Castle of Illusion15.11.2012, Paul Kautz
Castle of Illusion

Special:

Micky Maus ist eine Ikone unserer Zeit, eine der wichtigsten und wiedererkennbarsten Marken überhaupt. Und dennoch hat es die zentrale Figur des Disney-Konzerns erstaunlich selten geschafft, Mittelpunkt wirklich guter Spiele zu sein. Eines davon jedoch ragt unendlich weit aus all dem Mittelmaß heraus.

Die perfekte Illusion?

Eine Maus mit einer Mission: Minnie aus den Klauen der garstigen Oberhexe Mizrabel befreien!
Eine Maus mit einer Mission: Minnie aus den Klauen der garstigen Oberhexe Mizrabel befreien!

Ende 1990. Die letzten Mauerbrösel wurden noch zusammengefegt, der Jungkautz entdeckte die glitzernde Welt der Videospiele für sich. Ich hatte vorher schon einige Erfahrungen mit interaktiver Unterhaltung gemacht, schließlich konnte der KC-87 in BASIC und Maschinencode programmiert werden. Wer einmal mehrere Tage damit verbracht hat, Zahlenkolonnen in den mathematisch kaum erfassbaren Speicher eines Computers zu hacken, der weniger Rechenleistung hatte als heute eine Flasche Wasser, um am Ende eine Partie rudimentäres Snake zu spielen, der wusste, was wahre Erfolge sind. Kurz darauf beglückten mich meine Eltern mit einem Game Boy - und einige Monate später stand ich, mit dem geballten Fachwissen einiger „Video Games“-Ausgaben im Hinterkopf, auf einer Messe vor dem schönsten schwarzen Plastik, das ich bis dahin zu sehen bekam: Dem Sega Mega Drive. Ein herrliches Teil! Ich musste es haben!

Zwar ist das Spiel selbst nach heutigen Maßstäben sehr kurz - aber das Leveldesign gleichzeitig so abwechslungsreich, wie man es sich nur wünschen kann.
Zwar ist das Spiel selbst nach heutigen Maßstäben sehr kurz - aber das Leveldesign gleichzeitig so abwechslungsreich, wie man es sich nur wünschen kann.
Mein zusammengekratztes Taschengeld reichte für ein Extra-Spiel, und mit dem Konzept von Micky Maus war ich, trotz des Eisernen Vorhangs, dank West-Verwandter gut vertraut. „Castle of Illusion (ab 3,25€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) starring Mickey Mouse“ leuchtete mich an. Die Sache war klar. Und meine Welt sollte nie mehr so sein wie zuvor.

Antennenkabel, Kanal 36, Mega-Drive-Schalter mit einem satten Klacken auf „On“, die Power-LED leuchtet ermutigend rot. „Once upon a mouse…“ steht da. Äh. Was heißt’n das? Meine Englischkenntnisse waren damals noch bescheiden, jeden zweiten Satz des Intros, in dem Micky und Minnie einen fröhlichen Walzer durch die grüne Landschaft von Vera City tanzen, musste ich nachschlagen. Das junge Glück wird jäh durch die garstige Hexe Mizrabel unterbrochen, die Minnie ihre Jugend und Beliebtheit neidet. Klar, dass Frollein Maus entführt wird. Noch klarer, dass sich Herr Mäuserich natürlich umgehend forschen Schrittes in das Titel gebende „Castle of Illusion“ begibt, um seine Herzensdame zu befreien! Ein Abenteuer wie kein Zweites…

Schwer ist Castle of Illusion zwar nicht, aber einige Levels (wie hier der Ausflug ins gigantische Uhrwerk) halten eine solide Herausforderung bereit.
Schwer ist Castle of Illusion zwar nicht, aber einige Levels (wie hier der Ausflug ins gigantische Uhrwerk) halten eine solide Herausforderung bereit.

Mit dem Hintern voran!

Aus heutiger Sicht betrachtet ist Castle of Illusion wirklich nichts Besonderes: Es ist extrem kurz (das Durchspielen dauert keine Stunde), lachhaft einfach, es gibt keine Charakterentwicklung, keine Achievements, keine Perks, keine Killstreaks, keine Schleichlevels. Und dennoch kann ich mich an kein Spiel erinnern, das ich in all den Jahren so oft durchgezockt habe. Dutzende Male. Absurd, ich weiß. Ich kenne alle Abgründe, in denen sich ein Extraleben versteckt. Ich weiß genau, welche Steine im Schlosslevel vor einem herunterfallen, und welche erst hinter einem. Ich kenne den Punkt, an dem mich der Clown-Boss nicht treffen kann. Es spielt für mich keine Rolle, dass ich manche Levels auch heute noch rein nach Gehör spielen kann. Ich kenne Castle of Illusion in- und auswendig. Und trotzdem spiele ich es auch heute noch, mit 36 Jahren, immer wieder durch. Zum einen, weil mein Mega Drive von damals noch astrein funktioniert. Zum anderen, weil wahre Liebe nie vergeht.

Hat man alle Edelsteine gesammelt, öffnet sich die Regenbogenbrücke. Und die führt schnurstracks zu...
Hat man alle Edelsteine gesammelt, öffnet sich die Regenbogenbrücke. Und die führt schnurstracks zu...
Und Castle of Illusion ist ein Produkt wahrer Liebe. Das erkennt man an jedem Pixel der hinreißenden Grafik, an jedem Ton des bezaubernden Soundtracks (der übrigens hier gerade wieder läuft, während ich diese Zeilen tippe). Am weichen, tiefen Parallax-Scrolling, den niedlichen Animationen, den putzigen Details - wie dem hölzernen „Klock!“, wenn Micky seinen Kopf irgendwo anstößt, den Licht an/aus-Schaltern, an denen man sich in der Bibliothek herumschwingen kann oder dem dramatischen Quietschen, wenn der Mäuserich getroffen wird. Sowie natürlich dem beseelten Leveldesign. Da springt die Maus über verträumte Spinnweben und durch Wackelpudding, durchschwimmt Teetassen voller garstiger Zuckerstücke und hüpft über hungrig machende Torten, dreht im Spielzeugland das ganze Bild um die horizontale Achse (ein sehr cooler Effekt, begleitet von einem beeindruckenden „WooooOOOOP!“-Sound). Kein Level gleicht dem anderen, jeder einzelne ist ein kreatives Schmuckstück.
...Miststück Mizrabel! Zeigt's der ollen Kröte!
...Miststück Mizrabel! Zeigt's der ollen Kröte!
Und von abgefahrenen Gegnern bevölkert: Wanderpilze, Zinnsoldaten, Baumgeister, fröhliche Spinnen, Einrad fahrende Jonglierclowns, wildgewordene Buchstaben, fröhliche kleine Bücherwürmer, gemeingefährliche Ritterrüstungen oder tödliche Blubberblasen wollen der Maus an den Kragen, die sich mit einem gut platzierten Pops-Treffer oder zielsicher geworfenen Äpfeln, Murmeln oder Kerzen zur Wehr setzt. Und natürlich gibt es Bossmonster: Grinsender Baumstumpf, hoppeliger Boxclown, dehnbares Schmunzelmonster oder die bitterböse Mizrabel höchstpersönlich sorgen für ein bisschen Herausforderung. Aber nur ein bisschen.

Da ist Liebe im Spiel!

Ein Spiel wie Castle of Illusion spielt man nicht, man erlebt es. Wieder und wieder. So ähnlich wie Super Mario World, den großen Konkurrenten, der zeitgleich auf dem brandneuen SNES erschien. Ein monumentales Meisterwerk, keine Frage.

Ja, ich liebe dieses Spiel. Auch heute noch. Für immer und immer!
Ja, ich liebe dieses Spiel. Auch heute noch. Für immer und immer!
Und Mario hatte Yoshi. Und dennoch würde ich immer diesen einen, speziellen Auftritt von Micky Maus vorziehen. Nicht nur, weil die nachfolgenden Spiele mit der ikonischen Figur oft Mist waren (hallo Fantasia !), sondern weil sich Castle of Illusion bei mir eingebrannt hat. Nicht nur das Spiel, sondern das gesamte Erlebnis: Meine erste Konsole, mein erstes Spiel dafür. Ich habe auch die etwas später veröffentlichte Version fürs Master System gespielt, die etwas Puzzle-lastiger als die Mega-Drive-Version war - aber die hat mich nie so fasziniert. Die große Variante hat einfach alles: Die Präsentation, die Steuerung, die Liebe. Ich schließe mich dem Fazit von Michael Hengst in der Video Games 1/91 an: „Castle of Illusion hat sich bei mir einen Ehrenplatz in der Modulsammlung verdient!“

Warum ich die ganze Zeit im Präsens schreibe? Weil Castle of Illusion für mich kein Werk der Vergangenheit ist. Es ist keine Minute gealtert, es kann heute noch mühelos genauso verzaubern wie vor 22 Jahren. Ich muss es wissen. Ich habe es gestern erst wieder durchgespielt. Und ich grinse immer noch.

Paul Kautz

Ein Maus auf Rettungsmission: Jede Menge Screenshots aus Castle of Illusion.

 
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