Galaxy Trucker31.03.2010, Jörg Luibl
Galaxy Trucker

Special:

Wenn man als Videospieler an Emotionen oder Spannung denkt, kommen einem sicher Abenteuer der Marke Final Fantasy, Dragon Age oder Heavy Rain in den Sinn - da geht es um das große Drama im Kinostil. Aber was ist mit dem kleinen Drama? Die Erfahrung von Gier, Panik, Glück, Angst, Freude und vor allem Schadenfreude kann viel direkter sein. Und dafür braucht man weder einen HD-Fernseher noch Surroundsound oder Rechenpower. Es reicht auch ein Tisch mit Freunden.

Riskante Reise ins All

Galaxy Trucker erschien zunächst nur in Tschechien, wird aber komplett in deutscher Sprache seit 2008 vom Heidelberger Spielverlag herausgegeben: 2-4 Spieler, ab 10 Jahren, ca. 60 Minuten Spielzeit, knapp 30 Euro.
Man stelle sich vor, vier armselige Weltraumpiloten dürfen sich ein Raumschiff bauen, um möglichst weit und profitabel ins All vorzudringen. Sie haben mit einem interstellaren Konsortium einen Vertrag geschlossen, dass sie sich aus einem Wust an billigen Bauteilen bedienen und diese für die Reise mieten können. Alles, was sie nach drei Etappen sicher an Rohstoffen oder Credits ans Ziel bringen, gehört ihnen. Alles, was dabei beschädigt wird, müssen sie bezahlen. Hört sich riskant an? Ist es auch. Hört sich nach einem packenden Wettbewerb an? Ganz genau!

Noch bevor eine Düse zündet oder gar ein Planet um seine Schätze erleichtert werden kann, geht es in der ersten Runde ebenso hektisch wie spannend zur Sache - der Spieltisch wird für bis zu vier Abenteurer zum futuristischen Basar: Denn es öffnet sich eine riesige Lagerhalle mit allerlei Komponenten wie Motoren, Kanonen, Ladeflächen, Batterien, Verbindungsteilen, Kabinen und Schildgeneratoren - bunte Zeichnungen auf viereckigen Plättchen locken mit neongrünen Kapseln und violetten Lasern. Da kann man sich ja sein Traumschiff basteln! Denkste: Leider sind nicht alle Teile unbegrenzt vorhanden...

Der futuristische Basar

In der Box befinden sich neben der ausführlichen Anleitung: Ein Flugplan, acht Schiffspläne, 60 Flugkarten, 64 Credits, 144 Raumschiffsteile, vier Spielmarken, 40 graue Menschenfiguren, acht Aliens, acht Raumschifffiguren, 36 Energiesteine, 56 Warenwürfel, zwei W6-Würfel, eine Sanduhr sowie eine Regelkarte.
Sie sind zwar alle noch unter schwarzen Tüchern verdeckt, also zunächst umgedreht auf dem Tisch verteilt, aber die Spieler wissen genau, welche Bauteile dort lauern und in ihren Köpfen konstruieren sie bereits das ideale Raumschiff. Schon mit diesen Gedanken beginnt der taktische Teil: Will man ein möglichst schnelles Schiff bauen? Dann sollte man sich auf den Antrieb konzentrieren. Soll es viel Raum für Waren bieten? Dann sollte man an Ladeflächen denken. Oder Mannschaft? Dann braucht man Räume. Soll es Piraten besiegen und Meteore zerstören können? Dann sollte es viele Kanonen haben! Soll es viel zusätzlichen Schub, Feuerkraft und Schildpower liefern? Dann müssen Batterien vorhanden sein! Oder soll es komplett ausgeglichen sein? Dann muss das perfekte Design her!

Aber für gemütliche Konstruktionspläne bleibt keine Zeit. Denn plötzlich dreht jemand die Sanduhr um: Jetzt dürfen alle vier gleichzeitig ihr Raumschiff bauen, bis die Zeit abgelaufen ist! Und wer als Erster fertig wird, kann auch früher ins All starten und damit eher Planeten erkunden. Ein Hauch von panischem Schlussverkauf kommt auf, wenn Hände nach vorne schnellen und ehemals munter plappernde Mitspieler verbissen nach Teilen suchen. Die entspannte Runde ist ja eigentlich die Königin der Brettspiele, aber der tschechische Designer Vlaada Chvatil macht die hektische Echtzeit zum König seines Einstiegs: Jeder darf zulangen- und zwar wann und wo er will. Das sorgt sofort für angenehme Gier, erhöhten Puls und Spannung pur.

Echtzeitspannung und klare Bauregeln

Man startet mit der Konstruktion eines kleinen Raumschiffs der Klasse I (ganz oben), bevor es in der zweite Etappe schon mehr Platz gibt (mitte) und in der finalen Etappe ein breiter Flügelgleiter wartet (unten links). Der vertikale Raumschiffplan ganz rechts ist für Experten ideal: Hier wird das Bauen noch kniffliger.
Damit das Ganze nicht in Chaos und das Gesetz des Stärkeren ausartet, gibt es sinnvolle und leicht verständliche Regeln: Man darf sich immer nur ein Teil vom verdeckten Stapel nehmen. Falls es nicht passt, muss man es offen auf den Tisch zurücklegen - und just in diesem Moment darf der Nachbar es stibitzen. Gemein, oder? Es soll schon zu wilden Übergreifszenen und abtrusen Verrenkungen gekommen sein. Immerhin: Bis zu zwei Teile darf man gegen diesen fremden Zugriff im Lager sichern. Außerdem muss man Bauvorschriften beachten und kann nicht einfach alles schnell aneinander legen: Erstens gibt der Plan das Grunddesign mit einem Startteil (dem Herz des Raumschiffs) vor, von dem man sich nach rechts, links, oben und unten vorarbeiten muss. Zweitens hat jedes Plättchen eines von drei möglichen Verbindungsstreben an einer oder gar allen Seiten, so dass man sich die Lage auch noch zurecht puzzeln muss. Und während man da verzweifelt an seinem dritten Teil dreht, zeigt ein Blick zum Nachbarn schon ein fast fertiges Raumschiff - Panik!

Hier entsteht nicht nur eine Jagd auf die kostbaren universellen Teile mit möglichst vier Verbindungen, sondern auch eine dynamische Knobelei auf dem eigenen Raumschiffplan: Falls auf dem Tisch keine starke Kanone mehr vorhanden ist oder nur noch eine mit linker Verbindung, muss man schnell umdisponieren und sich eine Alternative einfallen lassen. Zu Beginn scheint alles reichlich vorhanden, aber mit jeder Sekunde sinkt das Angebot. Gerade in den ersten Spielen entstehen noch Raumschiffe, die nicht mehr viel mit der eigentlichen Planung zu tun haben - da wollte man eine Kampfmaschine oder einen Turbospeedjet ins All schicken und hat gerade mal drei Kanönchen oder Turbinchen installiert!

Inspektion vor dem Start

So kann ein erstes Raumschiff aussehen, wenn man es denn korrekt im Zeitplan zusammen baut: Die Verbindungsstreven müssen passen: 3er sind kompatibel mit 1er, 2er sowie 3er; 1er nur mit 1er und 3er; 2er nur mit 2er und 3er.
Und es kann noch schlimmer kommen: Bevor ein Schiff den Hangar verlassen kann, muss es seine Flugtauglichkeit beweisen. Am Ende der ersten Runde begutachten die Spieler gegenseitig, ob man sich auch an alle Bauregeln gehalten hat und ob die Raumschiffteile korrekt ineinander greifen. Oh, wie schadenfroh darf man dann mit einem gutmütigen Lächeln auf eine fehlende Strebe hier oder eine falsch platzierte Kanone da hinweisen, denn dann muss das Teil entfernt werden - wie bitter, wenn dadurch noch andere Teile in der Luft hängen und zurück in die Halle müssen. Aus so manchem auf den ersten Blick potenten Jäger wurde nach der Inspektion ein kleines Häufchen Antriebselend mit Lager.

Aber dann kann die zweite Runde mit dem Flug in den Weltraum beginnen und ab jetzt huldigt das Spiel wieder der gemütlichen Reihenfolge, ab jetzt müssen sich die Flieger beweisen: Wer als Erster aus dem Hangar kommt, startet auch ganz vorne auf der Weltraumkarte - dahinter folgen in Abständen die Verfolger. Was kann man im All entdecken? Freiheit! Rohstoffe in vier Varianten! Credits! Meteore! Piraten! Die Möglichkeiten lauern in einem gut gemischten Stapel, der in der ersten Etappe noch keine all zu heiklen Gefahren birgt, aber später um genau diese ergänzt wird. Sobald das erste Ereignis aufgedeckt wird, wird nacheinander vom Führenden bis zum Letzten erklärt, was man zu tun gedenkt.

Jede Karte ist eine Mission

Diese Karte symbolisiert den Weltraum und zeigt die Reihenfolge der Raumschiffe: Wer ganz vorne fliegt (gelb), hat die freie Wahl bei Ereignissen und Rohstoffausbeutung - das kann aber auch eine böse Überraschung sein.
Man deckt z.B. eine Karte wie "Planeten" auf: Da können alle Spieler auf unterschiedlich ertragreichen Himmelskörpern landen und bei genug Stauraum Rohstoffe ernten - wer sich auf Gefahrengut spezialisiert hat, wird besonders viele Credits verdienen. Wenn "Freier Weltraum" gezogen wird, kann man ansagen wie weit man fliegen möchte und ob man dabei Batterien für zusätzlichen Schub einsetzt - so kann man richtig Gas geben. Falls eine "Verlassene Station" erscheint, kann nur ein Spieler seine Besatzung herunter beamen, um Credits zu horten. Das Schöne ist: Jede Aktion kostet auch Zeit. Sprich: Wenn der Führende auf einem Planeten landet, muss er sein Raumschiff auf dem Spielplan um die angezeigte Anzahl nach hinten verschieben - verzichtet man als Zweiter auf die Landung, kann man ihn vielleicht überholen.

Hier entsteht ein angenehmer taktischer Wettlauf. Allerdings ist Vorsicht angesagt: Wenn man sich in der zweiten Etappe ein etwas größeres Schiff (dann sogar mit Aliens, die alleine aufgrund ihrer Anwesenheit entweder den Schub oder die Feuerkraft erhöhen) und dann in der dritten einen mächtigen Flügelgleiter bauen kann, sorgen Piraten, Sabotage und schwere Meteorstürme schon mal für ein frühzeitiges Ende. Galaxy Trucker war übrigens auf der Empfehlungsliste der Spiele des Jahres 2008, hat es aber nicht weiter geschafft - letztlich wurde es "Keltis". Dafür wurde es in Österreich von der Wiener Spiele Akademie ausgezeichnet.

Kampf im Weltall

Sobald die Raumschiffe losdüsen, können sie auf zufällige Ereignisse treffen - darunter lukrative Planeten, verlassene Stationen oder auch Meteore und Piraten.
Zum Aufbauspaß in Echtzeit und der Rundentaktik gesellt sich auch noch ein gutes Kampfsystem, in dem  Planung und Glück aufeinander treffen: Jedes Raumschiff kann mit defensiven Schilden sowie offensiven Kanonen in alle vier Richtungen ausgestattet werden. Die erste Gefahr entsteht durch Meteore - und diese treffen gleichzeitig auf alle Spieler, wobei die Trefferzone über zwei Sechserwürfel ermittelt wird: Kleine prallen von sauber gebauten Schiffen einfach ab und sorgen nur an Stellen mit offenen Bauteilen für Schaden. Wer das verhindern will, muss Energie einsetzen, um den Schild zur Abwehr aufzuladen. Aber weist er auch in die richtige Richtung? Große Meteore lassen sich mit Kanonen abschießen, wenn diese in die betreffende Richtung zielen.

Die zweite Gefahr entsteht durch Piraten - und die treffen immer auf den vordersten Raumfahrer: Hier kann man zwar Credits gewinnen, aber man muss erstmal ihre Feuerkraft erreichen bzw. toppen. Dazu wird einfach verglichen wie viele Kanonen man hat; clevere Raumschiffkapitäne haben extra Batterien und aufladbare Kanonen eingebaut, die man jetzt zusätzlich aktivieren könnte. Reicht das immer noch nicht aus, wird man von den Piraten beschossen. Hier kann man es mit leichten und schweren Treffer zu tun bekommen: Erstere kann man noch per Schild abwehren, gegen Letztere ist man machtlos und muss das getroffene Teil sofort entfernen.

Die deutsche Anleitung: Witzig geschrieben und informativ.
Hat man die erste Etappe überstanden, weil die letzte Karte gezogen wurde, geht es an die zweite Etappe: Das alte Raumschiff (oder das, was von ihm übrig blieb) wird verschrottet und die Halle öffnet sich für die Konstruktion eines größeren Raumschiffes, das erneut ins Weltall startet und erstmals die oben erwähnten Aliens mitnehmen darf. Nach drei Etappen wird dann abgerechnet: Am Ende gewinnt derjenige das Spiel, der die meisten Credits gesammelt hat. Die gibt es nicht nur für die Rohstoffe im Lager, sondern auch für die jeweilige Position sowie das schönste, d.h. möglichst unbeschädigte und kompletteste Raumschiff am Ende einer Etappe - man hat also mehrere taktische Möglichkeiten und drei Flüge Zeit, um an die wichtige Kohle zu kommen. Abzüge gibt es allerdings für alle auf der Reise zerstörten Teile. 

Noch ein abschließendes Wort zum Schwierigkeitsgrad: Galaxy Trucker mag auf den ersten Blick etwas wirr erscheinen, aber aufgrund der vielen Beispiele in der Anleitung sowie ersten Probespielen hat man das Regelwerk schnell verinnerlicht - es ist kein komplexes Strategiemonster für Experten wie etwa Chvatils epischer Civilization-Ableger "Im Wandel der Zeit", sondern das ideale Spiel für Familien mit taktischem Anspruch und Spaß am Wettbewerb. Auf der Packung steht zwar "ab zehn Jahren", aber selbst Achtjährige sind irgendwann cleverer beim Raumschiffdesign als so mancher Erwachsene.

Fazit

Dass wir gerade Galaxy Trucker als erstes Brettspiel bei 4Players.de empfehlen, hat einen guten Grund: Es ist für mich eines der innovativsten und spannendsten Spiele der letzten Jahre. Bei uns kommt es immer wieder auf den Tisch, wir führen sogar eine familiäre Highscore mit Credits. Lediglich "Die Siedler von Catan" konnte Alt und Jung ähnlich lang anhaltend begeistern. Vor allem die erste Spielrunde, in der vier Raumfahrer gleichzeitig bei ablaufender Sanduhr ihre Schiffe konstruieren, ist immer wieder ein dramatisches Highlight - Gier, Hektik, Jubel und Flüche sind garantiert. Natürlich gewöhnt man sich irgendwann daran und entwickelt eine Routine, aber trotzdem bleibt auch nach dreißig, vierzig Partien dieses Den-letzten-beißen-die-Hunde-Kribbeln. Die kreative Mischung aus Echtzeitspannung, Aufbauplanung, Rundentaktik und dem magischen Quäntchen Würfel- bzw. Kartenglück sorgt für ein überaus dynamisches Spielerlebnis. Der Tscheche Vlaada Chvatil ist für mich so etwas wie der Peter Molyneux der Brettspielwelt - ein kreativer Designer mit außergewöhnlichen Ideen. Ihm gelingt nicht immer alles, aber unter all seinen interessanten Spielen ist dieses für mich das beste. Hinzu kommt, dass das Artdesign ebenso charmant und witzig ist wie die Anleitung mit ihren humorvollen Anekdoten. Natürlich macht das Abenteuer mit vier Teilnehmern am meisten Spaß, weil der Verdrängungswettbewerb hier am größten ist. Man kann das Spiel aber auch sehr gut zu zweit bzw. zu dritt spielen oder sogar alleine gegen die Zeit üben. Außerdem gibt es noch einige Varianten für schnelle Raumfahrer oder Teamspieler.  

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Unser Brettspieltipp ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

 
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