Risiko Evolution13.01.2012, Jörg Luibl
Risiko Evolution

Special: Dynamische Weltherrschaft

Jeder kennt es, jeder hat es mal gespielt: Risiko ist einer der Klassiker der Spielegeschichte. In den 50er Jahren wurde es vom französischen Regisseur Albert Lamorisse entworfen. Und kaum einer weiß, dass es in Deutschland geschnitten wurde, weil sich die Behörden damals am Wort „Erobern“ störten – hierzulande musste es „Befreiung“ heißen. Mittlerweile gibt es weniger Hysterie und mehr Varianten. Eine besonders geniale ist gerade erst erschienen!

Die Qual des Siegers

Risiko Evolution ist für knapp 50 Euro beim Heidelberger Spielverlag erschienen.
Risiko Evolution ist für knapp 50 Euro beim Heidelberger Spielverlag erschienen. Es ist für drei bis fünf Teilnehmer ausgelegt.
Hurra: Ich habe gerade meinen vierten Stern ergattert und damit das Spiel gewonnen! Aber damit ist diese Partie längst nicht vorbei, denn als Sieger kann ich die Welt verändern – und zwar nachhaltig. Zum einen darf ich auf dem Plan unterschreiben, damit ersichtlich bleibt, wer in kommenden Partien auf wie viele Raketen zurückgreifen darf. Zum anderen entscheide ich jetzt, ob ich einen Kontinent mit dem beiliegenden Stift taufe und später nur für mich eine zusätzliche Armee freischalte. Ich könnte auch eine Großstadt errichten und von mehr Bevölkerung profitieren. Ich könnte Mankos oder Boni ändern, Städte befestigen oder ganze Gebietskarten vernichten! Was mache ich bloß…

Raketen, Festungen, Boni? Ihr seid verwirrt? Keine Bange: Dieses Risiko inszeniert zwar ein futuristisches Szenario im Jahr 2128, aber spielt sich im Kern noch genauso wie der Klassiker. Man befehligt eine Fraktion, erobert Länder, bekommt für besetzte Gebiete sowie Kontinente von Australien bis Nordamerika mehr Truppen  und spielt Kämpfe in alter Manier aus. Der Angreifer würfelt maximal drei schwarze und der Verteidiger maximal zwei rote Würfel – dann werden die jeweils höchsten Ergebnisse miteinander

Das Regelwerk ist anschaulich, das Material kann sich sehen lassen: Neben dem Spielplan liegen Stift, Würfel, zig Karten und Plättchen sowie 275 Plastikfiguren bei.
Das Regelwerk ist anschaulich, das Material kann sich sehen lassen: Neben dem Spielplan liegen Stift, Würfel, zig Karten und Plättchen sowie 275 Plastikfiguren bei.
verglichen, wobei der Verteidiger bei einem Unentschieden gewinnt. Das Ganze wird so oft wiederholt, bis dem Aggressor die Lust, die Truppen oder beides vergeht.

Die Welt ändert sich

Aber um diese bekannte Spielmechanik hat Rob Daviau eine faszinierende Kampagne gebaut, die den Klassiker enorm aufwertet – ich hätte nicht gedacht, dass mir Risiko nochmal so viel Spaß macht. Nicht nur, dass die fünf wählbaren Fraktionen unterschiedliche Fähigkeiten besitzen, die man im Laufe der Kampagne weiter ausbauen kann. Zu Beginn muss man sich zunächst für eine von zwei möglichen Startboni entscheiden: Wer die grauen Roboter der Khan Industrie wählt, darf z.B. festlegen, dass man am Anfang des Zuges immer eine zusätzliche Einheit auf sein Hauptquartier stellt. Wer die wilden Reiter der Enklave des Bären ins Feld führt, darf den Verteidiger des ersten Gebietes dazu zwingen, seinen niedrigsten Wurf nochmal um eins zu verringern. Und es gibt zig mehr!

Mit diesen Stickern verändert man das Aussehen der Welt: Es gibt kleine und große Städte, Münzenboni und Befestigungen.
Mit diesen Stickern verändert man das Aussehen der Welt: Es gibt kleine und große Städte, Münzenboni und Befestigungen.
Aber nicht nur die Fraktionen entwickeln sich mit der Zeit über bis zu fünf Merkmale. Das Antlitz der Weltkarte, der Wert der Länder und selbst das Regelwerk befinden sich in einem ständigen Wandel, der über Sticker manifestiert wird – nach jeder Partie beschriftet oder beklebt man den Spielplan mit Namen,  Städten, Boni oder Mali. Es kann sein, dass Kontinente mehr Einheiten bringen, dass bestimmte Länder jede Runde Söldner produzieren oder dass verseuchte Gebiete  selbige vernichten, dass die eigene Fraktion bei Angriffen plötzlich Würfel anpassen darf oder dass stark bevölkerte Gebiete entstehen, deren Eroberung sich gleich dreifach oder sechsfach auszahlt.

Was für ein schadenfrohes Gefühl, wenn man seinem starken Gegner in Nordamerika eine Seuche auf Grönland klebt! Oder wie beruhigend, wenn man eine seiner Städte mit einer Befestigung schützt: Dann hat sie quasi eine Schutzhülle, die zehn Angriffen Stand hält und wertet die eigenen Verteidigerwürfe jeweils um einen Punkt auf! Allerdings bröckelt die Hülle auch automatisch bei jedem Angriff von mindestens drei Armeen.

Eroberungen mit Konsequenzen

Die Imperialen Balkanier sind eine von fünf Fraktionen - hier mit ihrem ersten Startvorteil; der andere ist damit futsch!
Die Imperialen Balkanier sind eine von fünf Fraktionen - hier mit ihrem ersten Startvorteil; der andere ist damit futsch!
Sehr schön ist, dass all diese Möglichkeiten behutsam eingeführt werden. Man startet dieses Risiko nur mit einem Grundgerüst an Regeln. Schon beim ersten Öffnen des edel designten Koffers wird man allerdings neugierig: Was sollen all die versiegelten Päckchen? Darin stecken kleine Regelanpassungen, noch mehr Karten und Sticker. Diese öffnet man erst, sobald man bestimmte Voraussetzungen im Spielerfüllt – z.B. wenn eine Fraktion zum ersten Mal den dritten Sieg auf dem Plan markiert oder wenn zum ersten Mal drei Raketen in einem Gefecht gleichzeitig eingesetzt werden. Die bekommt man übrigens für jeden Spielsieg und man darf sie einmal einsetzen, um einen beliebigen Wurf auf Sechs zu erhöhen – auch einen in einem anderen Gefecht!

Aber die Spielbalance ist so gut, dass auch die Verlierer profitieren und Einfluss ausüben: Zum einen können auch sie nach einer Partie eine kleine Stadt gründen oder den Wert eines Gebietes erhöhen. Zum anderen können nur Fraktionen, die in einer Partie ausgelöscht wurden oder kurz davor stehen, eine blaue Fähigkeit auf ihre Karte kleben – das können mächtige Boni sein wie z.B. die Erhöhung aller Angriffswürfe, sobald man ein Hauptquartier angreift. Man muss als Verlierer also nicht den Kopf in den Sand stecken, zumal das Spielziel nicht in der stupiden Vernichtung aller Feinde besteht. Es geht darum, wer als erste Fraktion vier Sterne besitzt. Zwei hat man von Beginn an, symbolisiert durch die eigene Hauptstadt sowie ein Sternplättchen; weitere kann man auf viele Arten

Neben dem Hauptquartier verfügt jede Fraktion über zwei Truppentypen.
Neben dem Hauptquartier verfügt jede Fraktion über zwei Truppentypen.
gewinnen – und da ist Taktik gefragt!

Vier Sterne führen zum Sieg

Eine davon besteht einfach darin, ein feindliches Hauptquartier zu besetzen oder vier gewonnene Gebietskarten einzutauschen. Eine andere darin, bestimmte Missionen zu erfüllen: Diese kommen erst nach einigen Partien ins Spiel und können z.B. darin bestehen, dass man in einem Zug sieben Gebiete erobert, dass man gleichzeitig sechs Städte kontrolliert oder viermal erfolgreich über Seewege angreift – all das kann einen Stern einbringen. Das Motivierende ist, dass diese Aufträge für alle sichtbar ausliegen und von jedem erfüllt werden können. Und weil jeder per se zwei Sterne besitzt und viele Möglichkeiten hat, weitere zu gewinnen, erreichen die Partien schnell erhöhte Spannung, wenn jeder plötzlich einen Matchball hat.

Auch Ereignisse wie „Widerstand“, „Einmischen“ oder „Bevölkerung kontrollieren“ tragen

Man braucht schon einen großen Tisch, wenn man zu viert loslegt.
Man braucht schon einen großen Tisch, wenn man zu viert loslegt - die Plastikfiguren stehen übrigens stabil (da gab es schon schreckliche Risikowackler in früheren Editionen) und sehen gut aus..
zur Dramaturgie am Tisch bei: Es kann sein, dass alle Kleinstädte, in denen sich nur zwei Einheiten befinden, eine auf ihrem Gebiet platzierte vernichten müssen. Es kann sein, dass die Fraktion mit der höchsten Bevölkerung zusätzliche Einheiten setzen oder eine neue Missionskarte ziehen darf – gerade Letzteres kann taktisch sinnvoll und überaus gemein sein. Aber so richtig Schwung kommt ins Spiel, wenn das Draften aktiviert wird: Denn dann werden vor der Partie reihum Startvorteile wie die Fraktion, die Reihenfolge der Züge sowie der Aufstellung, die anfänglichen Münzen sowie die Einheitenzahl zu Beginn entschieden.

Ausblick

Ich hätte nicht gedacht, dass mir Risiko nochmal so viel Spaß macht! Wir haben es über die Weihnachtstage immer wieder auf den Tisch gebracht und über zwei Wochen fast täglich gezockt. Selbst Brettspielmuffel konnten sich dem Reiz der dynamischen Änderung der Machtverhältnisse nicht entziehen. Das System beruht zwar auf dem Klassiker, wurde aber genial erweitert: Mit jeder Partie ändert sich nicht nur das Antlitz der Weltkarte, sondern auch die Fähigkeiten der fünf Fraktionen sowie das Regelwerk - man schaltet ständig neue Elemente frei. Und im Laufe der Kriege muss man sich teilweise zwischen Möglichkeiten entscheiden, wobei die andere Alternative vernichtet wird; all das wird mit Stickern und Stift permanent festgehalten – ein tolles System! Schließlich ist die Spielbalance hervorragend, denn nicht nur die Sieger, sondern auch die Verlierer können die Welt modifizieren und neue Fähigkeiten gewinnen. Für mich ist dieses Risiko die mit Abstand kreativste Version seit der Premiere 1957!

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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