Doom (Oldie)23.09.2011, Paul Kautz
Doom (Oldie)

Special:

Doom - ein Name wie ein Donnerhall. Besser hätte er kaum gewählt sein können, denn der Shooter von id Software brachte tatsächlich Verdammnis. Nicht seinen Entwicklern, oh nein, die wurden dadurch stinkreiche Superstars. Aber so ziemlich jedem anderen: Der niedergeschmetterten Konkurrenz, den ausgebooteten Händlern, den jegliches Zeitgefühl verlierenden Spielern. Eine echte Legende.

1992

Ein Space Marine, eine Shotgun, die Horden der Hölle im Anmarsch - das war Doom!
Ein Space Marine, eine Shotgun, die Horden der Hölle im Anmarsch - das war Doom!
Damals, als CPU-Geschwindigkeit noch in MHz gemessen wurde. Als die Blechgehäuse der Tower noch eine »Turbo«-Taste hatten, die das genaue Gegenteil  dessen machte, was sie versprach. Als wirklich niemand mehr als 256 Farben und acht Megabyte RAM brauchte. Als kaum ein Spiel mehr als 20 Megabyte von der Festplatte haben wollte - was allerdings schon gierig war, denn für den Kauf einer Platte galt die Faustregel: ein Megabyte = eine Mark. Als Shooter noch ausschließlich mit der Tastatur gesteuert wurden. Als »Deckung« gleichbedeutend mit »Wand« war. Und als Shooterhelden in erster Linie eines können mussten: schießen. Kram wie springen, ducken oder Gegner von hinten per Quicktime Reaction erledigen waren unbekannter Quatsch. 1992 - das waren noch Zeiten! Die Zeiten, in denen die Entwicklung von Doom begann.

Die Jungs von id Software gelten nicht ohne Grund als die Erfinder des FPS-Genres - zwar gab es schon kurz vor dem 1992er Wolfenstein-3D Spiele mit texturierter 3D-Grafik (u.a. Ultima Underworld ), aber eben keinen rasanten Shooter. Mit diesem (hierzulande aufgrund von Nazi-Thematik beschlagnahmten) Titel wurde der Grundstein für all die Battlefields und Call of Dutys dieser Welt gelegt, aber erst mit Doom wurde aus dem Nischenspaß für Ballerfreaks ein gigantischer Massenwahnsinn.

Doom war in vielerlei Hinsicht innovativ. Aber sein größter Verdienst dürfte wohl die Etablierung des Deathmatches gewesen sein. Hätte es Doom nicht gegeben, wäre die heutige Mehrspielerwelt eine ganz andere.
Doom war in vielerlei Hinsicht innovativ. Aber sein größter Verdienst dürfte wohl die Etablierung des Deathmatches gewesen sein. Hätte es Doom nicht gegeben, wäre die heutige Mehrspielerwelt eine ganz andere.
Klar gab es auch zwischen Wolfenstein und Doom mehr oder weniger brauchbare Shooterware (wie Terminator Rampage , Bodycount oder Blake Stone ), aber erst Doom brachte das Genre mit einem gewaltigen Satz nach vorne. Denn es machte einfach alles richtig.

Money for Nothing?

Außer vielleicht die Sache mit der Bandbreite: Pünktlich zur Veröffentlichung der Shareware-Version am 10. Dezember 1993 brachen die Server der Universität Wisconsin-Madison unter der Last der Anfragen zusammen - zu viele Tausend Shooterfans wollten gleichzeitig Hand an die Demo legen. Mich betraf das nicht: Ich hopste ein paar Tage darauf auf mein Fahrrad, strampelte zum Spielehändler meines Vertrauens, legte fünf Mark auf den Tisch und zischte mit einer Doom-Demodiskette im Rucksack zurück nach Hause. Ja, ich habe für die Demo bezahlt! Das war der Genius des Shareware-Vertriebs: Jay Wilbur, damals id Softwares Marketing-Fuzzi, stellte den Spielevertrieblern die Demo kostenlos zur Verfügung; sie konnten dafür von ihren Kunden verlangen, was sie wollten und all die Gewinne behalten. Jay wollte nur eines: Verbreitung auf Teufel komm raus. Allerdings fällt es schwer, sich heute sowas vorzustellen - was wohl los wäre, wenn 4Players anfangen würde, für Demos Geld zu verlangen?

Dank der Bemühungen von Bethesda ist Doom mittlerweile nicht mehr indiziert und somit offiziell auch in Deutschland auf dem XBLA-Marktplatz erhältlich.
Dank der Bemühungen von Bethesda ist Doom mittlerweile nicht mehr indiziert und somit offiziell auch in Deutschland auf dem XBLA-Marktplatz erhältlich.
Nun, wie auch immer - der direkte Vertriebsweg war ein Geniestreich. Zum einen wurde mal eben der versammelten Konkurrenz der Stinkefinger gezeigt: id Software verschenkte sehenden Auges ein ganzes Drittel ihres Spiels; voll spielbar, mit allem Drum und Dran. Wer den Rest haben wollte, konnte in den USA das Spiel direkt bei den Entwicklern bestellen - auf diese Art und Weise vermied id den Geld fressenden Rattenschwanz der Vertriebs-Mittelmänner komplett, die sich ebenfalls über einen ausgestreckten Mittelfinger freuen durften. Außerhalb der USA war das nicht ganz so einfach, hier musste man auf Partner zurückgreifen - hierzulande wurde Doom z.B. von CDV vertrieben. Die ungekannte Dreistigkeit funktionierte allerdings: Doom verkaufte sich rasend schnell millionenfach!

Schöne neue Shooterwelt

Das wunderbar verwinkelte Labyrinth-Design der Levels war einer der herausragenden Punkte von Doom - so etwas gibt es heutzutage kaum noch.
Das wunderbar verwinkelte Labyrinth-Design der Levels war einer der herausragenden Punkte von Doom - so etwas gibt es heutzutage kaum noch.
Und was war denn nun das besondere an diesem Spiel mit dem Titel, der Programmierer John Carmack beim Schauen eines Tom Cruise-Films (The Colour of Money) einfiel? Das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen id Software und Nine Inch Nails-Frontmann Trent Reznor war? Das die einmalige Leistung vollbrachte, den damaligen Microsoft-Chef Bill Gates im Trenchcoat und mit Schrotgewehr bewaffnet mittels Doom Werbung für Windows 95 machen zu lassen - unter dem Leitmotto »Who do you want to execute today?« Es war für mich (und für viele andere) die Mischung aus technischer Perfektion mit einem wahnwitzig rasanten und herrlich brutalen Spielprinzip - so etwas gab es vorher nie und auch danach lange Zeit nicht. Die 3D-Grafik bot nicht nur texturierte Böden und Decken (was es bei Wolfenstein nicht gab), sondern auch irrsinnige Geschwindigkeit - für einige sogar zu viel des Guten, was zu den ersten dokumentierten Fällen von durch Videospiele induzierter Motion Sickness führte. Die Levels wurden nach hinten immer dunkler, was sie von vornherein bedrohlich machte, es gab Flackerlicht, Wechsel von Licht und Schatten, mit einem Mal per Skripting zappendustere Räume, animierte Texturen - klingt heute nach etwas, das selbst ein YPS-Gimmick realistischer hinbekommt, aber damals konnte das Gesehene kaum geglaubt werden. Und John Carmacks ingeniöse Engine rannte wie der Teufel, der einem an den Wänden entgegen lachte - selbst auf mit Streichhölzern befeuerten Rechnern.

Der Spider Mastermind - der garstige Endgegner des ursprünglichen Doom. Und bis heute einer der abgefahrensten Bossgegner überhaupt.
Der Spider Mastermind - der garstige Endgegner des ursprünglichen Doom. Und bis heute einer der abgefahrensten Bossgegner überhaupt.
Und dann war da natürlich noch das Leveldesign. John Romero und Sandy Petersen boten nicht nur wunderbar abwechslungsreiche, sondern auch klasse verwinkelte Levels, mit denen die Schläuche von heute nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun haben. Erkundung, das Finden des besten Wegs, viel Ausprobieren sowie die Suche nach der farbigen Schlüsselkarte, das bannte die Spieler an die Monitore, bis sie selbst aussahen wie die Zombies im Spiel. Garstige Gemeinheiten wie die Kettensäge, die man direkt zum Levelbeginn zu sehen bekommt, aber der Weg dahin über die Leichen mehrerer Dutzend Gegner sowie durch einige Geheimgänge führt, sind heute zurecht legendär. Das Schöne daran war, dass man nie das Gefühl hatte, zu doof für die Geheimnisse zu sein, der fabelhaften Automap sei Dank - die konnte man nämlich gezielt zum Aufspüren von Secrets nutzen.

Suck it down!

Dann waren da noch Sachen wie der Berserker-Modus, den man im Blutrausch mit den virtuellen Fäusten nebst Schlagring auslebte. Die grandiosesten Shotgun-Soundeffekte überhaupt. Mistige, unsichtbare Dämonen, die man nur am Flimmern der Umgebung sowie ihrem markerschütternden Röhren erkannte. Die Knarre mit dem besten Namen überhaupt, die »Big Fucking Gun 9000«. Mächtige, wahnwitzige Bosse wie den Cyberdemon oder den Spider Mastermind. Den wunderbar motivierenden Soundtrack von Bobby Prince. Und natürlich nicht zu vergessen die Geburtsstunde der Mehrspieler-Action: Ethernet-Verbindung via IPX-Protokoll, und schon konnten sich bis zu vier Spieler gemeinsam auf den Weg machen. Oder noch viel besser: Gegenseitig die Därme aus den Bitmap-Körpern jagen! Ja, Doom war der Beginn der Mehrspielerära - der Begriff »Deathmatch« wurde von John Romero speziell für dieses Spiel geprägt. Was heute so selbstverständlich ist, war damals komplettes Neuland.

Der Cyberdemon naht! Lauft um euer Leben!
Der Cyberdemon naht! Lauft um euer Leben!
Natürlich hatte Doom seine Schwächen: Die damals verbreitete Technik (386er, VGA-Karten, vier MB RAM) ließ keine echte 3D-Grafik zu, Doom ist als Vorreiter der »2 ½D-Shooter« bekannt - die Art von Spiel, in denen fast ausschließlich mit Sprites gearbeitet wird, in denen vertikale Flächen schnurgerade sind, in denen Rauf- und Runtersehen bestenfalls mit technischen Tricks erreicht wird, in denen es keine sich überlagernden Sektoren gibt. Aber damals war das völlig wurscht - »Wieso sollte man für Virtual Reality einen teuren Spezialhelm brauchen?« fragte die PC Player in der Ausgabe 2/94 angesichts der phänomenalen Doom-Bilder völlig zurecht. Natürlich fand die Doom-Technologie (die im Nachhinein »id Tech 1« getauft wurde) über Lizenzverträge auch ihren Weg zu anderen Entwicklern; Spiele wie Strife oder Heretic verdanken ihr das Leben. Es gab sogar eine speziell für das amerikanische Militär entwickelte Doom-Fassung, die dazu diente, über das Netzwerk Team-Taktiken zu üben. Wie auch immer das mit explodierenden Fässern und schwebenden Glubschaugen-Monstern funktionieren sollte.

O tempora, o mores!

Ratz-Fatz-Splotter! Doom war kein Spiel der falschen Bescheidenheiten, getroffene Gegner gingen hier dauerhaft und sehr matschig unter. Weshalb das Spiel ja damals auch recht flott indiziert wurde.
Ratz-Fatz-Splotter! Doom war kein Spiel der falschen Bescheidenheiten, getroffene Gegner gingen hier dauerhaft und sehr matschig unter. Weshalb das Spiel ja damals auch recht flott indiziert wurde.
Natürlich kommt keine Doom-Retrospektive ohne den Verweis auf das Columbine-Massaker von 1999 aus - aber jeder weiß doch, dass die Musik von Marylin Manson sowie die Gottlosigkeit der Homosexuellen für den Amoklauf von Eric Harris und Dylan Klebold verantwortlich waren, nicht wahr? Hierzulande hatten wir das Problem nicht, denn nur sechs Monate nach seiner Veröffentlichung (im Mai 1994) wurde das Spiel von der damals noch »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften« benannten Verbanner-Zentrale indiziert. »Man muss sich immer am aktuellen Stand der Technik orientieren, und da sind die Grafiken heute ja um einiges krasser, präziser oder "echter" geworden.« sprach Elke Monssen-Engberding (übrigens auch heute noch Leiterin der mittlerweile umgetauften BPjM) im Interview mit der PC Player, Ausgabe 11/94. »Ausschlag gebend war das Töten von Menschen mit den verschiedensten Mordinstrumenten, insbesondere der wohl hinlänglich bekannten Kettensäge« - das war der entscheidende Punkt für die Indizierung von Doom.

Mittlerweile, nur 18 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung, ist das Spiel aufgrund der Bemühungen der id Software-Mutterfirma ZeniMax wieder vom Index gestrichen - u.a. mit der folgenden Begründung: »Allenfalls könne Doom heute als comic-hafte Darstellung verstanden werden. Dies gelte auch im Hinblick auf die Gewalthandlungen, die weder selbstzweckhaft noch detailliert seien. […] Im Vordergrund stehe nicht das Töten, sondern das Erreichen des rettenden Ausgangs eines jeden Levels.«

Die Entstehung von Doom bzw. die Geschichte von id Software im Allgemeinen ist eine hochinteressante Angelegenheit, die im Buch »Masters of Doom: How Two Guys Created an Empire and Transformed Pop Culture« von David Kushner flüssig und spannend nachlesbar ist. Das Buch konzentriert sich auf die Entwicklung von John Carmack und John Romero, wie sie zusammen die Spielewelt für immer veränderten und schließlich genau daran zerbrachen. Höchst empfehlenswert, allerdings nur auf Englisch erhältlich!
Schon irgendwie witzig, nicht? Wenn man bedenkt, dass die Begründung für die Indizierung damals u.a. den folgenden Passus enthielt: »Wesentlicher Inhalt des Spiels ist die bedenkenlose, realistisch inszenierte Tötung der Gegner. […] Ein erfolgreiches Durchspielen wird einzig durch die Liquidation zahlreicher Gegner gewährleistet; die Tötungshandlungen werden mit blutig zerfetzten gegnerischen Körpern aufwendig dargestellt und akustisch untermalt.«

Nun, sei's drum. Zwischenzeitlich wanderte das Spiel auf so ziemlich jede Plattform, die bewegte Bilder darstellen konnte - u.a. gab und gibt es Doom-Fassungen auf N64, 3DO, Jaguar, PlayStation, Saturn, Game Boy Advance, Xbox Live Arcade und iPhone. Das Doom-Franchise ist mittlerweile gigantisch groß, es gab zwei offizielle Nachfolger, mehrere Compilations, eine Ausweitung auf den Handymarkt in Form der unterhaltsamen Doom-RPGs, es gibt ein Brettspiel, einen Kinofilm, diverse Romane - kurz gesagt ist Doom massentaugliche Populärkultur. Erstaunlich für ein Spiel, das seinerzeit für so ziemlich jedes Unheil dieser Welt verantwortlich gemacht wurde. Vermutlich haben wir es deshalb so gerne gespielt. Und weil es einfach nur geil war!

Paul Kautz

 
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