Merregnon 225.05.2004, Paul Kautz
Merregnon 2

Special:

Was lange währt, wird endlich gut: Das gilt nicht nur für Wein und Spiele, sondern auch für Musik. Der Nachfolger des Überraschungshits Merregnon ist nach fast dreijähriger Entwicklung endlich fertig gestellt, und wartet seit gestern nur darauf, von Freunden orchestraler Musik gehört zu werden. Zum Release haben wir ein ausführliches Interview mit dem Produzenten und dem musikalischen Leiter des Soundtracks geführt – lest alles in unserem Special!

4Players: Hallihallo – könntet ihr euch bitte kurz unseren Lesern vorstellen?

Thomas Böcker: Mein Name ist Thomas Böcker, ich bin als Music Producer für Projekte wie »Stalker - Shadow of Chernobyl« tätig, für »Knights of the Temple« war ich als Music Consultant involviert, und nicht zu vergessen natürlich die beiden Spielemusik-Eröffnungskonzerte der Games Convention, die ich organisiert habe bzw. organisiere. Für das Merregnon-Projekt arbeite ich als Executive Producer. In dieser Funktion bin ich quasi für alle Aufgaben vom Anfang (Konzeption) bis zum Ende (Publishing) mitverantwortlich. Für die Aufnahmen mit dem Orchester war ich zudem als Session Manager aktiv.

Andy Brick: Mein Name ist Andy Brick . Ich bin nicht nur einer der Komponisten bei Merregnon 2, sondern auch der Supervising Orchestrator, Dirigent und Music Director. Meine Aufgabe war es, die Konzepte und Visionen der Künstler so in Form zu bringen, dass die Werke am Ende so klangen, wie sie sich das vorgestellt hatten – was natürlich teilweise eine recht knifflige Aufgabe war, da ich jedem Komponisten den harten Weg vom Synthesizer zum Live-Orchester beibringen musste. Hat mich bestimmt einige Jahre meines Lebens gekostet, aber letztendlich spricht das Ergebnis nun für sich.

4Players: Die Entwicklung von Merregnon 2 hat ziemlich lang gedauert, schließlich habt ihr 2002 damit angefangen. Was hat euch aufgehalten?

Thomas und Andy in der Nähe von Prag, während einer Pause bei den Orchester-Aufnahmen für STALKER - Shadow of Chernobyl

Thomas Böcker: Ganz einfach: Qualitätssicherung. Wir wollten, dass Merregnon 2 die bestmögliche Qualität erhält. Natürlich muss man auch sehen, dass die Beteiligten am Projekt hauptberuflich andere Produktionen als Music Director oder Art Director usw. überwachen, weswegen es schwieriger wird, einen genauen Zeitplan zu erstellen. Aber letztlich ist es doch so: Niemand wird sich an ein Projekt erinnern und es für gut befinden, nur, weil es nach kurzer Zeit schon erschienen ist. Es ist die Excellence, die sich bezahlt macht – und genau darum geht es bei Merregnon.

Andy Brick: Merregnon 2 war eine internationale Produktion. Unsere Musiker arbeiten u.a. in New York, Washington und über Europa verstreut – insgesamt kommen sie aus sechs unterschiedlichen Ländern! Unsere Nachbearbeitungsteams sind in New York und Finnland, darüber hinaus schwirrten Thomas und ich dauernd zwischen Japan, Los Angeles, Bratislava, New York und Prag hin und her. Doch letzten Endes hat es der Qualität gut getan – Thomas und ich sind Perfektionisten, und eine Entscheidung zwischen Qualität und Geschwindigkeit fällt bei uns immer zugunsten der Qualität aus.

4Players: ..was sich aber nicht zuletzt auch auf die Kosten auswirkt. Wie viel hat die Entwicklung von Merregnon 2 insgesamt gekostet?

Thomas Böcker: Oha! Viel. Sogar sehr viel. Wenn ich die CD nun aber in meinen Händen halte, kann ich sagen: Die Produktion war jeden Cent wert, der investiert wurde. Auch wenn ich jetzt vermutlich für eine Weile von trockenem Brot leben muss..  ;)

4Players: Was waren eure privaten Highlights während dieser zwei Jahre?

Thomas Böcker: Wir hatten sehr viele dieser großartigen Momente, ich würde gern stellvertretend zwei davon herausstellen:

1. Die Aufnahmen mit dem Orchester in Prag. Zum ersten Mal konnte ich die Kompositionen live hören. Das war einfach atemberaubend, ich werde dieses Erlebnis wohl nie vergessen.

2. Die Weltpremiere von Merregnon 2 auf dem 1. Europäischen Spielemusikkonzert in Leipzig letztes Jahr. Unglaublich, als James Walker den Prolog sprach – und das Orchester dazu spielte. Rund 2.000 Leute konnten in ausverkaufter Halle unsere Musik hören. Das sind wirklich Momente, die für eine harte und anstrengende Produktion entschädigen und quasi die Batterien wieder aufladen, um weiter am Projekt zu arbeiten.  

Andy Brick: Schwierig, sich da auf bestimmte Ereignisse festzulegen – die Arbeit mit Thomas war eigentlich voller Highlights. Mich hat am meisten das Finishing der Live-Aufnahmen bewegt. Oh, und der allerletzte Tag vor dem offiziellen »Wir sind fertig!« war wirklich großartig.

4Players: Apropos Highlights: Was waren denn die größten Hürden?

Das Korrigieren der Partituren hat sehr viel Zeit gekostet - die Komponisten mussten sich erst an die Arbeit mit einem echten Orchester gewöhnen.
Thomas Böcker: Als Produzent hatte ich einige schwierige Entscheidungen zu treffen. Als besonders fordernd würde ich jedoch die Arbeit mit dem Orchester bezeichnen. Die Komponisten hatten in den meisten Fällen niemals zuvor mit einem Live-Ensemble gearbeitet. D.h. sie mussten - wie auch ich - Schritt für Schritt an die Materie herangeführt werden, was Andy übernahm. Innerhalb einer sehr kurzen Zeit galt es, sehr viel über Musiktheorie zu erlernen. Nicht zu vergessen: Unsere neun Komponisten haben selbstverständlich auch einen komplett unterschiedlichen Stil, d.h. wir mussten einen Weg finden, eine CD zu kreieren, die einerseits dem Anspruch eines Soundtracks gerecht wird und keine Brüche aufweist, andererseits aber auch die Details nicht unterdrückt, die eben all die verschiedenen Herangehensweisen der Musiker mit sich bringen. Wir wollten das »aus einem Guss«-Gefühl ebenso wie die Unterscheidbarkeit der Komponisten auf der CD.

Andy Brick: Thomas wird diese Antwort lieben: Meine größte Herausforderung war, nicht dauernd meine Beherrschung aufgrund der Komponisten zu verlieren. Ich musste teilweise ziemlich hart zu den Jungs sein, aber das ließ sich einfach nicht vermeiden. Ich hatte als Music Director die Verantwortung, und ich war es, der die vielen unterschiedlichen Stile mehr oder weniger unter einen Hut bringen musste. Ich hatte die Aufgabe, die musikalische Vision umzusetzen, und damit auch den Komponisten den Kurs zu weisen.

4Players: Wie schwierig war es, all die Komponisten zu vereinen? All die unterschiedlichen Stile, die verschiedenen musikalischen Vorlieben – wie passte das alles ins Merregnon-Universum?

Thomas Böcker: Wir haben zunächst viel Zeit in das Konzept investiert. Es gab klare Vorstellungen, allerdings ohne die Komponisten zu sehr einzuschränken. Wir stellten Inspirationstitel zur Verfügung, Textbeschreibungen oder auch Bilder. Zudem wussten wir natürlich aus der Erfahrung mit Merregnon 1, welche Komponisten auf welchem Gebiet, für welchen Stil am besten geeignet sein würden. Olof Gustafsson schreibt z.B. hervorragende Kampfmusik, während Markus Holler eindeutig bei besinnlicher, romantischer Musik punktet. Jeder Künstler schickte uns Beispiele seiner Arbeit an Merregnon 2 - und sobald wir eine Einigung gefunden hatten, wurde der Titel fertiggestellt. Mir war es wichtig, dass alle Komponisten so weit wie möglich über den Fortschritt der anderen Kompositionen Bescheid wussten und sich entsprechend darauf einstellen konnten, wenn es nötig wurde. Dadurch konnte man Brüche noch leichter verhindern. Ein weiterer Punkt war natürlich das identische Setup des Orchesters. Jeder Komponist hatte damit die gleichen Voraussetzungen. Unsere Verantwortlichen für den Bereich Mixing und Mastering verfeinerten das Ganze schließlich noch.

4Players: Warum habt ihr euch für junge Szene-Musiker entschieden, anstatt mit Komponisten zu arbeiten, die mit dieser Art von Musik besser vertraut sind?

Thomas Böcker: Ich bin 100% von den Fähigkeiten jedes einzelnen Merregnon-Komponisten überzeugt. Der Fakt, dass sie nicht unbedingt gewöhnt waren, mit einem Orchester zu arbeiten, konnte auch insofern förderlich sein, als dass dadurch neue, frische Ideen eingebracht wurden. Natürlich kann man das nicht mit jedem Musiker machen - man muss wissen können, ob die Fähigkeiten des Komponisten dazu ausreichen.

Andy Brick: Ich denke, das ist der entscheidende Punkt hier. Es ist nicht so, dass jeder Künstler in das »Merregnon-Universum« erst gequetscht werden müsste - es ist eigentlich genau anders herum: Der Merregnon-Stil ist das Ergebnis der Stile aller beteiligten Komponisten. Was ich daran faszinierend finde: Mit anderen Künstlern wäre eben dieser Stil ein komplett anderer. Und genau das macht Merregnon 2 so einzigartig. Es ist die vereinte Vision einer Gruppe hochtalentierter Musiker.  

4Players: Dasselbe gilt auch für das Booklet: Die Musik von Merregnon 2 folgt einer Fantasy-Story, die im recht dicken Begleitheft nicht nur niedergeschrieben, sondern auch phantasievoll illustriert ist. Wieso dieser ungewöhnliche Weg?

Thomas Böcker: Diese Idee existiert von Anfang an. Wir wollten ein Produkt herstellen, das verschiedene künstlerische Aspekte vereint, also Bilder, Text und natürlich Musik. Alles zusammen genommen macht Merregnon erst aus, wenngleich jeder Bereich auch für sich allein funktioniert. Man kann die Musik z.B. auch hören, ohne jemals das Booklet gelesen zu haben. Wir wollten ein Projekt, an das sich die Leute lange erinnern, das Tiefe hat. Ohne aber dabei sperrig zu wirken - Merregnon ist ein Unterhaltungsprodukt, es geht darum, dass man Freude daran hat.

4Players: Wer hat sich die Story ausgedacht?

Thomas Böcker: 1999 entwickelte ich mit Fabian Del Priore , unserem Main Composer, die Geschichte zu Merregnon. Für Teil 2 wurde das Ganze dann zusätzlich von Tom Linke und Matthias Kretschmar zusammen von mir geschrieben. Vergessen möchte ich an dieser Stelle keinesfalls Kimberbly Grefberg, unseren Creative Editor, die insbesondere das Englisch verfeinert hat. Genau genommen waren es aber auch die Komponisten, die an der Geschichte mitgeschrieben haben, denn wir haben die Ideen integriert, die sie mit ihrer Musik einbrachten.

4Players: Gibt es etwas, was ihr im Nachhinein betrachtet anders gemacht hättet? Gab es Momente, an denen ihr am liebsten Bäcker geworden wärt? An denen ihr Teile der Story bzw. der Musik umgeschrieben oder den einen oder anderen Komponisten zum Mond gekickt hättet?

Thomas Böcker: Natürlich, ich glaube, jedes Projekt hat solche Momente. Wir haben fast drei Jahre an Merregnon 2 gearbeitet - und jeder Einzelne lernt über diese Zeit und macht neue Erfahrungen. Ein Produzent hat mir einmal gesagt: Reibung führt zu Energie. Was er meint: Natürlich erlebt man mit solchen Projekten nicht nur nette und lustige Zeiten.

Nach dem Merregnon 2-Stress hat Thomas Böcker seine Insel der Ruhe am anderen Ende der Welt gefunden - er wohnt momentan in Tokio.
Wir haben ein sehr großes Team mit unterschiedlichen Leuten mit ebenso unterschiedlichen Ansichten. Aber genau das macht Merregnon einmalig, die Reibung, die durch variierende Meinungen teilweise entstehen mag, führt am Ende zu einer unglaublichen Energie, von der das Resultat nun profitiert.

Andy Brick: Zum Mond? Ha! Viel zu nahe! Bei einigen Komponisten hätte ich eher zum Mars tendiert.. Okay, zugegebenermaßen hatte ich die meiste Zeit wirklich keine größeren Probleme. Aber es war nicht einfach, ihnen wieder und wieder die Dinge einzubläuen, die sie einfach brauchten, um mit einem großen Orchester sinnvoll umzugehen, auch wenn von Seiten der Komponisten kein großer Widerstand kam. Schwierig war es, sie dazu zu bringen, ohne Synthesizer und Sampler zu arbeiten. Wenn man ohne ein Orchester auskommt, dann sind die beiden Dinge großartige Alternativen, aber bei Merregnon 2 war das eben nicht der Fall - wir hatten ein Orchester. Es ist verdammt wichtig, und das richte ich nicht nur an die Merregnon-Komponisten, sondern an alle jungen Musiker da draußen, zu begreifen, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen gesampelten und echten Instrumenten gibt. Nicht nur im Klang, sondern auch in der Art und Weise, wie man damit umgeht - Live-Instrumente haben nun mal bestimmte Grenzen, die man erst kennen lernen muss.

4Players: Nun da alles fertig und poliert ist - welches Stück auf Merregnon 2 mögt ihr besonders?

Thomas Böcker: Ehrlich, ich denke über diesen Punkt schon eine Weile nach, kann aber keine definitive Antwort geben. Es kommt wirklich ganz auf die Stimmung an, in der man sich befindet. Merregnon 2 beschreibt eine Reise mit unterschiedlichen Orten und Geschehnissen, dementsprechend abwechslungsreich ist die musikalische Vielfalt.  

Was ich allerdings sagen kann: Es gibt keinen Titel auf dem Album, der mich im Nachhinein enttäuschen würde, oder der von minderer Qualität wäre. Von welcher CD kann man das schon behaupten?

Andy Brick: Ich muss Thomas zustimmen: Es kommt wirklich auf die Stimmung an. Aber auch so könnte ich mich nicht festlegen: Anfangs mochte ich Jonnes Musik am meisten (Jonne Valtonen , Anm. d. Red.), er hat ungeheures Talent und ein natürliches Verständnis für das Orchester. Bis heute wünschte ich bei »Forgotten Memories«, dass ich das geschrieben hätte. Danach folgte meine Allister Brimble -Phase: Da ist dieser spezielle Moment in »Sedulous Escape«, so majestätisch und kraftvoll. Und natürlich kam ich nicht an Yuzo Koshiro vorbei, der wie beispielsweise Nobuo Uematsu (der Final Fantasy-Musiker, Anm. d. Red.) ein wahrer Künstler mit einem sehr eigenständigen Stil ist. Dann habe ich eines Abends zusammen mit meiner Frau

Der größte Teil der Orchester-Aufnahmen wurde in Prag vollzogen, unter der Leitung von Andy Brick.
»Leaving the Scene« von Chris Hülsbeck angehört. Resultat: Wir haben uns eine Internet-Schlacht um die Suche nach noch mehr Musik von ihm geliefert. Er kann wundervolle Melodien erschaffen, und wirklich Emotionen beim Hörer erwecken.

Natürlich war auch die Arbeit von Fabian sehr wichtig, der mit Prolog und Epilog dem Ganzen erst einen Rahmen gegeben hat. Sehr beeindruckt war ich auch von Markus Holler , dessen Werke sehr erhaben sind - als wir Merregnon abgeschlossen hatten, dachte ich mir »Der Typ kann wirklich nachdenkliche, provokative Musik schreiben«. Dann, nur kurze Zeit später, überraschte mich Markus mit seinem Soundtrack für STALKER - Shadow of Chernobyl  , der wiederum völlig anders ist! Es war toll mit anzusehen, wie er seine Fähigkeiten über die letzten beiden Jahre konsequent weiterentwickelt hat; ich bin sicher, dass wir von ihm noch Großes erwarten können. Die Werke von Olof und Gustaf sind etwas ganz Besonderes. Beide haben sehr viel Kraft, sehr viel rohe Energie, was man den Kompositionen auch sofort anhört – sie sind absolut einzigartig. Und natürlich finde ich meine Werke auch nicht ganz übel; ich hoffe doch sehr, dass sie beim Hörer gut ankommen..  ;)

4Players: Liegen dem Produzenten einer orchestralen CD eigentlich die Frauen zu Füßen?

Thomas Böcker: Nicht wirklich – aber das müssen sie auch gar nicht. Ich kann mich in dieser Hinsicht nicht beschweren, da ich meine Freundin fürs Leben schon lange gefunden habe.

Andy Brick: Dem Produzenten vielleicht nicht, dem Dirigenten hingegen schon.. aber das ist wohl eine andere Geschichte. ;)

4Players: Gut, darüber reden wir dann bei der nächsten CD. Was ist denn für die Zukunft geplant?

Thomas Böcker: Nun, zunächst ist Merregnon natürlich als Trilogie geplant. Teil 1 erschien 2000, Teil 2 eben 2004 - und Teil 3 auch in den nächsten Jahren. Das Thema bietet eine Menge, um ausgeweitet zu werden; ich denke, man kann gespannt bleiben! Natürlich werden Komponisten aus dem Team auch weiterhin für Spiele Musik machen, STALKER wurde ja als Beispiel bereits angesprochen. Es macht Spaß, sich solche Produktionen auszusuchen, und es ist eine Ehre, daran mitzuwirken. Ansonsten kann man sagen: Wir haben gerade erst angefangen und haben eine Menge Pläne für die Zukunft.

            

 
0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.