Simulations - Special22.07.2011, Mourad Zarrouk
Simulations -  Special

Special:

Simulationen. Sind sie nicht der Ursprung aller Videospiel-Genres? Wollte nicht schon Nolan Bushnell 1972 mit Pong ein Tennis-Match simulieren? Geht es nicht immer darum, am Bildschirm Dinge möglichst realistisch zu erleben, die einem im wahren Leben meist vorenthalten bleiben, oder die schlichtweg zu gefährlich und/oder zu teuer sind? Auch wenn dies für Tennis nicht zwangsläufig zutreffen mag: Dieses Genre hat sein eigenes Special verdient.

Die Anfänge

Es hat sich unglaublich viel getan in den letzten 30 Jahren. Heute fliegt man mit drei Monitoren...mindestens
Es hat sich unglaublich viel getan in den letzten 30 Jahren. Heute fliegt man mit drei Monitoren...
Sid Meier simulierte mit Silent Service den U-Boot-Krieg, mit Pirates das Leben eines Freibeuters und mit Civilization nichts geringeres als die Menschheitsgeschichte.  Später trat Will Wright  in dessen Fußstapfen und begründete mit den Sims einfach mal die erfolgreichste Videospiel-Serie aller Zeiten. Bereits 1980 debütierte der Flight Simulator (aus dem später der Microsoft Flight Simulator wurde) auf dem Apple II und dem TRS-80. In unserer Bilderserie zum MS Flugsimulator gehen wir auf "die Simulation schlechthin" und dessen  inoffiziellen Urvater  noch kurz ein.  Drei Jahre später entstand mit Pit Stop eine der ersten  Renn-Simulationen und  im selben Jahr debütierte schon auf dem  Atari VCS 2600 ein waschechter Simulator: Das (allerdings nahezu unspielbare) Space Shuttle- a Journey into Space. 1986 erschien dann mit Gunship eine der ersten  massentauglichen Flugsimulationen zunächst für C64, DOS, Atari ST, Apple II und später auch für den Amiga. Kurzum: In der Geschichte der elektronischen Unterhaltung wurde schon früh sehr tiefgehend simuliert was das Zeug hält bzw. die sehr limitierte Technik hergab.

Die Neunziger: Goldene Zeiten

Bestenfalls aber in einem exakt nachgebildeten Cockpit mit funktionstüchtigen Armaturen!
... bestenfalls aber in einem exakt nachgebildeten Cockpit mit funktionstüchtigen Armaturen...
Diese Entwicklung setzte sich in die 90er fort und führte zu einer regelrechten Blüte des Genres.  Airbus A-320 machte den Anfang zunächst für Atari und Armstrad, später auch für Amiga und DOS. 1991 toppte  MicroProse mit  Falcon 3.0 dann aber alles bislang dagewesene: Es gab ein Handbuch fast so dick wie das Telefonbuch von Hamburg, die Unterstützung von Flugsteuerknüppeln sowie die  Möglichkeit,  im Netzwerk zu spielen. Sid Meiers legendäre  Softwareschmiede hatte zwar  bereits in den Achtzigern Flugsimulationen veröffentlicht  (Spitfire Ace/ Hellcat Ace oder Solo Flight), aber Falcon war bislang das krönende Meisterstück. Es reizte die Möglichkeiten der aktuellen Hardware voll aus und ermöglichte als erste Flugsimulation die Vernetzung mehrerer PCs per Null-Modem, um gemeinsam in Formation zu fliegen – das war damals sensationell. Kurz darauf machte eine Firma mit dem klangvollen Namen Dynamix mit Aces over the Pacific, ein Jahr später mit Aces over Europe und 1995 sogar einer respektablen U-Boot Simulation (Aces of the Deep) auf sich aufmerksam. Zwar waren dies reine Kampf-Simulationen, dennoch verlangten auch diese dem Piloten eine Menge ab und vermittelten bereits ein recht authentisches Ich-fliege-diese-Kiste-Gefühl. Mitte der 90er betrat dann mit Novalogic ein weiterer Akteur die Bühne und veröffentlichte mit Comanche einen Hubschrauber-Kampfsimulator, der zwar ebenfalls Arcade-lastig war, aber dank Voxel-3D-Technik so unverschämt gut aussah, dass selbst Hardcore-Simulationsfreaks mal einen Probeflug wagten - oder zwei. Mit Novalogics Combat Flight - Serie kamen dann auch Fans düsengetriebener Jäger (F22/F16) auf ihre Kosten. Diese wurden allerdings schon vorher bestens durch das grandiose Lineup einer ebenfalls legendären Firma aus Austin, Texas bedient: Origin Systems von
Oder
... oder zumindest in einem Flight-Dome, auf den die Spielwelt projiziert wird.
Robert und Richard Garriot schuf ebenfalls bahnbrechende Kampf-Flugsimulationen wie Strike Commander, Pacific Strike oder auch  Wings of Glory - und natürlich die Wing-Commander Serie mit ihrem genialen Spin-Off Privateer. Allesamt in den Kampf-Sequenzen nichts anderes als waschechte Flugsimulationen.

Ach ja: Neben der Fliegerei tat sich ebenfalls einiges, so wartete SSI 1996 mit Silent Hunter auf und lieferte damit für Silent Service als Begründer des Sub-Genre (man beachte die wunderbare Doppeldeutigkeit)  einen rechtmäßigen inoffiziellen Thronfolger. Darüberhinaus zeigte Novalogic mit Armored Fist ein Herz für Panzerfahrer. Eine weitere Frage sei erlaubt: Waren die ersten First Person Shooter wie Wolfenstein 3D oder Doom, nicht irgendwie auch eine Art Soldaten-Simulator? Wie man es auch nimmt, die Neunziger waren  goldene Zeiten für Simulationsfans.

Die 2000er bis jetzt

Ganze A330 Cockpits werden da in Eigenregie nach gebaut.
Ganze A330-Cockpits werden da in Eigenregie nachgebaut...
Ende der Neunziger hatte ein gewisser Will Wright die geniale Idee, gleich ganze Menschen, deren Beziehungen und Wohnungen, quasi das Leben als solches zu simulieren. Ein Spielprinzip, das offenbar den Nerv vor allem auch der weiblichen Spieler trifft und wohl auch deshalb bis zu diesem Tage zu den erfolgreichsten Videospielmarken der Geschichte gehört. Unzählige Spin-Offs, Add-Ons und Fortsetzungen führten laut Publisher Electronic Arts  zu der unglaublichen Zahl von 125 Millionen verkauften Einheiten. So nett das sein mag, Freunde klassischer, technischer Simulationen können  mit dieser Genre-Abwandlung ebensowenig etwas anfangen wie mit den zahlreichen Musiksimulationen, die ab 2005 bis heute erschienen sind und mit Rockband 3  sowie der Möglichkeit, eine echte Gitarre zu verwenden, ihren bisherigen Höhepunkt gefunden haben. Wie weit mehr Simulation geht denn, wenn ein echtes Instrument  Verwendung  finden kann - in einem Videospiel? Rocksmith will diese Idee im Herbst noch weiter führen, indem jede beliebige elektrische Gitarre an die Konsole oder den PC gestöpselt werden kann.

Für  hunderttausende Freunde sogenannter "Alltags- oder Berufssimulationen" (für die letzten Zweifler: Ja, diese Spiele verkaufen sich hierzulande wie geschnitten Brot)  bedeuten die letzten drei bis vier Jahre sogar eine geradezu paradiesische Zeit: Angefangen mit dem Landwirtsschaft-Simulator 2008 überschwemmt eine Welle  nach der anderen den Markt der PC-Spiele unter 28 Euro. Das Spektrum reicht von Vollkatastrophen wie dem Agrar-Simulator über meist halbgaren Murks wie den Garten-Simulator bis zu durchaus ansehnlichen, gelungenen Ausnahmen wie den OMSI- Omnibus Simulator oder auch den aktuellen Landwirtschafts Simulator. Was sie (fast) alle gemeinsam haben, ist der typische kursiv gedruckte silberfarbene Schriftzug des MS Flightsimulators. Der klassische Fall von: Mit fremden Federn schmücken.

Mit nahezu 100% realistischen 1:1 Umsetzungen der Original Steuerelemente.
... mit nahezu realistischen Umsetzungen der Original Steuerelemente.
Auch Freunde der Rennsimulationen mussten und müssen nicht darben. SimBin schuf mit der GTR-Serie erstklassige Renn-Simulationen für den PC, Polyphony entwickelte seine Gran Turismo-Reihe stetig weiter und auch Forza Motorsport oder  Project Gotham Racing versorgen Konsolen-Raser immer wieder mit Nachschub. Nur:  Realistische Flugsimulationen funktionieren auf  Konsole einfach (noch) nicht, das gilt insbesondere für jene, die zivile Luftfahrt thematisieren.

Für PC-Flusi-Fans  war also zumindest die zweite Hälfte der vergangenen Dekade recht ernüchternd. Ich will nicht soweit gehen wie Kollege Paul in seiner Bilderserie letztes Jahr und dem Genre der Flugsimulation den Tod attestieren, dazu waren die Messehallen der neunten Flugsimulatorkonferenz in Paderborn im Mai doch etwas zu belebt, aber besonders ergiebig waren die ersten Jahre dieses Jahrzehnts für Flusi-Fans nicht gerade, es ging ja auch sehr schlecht los.

Die Jungs können dann helfen, wenn die Piloten eine
Diese Jungs können euch helfen, wenn die Piloten auf einem Linienflug eine "Fischvergiftung" erleiden sollten

Am 11. September 2001 hatten bekanntlich ein paar fundamentalistische Irre die perfide Idee, vollbesetzte US-Verkehrsflugzeuge in Gebäude zu jagen und waren damit, wie wir alle  erfahren mussten, leider "erfolgreich". Mutmaßlich soll ihnen neben echten Flugstunden in den USA auch ein Programm von Microsoft weitergeholfen haben. Jedenfalls ist man landläufig der Auffassung, dass jene Terrorakte den Anfang vom vorläufigen Ende des Microsoft Flightsimulator-Programms begründeten. Man wird es vielleicht nie genau klären... Fakt ist: Mit dem MS Flight Simulator X erschien 2006  die vorerst letzte Ausgabe und es steht nach wie vor in den Sternen, ob das Programm wieder aufgenommen wird. Ist es deswegen gestorben? Nein! Eine ganze Industrie beschäftigt sich einzig und allein  damit, den MS Flight quasi als Grundgerüst mit immer wieder neuem Inhalt zu füttern und somit in bester Frische am Leben zu erhalten. Am 14.Mai ergriffen wir die Gelegenheit, uns die Szene anzuschauen.

Die neunte Flugsimulator-Konferenz in Paderborn

Nach einem Ausflug in die Bayrische Landeshauptstadt fand die diesjährige Veranstaltung wie auch in den Jahren zuvor wieder im Airport-Forum am Paderborner Flughafen statt. Dabei handelt es sich um ein großes Gebäude mit Tagungsräumen und genügend Fläche für die rund 20 Aussteller.

Hier fliegt der Referent noch selbst zum Vortrag: Joachim Schweigler mit seiner
Hier fliegt der Referent noch selbst zum Vortrag: Joachim Schweigler mit seiner "Dimona"
Wie der Name schon sagt, dreht sich hier wirklich alles ausschließlich um den MS Flight Simulator sowie die in die Tausende gehenden   Szenario- und Flugzeug-Add Ons und Enhancement Packs. Darüber hinaus wird Hardware für Flugsteuerung und Flugkoordination vorgestellt oder zum Verkauf angeboten und zahlreiche Flieger Clans stellen sich vor. Kurzum: Ein Eldorado für Flugsimulator-Fans, die für fünf Euro Eintritt mehr geboten bekommen als an einem Tag zu bewältigen wäre, zumindest wenn man die zahlreichen Vorträge und die in der Szene renommierten Referenten nicht verpassen wollte. Von 10 bis 17 Uhr (mit Ausnahme einer Mittagspause) konnten sich Interessierte viele Vorträge zu Gemüte führen. Als besonders beeindruckend ist uns der des Piloten und Software-Entwicklers Joachim Schweigler in Erinnerung geblieben. Referiert wurde über das MS Flight Add-On zum Motorsegler H36 Dimona Touring. Und der Referent kam hier mit dem Objekt des Vortrags selbst angeflogen: Jörg Schweigler ist zur Konferenz mit seiner eigenen Dimona angereist und am Ende auch wieder zurück ins Rheinland geflogen!

Ansonsten kamen Sprecher der Flusi-Clans zu Wort, mit klangvollen Namen wie "Friesen Flieger", oder weniger klangvollen wie "FSC e.V" und es wurde zu Themen wie "Airline ohne Linienflüge" oder "Erweiterte Flugplanung und Analyse im FlightSim Commander" doziert. Alles genauso trocken wie es sich für nicht Eingeweihte anhört, aber eben pures Gold für wahre Flusi-Freunde.

Wir sind meist nach den ersten Sätzen ausgestiegen und haben unser Heil in der übersichtlichen Wartungshalle gesucht, wo die Aussteller ihre Produkte und die Clans ihre Vereine vorstellten. So gab es ein komplett simuliertes Cockpit zu bestaunen, in dem die nachgebauten Armaturen reale Werte in Echtzeit generierten und sich alles wie in einem echten einmotorigen Schulungs-Flugzeug steuern und bedienen lies. Dem Autor dieser Zeilen gelang darin im zweiten Anlauf sogar die unfallfreie Landung auf Gran Canaria, mit der Unterstützung eines realen Fluglehrers selbstverständlich. Beeindruckend war auch die  Eingenkonstruktion eines Clans, der sich komplett dem Airbus A330 verschrieben hat und mit mehreren Flachbildmonitoren, einem Beamer,  vielen Knöpfen und einer Menge Holz ein nahezu authentisches Cockpit des Verkehrsflugzeugs nachgestellt hat! Dass sie beim Flug sogar Pilotenuniformen tragen, empfindet man da schon als selbstverständlich.

Vorträge, Referate, Diskussionsrunden...Flusi-Fans wurde in Paderborn nicht langweilig.
Vorträge, Referate, Diskussionsrunden...Flusi-Fans wurde in Paderborn nicht langweilig.
Auch die Hardware Hersteller lassen sich nicht lumpen und fahren auf, was sie haben.  Hättet ihr gewusst, das Saitek mittlerweile mit dem X-65F einen Force-Sensor Flightsticks herstellt, der wie sein reales Vorbilder in der F18 auf Druck reagiert? Der Steuerknüppel selbst ist vollkommen unbeweglich, doch feine Sensoren erkennen die Bewegungen der Hand und steuern das Flugzeug in die entsprechende Richtung. Sehr gewöhnungsbedürftig, aber wenn man es erstmal drauf hat, soll es das Nonplusultra der modernen Flugsteuerung sein.

Fragt man die Menschen in der Halle danach, was sie sonst noch spielen, bekommt man fast immer dieselbe Antwort: Auf die Festplatte kommt nur das Betriebssystem, MS Flight und die entsprechenden Szenarien plus (genau die) Flugzeug-Modifikationen, denen man sich verschrieben hat. Bei den Jüngeren ist der Berufswunsch darüberhinaus in den allermeisten Fällen Berufspilot und die Älteren sind auch häufig pensionierte Piloten.  Kurzum: Eine ganz eigene, überaus faszinierende Welt, die mit der des normalen Zockers nur eines gemeinsam hat: Beide brauchen Strom, um ihre PC's zu betreiben, das ist es dann aber auch schon.

Ausblick

Neueste Flusi-Hardware darf natürlich auch nicht fehlen.
Neueste Flusi-Hardware darf natürlich auch nicht fehlen.
Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen. Gerüchte verdichten sich, das Microsoft das MS-Flight Programm  wieder aufleben lassen wird. Wohl als eine Art Free-to-play-Variante, aber definitiv mit zahlungspflichtigen  Inhalten (Add-on, Szenarien und Flugzeuge) via DLC. Dementsprechend könnte es einen geschlossenen Code geben sowie eine Armada von Anwälten, welche die Beachtung der dann sicher deutlich schärferen Lizenzkriterien penibel durchsetzen werden. Das könnte in der Konsequenz zum Ausschluss der Third Party Hersteller wie Aerosoft, Halycon oder NBG führen. Der Geschäftsführer von Aerosoft, Winfried Diekmann, steht dieser Entwicklung aber sportlich gegenüber und sieht sie als Herausforderung. Im Gespräch mit uns äußerte er sich dahingehend recht gelassen: "Sollte Microsoft diesen Weg einschlagen wollen, so werden wir darauf mit unseren eigenen Simulationen  reagieren und den Wettbewerb annehmen. Mit X-Plane, dass wir bis zum Ende des Jahres  exklusiv in Europa  als Vollversion veröffentlichen werden, verfolgen wir ohnehin einen deutlich simulationslastigeren Ansatz, als Microsoft mit dem Konzept des neuen MS Flight. Dennoch stehen wir einer weiteren möglichen Zusammenarbeit mit Microsoft offen gegenüber und werden für den Flightsimulator X weiterhin Szenarien entwickeln".  Mit Eigenproduktionen  wie Rise of Flight (72%) konnte man bereits unter Beweis stellen, das man hier durchaus ein Wörtchen mitzureden hat. Es bleibt also spannend. In diesem Sinne: Guten Flug!

 
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