Der Horror
Nein, das vertraute Thema spielt der gesamte Soundtrack kein einziges Mal – genau wie das Spiel einen neuen Weg geht, sollte Graves auch der Musik einen neuen Anstrich verpassen. Und so verzichtet er über weite Strecken auf prägende Melodien, nutzt stattdessen geheimnisvolles Klirren, bedrohliches Knarzen und gefährliches Stampfen.
Mission erfolgreich: Tomb Raider klingt nach Grusel und Horror.
Zum großen Teil verlässt er sich dabei auf Elemente, die vor allem seine Musik zu Dead Space auszeichnen: zitternde Violinen, brummende Bässe sowie leises Glockenspiel, das wie ein Leuchtturm im fernen Nebel halb verborgen scheint. "Secret of the Island" erinnert z.B. an das packende "The Cassini Towers" aus Dead Space 2. Mit der befremdlichen Klangwelt baut er eine akustische Kulisse auf, die ebenso faszinierend wie ungemütlich ist.
Ziellos und müde?
Genau damit hat Graves allerdings ein Problem. Zum einen gelingt es ihm nämlich kaum, Tomb Raider einen eigenständigen Klang zu verleihen, weil er seine eigenen Spiele viel zu offensichtlich zitiert. Zum anderen wirkt er bei der Weiterführung seines Stils müde, vielleicht sogar einfallslos. Wo er im ruhigen Aufbau des erwähnten "The Cassini Towers" etwa sehr intensive Akzente setzte, reiht er die Spannungsmomente in Tomb Raider einfach aneinander. Ähnliches gilt für straffe Action: Gelang ihm in Dead Space 2 noch das verstörende Dekonstruieren geradliniger Hörgewohnheiten, spannt er sein Orchester
HörprobeWer sich einen Eindruck von der Musik machen will, kann dies
auf Soundcloud tun: In einer
mehr als achtminütigen Overtüre stellt Jason Graves dort seinen Soundtrack vor.
diesmal hinter ziellosen Percussion-Lärm.
RespektNicht immer greift er daneben! Während "Paying Respects" etwa nicht als Meisterwerk in die Geschichte eingeht, führt es eine Melodie für Streicher ein, die dem Kampf eine Menge Schwung verleiht. Überhaupt ist jener Titel der Höhepunkt, weil er nach lautem Einstieg zu einem warmen Thema leitet, in dem auch Gefühle Platz haben. Wenn sich die Violinen gemächlich aufschwingen, kann man beinahe zusehen, wie aus der jungen Lara eine Abenteurerin wird.
Magere Survival und Collector's Edition
Es ist das übliche Spielchen: Anstatt Käufern teurer Sonderausgaben den kompletten Soundtrack anzubieten, liegt sowohl der Survival als auch der Collector's Edition eine stark gekürzte Ausgabe bei: Zehn Stücke enthält dieser Soundtrack - 20 Titel umfasst das vollständige, separat erhältliche Album.
Und übrigens: Wenn man ganz genau hinhört, blitzt dann doch immer wieder mal die vertraute Titelmelodie der früheren Spiele auf – eine liebevolle Verneigung vor dem großen Erbe.
Obwohl ihn vermutlich die Erfahrung mit Grusel und Horror an das neue Tomb Raider heranführte, ist Jason Graves' Musik am stärksten, wenn er sich auf die Wirkung seiner einfachen Melodien verlässt: In "Entering Himiko's Tomb" wird Lara Croft von einer sanften Harfe in ein geheimnisvolles Grab begleitet, in "A Survivor Is Born" blickt ein einsames Klavier auf die Torturen ihres neuen Abenteuers zurück – das sind Eindrücke, die hängen bleiben. Leider sind es zu wenige, um den neuen Soundtrack in seiner Gesamtheit in Erinnerung zu halten. Zu vertraut stolpert Graves' Percussion durch die Action, dem Spannungsaufbau fehlen die markanten Akzente seiner Dead-Space-Kompositionen. Unterm Strich stiehlt er sich zu routiniert durch das, was auch für ihn ein Neuanfang hätte sein sollen.
Einschätzung: befriedigend