Special: Im Wandel der Zeit: Fallout
Wasteland (1988), EA/Interplay, Apple II/C64/DOS
Wenn man über die Geschichte von Fallout spricht, muss man mit Wasteland beginnen. Das von Brian Fargo bei Interplay entwickelte Rollenspiel legte 1988 mit vielen kreativen Ideen den Grundstein für die bis heute faszinierende Endzeit-Saga. Und das in einer Zeit, in der trotz dreier Mad-Max-Filme (1979, 1981, 1985) nicht düstere Science-Fiction, sondern eher epische Fantasy in Literatur, Kino und Spiel populär war.
Wasteland entführte in ein postapokalyptisches Amerika des Jahres 2087. Nachdem der Dritte Weltkrieg fast die gesamte Menschheit vernichtet hatte, sollte man mit seinen aus Ex-Soldaten rekrutierten „Desert Rangern“ für Ordnung zwischen Mutanten, Sekten und Banditen sorgen. Die Story ließ sich viel Zeit und die große Bedrohung zeichnete sich erst langsam in den Weiten des Ödlands ab. Man startete mit vier Charakteren und konnte später bis zu sieben in seine Party aufnehmen, die es auch nach Las Vegas verschlug.
Die klassischen Attribute wie Stärke, Charisma oder Glück hatten auch Einfluss auf damit verknüpfte Fähigkeiten: Erst ab bestimmten Werten konnte man z.B. Türen eintreten, über Zäune klettern oder in Dialogen rhetorisch auftrumpfen. Es ging also nicht nur um die Effizienz im Kampf, zumal Charaktere mit hoher Intelligenz auch mehr lernen konnten, sondern es gab auch alternative Wege, um Hindernisse zu beseitigen oder Probleme zu lösen. Diese situative Offenheit trug viel zum Spielspaß bei und förderte das Experimentieren mit Fähigkeiten in der Party.
Wenn das alles so toll war und Wasteland laut Fargo an die 100.000 mal für Apple II und C64 verkauft wurde: Wie konnten neun Jahre ins Land ziehen, ohne dass ein zweiter Teil und stattdessen ein Fallout erschien? Das hatte spielepolitische Gründe, denn Entwickler Interplay und Publisher Electronic Arts stritten um die Markenrechte, die letztlich bei EA verblieben, ohne dass jedoch ein offizieller Nachfolger erschien.
Fallout (1997), MacPlay/Interplay, DOS/Mac/Windows
Also musste Interplay den Nachfolger im Geiste umbenennen: Fallout war geboren. Die Story zeichnete ein ebenso düsteres Bild wie Wasteland, wurde aber noch weiter bis ins 22. Jahrhundert sowie in ein Paralleluniversum verlegt, in dem die 50er Jahre quasi konserviert wurden – ein Quell für reichlich Humor und Sarkasmus. Nach einem Nuklearschlag leben einige wenige Menschen in Atombunkern und wissen nicht, was da draußen mit den anderen Überlebenden passiert ist. Als das Wasser in Vault 13 knapp wird und nur noch für 150 Tage reicht, muss sich jemand in die Wildnis wagen – man hatte die Wahl zwischen drei vorgefertigten oder einem selbst erstellten Charakter.
Wasteland wurde zwar an einigen Stellen zitiert, aber Fallout zeigte bereits die wesentlichen Merkmale, die es bis heute kennzeichnen: Vaults, S.P.E.C.I.A.L., Pip-Boy als Hilfetool oder dogmeat als Hundebegleiter. Dass man ein eigenes Charaktersystem namens SPECIAL entwickelte, war scheinbar aus der Not geboren, denn nach einer Version wollte man das beliebte Pen&Paper-Regelwerk GURPS von Steve Jackson anwenden, der angeblich nicht sehr angetan war von der brutalen Spielwelt – was allerdings später dementiert wurde. Wie auch immer: Interplay war kreativ, erweiterte das System aus Wasteland und nannte es S.P.E.C.I.A.L.: An die sieben Namen gebenden Attribute Strength, Perception, Endurance, Charisma, Intelligence, Agility und Luck waren nicht nur weitere aktive und passive Fähigkeiten von Schlösser knacken bis Feilschen oder Rhetorik verknüpft, die wiederum andere spielerische Möglichkeiten eröffneten. Es gab auch spezielle Merkmale und Wesenszüge mit Boni und Mali, so dass angenehm komplexe Figuren entstanden, die auch Krankheiten oder Psychosen haben konnten.
Falls es mal krachte, blieb es beim rundenbasierten Kampf, der jedoch wesentlich taktischer, hinsichtlich der Waffenfähigkeiten vielfältiger und visuell ansprechender inszeniert wurde als noch in Wasteland. Als Inspiration diente dem Team u.a. UFO: Enemy Unknown aus dem Jahr 1994 von MicroProse. Für jede Aktion wie Bewegung oder Schuss musste man Punkte investieren, bis sie verbraucht waren. Man konnte einzelne Körperteile anvisieren, musste mit diverser Munition haushalten und durfte wahre Orgien der Zerstörung mit bizarren Waffen einleiten – nur hatte man keinen Einfluss auf die militärischen Aktionen der computergesteuerten Begleiter. Fallout war wirtschaftlich wesentlich erfolgreicher als Wasteland und spielkulturell mit all seinen Anspielungen auf Filme wie Mad Max sowie die Popkultur prägender. Sein berühmter Prolog leitet bis heute jeden Teil ein: "War. War never changes".
Fallout 2 (1998), Interplay/Black Isle Studios, Windows/Mac
Fallout Tactics: Brotherhood of Steel (2001), 14 Degrees East/Micro Forté, Windows
Fallout 3 (2008), Bethesda Softworks/Bethesda Game Studios, PC, PS3, 360
Erst ein Jahrzehnt nach Fallout 2 wurde die Serie fortgeführt, aber unter komplett anderen Vorzeichen: Als die Black Isle Studios im Jahr 2004 geschlossen wurden, konnte sich Bethesda Softworks die namhafte Lizenz sichern. Und kurz nachdem man mit The Elder Scrolls IV: Oblivion (2006) große Erfolge feierte, erschien unter der Leitung von Todd Howard das erste Fallout 3 in dritter Dimension.
Unter Rollenspielern alter Schule gab es nicht nur Freudensprünge und gewisse Shooterphobien angesichts der Zeitlupen-Kills mit dem Vso genannten .A.T.S. (Vault-Tec Assisted Targeting System), aber Bethesda führte das Erbe der
Bethesda konnte mit einem hervorragenden Einstieg überzeugen, in dem man als Säugling im Atomschutzbunker Vault 101 startete, um nach einer simulierten Charakterentwicklung neunzehn Jahre später in einem offenen Ödland zu versinken. Es gab zig Aufträge, tolle Überraschungen, enorme Freiheiten und monumentale Pracht. Letztlich verhinderten technische Macken sowie das Kampfsystem mit seinen KI-Aussetzern unseren Platin-Award (Wertung: 87%). Fallout 3 war ein internationaler Bestseller, der alle bisherigen Vorgänger in den Schatten stellte: Bis heute hat man systemübergreifend über neun Millionen Spiele verkauft – digital nicht eingerechnet.
Fallout: New Vegas (2010), Bethesda Softworks/Obsidian Entertainment, PC, PS3, 360
Fallout 3 war also wirtschaftlich ein Riesenerfolg für Bethesda und so gingen lediglich zwei Jahres ins Land, bevor Obsidian Entertainment unter Leitung von Josh Sawyer ein weiteres Abenteuer inszenierte – keine Erweiterung, sondern ein eigenständiges Spiel in der Mojave-Wüste mit Las Vegas als Highlight. Es knüpfte nicht an die Story oder Charaktere des dritten Teils an, aber spielte unter Nutzung derselben 3D-Technik in derselben Endzeit - nur vier Jahre später.
Das lag auch daran, dass an Fallout: New Vegas wiederum einige Veteranen von Fallout sowie Fallout 2 beteiligt waren. Man konnte in eine ebenso bizarre wie stilsicher inszenierte Mischung aus Endzeitwahnsinn und Heilewelt-Country abtauchen. Es gab mehrere Fraktionen, abwechslungsreiche und intelligent designte Quests, viele Rollen waren zudem mit spürbaren Konsequenzen spielbar- egal ob brachialer Haudrauf oder nobler Revolvermann, egal ob skrupelloser Einbrecher oder kommunikativer Charmeur. So konnte Fallout: New Vegas trotz nerviger Bugs noch unseren Gold-Award erobern (Wertung: 85%). Und es war ebenfalls ein internationaler Bestseller: Bis heute hat man systemübergreifend knapp acht Millionen Spiele verkauft – digital nicht eingerechnet.
Wasteland 2 (2014), inXile, PC, PS4, One
Und was war das für ein Comeback: Dieses Rollenspiel führte den Klassiker nur mit den allernötigsten Kompromissen an die Moderne fort, ohne dabei seinen Charakter irgendeiner Zielgruppe zu opfern. Hier wirkte das technisch Altmodische aufgrund der mittlerweile seltenen inneren Werte unheimlich charmant. Ja, die Kulisse war nicht mehr als solide. Ja, das Kampfsystem hatte seine Probleme mit der Balance. Aber Wasteland 2 war ein episches Rollenspiel mit Seele, toller Stimmung, feinen Dialogen und überraschenden Situationen, das 2015 auch auf PS4 und Xbox One überzeugte und uns einen Gold-Award wert war (Wertung: 85%).
Fallout 4 (2015), Bethesda Softworks/ Bethesda Game Studios, PC, PS4, One
Auf der E3 2015 war es endlich so weit: Todd Howard kündigte Fallout 4 für den 10. November an. Und dieses Rollenspiel
Trotzdem setzt Bethesda inhaltlich auf Tradition: Man ist z.B. mit dem Hund „Dogmeat“ unterwegs, den man schon in Fallout sowie Fallout 3 als Begleiter rekrutieren konnte, außerdem werden bekannte Fraktionen und Feinde wie etwa Raider, Supermutanten oder die Bruderschaft des Stahls auftauchen.
Das etablierte S.P.E.C.I.A.L.-System kommt weiterhin in der Charakterentwicklung zum Einsatz, wird aber in einigen Bereichen ergänzt und ist von Beginn an wesentlich offener konzipiert, so dass die Qual der Wahl noch größer sein soll. Erneut zum Einsatz kommt das leicht angepasste Kampfsystem VATS, das sowohl Echtzeitaction als auch das stark verlangsamte Anvisieren einzelner Körperteile ermöglicht.
Offen bleiben abseits der angestrebten Superlative sowie der bekannten Systeme allerdings noch die wichtigsten Aspekte: Die Story, die Nebencharaktere, die Fraktionen, die Quests sowie die Konsequenzen der eigenen Handlungen für die Spielwelt sowie mögliche Enden. Wir sind gespannt, wie sich Fallout 4 nächste Woche im Test schlägt.
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