Das erste Vorurteil
Es gab eine Zeit, da konnte ich es gar nicht erwarten, einen neuen Teil von Assassin‘s Creed in den Händen zu halten. Genauer gesagt, war dies vor etwa acht Jahren, als Ezio Auditore in der Rolle des Meuchelmörders über drei Episoden hinweg (AC 2, Brotherhood, Revelations) von Florenz bis Konstantinopel Templer bekämpfte. Gleichzeitig kämpfte sein Gegenwarts-Nachfahre Desmond Miles gegen die Schergen von Abstergo, die als moderne Inkarnation der Templer im Kampf zwischen Gut und Böse die dunkle Seite einnahmen. Doch danach verlor Ubisoft mit weiteren jährlichen Veröffentlichungen und stets neuen Helden zunehmend den Faden – auch wenn mit Asssasin‘s Creed 4 – Black Flag karibisches Piratenflair für ein erneutes Aufflammen der Sympathien sorgte. Entsprechend positiv habe ich seinerzeit die Entscheidung von Ubisoft begrüßt, dass man der Serie nach dem mauen „Syndicate“ eine kreative Pause gönnen würde – im entsprechenden Video-Epilog von damals hatte ich genau das gefordert. Und mit der Rückkehr in Form von Assassin‘s Creed Origins schlug man nicht nur interessante neue Wege ein, sondern verpasste den Mechaniken eine dringend benötigte Frischzellenkur, wobei man sich allerlei Elemente aus dem Action-Rollenspiel bediente. Alles schien auf dem richtigen Weg zu sein.
Nicht nur der Adler erinnert an den Vorgänger Assassin's Creed Origins. Auch Kampfsystem sowie weitere Basismechaniken und die bildhübsche Kulisse bleiben im antiken Griechenland nahezu unverändert.
Und jetzt? Jetzt scheint man wieder im jährlichen Turnus verbandelt zu sein, der für mich mit nur ganz wenigen Ausnahmen (ich verweise hier erneut auf die Ezio-Trilogie) die nötigen Fortschritte mit sich brachte, um sich Jahr um Jahr frisch zu präsentieren. Immerhin: Das für Odyssey hauptsächlich zuständige Studio von Ubi Quebec scheint hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung als Action-Rollenspiel (und damit den Fußstapfen von Origins folgend) mit Montreal ein gewisses Fundament gegossen zu haben. Wer mit Bayek in Ägypten unterwegs war, kennt sowohl das eingängige, aber dennoch auch Geschick fordernde Kampfsystem und das Inventarmanagement mit seinen zig Rüstungsteilen und Waffenoptionen. Trotzdem und genau deswegen war ich skeptisch, als ich mit einer nahezu fertigen Version in die Zeit von Sokrates, Hippokrates und Perikles abtauchen durfte. Denn auf mich machte Odyssey bis dato nur den Eindruck eines sehr aufwändigen Add-Ons.
Der zweite Eindruck
Gut fünf Stunden später muss ich sagen, dass ich wieder vom Assassin‘s-Creed-Fieber gepackt wurde. Noch nicht wie seinerzeit bei den Ezio-Abenteuern. Und auch noch nicht wie letztes Jahr, als Origins mit seinem neuen Ansatz punktete und mich nicht nur mit dem frischen Kampfsystem oder dem guten Drehbuch der Hauptgeschichte sowie der in 4K sehr ansehnlichen Kulisse dutzende Stunden an den Bildschirm fesselte. Doch Odyssey bringt einige neue Ansätze mit, die zusammen mit der Re-Animierung anderer bewährter Elemente aus der mittlerweile 11 Jahre alten Serie ein sehr stimmiges Gesamtpaket andeuten. Und man hat sogar die eine oder andere Überraschung im Gepäck, die entsprechend umgesetzt das Erlebnis aufwerten könnten. Doch zum einen wird sich vieles davon erst mit der Testversion zeigen, zum anderen eins nach dem anderen: In Odyssey schlüpft man im Jahr 431 v.Chr. wahlweise in die Rolle der Geschwister Alexios oder Kassandra, die als Spartaner aufwuchsen, bevor ein Schicksalsschlag dafür sorgte, dass man auf dem kleinen westgriechischen Eiland Kefalonia aufwächst und sich schließlich als Söldner meist im Dienst des zwielichtigen Markos seine Drachmen verdient. Die
In Assassin's Creed Odyssey wird man häufig Entscheidungen treffen dürfen, deren Auswirkungen nicht nur kurz-, sondern auch mittel- oder langfristige Konsequenzen haben können.
Entscheidung, die man anfangs trifft, ist endgültig – es ist nicht wie z.B. in Syndicate möglich (hier kamen auch Geschwister zum Einsatz), ggf. im vorgegebenen Wechsel mit Kassandra oder Alexios zu spielen.
Erzählerisch wird dies plausibel begründet, wobei das Drehbuch ohnehin wieder einmal in der Lage scheint, evtl. auftauchende spielerische Schwächen in den Bereichen Kampf oder Gebietserforschung mit Dramaturgie und cleveren Wendungen aufzufangen. Und das, obwohl man die Story deutlich offener anlegt und dem Spieler viele Entscheidungen mit Konsequenzen anbietet, die sich in den gut 30 Stunden Zwischensequenzen mit hunderten gesprochenen Dialogen zeigen. Inwieweit sich dabei sogar Entscheidungen zeigen, die man nur mit einem der Protagonisten erlebt oder ob beide mit ähnlichen Charakteristika gezeichnet werden, wird sich ebenfalls erst genauso im Test zeigen wie viele Auswirkungen der Konsequenzen, die laut Entwickler mal kleiner, aber durchaus auch gravierender ausfallen sollen. Im Rahmen der Vorschau haben wir uns auf Alexios konzentriert, dessen Spartaner-Blut sich vor allem in seinen Kampffähigkeiten äußert, die in Abhängigkeit von der verwendeten Waffe leicht wuchtiger wirken als noch bei Bayek. Dabei überrascht Odyssey mit einer neuen Tendenz zu visueller Gewalt – wenngleich vorrangig in Zwischensequenzen. Die Serie war unter dem Strich nie zimperlich, rote Pixel auszuschütten. Doch im antiken Griechenland scheint man sich in dieser Hinsicht auf einem neuen Hochniveau präsentieren zu wollen – was aber dieser Phase der Menschheits-Geschichte entspricht und sich letztlich an die Visualierung in Zack Snyders Spartaner-Drama „300“ anlehnt, von dem man auch den Kick nach vorne als Spezialbewegung in einem der drei Fähigkeitenbäume ausgeliehen hat.