es gibt natürlich wieder eine Geheimorganisation die Pokémon erforscht) weckt mit ihren futuristischen Gebäuden und Ideen ein gewisses Interesse.

Natürlich braucht ein Pokémon keine großartig ausufernde Geschichte. Doch gerade die Inszenierung der hawaiianischen Inselwelt mit seinen sympathischen Charakteren und Begleitern zeigt, dass GameFreak sehr wohl in der Lage ist, auch erzählerisch neue Wege zu bestreiten. Wieso das Prinzip der affigen Gegenspieler und der forschenden Geheim-Organisation in jedem Teil gemolken werden müssen, bleibt mir ein Rätsel.

Es gibt noch Hoffnung

Doch bei all dem Frust gibt es auch Neuerungen, die begeistern. Mit dem Battle-Royal kommen Kampf-Strategen endlich auf ihre Kosten. Vier Trainer stehen sich in einem Kampf gegenüber, bei dem jeder gegen jeden, mit insgesamt drei Pokémon nacheinander antritt. Der Kampf endet, sobald alle Pokémon eines Trainers

Im "Battle Royal" stellt man sich knackigen Vierer-Kämpfen
kampfunfähig geworden sind. Der Sieger wird anhand der Anzahl der Pokémon ermittelt, die jeder Spieler besiegt hat und die jedem im Kampf verbleiben. Bei drei anderen Mitstreitern ist die Gefahr natürlich sehr hoch, dass das eigene Monster eine Typenschwäche aufweist. Anfangs bin ich oft gescheitert, bis ich mir passende Strategien überlegt hatte. Lediglich die Framerate leidet in diesem Modus enorm und kaum ein Kampf wird flüssig abgespielt.

Immer wieder trifft man auf tolle Neuerungen altbewährter Prinzipien und hat das Gefühl, dass sich die Entwickler zumindest teilweise Gedanken gemacht haben, wie man das Spielprinzip verbessern kann. Geradezu eine Offenbarung ist für mich die Einführung von „PokéMobil“. Damit schaltet man nach und nach Pokémon frei, die

Mit dem "Pokémobil" ruft man Pokémon um zu fliegen, oder Steine zu zerstören.
man jederzeit nutzen kann, um an Orte zu fliegen oder Steine aus dem Weg zu rammen. Bisher musste man immer darauf achten, dass das Pokémon mit der Attacke „Fliegen“ stets im Team ist, um an entfernte Orte zu gelangen. Zudem belegte sie einen Platz im Move-Set. Feinde von Effektivitätstabellen werden sich vor allem darüber freuen, dass man im Kampf nun teilweise angezeigt bekommt, wie effektiv die eigenen Attacken gegen den Feind sind. Zu weiteren Annehmlichkeiten zählt die Möglichkeit gefangene Pokémon direkt ins Team aufzunehmen, anstatt sie im Pokémon-Center erst aus der Box abholen zu müssen. In diesem trifft man erstaunlich viele NPC die in kleinen Nebenaufträgen nach bestimmten Pokémon fragen oder tauschen wollen. Nett sind auch die Cafés, die man nun links in jedem Poke-Center findet. Neben unterschiedlichen Getränken und Speisen gibt es auch immer wieder mal kostenlose PokéBohnen. Auch der Pokédex wurde überarbeitet: In diesem versteckt sich das Pokémon Rotom, das immer wieder zu einem spricht, während es im unteren Bildschirm die Karte anzeigt. Besonders praktisch fand ich, dass einem das nächste Ziel endlich anhand einer praktischen roten Markierung angezeigt wird. Gerade wenn etwas Zeit zwischen den Spielsitzungen verstrichen ist, weiß man so stets wohin man laufen muss, um die Geschichte fortzusetzen.

Sammelkram und Zusatzanwendungen

Neben all den praktischen Neuerungen gibt es mit dem „Festival-Plaza“ und dem „Pokémon-Resort“ erneut zusätzliche Mini-Anwendungen, die man sich wie schon die PokémonAmi in Pokémon X & Y am besten einfach gespart hätte. Das Festival-Plaza gleicht einem Jahrmarkt, auf dem man anhand von gesammelten Festival-Münzen Buden freischaltet, um sich Souvenirs zu kaufen oder sich sein Horoskop vorlesen zu lassen. Dort trifft man auf zahlreiche andere Spieler, denen man die richtigen Buden empfehlen muss, um Münzen zu verdienen - das ist weder spaßig noch motivierend. Hier erreicht man allerdings auch das Kampf-Plaza, in dem man online an Turnieren teilnehmen kann, oder in Kämpfen gegen andere Spieler antritt. Auch das Tauschen von Pokémon ist hier möglich. Mir wär es lieber gewesen, hätte man auf die lange Vorstellung des Festivals verzichtet und den Online-Modus als einzelne Anwendung ins Menü verlegt. Noch überflüssiger ist für mich das Poké-Resort: Besitzt man die richtige Anzahl an Pokémon und Pokébohnen kann man verschiedene Inseln bauen, um seine Pokémon dort abzusetzen, Pokébohnen zu ernten oder Items zu finden. Das Sammeln von Bohnen mit dem Stylus ist einfach nur langweilig, außerdem ist das Spiel ohnehin so einfach, dass ich nach ein paar Besuchen zu Testzwecken keinerlei Lust verspürte mich jemals wieder damit auseinanderzusetzen.

Fazit

Die Inselwelt von Alola ist ein wahrer Augenschmaus. Zusammen mit der tollen Inszenierung, den Zwischensequenzen und den Nebencharakteren, kann man sich stundenlang beschäftigen. Dabei kann man ständig von neuartiger Kulisse zur nächsten hüpfen und sich an den zahlreichen Geschäften erfreuen. Doch leider entpuppt sich die größte Neuerung, die Inselwanderschaft, mit ihren zu leichten Aufgaben als Enttäuschung. Zwar macht es Spaß die zahlreichen kreativ gestalteten neuen Pokémon einzusetzen, und mein Starter-Pokémon macht in seiner End-Form im Mix aus Geist und Pflanze eine außerordentlich tolle Figur. Für mich stand jedoch schon immer der Kampf im Vordergrund. Das Gefühl der Bestätigung, dass man sein Team so gut erstellt und trainiert hat, dass man sogar den stärksten Trainer der Region und später die gesamte Top 4 besiegen konnte. Dieses Gefühl fehlt bei Pokémon Sonne & Mond, da die stärksten Captains und selbst die Insel-Könige ohne großartige Anstrengung besiegt werden können. Während ich mir anfangs noch richtig Mühe beim Training und der Erstellung des Move-Sets gegeben habe, musste ich im Spielverlauf feststellen, dass all die Mühe vergebens ist. Trotz der Ernüchterung wissen die praktischen Neuerungen wie das Pokémobil, die Anzeige der Effektivitäten und vor allem der strategische Vierer-Kampf Battle Royal zu überzeugen.

Pro

Die Inselwelt von Alola ist abwechslungsreich und überzeugt mit hübscher Kulisse
Spieler erwarten zahlreiche neue Pokémon, die sehr unterschiedlich gestaltet wurden
Die Beziehung von Pokémon und Trainer wird auch durch die Kameraführung mehr in den Fokus gerückt
Es gibt zahlreiche Geschäfte und Cafés zu besuchen und NPCs locken mit Nebenaufträgen
Neuerungen wie das Pokémobil und die Effektivitäten-Anzeige sind sinnvolle Neuerungen

Kontra

Die KI ist strunzdumm und selbst die Kämpfe gegen Captains und Inselkönige sind viel zu einfach
Das Konzept der Inselwanderschaft wird schön inszeniert, die Aufgaben sind leider viel zu simpel
Team Skull wirkt lächerlich und nicht wie ein ernsthafter Gegenspieler
Das Sammeln von Münzen im Festival-Plaza sowie das Pokémon Resort sind langweilig

Wertung

3DS

Stimmig inszenierte Reise durch die Inselwelt von Alola, der es leider deutlich an Anspruch fehlt.

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