Test: Virginia (Adventure)

von Benjamin Schmädig



Virginia (Adventure) von 505 Games
Ein Albtraum für David Lynch
Entwickler:
Publisher: 505 Games
Release:
22.09.2016
22.09.2016
22.09.2016
Erhältlich: Digital (Steam)
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ab 8,99€
Spielinfo Bilder Videos
Wie ein im Zeitraffer entwickeltes Foto baut sich das wunderschöne Hauptmenü auf: eine Landkarte der verschlafenen Kleinstadt Kingdom. Ein ruhiger Synthesizer klingt nach einem Film von David Lynch – ja, das war tatsächlich mein erster Gedanke, ohne dass ich mich vor dem Test über Virginia informiert hatte. Dabei trägt das geheimnisvolle Abenteuer in der Tat markante Wesenszüge eines von Mysterien geprägten Thrillers. Besser hätte es kaum beginnen können; Virginia hatte mich sofort gepackt! Bis das scheinbar schöne Spiel seine hässliche Seite hervor kehrte.

Film-Spiel-Kunst

Eine Handtasche, ein Lippenstift, ein Spiegel: Auf Knopfdruck schminkt sich Anne Tarver, mein Alter Ego, bevor sie das Bad verlässt, einen grauen Gang voller verschlossener Türen entlang geht und sich ans Ende einer Schlange stellt. Männer in Anzügen stehen vor ihr. Schieben die sich einen Platz weiter, klicke ich auch Anne einen Schritt nach vorn – und erfahre nach einigen Metern, dass sie gerade unter dem Applaus eines gefüllten Theaters ihren Ausweis als frisch gebackene FBI-Agentin abholt. Wenig später wird sie ihren ersten Auftrag erhalten, zwei um genau zu sein, denn sie soll nicht nur das Verschwinden eines Jungen untersuchen, sondern auch die ihr zugeteilte Partnerin heimlich unter die Lupe nehmen.

Plötzlich ist der Saal leer. Ein Tonband klingt wie ein Atemgerät. Dann ist Anne Zuhause, sieht sich selbst in ihrem eigenen Bett liegen – ihr Wecker reißt sie schließlich aus dem, das ein Traum sein muss. Wie einen Film untermalt die vom City of Prague Philharmonic Orchestra eingespielte Musik den Einstieg: Der von Lyndon Holland geschriebene
Die frisch gebackene FBI-Agentin Anne Tarver soll nicht nur ein vermisstes Kind finden, sondern auch heimlich Informationen über ihre Partnerin einholen.
Die Geschichte wird aus den Augen der frisch gebackenen FBI-Agentin Anne Tarver erzählt: Sie soll ein vermisstes Kind findenund heimlich Informationen über ihre Partnerin einholen.
Soundtrack weckt Emotionen, schwingt sich im Stil von Carter Burwells Fargo noch vor den ersten Spielszenen zu einem ebenso großen wie unheilvollen Crescendo auf, wenn die Namen der Beteiligten über weiten Feldern und neben vereinzelten Häusern stehen.

Ein toller Einstieg! Auch spielerisch, denn fließende Schnitte kennen Videospieler in dieser Form noch nicht. Vom Traum in die Wirklichkeit, zurück und zu der Frage, wie real das Erlebte ist, wurde ich im interaktiven Medium so jedenfalls noch nicht getrieben.

Zwischen engen Wänden

Doch dann vergessen Jonathan Burroughs und Terry Kenny, die Virginia hauptverantwortlich entworfen haben, den Spieler und vergraben das interaktive Handeln unter einer filmischen Inszenierung, die im Verlauf der Geschichte zwar nicht an Schwung verliert, die spielerisch aber extrem ermüdend ist.

Denn es ist meist dasselbe: Ganz wenige Schritte darf man laufen, dann übernimmt auf Knopfdruck wieder die Kameraautomatik – bis zu den nächsten wenigen Schritten. Es gibt zwar Areale, in denen man sich frei bewegen darf. Dort findet man allerdings keinen einzigen Gegenstand, den man seiner selbst Willen aufheben oder gar in Ruhe betrachten könnte. FBI-Agentin Tarver knackt kein einziges Puzzle, befragt keinen einzigen Verdächtigen.

Zugegeben: Fehlende Unterhaltungen sind dem kompletten Verzicht auf Sprache geschuldet, also durchaus verständlich. Tatsächlich ist es bemerkenswert, wie Burroughs und Kenny ohne Dialoge inszenieren. Genauso sträflich vernachlässigen sie jedoch ihre Spieler, behandeln sie wie Werkzeuge, die ohne Übertreibung nur dazu dienen, die Filmrolle weiter zu kurbeln. Sie sprechen ihnen das Recht ab, eine interaktive Welt auf eigene Faust kennenzulernen. In vielen Szenen kann man nicht einmal bestimmen, wann es weiter geht. Als Beifahrererin bleibt Anne nach dem Einparken etwa mehrere Male einfach im Auto sitzen. Dort darf sie sich umgucken, bis der nächste Schnitt erfolgt, aber weder die Tür öffnen noch das Fenster oder auf sonstige Art Einfluss nehmen. Nicht interaktive
Das Hauptmenü vermittelt den Eindruck einer lebendigen, interaktiven Stadt. Nichts davon trifft zu.
Das Hauptmenü vermittelt den Eindruck einer lebendigen, interaktiven Stadt. Nichts davon trifft zu.
Kulissen und Figuren erzählen in Virginia die Handlung – das machen alleine die Regisseure, deren Präsenz viel zu offensichtlich alle Einstellungen prägt.

Bedeutungsschwanger mit Zehnlingen

Klicken... laufen... klicken... laufen... Enttäuscht hatte ich mich irgendwann auf diesen Film eingelassen. Zumal die Geschichte trotz zu vieler offener Fragezeichen ein vielleicht nicht ganz nachvollziehbares, aber nach erleichternd kurzer Spielzeit immerhin angenehm nachdenkliches Ende findet.

Das dachte ich jedenfalls! Denn als das Spiel praktisch vorüber scheint, spielen Burroughs und Kenny plötzlich verrückt. Wie vom Teufel geritten springen sie auf einmal in der Zeit zurück, wieder vor, in eine alternative Wirklichkeit, einen Traum, ein Ritual, eine Metapher, eine Science-Fiction, eine Psychostudie und zurück, zurück, vor, zurück...

Was zuvor ungelöste Mysterien waren, geht ohne jede Not in einen wie wild gewordenen Wahn über, dass einem David Lynch Schwarz vor Augen würde. Wo der Regisseur von Lost Highway und Inland Empire nämlich meisterhaft Bilder und Kausalität voneinander entkoppelt, um pure Emotionen anzusprechen, verlieren die hiesigen Spielemacher komplett die Spur. Das abschließende Kapitel ihres Kleinstadt-Thrillers, die letzten vielleicht fünfzehn oder zwanzig Minuten, sind ein nicht enden wollendes, unsägliches Kauderwelsch, das weder Herz noch Kopf erreicht. In seiner Vehemenz ist das eigentlich bemerkenswert – inhaltlich allerdings völlig unbrauchbar.
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Kommentare

Chibiterasu schrieb am
Bin gerade auch sehr überrascht über diese doch sehr weit unten angesiedelte Wertung.
Für mich heben alleine schon die tolle Musik und der gelungene Einsatz dieser in Abwechslung mit sehr ruhigen Passagen (nur mit Umgebungsgeräuschen) das Spiel auf eine "empfehlenswert" Stufe.
Dazu noch die schlichte aber ansprechend gestaltete Grafik mit sehr schönen Lichtstimmungen.
Und dieser Aspekt kam dann noch dazu:
Wulgaru hat geschrieben: ?16.10.2016 14:05 Bei Virginia finde ich diese Wertung etwas zu hart. Ich finde den Ansatz des Spiels faszinierend. Sowohl auf Sprache und Text zu verzichten (bis auf Hinweise die man selbst lesen kann) und der Szenenschnitt, sind sehr kreative Ideen.
Gerade die letztere Idee könnte den Leerlauf den Cage-, Telltale- und auch viele Walking-Simulatoren immer wieder haben sehr krass verbessern. Die "Stummfilmerzählweise" finde ich einfach mal wieder mutig.
Hier wurde mit hölzerner Mimik und fast komplett ohne Worte bei mir mehr Stimmung und Emotionen erweckt als zumindest bei den David Cage Spielen. Die Szenenschnitte sind mit sehr viel Gefühl eingesetzt worden. Da waren wirklich sehr talentierte Leute am Werk.
Also atmosphärisch für mich großartig. Wenn man mal Ruhe hat und sich zwei bis drei Stunden am späten Abend auf eine Sache einlassen möchte (und ca. weiß was man erwarten darf), dann kann man Virginia echt empfehlen.
Es ist halt die meiste Zeit seeehr limitiert. Das reizt die Definition "Spiel" wirklich schon extrem aus. Mich hat es nicht gestört.
Hier stimme ich aber ebenfalls zu:
Wulgaru hat geschrieben: ?16.10.2016 14:05 Das Problem des Spiels ist in meinen Augen seine Kürze. Nach dem "Streit" (die Leute die es gespielt haben, wissen was ich meine), zieht das Tempo doch sehr ins hektische und wird sehr wirr. Die Mischungen aus Traumsequenzen und Rückblicken wird dann verwirrend und ich glaube nicht das es wirklich Sinn ergibt. Da hat man sich ein bisschen verzettelt.
Nach hinten hinaus wird es wirklich einfach zu schnell,...
CritsJumper schrieb am
superboss hat geschrieben: ?31.03.2017 20:38 na ja war trotzdem ne nette Erfahrung :Hüpf: die Stoff zum Nachdenken gibt (wobei ich wohl fast mehr reininterpretiert hab als wirklich da war) und letztendlich sind solche Spiele auch immer Stimmungssache.
Naja. Das hoffe ich auch. Wenn ich es irgendwann doch mal wieder durchspiele das ich dann bestimmte Punkte anders sehe. Aber es hat halt so Punkte die man verknüpfen sollte, quasi erneut durchspielen mit der Info von vorher. Aber dafür waren einige Szenen dann doch zu lang.
Ich denke dem Spiel hätte es gut getan wenn die Geschichte erneut aus einem anderen Blickwinkel erzählt wird, quasi das man zu Beginn einen Spielstand laden kann und auch den Charakter hätte wählen können mit dem man erneut (selbe Dimension, Zeitversetzt) oder einen Fortsetzung (selbe Dimension aber danach) spielen will.
superboss schrieb am
Das spiel hat mich ganz schön mitgenommen. Alleine die Musik geht schon unter die Haut. Dazu der coole Grafikstil und einige Elemente der Geschichte...Das setting ist auch super spannend
Und jetzt zum negativen. Man merkt halt relativ schnell, dass hier nicht viel zu tun ist und das Game recht hektisch ist und es nur darum geht, den nächsten Punkt zu triggern, weshalb ich halt sehr schnell die Geduld verloren und es dann auch einfach durchspielen wollte.
Auch die ungewohnt fehlende Sprachausgabe und die etwas zu treibende Musik verstärken diesen oberflächlichlichen Eindruck leider ein bisschen.
Man denkt das wäre das Intro und der richtige Walkingsimulator geht dann doch hoffentlich bald mal los.......
na ja war trotzdem ne nette Erfahrung :Hüpf: die Stoff zum Nachdenken gibt (wobei ich wohl fast mehr reininterpretiert hab als wirklich da war) und letztendlich sind solche Spiele auch immer Stimmungssache.
Wulgaru schrieb am
Walking Simulatoren sind finde ich immer sehr subjektiv. Bei den wenigsten hat man wirklich massiven Einfluss auf das Spielgeschehen, wie zum Beispiel bei Stanley Parable oder dem Pionier dieses Genres The Path.
Daher muss man eigentlich jeden einzelnen Simulator objektiv abwerten. Auf der anderen Seite ist das auch ein unfaires Kriterium, da man mittlerweile wirklich sehr gut weiß worauf man sich einlässt. Bei Virginia finde ich diese Wertung etwas zu hart. Ich finde den Ansatz des Spiels faszinierend. Sowohl auf Sprache und Text zu verzichten (bis auf Hinweise die man selbst lesen kann) und der Szenenschnitt, sind sehr kreative Ideen.
Gerade die letztere Idee könnte den Leerlauf den Cage-, Telltale- und auch viele Walking-Simulatoren immer wieder haben sehr krass verbessern. Die "Stummfilmerzählweise" finde ich einfach mal wieder mutig.
Das Problem des Spiels ist in meinen Augen seine Kürze. Nach dem "Streit" (die Leute die es gespielt haben, wissen was ich meine), zieht das Tempo doch sehr ins hektische und wird sehr wirr. Die Mischungen aus Traumsequenzen und Rückblicken wird dann verwirrend und ich glaube nicht das es wirklich Sinn ergibt. Da hat man sich ein bisschen verzettelt. War für mich aber trotzdem eine schöne Erfahrung. Daher kann ich die Wertung nicht nachvollziehen, da für mich 36% eher in Richtung sehr schlechtes Spiel gehen. Naja.
CritsJumper schrieb am
verence80 hat geschrieben:Wirklich fesselnd inszenierter Albtraum der mich aber mit so einem
leeren Gefühl der Unwissenheit und Entäuschung zurücklässt .
Also ich dachte ja das Spiel füllt sich mit der Zeit mit Hoffnung. Es ist auch bestimmt nett wenn man es zu zweit spielt und sich dann Theorien ausdenkt. Oder halt auf Twitch und dann mit seinen Zuhörern philosophiert.
Doch leider liegt der riesige Nachteil wirklich am Spieldesign. Die 4P-Wertung geht hier leider total in Ordnung. Ich dachte es gibt etwas wie bei Life is Strange. So das sich das Spiel nach mehreren Runden intensiviert.
Aber so wirklich will sich das bei mir nicht einstellen. Der eigentlich Grund ist recht simpel das dieses Spiel absolut nur Langweilt wenn man es erneut spielt und dann fest stellt das wirklich keine andere Wahl an einigen Stellen bleibt, als das was man schon erlebt hat.
Es ist spielerisch einfach eine große Katastrophe.
schrieb am

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