Die Faszination der Drachen
Wenn mir 1983 jemand gesagt hätte, dass ich mal in einem Spiel auf einem „echten“ Drachen reiten, überall abspringen und kämpfen könnte, hätte ich wahrscheinlich nur „Äh…wo…wann denn? Wie lange muss ich warten? Hab ich dann ein Schwert? Und Feuer spucken geht auch?“ gestammelt. Als Zehnjähriger schüttelt man in Erwartung eines unfassbar coolen Abenteuers nicht den Kopf, sondern strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Hey, selbst LEGO und Playmobil hatte damals keine Drachen im Programm und Conan der Barbar musste zu Fuß kämpfen!
Drakan: Order of the Flame wurde 1999 von Surreal Software für PC entwickelt und erschien u.a. über Psygnosis.
Irgendwann in den 90ern hatte die Faszination an Drachen einige Dämpfer bekommen. Das lag nicht an Grisu, meinem Wehrdienst bei der Flugsicherung oder Mario Adorfs Stimme in Dragonheart (1993) – obwohl sich da heute noch Fantasykrallen vor Pein aufrollen. Trotzdem blieb dieser schlummernde Gedanke daran, dass man den mächtigen Echsen irgendwann mal gerecht werden würde. Also bemalte ich im stillen Kämmerlein weiter die „echten“ Drachen von Ral Partha. Aber dann erschien 1999 plötzlich Drakan auf dem PC. Es hatte die Psygnosis-Eule auf der Box. Und es brannte sich richtig schnell in mein Spielerherz.
Rynn und Arokh in offener Welt
Das Abenteuer mit der Kriegerin Rynn und dem Drachen Arokh würde zwar nicht in meiner Top 20 landen, aber ist mir in bester Erinnerung. Es gehört zu den Spielen, die man selbst nach so langer Zeit mit klaren Szenen und Spaß verknüpfen kann. Aus heutiger Sicht muss ich zwar über die 3D-Kulisse schmunzeln, weil sich die Technik so gnadenlos weiterentwickelt hat und alles Vergangene schnell verblassen lässt. Aber Drakan war damals nicht nur magisch wie Voodoo, es lief auch darauf. Leider röhrte 1999 nur die erste Generation der Grafikkarte in meinem Pentium 500 und ich musste mit einigen technischen Abstrichen leben. Die Entwickler empfahlen immerhin eine Voodoo 2, später lag das Spiel einer GeForce 256 bei.
Von arktisch bis tropisch: Auf dem Rücken von Arokh konnte man eine freie Fantasywelt erkunden, aus der Luft sowie am Boden kämpfen.
Aber trotz Geruckel hier und Texturdefiziten da: Es war nicht in erster Linie die Technik der fortschrittlichen Riot-Engine, sondern das Erlebnis in dieser Fantasywelt, das mich faszinierte wie einen kleinen Jungen. Da war ich gerne bereit, eine kleine Diashow oder einen bösen Absturz in Kauf zu nehmen. Zwar war die Steuerung etwas zickig, aber man konnte frei auf dem Rücken einer wirklich gut designten Echse durch Canyons fliegen, Feuer satt spucken, irgendwo an einem Hang absteigen, eine Höhle erkunden, gegen Trolle und Riesen kämpfen, Schätze bergen, zurück und weiter fliegen - hurra! Brannte Feuer auf Holz? 'türlich!
Luft-Luft, Boden-Boden, Luft-Boden, Boden-Luft
Es gab Gefechte auf allen Ebenen, denn von Arokh aus ließen sich andere Drachen in der Luft bekämpfen, man musste geschickt ausweichen, konnte auf ihm Ballisten am Boden zerstören oder musste selbst zu Fuß gegen fliegende Bestien bestehen. Es waren vor allem diese eleganten Übergänge aus der Luft auf den Boden, aus der
Auch am Boden musste man sich zur Wehr setzen...
Landschaft in den Dungeon, die für ein sehr flüssiges Spielgefühl sorgten. Heute kann jeder „Open World“, aber damals war es etwas komplett Neues, dass man nicht durch begrenzte Abschnitte, sondern durch eine zusammenhängende Welt rauschen und wandern konnte – da lockten vier geografische Regionen von arktisch bis tropisch, es gab verschneite Gipfel und verträumte Inseln.
Nicht nur diese Freiheit war cool, sondern vor allem die gute Regie. Drakan war kein No-Brainer, kein einfaches Hack’n Slay, sondern ein episch inszeniertes Action-Adventure inklusive einiger Rollenspielelemente: Es gab Haupt- und Nebenquests, hübsche Zwischensequenzen, einige Nichtspielercharaktere, Bücher und Karten, Fallen und magische Waffen, dazu auch etwas Rätselflair, wenn man mal wieder vor einer verschlossenen Truhe stand und den passenden Schlüssel nicht hatte. Mehr Zelda als Morrowind? Richtig.
Starke Frau, panische Trolle
Schon damals war es zudem erfrischend, mal eine starke Frau zu spielen, die
Cool: Die Feinde zeigten markantes Verhalten, flohen auch mal...
ihren vermissten Bruder retten wollte. Heldin Rynn wurde als rothaarige Kriegerin attraktiv, aber alles andere als primitiv inszeniert. Die Story war letztlich einfach, aber angenehm abwechslungsreich gestrickt, zumal die Beziehung zwischen Mensch und Echse spürbar wurde – spätestens als einem der Drache entführt wurde, machte sich das bemerkbar.
Rynn war überaus agil und akrobatisch in den Nahkämpfen, konnte mit ihrem Schwert Kombos und Spezialangriffe einleiten oder mit dem Bogen schießen. Das war auch nötig, denn Arokh konnte ihr nicht überall hin folgen: Der Drache wurde vor einigen engeren Höhlen geparkt und verteidigte sich dann im Notfall selbst. Sehr interessant war das unterschiedliche Verhalten der vielen Feinde, von denen es weit über ein Dutzend Arten plus vier Bosse gab. Trolle flohen z.B. in Panik wenn man ihnen auf Arokh einheizte, während andere aus der Distanz die Ballisten abfeuerten. Cool waren auch die plumpen Riesen, die nicht nur Felsen, sondern auch Leichen als Wurfgeschosse einsetzen – in der deutschen Version natürlich alles politisch korrekt und kulturell defekt beschnitten.
Lead-Designer Alan Patmore und dem Team von Surreal Software gelang mit
Auf der PlayStation 2 sah der Nachfolger 2002 schon etwas besser aus.
diesem Drakan ein international gefeierter Hit, den ich bis heute schätze. Was ist aus dem Studio geworden? Drakan wurde 2002 noch mit dem Untertitel „The Ancients‘ Gates“ auf der PlayStation 2 fortgesetzt – dazu gibt es einen
Test im Archiv. Das Studio wurde 2004 erst an Midway Games und 2009 an Warner Bros. verkauft, wo es mehr oder weniger unterging. Es gab ein Herr-der-Ringe-Spiel, aber ein weiteres wurde ebenso eingestellt wie das ambitionierte Projekt „
This is Vegas“, das eine offene Gangsterwelt inszenieren sollte. Der Survival-Horror „
The Suffering“ samt
seinem Nachfolger "Ties that Bind" aus dem Jahr 2004 und 2005 waren die letzten richtig guten und offiziellen Spiele von Surreal. Drachenvater Alan Patmore stieg zunächst bei Double Fine Productions ein und landetet schließlich bei Zynga.
Auch wenn heute manches innerhalb von Drakan etwas plump wirken mag: Schade, dass bisher kein Spiel in die faszinierende Drachenhaut dieses Abenteuers schlüpfen konnte. Als Factor 5 zum Start der PlayStation 3 wieder Echsen in
Lair durch die Lüfte fliegen ließ, konnte trotz wesentlich besserer Technik und einiger interessanter Aspekte nicht mehr diese Begeisterung entstehen.