Special: Das Spieldesign von Fumito Ueda
Wer ist dieser Fumito Ueda?
Er wurde 1970 im Tatsuno geboren, war als Zeichner schon immer interessiert an Bewegungsabläufen von Tieren und nannte im fernen Japan tatsächlich einen exotischen Amiga 1200 sein Eigen, auf dem er am liebsten Lemmings und Flashback spielte. Er hat 1993 ein Studium an der Kunstuniversität in Osaka abgeschlossen, wo er sich allerdings eher mit abstrakten statt figürlichen Themen beschäftigte. Eigentlich wollte er frei schaffender Künstler werden, aber arbeitete zunächst als Artist mit dem Spezialgebiet Animationen am Horror-Adventure Enemy Zero für Sega Saturn, das 1996 erschien - diese Zeit beurteilte er aufgrund von Termindruck sowie Überstunden als "beschwerlich". Im Auftrag von Sony
ICO (PlayStation 2, 2002, Wertung: 90%)
Schon in ICO wurde Fumito Uedas spezielle Art von Spieldesign deutlich, das sich auf das Wesentliche beschränkt und in erster Linie das Visuelle erzählen lässt: Schlicht, einfach und trotzdem faszinierend - so lässt sich das Action-Adventure rund um einen Jungen in einer mysteriösen Ruinenwelt beschreiben. Die Erzählweise wurde ohne Quests, Tagebuch, Text oder Dialoge reduziert auf wenige Szenen sowie Andeutungen und die Sprache der imposanten Architektur. So wurde die eigene Fantasie angeregt und man stellte sich viele Fragen: Was hat es mit den monumentalen Burgen auf sich? Wieso jagen einen die Schatten? Warum hat der Junge Hörner? Es gab auch nicht das sonst so übliche Gegner-, Waffen- und Effektgerassel. Ueda und sein Team schufen 2002 ein ungewöhnlich stilles und minimalistisches Spielerlebnis. Lange vor dem Independent-Boom konnte ICO einen innovativen Kontrapunkt zum actiongeladenen Alltag setzen. Zwar gab es auch Kämpfe gegen schwarze Dämonen, aber das Entdecken, Klettern, Rätseln und vor allem das kooperative Zusammenspiel mit dem verängstigten Mädchen Yorda sorgten für eine fast schon sakrale Atmosphäre und eine emotionale Bindung, die erst viel später z.B. in Majin and the Forsaken Kingdom (2010) oder noch intensiver in BioShock Infinite (2013) oder The Last of Us ( 2013) beobachten konnte.
Shadow of the Colossus (PlayStation 2, 2006, Wertung: 92%; 2011: PlayStation 3)
Mantel um den Helden Wander und sein schwarzes Pferd Agro. Um ein geopfertes Mädchen zu retten, muss er uralte Wesen töten. Die Architektur in ICO konnte zwar schon für ein monumentales Ambiente sorgen, aber die 200 Fuß großen Kolosse, die sich als begehbare Level in der Landschaft bewegten, gehören bis heute zu den technischen und visuellen Höhepunkte der Videospielwelt. Sie verkörperten mythologische Archetypen vom Minotaurus über das Seeungeheuer bis zum Magier aus nahezu allen Kulturen.
Und Fumito Ueda bleibt seiner Regie treu: Das Intro entführte in eine archaische Welt ohne den üblichen Story-Kitsch, Item-Wust und Quest-Ballast. Lediglich mit einem Schwert bewaffnet, das Licht reflektiert und so den Ort des nächstens Koloss anzeigt, erlebt man eine actionreiche Odyssee auf einem herrlich animierten Pferd. Ähnlich wie ICO wird man nicht zum passiven Beobachter, sondern zum aktiven Spieler. Man reitet durch pompöse Schluchten, verwaiste Ruinen und an rauschenden Wasserfällen vorbei, um gegen faszinierende, ungeheuer lebendig animierte Kreaturen zu kämpfen, die mit jedem Tritt die Erde beben lassen. Man springt vom Pferderücken auf fauchende Flugdrachen, die auf eine Achterbahnfahrt Richtung Himmel durchstarten. Diese Momente vergisst man nicht. Und obwohl nicht viel erzählt wird, weht die ganze Zeit über ein epischer Wind, ein einzigartiger Rhythmus zwischen Ruhe und Sturm, der in einem der besten Enden, die ich je erlebt habe, noch mal tragisch aufheult. Es herrscht von der ersten bis zur letzten Minute eine erhabene, fast schon sakrale Stimmung. Ist das zu viel Pathos? Ja, für ein normales Spiel. Aber nicht für dieses Meisterwerk.
The Last Guardian (PlayStation 4, 2016)
Aber The Last Guardian kann sehr gut für sich bestehen: Weder ICO noch Shadow of the Colossus waren Episoden eines Abenteuers, das jetzt erzählerisch finalisiert wird. Es waren eigenständige Spiele, deren verbindendes Element vor allem die künstlerische Vision, das monumentale Flair sowie das reduzierte Spieldesign hinsichtlich des Storytellings sowie der Interaktion war. Sony hat gut daran getan, diese Eckpfeiler für The Last Guardian nicht umzustoßen, das laut Ueda das Beste aus beiden Vorgängern vereinen soll. Sein Ziel ist es ein Spiel zu entwickeln, dass man mit dem Gefühl erlebt, einem wirklich lebendigen Wesen zu begegnen.
Diesmal ist die Beziehung zwischen dem Jungen und dem Wesen Trico das Leitmotiv: Nur wenn die beiden ihre Fähigkeiten kombinieren, können sie das Abenteuer meistern. Sobald man das Halsband von Trico entfernt, ist er hinsichtlich seiner Bewegung sowie seiner Aktionen unabhängig, kein tierischer Befehlsempfänger - er kann also auch mal ablehnen oder sich komplett stur verhalten. Es gibt z.B. leuchtende Fässer, die er liebend gern nascht. Da ist es egal, wie stark der Junge gestikuliert, denn Trico wird nicht reagieren. Also muss man eine Lösung finden, wie man seine Aufmerksamkeit gewinnt. Es kann auch Situationen oder Dinge geben, die Trico verabscheut, so dass man alternative Wege oder Lösungen finden muss. Und ICO lässt grüßen, wenn es um akrobatische Aktionen mit Trennungen geht, etwa wenn man nur den Jungen durch enge Nischen führen kann, während Trico wartet.
Schon das bisher Gespielte deutet darauf hin, dass Ueda nicht nur seiner Tradition folgt, denn Kolossales und Emotionales, Rätselhaftes und Monumentales kehren in der gewohnten Symbiose in Form eines Action-Adventures zurück. Hinzu kommt erneut ein frisches Element, das weit über das Visuelle hinaus kreative Zeichen setzen kann - das Verhältnis zwischen Mensch und Urzeitwesen, das Gefühl einer lebendigen Partnerschaft. Ob The Last Guardian eine ähnliche Strahlkraft entwickeln und künftige Spieldesigner so inspirieren kann wie sein Vorgänger, werden die nächsten zehn Jahre zeigen.
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